Abschließende Beratung: Senioren und Kultur - Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP - Drs. 16/4321 - Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wissenschaft und Kultur - Drs. 16/4964
Der Ausschuss für Wissenschaft und Kultur empfiehlt Ihnen, den Antrag in geänderter Fassung anzunehmen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der demografische Wandel und die damit verbundene Verschiebung der Altersverhältnisse werden auch Auswirkungen auf Kunst und Kultur haben. Bei der schriftlichen Anhörung des Ausschusses zu diesem Thema haben wir das von allen Beteiligten bestätigt und bekräftigt bekommen.
Der vorliegenden, heute abzustimmenden Beschlussempfehlung liegt unser erster Antrag zugrunde, der mit den Erkenntnissen und Impulsen der Anhörung verändert und aktualisiert worden ist. Dieser Antrag ist zukunftweisend und an die sich in Kulturfragen verändernde Gesellschaft angepasst. In wenigen Jahren werden die Babyboomer der 50er- und der 60er-Jahre kompakt in den Ruhestand treten. Das ist eine sehr große Gruppe, die
das Land mit ihrer Einstellung zum Leben sicherlich prägen wird. Ich gehöre auch dazu. Deshalb weiß ich, wovon ich rede, nämlich von dem Kohorteneffekt.
Ich weiß, wovon ich rede; denn ich finde HeavyMetal-Musik genauso entspannend wie klassische Kammermusik.
Dieser Gruppe werden ganz aktive Alte angehören. Dies wird im Übrigen auch die erste Gruppe sein, die weit umfassender und breiter ausgebildet ist als jene Gruppen, die vor ihr in den Ruhestand gegangen sind. Das sind die sogenannten Bildungsboomer der 70er-Jahre. Sie haben auch ein deutlich stärkeres Interesse gerade an Weiterbildung, am Ehrenamt sowie am bürgerschaftlichen Engagement. In diesen Menschen ist also ungeheuer viel Potenzial vorhanden. Deshalb ist es wichtig, entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen sich Potenziale älterer Menschen entfalten können; denn Weiterbildung - also lebenslanges Lernen - ist die beste Voraussetzung für ein gesundes Altern.
Gerade die kulturelle Erwachsenenbildung ist ein wichtiger Faktor gesellschaftlicher Integration. Kulturelle Bildung hilft jedem Einzelnen, seine Persönlichkeit zu entfalten und an der Gesellschaft teilzuhaben.
Meine Damen und Herren, wir müssen aufhören, das Alter mit Krankheit und Pflegebedürftigkeit gleichzusetzen.
Wir brauchen ein positives, ein differenziertes Bild vom Altern. Zum Beispiel sollten wir das dritte Lebensalter - so wird es immer beschrieben; wir meinen damit den dritten Lebensabschnitt - vielleicht als nachberufliche Phase bezeichnen und uns erst vom vierten Lebensalter an mit körperlichen und geistigen Einschränkungen befassen. Also weg von der Defizitsicht hin zur Kompetenzsicht, ohne dabei jedoch diejenigen älteren Menschen zu vergessen, die Betreuung, Pflege und Unterstützung benötigen; denn auch in diesem vierten Lebensabschnitt müssen kulturelle Angebote fachlich gut strukturiert und geplant werden.
Wir sollten weniger danach fragen, wie alt jemand geworden ist, sondern wir sollten erkennen, wie jung viele geblieben sind.
In diesem Zusammenhang bin ich immer wieder beeindruckt von dem Elan, mit dem z. B. bei uns in Goslar - das will ich einmal benennen, das gibt es in anderen Städten aber auch - Seniorinnen und Senioren Verantwortung übernehmen, Gutes bewirken und sich auch im kulturellen Bereich ganz aktiv beteiligen und so zur Attraktivität des Lebens in unserer Stadt beitragen.
