Zu dem Beitrag von Frau Jahns hat sich Frau Zimmermann zu einer Kurzintervention gemeldet. Bitte schön, Sie haben das Wort für anderthalb Minuten.
Schönen Dank, Herr Präsident. - Liebe Frau Jahns, da bleibt mir, ehrlich gesagt, die Spucke weg. Ich will einmal versuchen, die drei Punkte, die mir aufgefallen sind, kurz zusammenzufassen.
Zu den Nützlichkeitskriterien: Wenn ich ständig höre, dass es nicht möglich ist, dass Flüchtlinge auf Sozialkassen zugreifen, was ist das denn anderes? Wenn mir dann im Innenausschuss noch vorgerechnet wird, was ein Flüchtling kostet - was soll ich denn, bitte schön, daraus ableiten? - Da muss man doch einmal die Kirche im Dorfe lassen.
Wenn Sie behaupten, mit der Flüchtlingspolitik in Niedersachsen gut gefahren zu sein, indem man Familien auseinanderreißt, indem man verwurzelten Menschen den Lebensmittelpunkt nimmt, indem man diejenigen, die hier einen langjährigen Aufenthalt hatten, einfach abschiebt - das nennen Sie eine gelungene Flüchtlingspolitik? Na dann: Prost Mahlzeit!
Die Spitze bringen Sie jetzt mit Lampedusa. Da wollen wir doch einmal festhalten, dass die Europäische Union beschlossen hat, was dort für Zustände herrschen, und dass die Flüchtlingsschiffe dorthin gelenkt werden und gar nicht woanders anlanden dürfen. Dann frage ich Sie - das können Sie mir vielleicht einmal beantworten -: Was haben Sie denn dafür getan, dass diese Zustände auf Lampedusa endlich aufhören und dass die Menschen vernünftig untergebracht werden und eine vernünftige Perspektive haben?
Verehrte Frau Kollegin Zimmermann, man kann natürlich immer Forderungen stellen. Es ist Ihnen freigestellt, diese Forderungen in den Raum zu stellen. Aber ich darf auch daran erinnern: Es gibt eine Innenministerkonferenz, an der auch SPDInnenminister teilnehmen, und in Baden-Württemberg gibt es mittlerweile eine grüne Regierung. Was haben Sie denn - da schaue ich natürlich auch die SPD an - - -
(Pia-Beate Zimmermann [LINKE]: Be- rufen Sie sich doch nicht immer auf andere! Beantworten Sie meine Fra- ge! Was haben Sie denn getan?)
- Das sage ich Ihnen jetzt. Wir haben die Entscheidungen, die während der Innenministerkonferenz gefällt worden sind, sehr positiv mit begleitet. Wir werden uns hier in diesem Land auch weiterhin an Recht und Gesetz halten. Das ist unsere Heimat, für die wir uns auch einsetzen müssen. Es ist natürlich ein Leichtes, aus der Opposition heraus Forderungen aufzustellen. Wenn Sie einmal Innenminister in den Ländern und damit Handlungsmöglichkeiten haben, möchte ich einmal sehen, wie Sie das umsetzen.
Als nächste Rednerin hat sich Frau Polat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu Wort gemeldet. Ich erteile Ihnen das Wort.
Vielen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum 30. Juni 2011 lebten 11 699 Geduldete in Niedersachsen. Das sind die Menschen, die tagtäglich von Abschiebung bedroht sind. Wir wissen, dass ca. zwei Drittel dieser Personen unter 25 Jahre alt sind. Das heißt, es sind viele Kinder und Jugendliche dabei. Wir wissen auch, dass viele dieser Kinder und Jugendlichen in Niedersachsen geboren sind.
Man kann eigentlich festhalten: Alle Bleiberechtsregelungen - zumindest seit ich im Niedersächsischen Landtag bin - sind gescheitert. Die sogenannten Kettenduldungen, die man seitens des Bundesgesetzgebers abschaffen wollte, sind nicht
abgeschafft worden. Wie gesagt: Mehr als 11 000 Menschen leben - zum größten Teil seit mehr als 10 Jahren, viele sogar seit mehr als 20 Jahren - in diesem Duldungszustand. Sie wissen auch, liebe Kollegin, dass sie aufgrund dieses Duldungszustands keinen Zugang zu Sprach- und Integrationskursen haben und aufgrund des verfassungswidrigen Asylbewerberleistungsgesetzes noch unter dem Existenzminimum leben. Manche bekommen aufgrund der Kürzungen durch den Druck der Ausländerbehörden ein Taschengeld von 2,50 Euro im Monat. Das ist die Realität.
