Protokoll der Sitzung vom 20.03.2012

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Herr Kollege Bachmann, bitte!

Vielen Dank. - Herr Präsident! Ich habe drei Fragen an den Kollegen Hiebing.

Erstens, Herr Kollege, würden Sie zur Kenntnis nehmen, dass wir mit dem hier vorgelegten Antrag nicht erreichen wollen, dass Menschen, die nach Deutschland ziehen, sofort das Kommunalwahl

recht bekommen - ich sage das, weil Sie immer vom Ende eines Integrationsprozesses sprechen -, sondern dass in dem Antrag explizit steht, dass langjährig hier Lebende dieses Wahlrecht zur kommunalen Selbstverwaltung erhalten sollen?

(Beifall bei der SPD - Johanne Mod- der [SPD]: Er hat es nicht verstan- den!)

Zweitens. Warum sind Sie bei der doppelten Staatsangehörigkeit denn nicht bereit, einen Webfehler unseres Staatsangehörigkeitsrechts zu korrigieren? - Das Optionsmodell bedeutet doch und hat bei der letzten Kommunalwahl bedeutet, dass 16-Jährige als hier geborene Ausländer als Nichtdeutsche und Drittstaatler erstmals wählen durften und dass sie bei ihrem 18. Geburtstag optieren müssen und dann, wenn sie sich aus welchen Gründen auch immer - weil die doppelte Staatsangehörigkeit nicht möglich ist - für die Staatsangehörigkeit der Eltern entscheiden, das einmal gegebene Kommunalwahlrecht wieder verlieren. Dieser Widerspruch ist doch die Schizophrenie der Geschichte!

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Drittens. Warum gehen Sie eigentlich nicht auf die Selbstverständlichkeit der doppelten Staatsangehörigkeit von Herrn McAllister ein?

(Jens Nacke [CDU]: Das sind persön- liche Angelegenheiten, die keine Rolle spielen! Das ist eine Unverschämtheit, was Sie hier machen!)

Oder gilt das Wort von Herrn Biallas, Ihrem damaligen innenpolitischen Sprecher, noch: Dabei handelt es sich um einen ehrenwerten Sohn eines schottischen Bürgers, und Sie wollen das für Türken! - Gilt dieses Wort noch?

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN - Jens Na- cke [CDU]: Es ist unparlamentarisch, persönliche Verhältnisse zu themati- sieren! Sie sollten sich schämen! - Zu- rufe von der SPD)

Herr Kollege Hiebing möchte für die CDU-Fraktion antworten. Bitte!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Letzte weise ich ausdrücklich zurück. Ich habe nicht in Erinnerung, dass der Kollege Biallas das gesagt hat.

(Widerspruch bei der SPD und bei den LINKEN)

Das kann ich nur zurückweisen. Ich bin fest davon überzeugt, dass er das so nicht gesagt hat.

Meine Damen und Herren, verehrte Frau Kollegin Polat, Sie haben mich, als ich mich bei den Menschen - das sind ganz, ganz viele -, die in Niedersachsen auch einen Beitrag dazu leisten, dass Menschen besser integriert werden, bedanken wollte, unterbrochen. Das ist Ihr gutes Recht - oder auch nicht, wie der Präsident festgestellt hat. Ich verstehe allerdings nicht, dass man das hier nicht mehr sagen darf. Ich kenne vielleicht sogar mehr Menschen als Sie, die einen wertvollen Beitrag leisten. Das sollte an dieser Stelle auch erwähnt werden dürfen. - Also nochmals dafür einen herzlichen Dank.

Auch ich bin der Meinung - zumal Staatsrechtler diese Bedenken geäußert haben -, dass zum Wahlrecht, das ein Grundrecht in jedem Land und auch in Deutschland ist, die Staatsangehörigkeit erreicht sein muss. Herr Kollege Bachmann, ich schließe zwar nicht aus, dass wir vielleicht hier und da aneinander vorbeireden, bin aber sicher, dass wir im Hinblick auf das Kommunalwahlrecht der Meinung sind, dass das Wahlrecht nicht am Anfang eines Integrationsprozesses wichtig ist, sondern dass es ein wichtiges zu erreichendes Ziel ist, das möglicherweise am Anfang noch nicht erreichbar ist.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Ich erteile jetzt Frau Kollegin Zimmermann von der Fraktion DIE LINKE das Wort.