Aber: Diesen Elan haben nicht nur die Städter. Ich war am vorletzten Samstag in Marklohe bei Nienburg. Dort existiert seit Jahrzehnten eine Freilichtbühne. Dort wird unter dem Motto „Wi snack Platt - du ok?“ generationenübergreifend plattdeutsches Theater gespielt. Das zu erleben - ich muss es einmal so platt sagen -, ist der Hammer. Es ist der Hammer, Herr Abgeordneter, was Sie dort haben. Das ganze Dorf ist auf den Beinen. Alle machen mit. Alle sind eingebunden. Jeder bekommt seine Aufgabe. Von der Blumendeko bis hin zur Platzanweisung - ganz zu schweigen von der Aufführung.
Kultur hält dort das ganze Dorf zusammen. Es ist alles ein Geben und Nehmen. Deshalb ist Marklohe meiner Meinung nach ein gutes Beispiel für die viel diskutierte Breitenkultur in unserem Land.
Mit unserem Antrag wollen wir uns dafür einsetzen, dass im Flächenland Niedersachsen eben auch in ländlichen Bereichen attraktive Kultur- und Bildungsangebote für ältere Menschen mit und ohne Migrationshintergrund unterbreitet werden und dass diese Angebote auch für Menschen mit Behinderungen zu erreichen sind. Dafür war es richtig und wichtig, dass die Landesregierung die regionale Kulturförderung auf die Landschaften und die soziokulturellen Zentren übertragen hat. Diese gilt es nun, in ihrem Engagement zu stärken und zu unterstützen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Einen Punkt aus unserem Antrag möchte ich kurz zum Schluss noch hervorheben. Unter Punkt 7 geht es um das Thema Internet. Seniorinnen und Senioren, das wissen wir, werden in Zukunft viel vertrauter mit EDV und PC umgehen. All dies ist bei der heutigen Rentnergeneration nicht der Fall. Erst die, die jetzt kommen, werden profihaft damit umgehen. Trotzdem wird es ein wesentliches Kriterium sein, die
Systeme möglichst anwenderfreundlich und einfach zu gestalten, um älteren Menschen die Bedienung zu erleichtern. Zusätzlich bietet sich eine internetgestützte interaktive Plattform „Kultur“ an, auf der Kultur- und Bildungsangebote für Senioren ersichtlich sind und diskutiert werden können.
Sie sehen also, für Kulturerlebnisse jeder Art ist es nie zu spät. Diese kulturinteressierten Alten wissen: Es lohnt sich, aktiv zu sein. Es macht reich an Freunden und Zufriedenheit, und es gibt unserem Leben Sinn. Wir wollen mit unserem Antrag dazu beitragen.
Vielen Dank, Frau Kollegin Prüssner. - Jetzt hat das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Dr. Heinen-Kljajić. Bitte sehr!
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Prüssner hat in ihren Ausführungen bereits dargelegt, dass es zu diesem Antrag eine schriftliche Anhörung gab. Diese Anhörung hat die Bedenken, die wir hier schon bei der Einbringung des Antrags vorgetragen haben, noch einmal bestätigt. Die Absicht, ältere Menschen mit Kulturangeboten zu erreichen, ist sicherlich keineswegs falsch, aber ihr Ansatz, liebe Kollegen von CDU und FDP, ist es, ehrlich gesagt, sehr wohl. Es geht nämlich nicht darum, spezielle Angebote für ältere Menschen zu machen, sondern es geht darum, allen Menschen - selbstverständlich unabhängig vom Alter, aber auch unabhängig von Herkunft oder sozialem Status - eine kulturelle Teilhabe zu ermöglichen.
Nur so, liebe Frau Prüssner, wird es gelingen, auch in Zukunft genügend Menschen zu haben, die Kultureinrichtungen besuchen und sich für Kultur begeistern, egal, wie alt sie sind. Es muss also gelingen, schon Kinder als neue Besucher von Kultureinrichtungen zu gewinnen in der Hoffnung, dass sie der Kultur ein Leben lang verbunden bleiben. Wer mehr Senioren als Teilnehmer an kulturellen Angeboten haben will, der muss damit in Vorschule und Schule beginnen.