Diese Landesregierung betont immer wiederkehrend einen Glaubenssatz, der nicht nur die Politik dieser Landesregierung, sondern leider auch die Politik von FDP und CDU durchzieht. Das ist der Glaubenssatz der „Zuwanderung in die Sozialsysteme“, meine Damen und Herren. Mit dieser Botschaft ziehen die Kollegen und auch Innenminister Schünemann - leider mit Rückendeckung seines Ministerpräsidenten - durchs Land. Er torpediert auf allen Ebenen, insbesondere auch auf der Innenministerkonferenz, eine humanitäre, stichtagsunabhängige Regelung. Den Vorstoß von Schleswig-Holstein begrüßen wir ja, liebe Kollegin, aber er müsste auch vom Innenminister so mitgetragen werden. Die Appelle von Caritas, Jüdischer Wohlfahrt und Diakonie halfen nichts. Auch die Bischöfe haben an die CDU/FDP-Mehrheit appelliert und erklärt, dass der Innenminister mit seiner Politik auf einer flüchtlingspolitischen Irrfahrt ist.
Ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten einmal Bischof Trelle aus 2007 - damals gab es die Diskussion zur gesetzlichen Bleiberechtsregelung -: „Wir dürfen nicht alle Flüchtlinge unter Generalverdacht stellen.“ Mit dem Glaubenssatz „Zuwanderung in die Sozialsysteme“ stellen Sie aber die Flüchtlinge unter Generalverdacht. Das ist Gift für eine Debatte in dieser Gesellschaft, die von rechtsterroristischen Anschlägen bedroht wird und in deren Mitte Rassismus Realität ist. Wenn Sie allen Flüchtlingen, die aus Gründen politischer Verfolgung, die sie nachweisen müssen, hierher kommen, pauschal eine Zuwanderung in die Sozialsysteme unterstellen, ist das ein faktischer Generalverdacht und ein pauschales Vorurteil gegen Menschen mit Migrationshintergrund, meine Damen und Herren. Diese pauschale Verurteilung lehnen wir ab.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte - mit Verlaub - zum Abschluss die Bundeskanzlerin zitieren. Gemeinsam mit dem Ministerpräsidenten hatte ich heute die Ehre, an der Gedenkveranstaltung teilzunehmen. Dort hat die Bundeskanzlerin einen ganz besonderen Satz gesagt, der, wie ich finde, auch hier in der Debatte über die Flüchtlingspolitik im Zentrum stehen sollte:
„Doch Intoleranz und Rassismus äußern sich keineswegs erst in Gewalt. Gefährlich sind nicht nur Extremisten. Gefährlich sind auch diejenigen, die Vorurteile schüren, die ein Klima der Verachtung erzeugen. Wie wichtig sind daher Sensibilität und ein waches Bewusstsein dafür, wann Ausgrenzung, wann Abwertung beginnt.“
Der nächste Beitrag kommt von Frau Leuschner für die SPD-Fraktion. Sie haben das Wort, Frau Leuschner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollegin Jahns, ich weiß nicht, ob Sie die Stellungnahmen der Konföderation Evangelischer Kirchen, des Katholischen Büros und der LAG der Freien Wohlfahrtspflege überhaupt gelesen und daraus irgendwelche Schlüsse gezogen haben, als wir die Anträge beraten haben. Die kommen zu einer ganz anderen Beurteilung als Sie. Ich denke, das sollte uns nachdenklich stimmen.
Wir diskutieren hier im Plenum ja nicht zum ersten Mal über das Bleiberecht. Mein Kollege KlausPeter Bachmann hat bereits 2009 zu einem Antrag, den damals die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen eingebracht hat, gesagt, dass es uns als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten in erster Linie um eine Verbesserung für die hier seit vielen Jahren lebenden Menschen geht, die von Kettenduldung bedroht sind. Diese Menschen sitzen im Grunde genommen immer auf gepackten Koffern und wissen nicht, ob eine Verlängerung der Duldung für die nächsten Monate oder Jahre überhaupt möglich ist.
Sie sind von Integrationsmaßnahmen ausgeschlossen und können nicht an Sprachkursen teilnehmen. Und wenn sie ergänzende Sozialleistungen in Anspruch nehmen - das ist bei Krankheit und bei kinderreichen Familien zum Teil auch dann der Fall, wenn einer Erwerbstätigkeit nachgegangen wird -, dann ist das ein Grund, dass sie abgeschoben werden können.
Ich denke, hier müssen wir zwingend etwas verändern. Es kann nicht sein, dass Menschen - gerade Kinder und Jugendliche, die die Heimat ihrer Eltern außer aus Erzählungen gar nicht kennen - in ein Land abgeschoben werden, obwohl sie hier verwurzelt sind, hier Freundinnen und Freunde haben, hier mitten unter uns, mitten in unserer Gesellschaft leben und sich als Deutsche, als Niedersachsen fühlen. Das ist inhuman. Da müssen wir insgesamt etwas verändern, meine Damen und Herren.
