Protokoll der Sitzung vom 09.05.2012

Die Roma-Familien werden dort natürlich untergebracht und ernährt.

(Pia-Beate Zimmermann [LINKE]: Für ein halbes Jahr!)

Aber dass das für Kinder, die aus Deutschland in dieses Land kommen und deutsche Standards gewohnt sind, ein Schock ist, kann, glaube ich, jeder nachvollziehen.

Die Berichte der Nichtregierungsorganisationen zeigen, dass bei der medizinischen Versorgung, im Bereich der Pflege, im Bereich der Psychotherapie deutliche Verbesserungsbedarfe bestehen.

(Pia-Beate Zimmermann [LINKE]: Genau 75 Euro pro Person, einmalig, dann gibt es nichts mehr! Was ist das für eine Versorgung?)

Die Vertreter des NLT und der Caritas, Herr Meyer und Herr Jansen, regen in ihrem Bericht an, dass die Hilfen Deutschlands verbessert werden sollten. Es ist angesprochen worden, dass zurzeit 3,4 Millionen Euro zur Verfügung stehen. Nach einem UNICEF-Bericht sind im Jahr 2011 nicht einmal 10 % dieser 3,4 Millionen Euro abgerufen und damit den Betroffenen zur Verfügung gestellt worden. Insofern müssen im Kosovo die administrativen Strukturen dringend verbessert werden, damit die vorgesehenen Hilfen auch bei den Betroffenen ankommen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, hier besteht dringender Handlungsbedarf, den die Bundesrepublik Deutschland auch gegenüber dem Kosovo deutlich machen muss.

(Zustimmung bei der FDP - Hans- Henning Adler [LINKE]: Die sind kor- rupt bis zur Halskrause!)

Herr Meyer und Herr Jansen haben angemerkt, dass das Projekt URA in der Regel eine kurzfristige Hilfe ist, und angeregt, mittelfristige bzw. längerfristige Hilfen für die Menschen auf den Weg zu bringen. Ich glaube, dass es richtig ist, die Hilfen nicht auf sechs Monate zu begrenzen. Es gibt ja auch Einzelfälle, die über diese sechs Monate hinaus von URA betreut werden.

(Pia-Beate Zimmermann [LINKE]: Genau ein halbes Jahr weiter, und dann?)

Aber in der Masse ist das nicht der Fall.

Sie alle wissen, dass wir als FDP das Ziel haben, ein neues, besseres, liberaleres Bleiberecht auf den Weg zu bringen. Ich möchte mich an dieser Stelle sehr herzlich bei Uwe Schünemann dafür bedanken, dass er dazu Vorschläge in die Debatte eingebracht hat und sich in der Innenministerkonferenz in diesem Sinne einsetzen will.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Wir wollen, bis wir ein solches verbessertes Bleiberecht haben, das es uns besser ermöglicht, Kinder, die hier geboren und integriert sind, hierzubehalten, eine qualifizierte Einzelfallbetrachtung auf den Weg bringen, wie es die Kollegen in Baden-Württemberg machen wollen. Dabei sollen die Fragen des Kindeswohls und die drittstaatenbezogenen Abschiebehindernisse berücksichtigt werden. Es soll geprüft werden, ob die medizinische Versorgung vor Ort für die älteren, pflegebedürftigen oder kranken Menschen gewährleistet ist. Ich glaube, eine solche qualifizierte Einzelfallprüfung sind wir den Menschen schuldig.

Ganz herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Herzlichen Dank. - Für die Landesregierung spricht Herr Minister Schünemann. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Landesregierung wird sich erst dann im Detail zu der Reise äußern, wenn der Bericht dazu vorliegt. Das ist sicherlich sinnvoll. Allerdings kann man zu dem einen oder anderen Punkt, der

hier in der Debatte genannt worden ist, Stellung beziehen. Das ist auch notwendig.

Es ist darauf hingewiesen worden, dass es ganz unterschiedliche Beurteilungen der Situation im Kosovo gibt, insbesondere auch im Vergleich zu den Beurteilungen, die Vertreter anderer Bundesländer nach ihren Reisen in den Kosovo getroffen haben. Der Petitionsausschuss in Baden-Württemberg hat einen einstimmigen Beschluss gefasst, der besagt, dass im Kosovo keine konkrete Gefahr für Leib und Leben besteht. Deshalb kann ein allgemeiner Abschiebestopp überhaupt nicht erlassen werden.

