Protokoll der Sitzung vom 09.05.2012

Die Betreiber der niedersächsischen Kernkraftwerke haben den Prozess der europäischen Sicherheitsüberprüfung aktiv unterstützt. Sie haben darüber hinaus auch geprüft, inwieweit Maßnahmen geeignet und sinnvoll sind, die nukleare Sicherheit der Anlagen im Sinne einer Abmilderung von Unfallfolgen, beispielsweise durch die Erstellung von sogenannten Severe Accident Management Guidelines und ihre Aufnahme in das Betriebsreglement, zu verbessern.

Im Auftrag des BMU hat die Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit eine Weiterleitungsnachricht zu den Folgerungen aus dem Unfall in Fukushima für deutsche Kernkraftwerke erstellt. In den Empfehlungen werden Maßnahmen aufgeführt, die die Beherrschung auslegungsüberschreitender Ereignisse weiter verbessern sollen. Die Empfehlungen betreffen im Wesentlichen die elektrische Energieversorgung, die Nachwärmeabfuhr und den Notfallschutz.

Hinsichtlich anlagenexterner Notfallmaßnahmen hat das BMU eine Arbeitsgruppe der Strahlenschutzkommission eingerichtet, die aus dem Erfahrungsrückfluss des Unfalls in Fukushima eine Überprüfung des deutschen Regelwerks für den anlagenexternen Notfallschutz durchführt. Daraus abzuleitende Änderungen und Maßnahmen werden nach Vorliegen der Ergebnisse festgelegt.

Die nach Fukushima insgesamt vorgesehenen Sicherheitsüberprüfungen der Kernkraftwerke sind noch nicht abgeschlossen. Der Zeitplan der weiteren Arbeiten und deren Umsetzung liegen nicht im Einflussbereich des niedersächsischen Ministeriums. Nach vorliegenden Informationen kann aber von folgenden Planungen ausgegangen werden: Die RSK hat Ad-hoc-Arbeitsgruppen eingesetzt, deren Beratungen noch anhängig sind. Die abschließende Stellungnahme der RSK zum derzeit fixierten Aufgabenkatalog ist im Augenblick für den Herbst dieses Jahres geplant.

Mit dem Abschluss des europaweiten Stresstests ist im Herbst dieses Jahres zu rechnen, da sich EU-Kommission und ENSREG auf einen zusätzlichen Bericht über weitere Sicherheitsaspekte und weitere Besuche von Kernkraftwerken verständigt haben.

Des Weiteren findet im August 2012 eine CNSSonderkonferenz statt, auf der in den sechs thematischen Bereichen äußere Einwirkungen, Auslegungsanforderungen, Beherrschung schwerer Störfälle, nationale Organisation, Notfallmaßnahmen und Katastrophenschutz sowie internationale Kooperationen beraten werden soll, welche Lehren aus dem Reaktorunfall in Fukushima zu ziehen sind. Diese Sonderkonferenz dient als Vorbereitung einer Hauptkonferenz im Jahr 2014.

Insbesondere sind noch weitere Beratungen der RSK, Übertragbarkeitsprüfungen der GRS, Auswertungen der europäischen Stresstests, vom BMU initiierte regulatorische Forschungsvorhaben, wie etwa zu extremen Witterungsverhältnissen,

und die Umsetzung auf den Ebenen Europas und der IAEA anhängig.

Aus diesen weiteren Aktivitäten können sich noch weitere Anforderungen ergeben. Zur Beantwortung der Fragen wird also nur der derzeitige Zwischenstand dieser Überprüfungen berücksichtigt.

Bezüglich der in Betrieb befindlichen Einrichtungen zur Zwischenlagerung bestrahlter Brennelemente und sonstiger Wärme entwickelnder radioaktiver Abfälle sowie der Brennelementefabrik in Lingen wird auf die Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage des Abgeordneten Wenzel mit dem Titel „‚Stresstest’ für niedersächsische Atommüllzwischenlager und die Brennelementefabrik in Lingen“, ausgegeben am 17. April 2012, verwiesen.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Fragen im Namen der Landesregierung wie folgt:

Zu Frage 1: Die niedersächsische Atomaufsicht hat ihren Überprüfungen die Schwerpunktthemen und Szenarien der Überprüfung der RSK, des EU-Stresstests sowie der Übertragbarkeitsprüfung durch die Weiterleitungsnachricht WLN 2012/02 der GRS zugrunde gelegt.

