Man muss an dieser Stelle noch einmal sagen, dass das Land Nordrhein-Westfalen pro Jahr mehr Roma abschiebt als das Land Niedersachsen. Insoweit sind wir da gegenüber der Minderheit der Roma nicht in irgendeiner Art und Weise besonders hart, sondern das ist einfach der Situation geschuldet. Es geht dabei darum, an welcher Stelle sich die Roma angesiedelt haben, nachdem sie damals vor dem Bürgerkrieg geflüchtet sind.
Ich beziehe mich auch auf das, was die Kollegin Lesemann gerade dargestellt hat. Wenn wir uns mit der Delegation vor Ort informieren, dann werden wir uns natürlich nicht nur einseitig das Programm URA II anschauen. Auch werden wir uns dort nicht einseitig nur von Regierungsorganisationen informieren lassen, sondern wir wollen gerade auch mit den NGOs sprechen, um uns über die Situation zu informieren. Wenn man beispielsweise die Berichte im letzten Amnesty-Journal über die Situation von Roma in Osteuropa - nicht nur im Kosovo, sondern in ganz Osteuropa, auch in den Mitgliedsländern der Europäischen Union; das will ich an dieser Stelle sehr deutlich sagen - liest, dann erfüllt einen das natürlich mit Sorge. Deswegen ist es auch aus meiner Sicht und aus der Sicht der FDP-Landtagsfraktion sinnvoll, dass wir uns dort vor Ort über die tatsächliche Situation informieren.
Die Kollegin Polat hat gesagt, dass sie damit einverstanden wäre, wenn es in Niedersachsen eine verschärfte Einzelfallprüfung geben würde, wie sie in Baden-Württemberg durchgeführt wird. Der Kollege Götz hat gerade aber schon zu Recht gesagt: Es ist immer eine Einzelfallprüfung, meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn es um Rückführungen geht. Von daher glaube ich, dass das, was verschärfte Einzelfallprüfung ist, und das, was Einzelfallprüfung im klassischen Sinne ist, gar nicht so weit auseinander liegen können. Natürlich wer
Insofern werden wir heute Ihre Anträge ablehnen. Wir werden aber in den Kosovo reisen, um uns vor Ort gut über die tatsächliche Situation der Roma zu informieren, ob dort die Unterbringungsmöglichkeiten gegeben sind und ob die Betreuung derjenigen, die abgeschoben wurden, vor Ort gewährleistet ist.
Ich glaube, dass wir, wenn wir ein breit aufgestelltes Programm haben, bei dem wir NGOs mit einbeziehen und auch mit Betroffenen ins Gespräch kommen, eine gute Grundlage haben werden, um hier weiterzudiskutieren.
Frau Zimmermann hat sich für Fraktion DIE LINKE zu Wort gemeldet. Das erteile ich Ihnen jetzt. Bitte schön!
Danke schön. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dienstag, 7. Februar 2012, es ist kurz vor 5 Uhr. Es klingelt an der Tür des Ehepaars Berisha in Friesoythe. Vor der Tür stehen Polizisten und Mitarbeiter der Ausländerbehörde, um den 58-jährigen Mann und seine 53-jährige Frau, welche seit 1988 in Deutschland leben, abzuholen und anschließend im Rahmen eines Sammeltransports vom Flughafen Düsseldorf in den Kosovo zu deportieren - in ein Land, welches sie ein Vierteljahrhundert nicht gesehen haben. Obwohl sich der Mann in ärztlicher Behandlung befindet und beide nicht straffällig geworden sind, werden sie in dieser Nacht- und Nebelaktion ihres Lebensmittelpunktes beraubt und von ihren Familienangehörigen, den vielen Kindern, getrennt. Sie werden in ein Land geschickt, in dem sie nicht mehr leben können.
Meine Damen und Herren, das ist schlicht unmenschlich. Ich sage Ihnen ganz deutlich: Nicht nur die Art und Weise, sondern auch der Zeitpunkt der Abschiebung sind ein Affront. Im Kosovo herrschen zu dieser Zeit gerade Temperaturen bis zu 25 Grad minus. Es besteht die Gefahr des Kältetods, und ich frage mich: Wie kann man so etwas billigend in Kauf nehmen?