Es ist schon ganz interessant, was die SPD-Vertreter aus Baden-Württemberg darüber hinaus zu dem Thema gesagt haben: „Dieser jungen Republik zu bescheinigen, sie verfolge Roma, wäre nicht nur ungerechtfertigt, sondern auch ein ganz falsches Signal an diejenigen Staaten in Europa, die beim Umgang mit den Roma noch lange nicht so weit sind wie die Republik Kosovo.“

Mein Kollege Herr Jäger, der auch im Juni letzten Jahres im Kosovo war, hat nach der Reise gesagt: „Insgesamt habe ich bei dieser Reise den Eindruck gewonnen, dass sich nicht nur die Lebensumstände der Minderheitenangehörigen, sondern auch die Startbedingungen für alle Rückkehrer deutlich verbessert haben.“

Ich finde es zumindest merkwürdig - das muss meiner Ansicht nach im Innenausschuss einmal aufgearbeitet werden -, dass es zu so ganz unterschiedlichen Einschätzungen kommt.

(Pia-Beate Zimmermann [LINKE]: Al- lerdings!)

Die Pressemitteilungen von Herrn Dr. Meyer und Herrn Jansen sind da sehr viel differenzierter. Sie decken sich eigentlich mit den Berichten aus den anderen Ländern.

(Zustimmung bei der CDU)

Nun konkret zu den hier angesprochenen Punkten: Zum einen hat Frau Polat wieder von einer „Rückführungsmaschinerie“ gesprochen. Damit wird suggeriert, dass wir Massenabschiebungen gerade von Minderheiten vornehmen. Ich nenne die Zahlen, die ich schon häufiger vorgetragen habe: Im Jahr 2009 waren es 3 Roma und 11 Ashkali; im Jahr 2010 waren es 23 Roma und 10 Ashkali; im Jahr 2011 waren es 39 Roma und 3 Ashkali. So viel zu dem Vorwurf, dass eine Rückführungsmaschinerie in Gang gesetzt wurde.

(Pia-Beate Zimmermann [LINKE]: Was ist das denn sonst?)

Zum anderen wurde gesagt, wir als Landesregierung sollten endlich Verantwortung übernehmen. Als Landesregierung übernehmen wir Verantwortung. Wenn das Verfahren abgeschlossen ist und es keine andere Möglichkeit gibt, dann müssen wir abschieben. Aber damit hört unsere Verantwortung nicht auf. Es gibt wenige Bundesländer, die so viel Geld und Hilfe anbieten, gerade im Kosovo, um eine Integration zu ermöglichen.

(Pia-Beate Zimmermann [LINKE]: Für ein halbes Jahr!)

Ich meine, wir sollten, vielleicht auch mit den anderen Bundesländern, jetzt darüber sprechen, was wir im Detail vor Ort verbessern können.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

In diesem Zusammenhang haben Sie bei der Reise sicherlich viele Erkenntnisse gewonnen.

Es ist ja ganz interessant, dass hier auch immer wieder Einzelschicksale benannt werden; auch mit Blick auf die Reise. Dazu ist hier einiges vorgehalten worden, was wir eigentlich nicht machen sollten.

Ich erinnere an eine Familie, um die es im letzten Plenum ging. Es ist gesagt worden, dass diese Familie abgeschoben worden sei und danach im Prinzip vor dem Nichts gestanden hätte. Sie hätte gehungert usw. Das sei über den Rechtsanwalt mitgeteilt worden. - Sie können im Protokoll nachlesen, wie es wirklich war: Sie war in einem Hotel, hat Frühstück und Mittagessen bekommen.

(Pia-Beate Zimmermann [LINKE]: Das stimmt nicht!)

Der Familie Meta sind auch Reintegrationsmaßnahmen angeboten worden. Ich kann Ihnen sagen, wie die Stellungnahme lautet: Die Familie lehnt Unterstützungsangebote, auch finanzieller Art, durch URA grundsätzlich ab. Derzeit befristete Unterstützungen werden nicht in Anspruch genommen. Nach eigenen Angaben erhält die Familie monatlich Geld aus Deutschland, um sich im Kosovo nicht integrieren zu müssen. Auch die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit wird abgelehnt. Man arbeite im Kosovo nur, wenn man das Gleiche verdiene wie in Deutschland. Im Übrigen heißt es, dass es die Kinder leichter hätten, wenn man ein eigenes Haus hätte. Dieses Haus ist vorher verkauft worden. Die Frau lehnt eine Arbeitsaufnahme

strikt ab. Die Kinder lehnen es ab, im Kosovo zur Schule zu gehen; kein Kind war bislang in der Schule.