Liebe Kollegin Jahns, vielleicht noch ein Hinweis: Wir waren nicht auf Lampedusa - das ist eine Insel. Wir waren in Caltanissetta. Nach Lampedusa sind wir gar nicht gekommen,
und die italienische Regierung hatte wahrscheinlich auch ihre Gründe dafür, dass sie uns da nicht hingelassen hat.
Wir haben schon immer Kriterien gefordert, die an einem humanen Bleiberecht orientiert sind. Das ist ein sozialer Kriterienkatalog. Wir wollen eine stichtagsunabhängige Regelung. Wir wollen auch, dass Straftaten, die lange Jahre zurückliegen oder von minderer Bedeutung sind, kein Grund für eine Abschiebung sind. Wir wollen, dass die Inanspruchnahme von ergänzenden Sozialleistungen kein Abschiebungsgrund ist und die Situation dieser Familien mit berücksichtigt wird. Wir wollen eine Verbesserung gerade für kinderreiche Familien und für ältere, kranke, traumatisierte Menschen, die aufgrund ihrer Fluchterfahrungen psychische Erkrankungen haben.
Für uns ist die Frage der Veränderung des Bleiberechts aktueller denn je. Wir haben immer wieder humanitäre Kriterien gefordert. Die Beispiele der Menschen in Niedersachsen, die davon betroffen sind, sind keine Einzelbeispiele, meine Damen und Herren, sondern es sind mehrere Tausend betroffen. Es kann und darf doch nicht sein, dass so
viele Menschen keine Möglichkeit haben, sich auf einer gleichen Augenhöhe zu integrieren, und immer in der Situation der sogenannten Duldung und damit in ständiger Angst leben.
Herr Innenminister, ich appelliere noch einmal an Ihr Gewissen. Sie sollten versuchen, sich dafür einzusetzen, dass für diese Menschen endlich andere Regelungen geschaffen werden. Ich glaube, das Bespiel der vietnamesischen Familie aus Hoya, die unnötigerweise getrennt worden ist, sollte uns allen zu denken geben. Dass es solche Fälle gibt, sollten wir künftig ausschließen.
Diejenigen, die von einer Kettenduldung bedroht sind, sind zum Teil auch in einer ökonomisch sehr prekären Situation. Sie erhalten zum Teil keinen Zugang zum Arbeitsmarkt, weil dort EU-Bürgerinnen und EU-Bürger vorgehen. Wenn sie arbeiten, dann arbeiten sie im sogenannten prekären Bereich zu Dumpinglöhnen und müssen in der Regel ergänzende Sozialleistungen in Anspruch nehmen. Das wollen wir ändern.
Wir haben zu den Anträgen der Fraktion der Linken und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in Einzelpunkten andere Vorstellungen. Wir halten z. B. eine längere Frist für sinnvoll. Wir gehen nicht davon aus, dass fünf bzw. drei Jahre Grundlage für eine gute Regelung sind. Das ist die Position unserer Bundestagsfraktion. Gleichwohl sind wir mit der groben Linie Ihrer Anträge einverstanden und sichern Ihnen dafür unsere Unterstützung zu.
Herzlichen Dank. - Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! In die Debatte wurde ja bereits eine ganze Reihe verschiedener Themenblöcke eingeführt. Ich möchte mich zunächst auf das Thema Bleiberechtsregelung beschränken.
Die Innenministerkonferenz hat auf ihrer vergangenen Sitzung, die auch in dem Antrag der Linksfraktion angesprochen wurde, die Entscheidung getroffen, das, was bisher gegolten hat, fortzusetzen. Diese Entscheidung begrüße ich. Ich bedanke mich ganz ausdrücklich dafür, dass diese Rege
Die Frage ist, ob wir eine Veränderung der gegenwärtigen Regelung brauchen. Auch wir als FDPFraktion sind der Überzeugung, dass man im Bundesrecht eine Veränderung dahin gehend herbeiführen sollte, dass es insbesondere in der Frage der Lebensunterhaltssicherung zu einer Absenkung der Hürden kommt.
Frau Kollegin Leuschner hat zu Recht angesprochen, dass es kinderreiche Familien schwer haben, den kompletten Lebensunterhalt für ihre Familie allein zu sichern. Meine Damen und Herren, das gilt aber nicht nur für Familien, die geduldet sind - für die gilt es ganz besonders -, sondern auch deutsche Familien mit sechs oder sieben Kindern sind kaum in der Lage, die Lebensunterhaltssicherung für die ganze Familie ohne Transferleistungen auf die Beine zu stellen.
Von daher brauchen wir bei diesem Kriterium auch aus Sicht der FDP-Landtagsfraktion eine Veränderung.
Meine Damen und Herren, wir sind der Überzeugung, dass im Bereich der Sprachkurse eine Veränderung notwendig ist, damit auch nicht anerkannte Asylbewerber Zugang zu Sprachkursen erhalten. Denn aus unserer Sicht ist Sprache einer der zentralen Schlüssel, um die Integration von Ausländerinnen und Ausländern zu ermöglichen.