Danke schön. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will diesen Aspekt noch einmal aufgreifen: Wie wichtig in Niedersachsen die Mehrstaatigkeit ist, sehen wir tatsächlich an unserem Ministerpräsidenten. Was für unseren Ministerpräsidenten Recht ist, muss natürlich auch für alle anderen Menschen in unserem Land Recht sein. Ich würde vorschlagen, dass wir in den Ausschussberatun

gen dahin kommen, dass wir die Mehrstaatigkeit für alle in Niedersachsen zulassen. Im Hinblick darauf kann ich nur sagen: Nur Mut! Stimmen Sie dem dann zu!

(Beifall bei der LINKEN)

In der abschließenden Beratung kann ich dem heute vorliegenden Antrag zum Kommunalwahlrecht für Drittstaatsangehörige nur zustimmen. Wir als Fraktion haben in 2008 selbst schon einmal einen Antrag zu diesem Thema eingebracht, der abgelehnt worden ist. Ich kann Ihnen auch aus diesem Grunde sagen: Nur Mut! Stimmen Sie dem Antrag zu! Das bringt uns deutlich weiter.

Ich will aber auch mit aller Deutlichkeit darauf hinweisen: Die von CDU - zumindest von ihr - und FDP hier und in den Ausschüssen vorgebrachten rechtlichen Bedenken gegen die Einführung eines Kommunalwahlrechts für Drittstaatsangehörige sind aus meiner Sicht tatsächlich nur vorgeschoben. Ich fände es viel ehrlicher und offener, gegenüber den Betroffenen einzuräumen, dass Sie das schlichtweg nicht wollen.

(Jan-Christoph Oetjen [FDP]: Das ist doch Quatsch!)

Ich finde es ausgesprochen schade, dass wir es nicht bereits während der Debatte um das Gesetz zur Änderung der kommunalwahlrechtlichen Vorschriften im Herbst 2010 hinbekommen haben, ein klares Signal für Integration und Partizipation aus Niedersachsen zu senden. Unser Nachbarland Bremen ist in diesem Punkt schon einen deutlichen Schritt weiter.

Meine Damen und Herren, ich will noch kurz die Argumente für die Einführung dieses Wahlrechts vortragen; denn die aktive und passive Teilnahme an Wahlen stellt den Kernbereich politischer Mitbestimmung dar. Deshalb ist es richtig und wichtig, dass Millionen in Deutschland lebende Menschen, welche keine EU-Staatsbürgerschaft besitzen, das kommunale Wahlrecht erhalten und somit aktiv an der politischen Willensbildung in unserem Land teilnehmen können; denn Kommunalwahlen sind die Grundlage demokratischer Selbstverwaltung. EU-Bürgerinnen und EU-Bürger erhielten das Wahlrecht im Jahre 1992, um eben dem Integrationsprozess innerhalb der Europäischen Union Rechnung zu tragen. Dieser Gedanke ist auch auf alle anderen zu übertragen.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Mehrheit der europäischen Länder hat den Drittstaatsangehörigen bereits ein kommunales Wahlrecht eingeräumt, und das unter den verschiedensten gesetzlichen Bedingungen. Es ist längst überfällig, dass sich die Bundesrepublik Deutschland diesen Initiativen anschließt und ein solches Wahlrecht beschließt.

Ich will es noch einmal sagen: Der Einführung des kommunalen Wahlrechts für Drittstaatsangehörige stehen keine rechtlichen Bedenken entgegen. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinen Urteilen zum kommunalen Wahlrecht festgestellt, dass eine dahin gehende Änderung des Kommunalwahlrechts im Einklang mit Artikel 97 Abs. 3 des Grundgesetzes möglich ist.

Meine Damen und Herren, sollten wir diesen Antrag heute hier nicht positiv bescheiden, bin ich ganz, ganz sicher, dass wir im Jahre 2013 unter anderen Mehrheiten dieses Projekt zügig angehen und es auf den Weg bringen werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich erteile jetzt dem Kollegen Oetjen das Wort.

Ganz herzlichen Dank. - Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir uns einmal vor Augen halten, wie die Situation war, als die doppelte Staatsbürgerschaft in Deutschland eingeführt wurde und wir das bis dahin bestehende Blutsrecht in der Staatsbürgerschaft um Elemente des Ius Soli ergänzt haben, dann frage ich mich, Herr Kollege Bachmann, wirklich, ob man das als einen Webfehler bezeichnen sollte oder ob das nicht eher der Versuch war

(Daniela Behrens [SPD]: Das hat er gar nicht gesagt!)

