Der Ausstieg aus der Kernenergie ist beschlossen. In zehn Jahren wird das letzte Kernkraftwerk in Deutschland vom Netz genommen worden sein. Aber beim Thema Gorleben gibt es einen tiefen Riss zwischen der grünen Landtagsfraktion und der grünen Landespartei. Hier im Landtag stellt der Kollege Wenzel Anträge, die Erkundung müsse sofort abgebrochen werden, aber auf seinem eigenen Parteitag im November in Verden, in meinem Heimatwahlkreis, erklärt er gemeinsam mit Frau Harms, dass Gorleben im Topf bleiben müsse, um andere Bundesländer nicht zu verschrecken und damit auch dort potenzielle Erkundungsstandorte genannt werden.
Quo vadis, Herr Wenzel? Was wollen Sie denn nun? - Einerseits wollen Sie Gorleben im Topf belassen, aber andererseits stellen in diesem Hause nach dem Prinzip „copy & paste“ die gleichen Anträge wie seit Jahrzehnten. Scheinbar gibt es Herrn Wenzel zweimal: Es gibt einen ParteitagsWenzel und einen Fraktions-Wenzel, und die sehen sich überhaupt nicht ähnlich.
Herr Wenzel, anstatt seit nunmehr 30 Jahren immer wieder solche Anträge im Niedersächsischen Landtag zu stellen, hängen Sie ihn lieber in den Schaukasten der Grünen in Lüchow-Dannenberg. Ich hänge dann Ihre Rede vom Landesparteitag in Verden daneben, damit auch Ihre Basis erkennen kann, mit welch gespaltener Zunge Sie in der Gorlebenfrage in diesen Wochen argumentieren.
Meine Damen und Herren, Herr Kollege Wenzel von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort. Bitte!
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Heute auf den Tag genau vor 35 Jahren wurde die Entscheidung für den Standort Gorleben verkündet. Das war damals Dr. Ernst Albrecht. Dass wir nach 35 Jahren neu anfangen müssen, zeigt, welch kolossale Fehlentscheidung das damals gewesen ist.
Darüber sind sich, glaube ich, mittlerweile auch viele einig. Die Frage ist nur, ob wir wirklich einen Neuanfang hinbekommen oder ob die Freunde des alten Weges, der Blockade und der Konfrontation wieder Luft bekommen. Herr Dr. Hocker, die letzte Chance zum Dialog hat Ihre Partei zusammen mit der CDU aus Niedersachsen heraus ausgeschlagen. Jetzt machen wir einen neuen Anlauf.
Sie sprechen in Ihrem Antrag von einem „ehrlichen Verfahren“. Ein ehrliches Verfahren haben die Wendländerinnen und Wendländer über 35 Jahre hinweg schmerzlich vermisst. Sie haben auch ein rechtsstaatliches Verfahren schmerzlich vermisst. Über 35 Jahre hinweg hat man Handlungen vorgetäuscht, nach Bergrecht von „Erkundung“ gesprochen, obwohl die Erkundung schon Anfang der 90er-Jahre - anfangs sogar in den 80er-Jahren - abgeschlossen sein sollte. Man hat dort unter dem Vorwand der Erkundung ein Endlagerbergwerk gebaut. Deshalb hat Herr Trittin das mit gutem Grund einmal „Schwarzbau“ genannt.
Herr Ministerpräsident Kretschmann hat die Diskussion wieder geöffnet, Raum für Gespräche geschaffen und im letzten Jahr zusammen mit anderen Ländern dafür gesorgt, dass jetzt alle 16 Bundesländer am Tisch sitzen und verhandeln. Mit der Wirtschaftsministerin aus Rheinland-Pfalz haben wir eine sehr starke Verhandlungsführerin für die Grünen-Länder, aber auch für die A-Länder im Bundesrat. Ich bin der Meinung, dass wir hier durchaus eine Chance haben. Diese Chance haben wir aber nur dann, wenn es gelingt, zu einem wirklichen Neuanfang zu kommen.
Herr Dr. Hocker, Ihr Gesetzentwurf - Herr Dr. Birkner wird dazu sicherlich auch noch sprechen - ist offenbar mit extrem heißer Nadel gestrickt worden. Daran sind harte Kritikpunkte festzumachen. Unsere Verhandlungsführer in der letzten Runde haben allein 26 Kritikpunkte vorgelegt. Ich will Ihnen die wichtigsten nennen.
Nichts liest man dort von nach wissenschaftlichen Kriterien festgelegten Sicherheitskriterien, die wirklich über alle Zweifel erhaben sind und die auch die Arbeiten des Arbeitskreises Endlager mit aufnehmen, eines Arbeitskreises, der damals aus Gegnern und Befürwortern der Atomkraft zusammengesetzt wurde. Das sollte man heute nicht einfach in den Orkus schieben.
Die vorläufige Sicherheitsanalyse soll plötzlich neuer Standard für die Bewertung werden. - Meine Damen und Herren, es ist schon sehr merkwürdig, dass dieser Begriff fröhliche Urständ feiern soll und man die fehlerhafte Entwicklung von Gorleben praktisch in einem Gesetzesstandard festschreiben will.
Das neue Bundesinstitut soll frei von demokratischer Kontrolle und frei von Sachverstand neu entstehen und von den Erfahrungen abgekoppelt werden, die man im Endlagerbereich und insbesondere auch mit dem Desaster in der Asse bislang gemacht hat. Das Ganze will man auch noch außerhalb der Schutzziele des Atomgesetzes regeln. Es wäre aber zu prüfen, ob man nicht eine Regelung im Atomgesetz findet.