Herr Götz, für Sie und all die anderen erzähle ich Ihnen einmal zur Information vom Schicksal der Familie Gashi. Das Schicksal der Familie Gashi hat in der Öffentlichkeit immer wieder eine Rolle gespielt. Ich möchte Ihnen etwas aus dem Bericht der Gruppe „alle bleiben!“ aus Göttingen - Mitglieder dieser Gruppe haben die Gashis im Kosovo aufgesucht - vorlesen:
„Diese Familie lebte fünf Jahre in Deutschland und wurde 2011 abgeschoben. Der Vater schlägt sich und seine achtköpfige Familie … mit Gelegenheitsjobs durch. Sie bekommen keine staatliche Unterstützung und bekamen auch keine Hilfe für den Neustart im Kosovo. Die Familie braucht 300 Euro im Monat, um einigermaßen über die Runden zu kommen. Es kommt aber selten vor, dass der Vater es schafft, so viel zu verdienen. … Dann ist die Familie auf mitleidige Nachbarn angewiesen, die mit etwas Essen aushelfen, aber viele in ihrer Nachbarschaft sind selber so arm wie sie.“
Meine Damen und Herren, manchmal schafft es Herr Gashi noch nicht einmal, die 20 Euro für das etwa 20 m2 große Zimmer in einem baufälligen Schuppen, in dem die ganze Familie lebt, zu bezahlen. In dem Haus gibt es kein fließendes Wasser und keine Waschgelegenheit.
Das hier ist die Familie Gashi in dem einzigen Raum, den sie haben und in dem sie mit all den Personen leben.
Das ist der Schuppen, in dem sich das Zimmer befindet. Das sind die Hütten, in denen die Familien dann leben, wenn sie gar kein Geld mehr haben. Das nur zur Information. Ich gebe das auch gerne an Sie weiter.
Während diese Gruppe bei der Familie Berisha war, hat die Mutter ein Baby zur Welt gebracht. Das Baby ist gesund, die Mutter ist wohlauf - welch ein Wunder bei diesen Bedingungen; denn auch während der Schwangerschaft konnte die Mutter nicht ein einziges Mal einen Arzt aufsuchen. Es
Meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, das ist Ihre niedersächsische Abschiebepolitik!
Ich wende mich noch einmal an den Herrn Innenminister und an Herrn McAllister. Ich wollte ihn auffordern, seinen Worten Taten folgen zu lassen. Das mache ich nicht; denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wissen mittlerweile: Die Rede beim Neujahrsempfang der Landeskirche in Loccum, in der eine sensiblere Flüchtlingspolitik angekündigt wurde, ist durch und durch pure Heuchelei gewesen.
Frau Kollegin Zimmermann, das letzte Wort war unparlamentarisch. Ich will Sie zumindest darauf hinweisen. Ich würde Ihnen beim nächsten Mal dafür einen Ordnungsruf erteilen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch wenn es ungewöhnlich ist, dass ich nicht am Schluss rede, habe ich mich jetzt gemeldet, weil ich zu einem Einzelfall und nicht grundsätzlich zum Antrag etwas sagen will. Es ist schlichtweg nicht hinnehmbar, wie die Tatsachen verdreht werden. Ich will ganz speziell zum Fall Berisha sprechen, der hier dargestellt worden ist.
Ich darf einmal aus dem Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg zitieren - das Urteil ist am 7. Februar 2012 gesprochen worden, also völlig aktuell -:
„Zu den Möglichkeiten einer Reintegration im Kosovo ist festzustellen: Die Kläger sind dort aufgewachsen, sprechen fließend Albanisch. Sie haben länger im Kosovo gelebt als in Deutschland; insbesondere sind sie im Kosovo aufgewachsen und haben ihre komplette Kindheit und Jugend sowie die ersten Jahre als Erwachsene dort verbracht. Sie sind jetzt mit 57 bzw. 52 Jahren immer noch in einem
Alter, in dem ein Umzug keine unüberwindlichen Schwierigkeiten bereitet, vor allem wenn die Abschiebung in ein Land erfolgt, das aus der Kindheit, Jugend und dem jungen Erwachsenenalter bekannt ist. Ihr Vortrag, sie hätten Haus und Hof“
„im Krieg verloren, ist unglaubhaft. Die Vorortermittlungen der UNMIK anlässlich des ersten Abschiebeversuchs 2006 haben ergeben, dass der Antragsteller … ein Haus besaß, das er nach dem Krieg verkauft hat... Vor diesem Hintergrund haben die Antragsteller die - wie ausgeführt - nie Grund zu der Annahme haben konnten, dauerhaft in Deutschland bleiben zu dürfen, es selbst zu vertreten, wenn sie heute kein Haus mehr im Kosovo haben.