Zudem hat in der Anhörung Professor Kirchberg von der Leuphana zu Recht darauf hingewiesen, dass Ihr Antrag aus der Perspektive des gebilde
ten Bürgertums geschrieben ist. Damit grenzen Sie von vornherein ein Gros der Bevölkerung aus. Nur mit transkulturellen Projekten oder Angeboten, die auch außerhalb der ausgetretenen Pfade des klassischen Kulturbetriebs, den Sie in Ihrem Antrag ansprechen, angesiedelt sind, erreichen Sie auch diejenigen Menschen leichter, die noch nie in ihrem Leben im Theater waren, deshalb aber beileibe nicht kulturlos sind.
Liebe Kollegen von CDU und FDP, Sie haben nach der Anhörung zwar erkannt, dass Ihr Ursprungsantrag überarbeitet werden muss, aber leider bleibt auch die Beschlussempfehlung weit hinter den vielen konkreten Vorschlägen der einzelnen Stellungnahmen zurück. Ich will nur einige wenige Beispiele nennen: Statt die Empfehlung aufzugreifen, erst einmal eine Datenerhebung vorzunehmen, damit man überhaupt sieht, welche Einrichtungen und Veranstaltungen von älteren Menschen besucht werden und welche nicht, fordern Sie jetzt eine Evaluation der bestehenden Angebote. Das aber ist etwas völlig anderes. Um neue Programme zu planen, wäre es sinnvoll, vorab zu wissen, wer die Besucher sind und was die älteren Besucher erwarten, statt jetzt eine Evaluation dessen, was es schon gibt, zu fordern.
Auch die Möglichkeit, die Fragestellung altersgerechter Angebote im Rahmen des Kulturentwicklungskonzeptes aufzugreifen, blenden Sie leider komplett aus. Ich finde, da haben Sie eine Chance vertan. Eine wichtige Anregung, die sich in vielen Stellungnahmen wiederfindet, war - ich glaube, das war sehr klug, wurde leider aber nicht berücksichtigt -, dass man Angebote für Senioren nicht als solche benennen sollte; denn viele ältere Menschen empfinden das zu Recht als Diskriminierung.
Ich glaube, jemanden, der sich im Restaurant schon über den Seniorenteller ärgert oder irritiert zur Kenntnis nehmen muss, dass im Harz die Seniorenweltmeisterschaft im Orientierungslauf stattfindet, den können Sie mit einem Kulturprogramm für Senioren, ehrlich gesagt, jagen.
Fazit: Der Antrag ist schon in seiner Problemstellung falsch angelegt und strömt offen gestanden eher den Geist eines Kaffeekränzchens mit Kultur
Erstens. Die Bedenken, die meine Kollegen in den Ausschussberatungen geäußert haben, gelten auch heute noch. Ihr Antrag ist auch mit dem vorgelegten Änderungsantrag nicht besser geworden. Sie, meine Damen und Herren von CDU und FDP, sind weiterhin auf dem sozialen Auge blind.
Wenn Sie das anders sehen sollten, könnten Sie wenigstens Professor Kirchberg von der kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Lüneburg recht geben. Herr Professor Kirchberg hat auf Bitten des Kulturausschusses eine schriftliche Stellungnahme zu Ihrem Antrag abgegeben, und er führte aus - ich zitiere -: „Ein weiteres Problem bei dem Antrag ist die Vernachlässigung der schichtspezifischen Kulturnachfrage. Kultur wird hier nur als Kultur des Bürgertums verstanden.“
Mit anderen Worten: Sie klammern die soziale Frage vollkommen aus und betreiben hier Klientelpolitik zulasten der ärmeren Schichten der Bevölkerung. Deswegen werden wir Ihren Antrag hier und heute ablehnen.