Protokoll der Sitzung vom 22.02.2012

Es wird völlig unterschätzt, dass es inzwischen darauf hinausläuft, dass wir eine Wirtschafts- und Währungsunion und eine Europäische Union haben, die im Begriff ist, von 27 auf 28 Mitgliedsstaaten zu wachsen. Aber das, was Eurokrise und Eurowirtschaftsraum angeht, stellt praktisch nur noch die Hälfte dessen dar, was sich in Europa gesamtpolitisch abspielt.

Es ist kaum noch hinzunehmen, dass wir über Griechenland reden und akzeptieren, dass David - aber diesmal David Cameron - eine rein an Großbritannien orientierte Politik macht und sich sozusagen aus der Solidarität ausklinkt, die wir in Europa in den Mittelpunkt stellen müssen. Unsere Forderungen, die wir aufgestellt haben, beziehen sich darauf, in der praktischen Politik Antworten auf drei Punkte zu geben, die wir für ganz wichtig halten.

Erstens. Wir müssen die Finanztransaktionssteuer als europäisches Projekt durchsetzen.

(Beifall bei der SPD)

Das hat das Parlament beschlossen. Das gehört auch in die deutsche Politik.

Zweitens. Wir müssen dafür sorgen, dass wir als Deutsche Solidarität nicht nur dann definieren und auch nutzen, wenn sie uns wirtschaftliche Vorteile bringt, sondern Solidarität ist auch das Grundprinzip, wenn es um Krisenbewältigung geht.

(Glocke des Präsidenten)

Drittens. Wir sind streng und strikt dafür, dass wir das Thema Eurobonds zu Ende diskutieren und praktisch anwenden. Denn das, was im Augenblick passiert, ist nichts anderes als die Bewirtschaftung von Riesensummen mit dem Ziel, die Zinsen möglichst erträglich zu machen, ohne aber dass man das günstigere und das handhabbare Instrument „Eurobonds“ in die Finger nimmt. Diese Ablehnung der Eurobonds ist der Kern Ihres Antrages, den Sie gegen den SPD-Antrag gesetzt haben. Ich bin ziemlich froh darüber, dass diese Klarheit auch zum Ausdruck kommt.

(Christian Grascha [FDP]: Wir auch!)

Denn die Schuldenbremse, die zusätzlich von Ihnen eingefügt worden ist, - - -

Letzter Satz, Herr Aller!

- - - ist in den Stabilitätskriterien bzw. im Stabilitätspakt schon angelegt worden. Das ist nichts Besonderes, das neu wäre. Von daher wäre es besser, Sie stimmten unserem Antrag zu. Er ist umfangreicher und zeitlich besser aufgestellt.

Vielen Dank, Herr Aller!

Bitte! - Damit komme ich zum Schluss: Stimmen Sie unserem Antrag zu!

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Für die CDU-Fraktion spricht zum Tagesordnungspunkt 14 Herr Kollege Hilbers. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben einen eigenen Antrag zu die

sem Themenkomplex vorgelegt, weil wir die Schlussfolgerungen und die Ausgangsformulierungen des SPD-Antrags und auch das, was der Kollege Aller in dieser Richtung vorgetragen hat, nicht mittragen können.

Wir haben hier eine eindeutige Richtungsentscheidung vorgenommen. Ich will festhalten, dass ich ebenfalls die Entscheidung über das für Griechenland geschnürte Paket von 130 Milliarden Euro, das jetzt aktuell beschlossen worden ist, für positiv und richtig halte. Das ist eine richtige Entscheidung im Hinblick auf die Strukturierung der Maßnahmen zur Überwindung der Finanzkrise auf den europäischen Märkten.

Keinesfalls ist die Situation aber so, wie sie im SPD-Antrag ausgeführt ist, dass die Stabilitätskrise im Wesentlichen von den Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise herrührt. Es ist eindeutig klar, dass schon in weit zurückliegender Zeit darüber hinaus Staaten keine Haushaltsdisziplin eingehalten und über ihre Verhältnisse gelebt haben. Das kam auch daher, dass seinerzeit unter Rot-Grün die Stabilitätskriterien aufgeweicht und an entscheidender Stelle von uns selbst auch verletzt worden sind.