Die RSK wiederum hat ihren Überprüfungen die Schwerpunktthemen Erdbeben, Einwirkungen durch Hochwasser, sonstige naturbedingte Einwirkungen, Station Blackout, lang andauernder Stromausfall, Ausfall des Nebenkühlwassers, Robustheit von Vorsorgemaßnahmen, Auswirkung erschwerender Randbedingungen für die Durchführung von Notfallmaßnahmen und zivilisatorisch bedingte Ereignisse zugrunde gelegt.

Die EU-Kommission hat ihrer Überprüfung im Rahmen der sogenannten Stresstests die folgenden drei übergeordneten Szenarien und Schwerpunktthemen zugrunde gelegt: erstens externe Ereignisse - zu denen Erdbeben, Überflutung und extreme Wetterbedingungen gehören -, zweitens Ausfälle von Sicherheitsfunktionen - dazu gehören: sukzessiver Ausfall aller Stromversorgungen, Ausfall der Wärmeabfuhr, Kombination dieser beiden Ereignisse - und drittens Notfallmaßnahmen, wozu Maßnahmen und Vorgehen bei Ausfall der Kernkühlung, Maßnahmen zum Schutz der Unversehrtheit des Sicherheitsbehälters bei einer Kernschmelze und Maßnahmen und Vorgehen bei Ausfall der Kühlung des Brennelementelagerbeckens gehören. Diese Punkte wurden zugrunde gelegt.

Zu Frage 2: In der Vorbemerkung wurden die nach Fukushima durchgeführten Sicherheitsüberprüfun

gen bereits ausführlich dargestellt. Bei den Kernkraftwerken Grohnde und Emsland sind nach den bisherigen Ergebnissen dieser Überprüfungen für die zentralen Sachthemen der Überprüfung konservative und robuste Auslegungsanforderungen bereits jetzt verwirklicht.

Wegen anderer Standortbedingungen und anderer Anlagenauslegungen ist eine direkte Übertragbarkeit der Ereignisse in Fukushima auf die beiden Kernkraftwerke nicht gegeben. Es haben sich anhand der durchgeführten Sicherheitsüberprüfungen keinerlei Zweifel an der Gewährleistung der erforderlichen Schadensvorsorge sowie sicherheitstechnische Erfordernisse für Nachrüstmaßnahmen ergeben. Vielmehr verfügen die Anlagen über hohe Robustheitsgrade über die Anlagenauslegung hinaus.

Dennoch zeigen die Untersuchungen auch Möglichkeiten für Verbesserungen der sicherheitstechnischen Robustheit auf, insbesondere im Notfallschutz. Diesen Möglichkeiten für Verbesserungen wird die niedersächsische Atomaufsichtsbehörde weiter nachgehen. Grundlagen hierfür sind insbesondere die noch laufenden weiteren Untersuchungen und Beratungen der RSK, die Betrachtungen der GRS zur Übertragbarkeit des japanischen Ereignisses auf die Anlagen in Deutschland, Auswertungen der europäischen Stresstests durch die RSK und vom BMU geplante wissenschaftliche Untersuchungen zu regulatorischen Anforderungen hinsichtlich Erdbeben und extremer Wetterverhältnisse. Hierbei geht es insbesondere um die fünf Sach- und Maßnahmenthemen elektrische Energieversorgung, Kühlwasserversorgung, Notfallschutz, Brandschutz sowie Erdbeben- und Hochwasserauslegung.

Ein Großteil der Empfehlungen der GRS zur Übertragbarkeitsprüfung wurde in den Kernkraftwerken Grohnde und Emsland bereits mit deren Errichtung bzw. durch Ertüchtigungsmaßnahmen in der Vergangenheit umgesetzt. Hierzu gehören beispielsweise die unabhängige Bespeisung des Reaktordruckbehälters mit Borwasser, die Bevorratung von chemischen Löschmitteln, erdbebengeeignete Aufbewahrung und Lagerung von beweglichen Gegenständen oder die seismische Instrumentierung für die Aufzeichnung mehrerer Beben und Erkennung des Inspektionserdbebens.