- doch, das hat er gesagt -,

(Klaus-Peter Bachmann [SPD]: Nein, es ist eine Option, habe ich gesagt!)

damals den Gegnern dieser doppelten Staatsbürgerschaft in einem sehr aufgeheizten politischen Klima mit dieser neuen Weiterentwicklung des Staatsbürgerschaftsrechts durch den Optionszwang bzw. die Optionspflicht, wie man dazu auch sagen könnte, entgegenzukommen und das Recht aus der Sicht der Vertreter des damaligen alten Blutsrechts in der Staatsangehörigkeitsdebatte weicher zu gestalten.

Wenn wir uns einmal vor Augen halten, dass wir heute nach einer sehr langen Zeit Erfahrungen damit haben sammeln können, dann frage ich mich, die Argumente des Kollegen Hiebing aufgreifend: Ist es am Ende eines solchen Prozesses, wenn jemand hier geboren wurde und bei der Geburt neben der Staatsbürgerschaft seiner Eltern die deutsche Staatsbürgerschaft bekommen hat, sinnvoll, dass sich ein solcher junger Mann oder eine solche junge Frau entscheiden soll? Oder ist es nicht so, dass man vielleicht doch in zwei Kulturen verwurzelt sein kann, wenn man 18 ist, nämlich in der Kultur der Eltern und in der Kultur des Landes, in dem man aufgewachsen ist? - Ich persönlich bin der festen Überzeugung, dass man durchaus in zwei Kulturen verwurzelt sein kann und dass das durch zwei Staatsbürgerschaften zum Ausdruck kommen kann, verehrte Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP sowie Zustim- mung bei der SPD und bei der LIN- KEN - Klaus-Peter Bachmann [SPD]: Sehr richtig!)

Wir müssen abwarten, bis es den Evaluationsbericht über die Frage der Optionspflicht gibt. Wenn dieser Evaluationsbericht vorliegt, werden wir vielleicht noch mehr Argumente und sachliche Gründe haben, aufgrund derer wir in dieser Frage entscheiden können.

(Unruhe)

Herr Kollege, ich unterbreche jetzt noch einmal. - Wir sind auf der Zielgeraden. Aber für die letzte Stunde möchte ich ausdrücklich Disziplin anmahnen. Es kann nicht sein, dass der Redner hier kein entsprechendes und angemessenes Gehör findet. Wir müssen hier noch eine dicke Stunde bewältigen. Das müsste doch eigentlich machbar sein. - Bitte, Herr Kollege!

Vielen Dank, Herr Präsident. - Was das Kommunalwahlrecht angeht, so glaube ich, dass wir, wenn wir im Bereich des Staatsbürgerschaftsrechts, also in der Frage der doppelten Staatsbürgerschaft, Bewegung bekommen, durchaus auch in der Frage des Kommunalwahlrechts Luft haben.

Aber so einfach, wie es sich die Kollegin Zimmermann macht, kann man es sich natürlich nicht machen. Das ist wirklich ein schlanker Fuß. Denn die herrschende Meinung in der Rechtsprechung ist - dies hat auch der Kollege Hiebing hier ge

sagt -, dass man eine Grundgesetzänderung brauche, um das Kommunalwahlrecht für alle Einwohnerinnen und Einwohner zu ermöglichen.

Insofern sind die Argumente, die von der Kollegin Zimmermann von der Linken hier in den Raum gestellt worden sind, man bräuchte einfach nur das Recht zu ändern, das wäre dann schon verfassungsgemäß, ohne jede Basis. So einfach ist es eben doch nicht, auch wenn viel dafür spricht, ein Kommunalwahlrecht auch für Drittstaatenangehörige einzuführen.

Ich frage mich immer: Warum darf der Österreicher wählen und der Schweizer nicht, wenn sie gleich lange hier gelebt haben? - Aber das ist, wie gesagt, eine Frage, die im Bund zu klären ist und in der eine Grundgesetzänderung notwendig ist, für die derzeit allerdings keine Mehrheit in Sicht ist.

In diesem Sinne sollte der Antrag abgelehnt werden. Wir werden auch in Zukunft wieder über die doppelte Staatsbürgerschaft reden.