Meine Damen und Herren, in den vergangenen Monaten haben die Staats- und Regierungschefs, um die Staatsschuldenkrise einiger Mitgliedsstaaten in den Griff zu bekommen, gute Arbeit geleistet. Ich möchte an den sogenannten Sixpack der Europäischen Kommission zur Verschärfung der Maßnahmen im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes oder auch an das Euro-PlusPaket erinnern.

Europäische Institutionen und die Staats- und Regierungschefs der EU bzw. der Eurozone haben im Frühjahr 2010 eine Reihe von legislativen Initiativen, finanziellen Maßnahmen sowie politischen Verabredungen getroffen. Bisheriger Schlusspunkt ist die Verständigung der Staats- und Regierungschefs - außer derer Großbritanniens und der Tschechischen Republik; ich bedaure das sehr - auf den sogenannten Fiskalpakt, der am 30. Januar 2012 - also vor wenigen Wochen - beschlossen worden ist. Der Vertrag soll am 1. und 2. März formell unterzeichnet werden.

Dies ist der klare Kontrapunkt zu dem, was Sie wollen. Sie setzen in Bezug auf den Solidaritätsgedanken darauf, Schulden zu verallgemeinern bzw. zu vergemeinschaften. Sie setzen darauf, Eurobonds herauszugeben.

Wir setzen darauf, mehr Stabilität einzufordern und die Stärke Europas darin zu suchen, eine gemeinsame Wirtschafts- und Währungspolitik zu machen. Jedes Land aber soll für seine Haushaltsdisziplin verantwortlich gemacht werden. Die Eurorettung kann nur mit einer strikten Haushaltsdisziplin - und nicht mit einer Vergemeinschaftung von Schulden - gelingen.

Die 26 Mitgliedsstaaten haben angekündigt, sich auf eine Schuldenbremse nach deutschem Vorbild zu verständigen. Das ist, wie ich meine, eine hervorragende Institution, um klarzustellen, dass auf Dauer eine stabile Währung nur gelingen kann, wenn auch die Haushalte stabil sind und sich die Defizite in Grenzen halten.

Der Stabilitäts- und Wachstumspakt ist weiter verschärft worden. Künftig sollen Sanktionen - gedacht ist an Geldstrafen und in bestimmten Fällen auch an die Streichung von milliardenhohen Strukturmitteln - automatisch eintreten. Sie müssen nicht mehr explizit beschlossen werden, sondern - im Gegenteil - es muss beschlossen werden, wenn sie nicht verhängt werden sollen. Das ist ein weiterer Fortschritt, der uns gelungen ist.

(Dr. Manfred Sohn [LINKE]: So viel zur Demokratie!)

In ganz wesentlichen Punkten haben wir unsere Stabilitätskultur und die Ansicht darüber, wie wir die Eurorettung im ESM und seine Fortentwicklung weiter gestalten können, auf europäischer Ebene installieren können. Das ist ein hervorragender Beschluss, der im Wesentlichen durch die deutsche Bundesregierung - durch Bundeskanzlerin Angela Merkel - auf den Weg gebracht worden ist.

Ich bin froh, dass wir uns an der Stelle durchgesetzt haben und dass wir nicht das bekommen haben, was Sie dort installieren wollten, nämlich eine Vergemeinschaftung von Schulden.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Es gibt mehr Stabilität, es wird mehr auf die Währung geachtet, es wird mehr auf die Haushaltsdisziplin geachtet, und es gibt eine gemeinsame Steuerung der Wirtschaftspolitik, die in einem Raum mit einheitlicher Währung notwendig ist. Das alles kommt mit unserem Antrag zum Ausdruck.

Sie haben in vielen Punkten Allgemeinplätze formuliert. Im Wesentlichen zählen Sie unter dem Deckmantel der Solidarität darauf, die Verantwortung von den - - -

(Johanne Modder [SPD]: Deckmantel der Solidarität?)