Nach Fukushima sind unter Berücksichtigung der Besonderheiten der Anlagen Detailmaßnahmen zur weiteren Erhöhung der Robustheit und Reserven bereits anlagenspezifisch geplant bzw. umge

setzt. Dazu gehören insbesondere zusätzliche Energieversorgungsmöglichkeiten für den Fall eines Station Blackout u. a. durch mobile Notstromerzeugungsanlagen, Optimierung der Ausrüstung der Werkfeuerwehr, mobile Einspeisung für Neben- und Zwischenkühlwasser und eine weitere Möglichkeit der Nachwärmeabfuhr aus dem Brennelementelagerbecken auch bei Nichtverfügbarkeit aller bereits vorhandenen Lagerbeckenkühlsysteme. Untersuchungen, Auswertungen und Entwicklungen von Konzepten zur Umsetzung von Maßnahmen sind angestoßen. Angaben zur zeitlichen Umsetzung können gemacht werden, sobald hieraus Erkenntnisse vorliegen.

Die Betreiber der Kernkraftwerke Grohnde und Emsland haben die Pflicht, dafür zu sorgen, dass entwickelte, geeignete und angemessene Maßnahmen zur weiteren Vorsorge bei Risiken für die Allgemeinheit auch über die erforderliche Schadensvorsorge hinaus verwirklicht werden. Die Betreiber werden ihrer Verantwortung gerecht werden und die erforderlichen Maßnahmen auch in angemessener Zeit umsetzen. Davon wird sich die niedersächsische Atomaufsichtsbehörde überzeugen.

Zu Frage 3: Ja.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Herr Kollege Wenzel stellt die erste Zusatzfrage.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Minister Birkner, die Reaktor-Sicherheitskommission stellt in ihrem Bericht eine Reihe von Mängeln fest. Dort spricht man von einer sogenannten Nichterfüllung von Schutzgraden bei deutschen - auch bei niedersächsischen - Atomkraftwerken. Dabei geht es z. B. um Hochwasser, Flugzeugabsturz oder Erdbeben. Hat die Atomaufsicht vor diesem Hintergrund, wenn es kaum oder - wie ich Ihren Worten entnommen habe - keine Nachrüstungen gegeben hat, die Betreiber zumindest aufgefordert, zusätzliche Sicherheitsnachweise vorzulegen?

Herr Minister!

Sehr geehrter Herr Wenzel, zusätzliche Sicherheitsnachweise aus diesen Bereichen sind nicht erforderlich. Ich habe in der Antwort auf die Anfrage dargestellt, dass wir uns zunächst einmal vergewissern, dass die Anlagen dem rechtlich erforderlichen Zustand entsprechen. Das ist gewährleistet und insofern sichergestellt. Im Übrigen habe ich Ihnen dargestellt, welche Bereiche sich sozusagen in der Diskussion befinden, was bereits getan wurde und dass sich daraus noch weitere Anforderungen ergeben könnten. Aber diese zusätzlichen Sicherheitsnachweise sind nicht geboten und auch nicht erforderlich.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Herr Kollege Adler stellt die nächste Zusatzfrage.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wird die Landesregierung den Betreiber des Atomkraftwerks Esenshamm auffordern, eine Rückbaukonzeption vorzulegen, so wie dies noch die alte CDU/FDP-Landesregierung von Schleswig-Holstein in vergleichbaren Fällen gemacht hat?

Herr Minister!

Selbstverständlich erwarten wir von den Betreibern, dass entsprechende Konzeptionen vorgelegt werden. Noch ist es nicht ganz so weit. Erst muss klar sein, wie das geschehen soll. Am Ende reden wir da auch über Konzeptionen. Die Landesregierung steht klar dafür, dass wir die grüne Wiese wollen. Wir wollen nicht über einen sicheren Einschluss reden, sondern wir wollen, dass die Anlagen so, wie es in Stade der Fall ist, zurückgebaut werden. Insofern erwarten wir das natürlich von den Betreibern.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Herr Kollege Meyer von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen stellt die nächste Zusatzfrage.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor dem Hintergrund, dass Sie eben davon gesprochen haben, dass es nur kleine Detailnachrüstungen gegeben hat, frage ich die Landesregierung, was sich konkret als Konsequenz aus Fukushima baulich und technisch an den niedersächsischen Atomkraftwerken geändert hat Wenn sich etwas geändert hat, interessiert mich, was das eigentlich den Betreiber gekostet hat, um den Umfang feststellen, was es an neueren Sicherheitsstandards gibt.