Alles in allem erscheint eine Reintegration im Kosovo möglich, während die Integration in Deutschland auch nach fast 22 Jahren noch nicht wirklich gelungen ist.“
So das Verwaltungsgericht vom 7. Februar 2012. Das ist kein Bericht aus einem Innenministerium, sondern ein Urteil.
Jetzt geht es weiter. Es wird dann dargestellt, wie schwierig die Situation der Familie gewesen ist, als sie tatsächlich angekommen ist. Dazu liegt mir der Bericht vor, der dazu direkt vor Ort verfasst worden ist:
„Nachdem die Eheleute Berisha am Flughafen Pristina von URA-II-Mitarbeitern, einem Mitarbeiter des kosovarischen Reintegrationsprogramms und einer Psychologin in Empfang genommen worden waren, hatten die Berishas drei Auswahlmöglichkeiten: 1. Unterbringung in der Aufnahmeunterkunft von URA II. 2. Unterbringung in einem Hotel. 3. Transit zu Verwandten im Kosovo. Bei der Gelegenheit teilten die Eheleute direkt mit, dass es Verwandte in Prizren gibt (war bis da- to nie bekannt). Dort wollten sie auch mittelfristig eine Wohnung gestellt bekommen. Die Wohnungssuche wird seit gestern federführend von den
Zunächst aber wollten die Eheleute in ein Hotel. Dort wurden sie per Taxi direkt hingebracht. Mitarbeiter von URA II haben die Eheleute dann gestern zweimal aufgesucht, um nach dem Rechten zu sehen. Beim Besuch gestern Abend wurde überprüft, wie die Verhältnisse sind, da die Eheleute Berisha sich am Nachmittag beschwert hatten. Bei der Ortseinsicht im Hotel stand ein Gulaschgericht vom Mittag auf dem Tisch (am Mor- gen hätte es ein Frühstück gegeben aus Brot, Butter, Wurst, Käse, Marme- lade, Heiß- und Kaltgetränke). Die Heizung lief, Warmwasser funktionierte, und ein Fernseher stand zur Verfügung. Insoweit kann die kurzfristige Hotelunterbringung, welche auf Wunsch der Eheleute veranlasst worden war, als durchaus zufriedenstellend bezeichnet werden.
Für die Sozialberatung in der Geschäftsstelle des Rückkehrprojektes werden die Taxifahrten bezahlt. Die Eheleute Berisha haben gegenüber den Mitarbeitern des URA-II-Projektes bereits gestern angekündigt, in einer Woche zu Verwandten nach Prizren zu wollen, bis sie eine eigene Wohnung in Prizren bekämen.
Insgesamt sind die Leistungen des Rückkehrprojektes, welche deutlich über die behördliche Fürsorgepflicht bei einer Rückführung hinausgehen, gut. Insbesondere ist anzumerken, dass die Eheleute Berisha aufgrund der erst jetzt bekannt gewordenen Verwandtschaftsbeziehungen im Kosovo nicht auf sich allein gestellt sind.“
Meine Damen und Herren, ich habe das jetzt ausführlich dargestellt. Das eine ist, wie Sie es hier im Parlament dargestellt haben. Sie haben auch einen Rechtsanwalt zitiert; das habe ich nicht zu kommentieren. Der Bericht, den ich vorgetragen habe, wurde direkt vor Ort verfasst.
Wenn tatsächlich in den Kosovo abgeschoben wird und eine solche Betreuung stattfindet, wie ich es hier dargestellt habe, dann handelt es sich nicht
um einen Einzelfall, sondern das ist die Regel, und zwar nicht bei einer freiwilligen Ausreise, sondern sogar bei einer Abschiebung.
Meine Damen und Herren, deshalb sollten Sie vor dem Hintergrund dieses Berichtes sehr vorsichtig sein, wenn Sie hier irgendwelche Dinge unterstellen, wie unmenschlich diese Landesregierung in den Kosovo abschiebt. Ich glaube, das spricht für sich.
Für die Fraktion DIE LINKE hat sich Frau Kollegin Zimmermann zu Wort gemeldet. Sie erhält eine Minute zusätzliche Redezeit.
(Zurufe von der CDU: Ich würde jetzt schweigen! Sie könnten sich auch einmal entschuldigen! Sie könnten auch einmal etwas zu Syrien sagen!)
Danke schön. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Schünemann, wir können jetzt unsere Berichte austauschen. Ich habe Kontakt zu den Berishas und auch zu deren Kindern. Wenn es jetzt durch den öffentlichen Druck anders läuft, bin ich froh.