Was Sie bislang vorgelegt haben, ist in der Konsequenz nicht ergebnisoffen, meine Damen und Herren. Die Ergebnisoffenheit ist aber eine entscheidende Bedingung für den Neuanfang. Wenn Sie, wie Sie sagen, Herr Dr. Hocker, nach einer Erkundungspause in Gorleben am Ende faktisch einfach weitermachen wollen, dann ist das kein Neubeginn, sondern dann schaffen Sie neue Sachzwänge, und das ist Letzte, was wir in Niedersachsen brauchen.
Herr Dr. Hocker, jetzt sprechen Sie von Ehrlichkeit. Aber wie sieht es denn mit der Ehrlichkeit aus? - Noch immer lassen Sie an der sogenannten vorläufigen Sicherheitsanalyse Damen und Herren arbeiten, die mit Falschaussagen zur Entwicklung in der Asse belastet sind. So schafft man keine Glaubwürdigkeit! Der Neubeginn wird nicht gelingen, wenn man sich nicht dazu durchringt, diese Dinge schlicht und einfach abzubrechen.
Insofern, meine Damen und Herren, gibt es eine große Chance. Es gibt aber auch ein großes Risiko, wenn Sie nicht erkennen, dass man die 35 Jahre hinter sich lassen muss.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was ist die Aufgabe von Politik: Probleme zu schaffen oder Probleme zu lösen? - Zugegeben, das war eine rhetorische Frage, aber ich würde sie hier nicht stellen, wenn ich das Gefühl hätte, dass in diesem Hause alle an Lösungen interessiert wären.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Kernenergie ist Vergangenheit, auch wenn die letzten Kernkraftwerke noch ungefähr zehn Jahre laufen werden. Der Ausstiegsbeschluss ist endgültig getroffen worden. In diesem Punkt waren sich alle Fraktionen im Deutschen Bundestag einig. Ist es nicht allmählich Zeit, diese Einigkeit auch bei der Lösung der Endlagerfrage an den Tag zu legen?
Hat der Bürger in Deutschland und in Niedersachsen nicht das Recht, dass die Politik Antworten liefert, statt wie die linke Seite hier im Hause Antworten konsequent zu verweigern?
Die Bereitstellung eines Endlagers für hoch radioaktive Abfälle ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Wer sich wie Rot-Grün im Jahre 2000 dieser Aufgabe durch ein Moratorium verweigert hat, hat wertvolle Zeit verschenkt - Zeit, die uns heute fehlt. Gorleben, meine sehr geehrten Damen und Herren, könnte schon längst zu Ende erkundet und die Eignungsfrage auf der Basis von Fakten entschieden sein. Aber nichts dergleichen ist passiert.
Deshalb, meine sehr geehrten Damen und Herren, sind wir froh, dass auf Bundesebene mit großer Unterstützung unseres Ministerpräsidenten David McAllister eine Entwicklung in Gang gekommen ist, die in einem Endlagersuchgesetz münden wird.
Dabei müssen die Sachkriterien zur Auswahl des Standortes Gorleben und die bisherigen Ausgaben zur Eignung des Standortes umfassend und transparent in der Öffentlichkeit vorgestellt werden.
Wir können die Frage der Entsorgung atomarer Abfälle nicht ständig vertagen, sondern wir müssen sie entscheiden.
Auch wenn hier anderes erzählt wird, gibt es keine Vorfestlegung auf einen Standort. Es gibt keine Vorfestlegung auf Gorleben. Aber es kann nicht sein, dass Gorleben allein aus politischen Gründen aus dem Topf genommen wird. Mit politischen Gründen, meine sehr geehrten Damen und Herren, können Sie jeden Standort in Deutschland beerdigen. Wer aber ergebnisoffen an die Endlagerfrage herangeht, der wird auch Gorleben in seine Überlegungen mit einbeziehen müssen.
Ich bin zufrieden, dass wir die Frage der Energiewende in einem nationalen Konsens lösen konnten. Aber ich bin enttäuscht, wie sehr sich SPD, Grüne und Linke aus rein populistischen und parteipolitischen Gründen einem Konsens in der Endlagerfrage verweigern.
Die SPD beschließt über die Eignung oder Nichteignung von Standorten auf einem Parteitag. Die Linke ist sowieso gegen alles, auch gegen Lösungen. Und die Grünen sind sich in Sachen Endlagerung so einig wie Wölfe und Schafe über das Mittagessen.
Die Grünen in Niedersachsen halten Gorleben für ungeeignet. Die grünen Minister der Länder hingegen gehen viel pragmatischer an die Sache heran, als Ihnen das hier im Landtag lieb sein kann - und zwar so pragmatisch, dass der grüne Landesvorstand in Niedersachsen vor wenigen Tagen den
grünen Ministerinnen und Ministern einen Brief geschrieben hat, in dem gefordert wird, dass - ich zitiere - „wir Grüne in dieser Frage zu einer gemeinsamen Positionierung finden und nach außen geschlossen agieren“. Geschlossenheit, meine sehr geehrten Damen und Herren, heißt für Grüne in Niedersachsen, Gorleben aus politischen Gründen auszuschließen.
Wenn es Fakten gäbe, die Gorleben als ungeeignet erscheinen lassen, dann hätte Jürgen Trittin als niedersächsischer Minister das doch bis 2005 geregelt, oder? - Das hat er aber nicht, weil es solche Fakten nicht gab.
Deshalb ist es gut, die jetzt laufenden Erkundungsarbeiten noch ein paar Monate weiterzuführen und Erkenntnisse zu gewinnen. Parallel dazu wird ein Endlagersuchgesetz auf den Weg gebracht. Bis zum Ende des Jahres 2019 könnte es damit gelingen, auf einer weißen Karte mögliche Standorte zu finden.