Herr Minister!

Sehr geehrter Herr Meyer, das entspricht, wenn ich es richtig sehe, der Frage 2. Das habe ich dargelegt. Zu den Kosten kann ich Ihnen keine Auskunft geben, weil ich die nicht kenne.

Herr Kollege Herzog stellt die nächste Zusatzfrage.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich frage die Landesregierung: Liegen der Landesregierung Erkenntnisse vor, die die Aussage in der taz vom 28. April stützen, dass EU-Energiekommissar Oettinger mit den Zwischenberichten der nationalen Aufsichtsbehörden zu Stresstests unzufrieden war, dass in Deutschland lediglich ein AKW diesem EU-Stresstest unterzogen wurde und dies kein niedersächsisches war?

Herr Minister, bitte!

Herr Herzog, ich kann nur wiederholen, was ich in der Beantwortung eben schon ausgeführt habe. Darüber hinausgehende Kenntnisse habe ich nicht. Es ist offensichtlich so, dass Kommissar Oettinger mit den Ergebnissen noch nicht zufrieden war. Er hat weitere Aufgaben verteilt, insbesondere noch einmal einen Besuch der Anlagen vor Ort und Ähnliches. Offensichtlich hat er noch einmal ein ganzes Arbeitsspektrum aufgezeigt. Er ist mit den Berichten, die jetzt durch die Tätigkeit im Rahmen von ENSREG vorliegen, noch nicht

zufrieden. Nähere Erkenntnisse, was letzten Endes die konkrete Motivlage des Kommissars dazu war, liegen mir nicht vor.

Eine weitere Zusatzfrage stellt der Kollege Wenzel.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Minister Birkner, welche Schlüsse zieht die Landesregierung aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom März 2012 zum Brennelementezwischenlager in Esenshamm, das sinngemäß auch auf andere Atomanlagen bzw. Atomkraftwerke anzuwenden ist, wonach der Absturz eines Airbus A380 zu betrachten ist? Wenn Sie noch keine Schlüsse gezogen haben: Was beabsichtigen Sie?

Ich gehe davon aus, dass wir die Frage nach den Kosten bereits erfolgter Nachrüstungen heute noch beantwortet bekommen, weil das der Kern der Frage war, die wir gestellt haben. Das hätten wir heute auch noch gerne bei der Beantwortung gehört.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Herr Minister Dr. Birkner, bitte!

Sehr geehrter Herr Wenzel, Sie wissen, dass für die Brennelementezwischenlager das BfS zuständig ist. Es hat insofern die Bewertung und die Auswirkungen dieses Urteils zu prüfen. Wir sind mit unseren Leuten bei den Gesprächen des BMU mit dabei, bei denen es darum geht, dieses Urteil auszuwerten und die Konsequenzen daraus zu ziehen. Das muss dann aber auch bundesweit und einheitlich geschehen. Insofern kann ich diesem Prozess nicht vorgreifen.

Sehr geehrter Herr Wenzel, wenn Sie hier jetzt suggerieren, die Kosten seien der Kern dieser Anfrage, dann frage ich mich, wo Sie in dieser Anfrage überhaupt mit einem Wort von Kosten gesprochen haben. So können wir, mit Verlaub, auch nicht miteinander umgehen, dass Sie hier plötzlich eine Frage hochziehen und sagen, das sei der Kern dieser Anfrage, obwohl das in ihr mit keinem einzigen Wort vorkommt. Wir wollen Ihre Fragen ja gern beantworten. Aber dann sollten Sie

sie auch bitte stellen. So wie Sie es gemacht haben, kann es jedenfalls nicht gehen.