(Pia-Beate Zimmermann [LINKE]: Fragen Sie mal, warum nicht!)

Dann wird gesagt, sie würden diskriminiert. Es ist ein Sprachkurs nur für die Familie mit einer eigenen Lehrerin angeboten worden. Auch das ist abgelehnt worden.

Ich kann nur sagen: Ich habe den Eindruck, dass vielleicht suggeriert wird, dass man alles daransetzen soll, sich nicht zu integrieren, um die Chance zu erhalten, wieder nach Deutschland zurückzugehen.

(Marianne König [LINKE]: Mutmaßun- gen!)

Wenn man das suggeriert - Frau Zimmermann, den Eindruck hatte ich sogar bei Ihrer Rede -, dann ist das inhuman; denn das hilft der Familie im Kosovo in keiner Weise. Das darf man auch so sagen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Dann ist dargestellt worden, dass es überhaupt keine Chance gibt, eine Arbeit aufzunehmen. Dazu nenne ich auch einen Fall aus Niedersachsen: Mit Unterstützung der URA hat ein Familienvater sechs Monate gearbeitet. Danach hat er diese Arbeit niedergelegt und gesagt, er will selbstständig Metall sammeln. Das hatte zur Folge, dass gesagt wurde, dass die schulpflichtigen Kinder keine Schule besuchen können, weil sie beim Metallsammeln gebraucht werden. - Das geht natürlich nicht. Da müssen wir schauen, wie wir weiter vorankommen. Dann kann man aber nicht sagen, dass es überhaupt keine Chance gibt, eine Arbeit aufzunehmen.

Es gibt aber auch positive Beispiele. Zum Beispiel ist eine Familie aus Niedersachsen im Kosovo angekommen, die die problematische Situation dort durchaus gesehen hat, aber dennoch alles daransetzt, damit die Kinder dort eine Zukunft haben. Die Kinder gehen regelmäßig zur Schule, machen ihre Hausaufgaben, sind überhaupt nicht auffällig und haben es sehr schnell geschafft, vernünftige Ergebnisse in der Schule zu erreichen. Das lief auch über das Rückkehrprojekt URA 2.

Zusammengefasst, meine Damen und Herren: Man sollte sich nicht hier hinstellen und suggerieren, dass das Land Niedersachsen einen Abschiebestopp verhängen könnte. Das ist erstens recht

lich nicht machbar. Darin sind sich alle einig, die Verantwortung tragen. Wenn man in der Opposition ist, kann man so etwas fordern, aber wenn man selber Verantwortung trägt, wie auch der grüne Ministerpräsident in Baden-Württemberg, dann ist diese Erkenntnis schnell da. Sagen Sie den Menschen nicht etwas, was überhaupt nicht möglich ist!

Zweitens. Wir sollten wirklich alles daransetzen - auch mit anderen Bundesländern -, die Reintegration direkt vor Ort noch weiter zu verbessern. Da scheint es Defizite zu geben. Sich darauf zu konzentrieren, ist richtig. Machen Sie hier nicht wieder etwas, womit man den Menschen nicht wirklich hilft! Suggerieren Sie ihnen nicht, sie könnten hierher kommen! Wenn Sie das doch tun und deshalb die Reintegration scheitert, dann haben Sie die Verantwortung dafür und nicht wir.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Vor dem Hintergrund der Redezeitüberschreitung hat Frau Zimmermann von der Fraktion DIE LINKE zusätzliche Redezeit beantragt. Sie bekommen eine Minute. Bitte schön!

Schönen Dank. - Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Schünemann, das sind an den Haaren herbeigezogene Beispiele. Selbst wenn das alles stimmt, was Sie hier gerade sagen, kann man doch die Augen nicht davor verschließen, dass es für die allermeisten Menschen, die dorthin abgeschoben worden sind, keine Aussicht darauf gibt, sich selbst das Überleben zu sichern.