- Ja, Sie nutzen die Solidarität als Argument dafür, die Verantwortung einzelner Staaten für ihre Haushalte auf die Allgemeinheit, also auf die EU, abzuwälzen. Damit setzen Sie bei Eurobonds Anreize, die überhaupt nicht dazu führen, die eigenen Finanzen in Ordnung zu bringen. Das Gegenteil ist der Fall! Das ist die falsche Steuerung.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Deswegen bin ich froh, dass wir nicht dorthin gekommen sind, wohin wir nach Ihrer Maßgabe gekommen wären, sondern dass wir dorthin gekommen sind, wo Angela Merkel gemeinsam mit Frankreich eindeutige Schwerpunkte gesetzt hat.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Bei uns bleibt es dabei: Eigenverantwortliches Handeln bleibt die Maxime. Schuldenbegrenzung! Wir brauchen zur Überwindung der Krise nicht weniger, sondern mehr Europa. Wir brauchen nicht weniger Stabilität und Haushaltskonsolidierung, sondern mehr Währungs- und Haushaltsstabilität in Europa. Wir brauchen nicht weniger Wettbewerbsfähigkeit, sondern - im Gegenteil - wir müssen dafür sorgen, dass in den Staaten mehr Wettbewerbsfähigkeit hergestellt wird. Nur so wird Europa gemeinsam stark, aber nicht durch Ihre Instrumente wie Eurobonds und Ähnliches.

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Was ist eigentlich mit den Verlierern des Wettbewerbs?)

Deshalb machen wir uns auf den Weg in diese Richtung. Ich meine, dass die Bundesregierung mit der Unterstützung durch Niedersachsen im Bundesrat Großartiges geleistet hat. Auf diesem Weg wollen wir weitermachen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Abschließend beantrage ich, über unseren Antrag sofort abzustimmen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Für die Fraktion DIE LINKE hat jetzt Herr Dr. Sohn das Wort.

(Dirk Toepffer [CDU]: Jetzt kommt die fundamentale Kapitalismuskritik!)

Richtig, Herr Toepffer.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Aller, den SPD-Antrag lehnen wir ab - das ist Ihnen aus dem Ausschuss bekannt -, weil er trotz einiger guter Gedanken natürlich wieder die Zustimmung zur EFSF und zum ESM beinhaltet, die bekanntlich kein Europarettungs- und Bankenbelastungspaket sind, sondern Bankenrettungs- und Europazerstörungsbeschlüsse. Deshalb halten wir sie für Unfug.

(Beifall bei der LINKEN)

Außerdem wird, wenn man beide Anträge nebeneinanderlegt, deutlich, dass wir es im Moment auf immer mehr Bühnen mit einer Großen Koalition der Illusionäre zu tun haben, die sich gegenseitig vorgaukeln - „vorgauckeln“ ist ja ein heißer Renner auf das Verb der nächsten fünf Jahre -, die Krise sei überwunden; denn der erste Satz - Herr Hilbers, der Ausgangspunkt ist derselbe - ist praktisch identisch. Den hat die CDU bei Ihnen von der SPD geklaut. Das macht aber nichts. Auch Ihrer war nämlich schon falsch! Da heißt es, dass die Krise überwunden sei. Wir halten das für Unsinn. Diese Krise fängt erst richtig an, Herr Aller und Herr Hilbers.

Der Antrag von CDU und FDP ist noch schlimmer, wobei ich den vorletzten Spiegelstrich am interessantesten finde, in dem es heißt, dass sich die Bundesregierung aktiv für demokratische Legitimation einsetzen solle. Und das soll dieselbe Bundesregierung machen, die den Herrn Papandreou vom Hof gejagt hat, als er es gewagt hatte, auch nur zu überlegen, das Volk zu befragen, ob es den ganzen Mist schlucken will, den Berlin ihm oktroyieren will.

(Beifall bei der LINKEN - Widerspruch bei der CDU)