Protokoll der Sitzung vom 19.07.2012

Drittens. Wie wird die Landesregierung eine willkürliche Anwendung der in dem Anschreiben des Wirtschaftsministeriums vom 12. Juli 2012 dargestellten Ausschlusskriterien zur Vorlage von Akten zukünftig ausschließen, um dem Eindruck entgegenzutreten, dass sie bei einem im Streit mit den Partnern vorangetriebenen Großprojekt zu vermeiden versucht, ihr eigenes Handeln offenzulegen?

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung von Johanne Modder [SPD])

Meine Damen und Herren, für die Landesregierung antwortet Herr Minister Bode. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Kontrolle der Regierung durch das Parlament gehört zu den Eckpfeilern jeder Demokratie. Dies ist auch in der Niedersächsischen Verfassung so festgelegt und seit dem Bestehen des Landes Niedersachsen fester Bestandteil der hier gelebten Demokratie.

Die Niedersächsische Verfassung definiert aber auch Grenzen dieser Kontrollbefugnis. So braucht die Landesregierung dem Verlangen auf Aktenvorlage nicht zu entsprechen, soweit dadurch die Funktionsfähigkeit und Eigenverantwortung der Landesregierung wesentlich beeinträchtigt würden

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Sie beein- trächtigt sich in ihrer Existenz schon selber!)

oder zu befürchten ist, dass durch das Bekanntwerden von Tatsachen dem Wohl des Landes Nachteile zugefügt oder schutzwürdige Interessen Dritter verletzt würden.

Zu diesen allgemeinen Schranken der Kontrollbefugnis von Parlamenten führt das Bundesverfassungsgericht aus - ich zitiere -:

„Die Kontrollkompetenz des Bundestages erstreckt sich... grundsätzlich nur auf bereits abgeschlossene Vorgänge. Sie enthält nicht die Befugnis, in laufende Verhandlungen und Entscheidungsvorbereitungen einzugreifen.“

Dieses Zitat aus dem sogenannten Flick-Urteil (BVerfGE 67, S. 100) zeigt, wo parlamentarische Kontrolle notwendigerweise aufhören muss und wo der Kernbereich der Verantwortung der Landesregierung liegt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wie Sie alle wissen, sind die Bauarbeiten zur Errichtung des Tiefwasserhafens in Wilhelmshaven noch nicht abgeschlossen. Es wird Ihnen auch nicht entgangen sein, dass wir eine Reihe von Schlosssprengungen haben. Die Realisierungsgesellschaft ist verpflichtet, bis zum 5. August 2012 eine betriebsbereite Hafeninfrastruktur an den Containerterminal-Betreiber zu übergeben. Nach dem Betreibervertrag war am 5. Mai 2012 dem Betreiber des Containerterminals die Kaje zu übergeben. Dies ist aufgrund von Reparaturarbeiten, zu denen die JadeWeserPort-Realisierungsgesellschaft vertraglich berechtigt ist, zu diesem Zeitpunkt nicht in vollem Umfang möglich gewesen. Jedoch sind an das Nichteinhalten dieser Verpflichtung keine rechtlichen bzw. monetären Sanktionen geknüpft. Ich meinerseits bin fest davon überzeugt, dass wir den Übergabetermin 5. August 2012 halten werden.

Über die eingetretenen Schäden und den Stand der Schadenbeseitigung habe ich persönlich oder haben meine Mitarbeiter Sie in nahezu jeder der letzten Sitzungen des Ausschusses für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr umfassend informiert. Erst in der letzten Sitzung des Ausschusses für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr am 13. Juli 2012 hat die Landesregierung über die von der Realisierungsgesellschaft beauftragten Gutachter zur Klärung der Schadensursache berichtet.

Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, das Ausmaß der Schäden an der Kaje und deren

Ursachen sind noch nicht abschließend bekannt. Auch sind die Reparaturarbeiten nicht beendet, sodass an dieser Stelle sicherlich nicht von einem „abgeschlossenen Vorgang“ im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gesprochen werden kann.

Der Bauhauptvertrag und die Vergabe der Hafendienstleistungen sind immer noch Gegenstand von Gerichtsverfahren und somit laufende Verfahren im Sinne des Flick-Urteils. Die Reparaturen, die derzeit durchgeführt werden, sollen schätzungsweise 40 bis 50 Millionen Euro kosten. Die ARGE geht hier in Vorleistung.

Wir glauben, dass die Bauleistungsversicherung letztendlich eintreten muss. Sollte dies nicht der Fall sein, sehen wir die Realisierungsgesellschaft und damit die Länder Bremen und Niedersachsen dennoch nicht in der Zahlungspflicht. Wir haben hier eine gute Rechtsposition. Es ist in der Verantwortung der Realisierungsgesellschaft und der Landesregierungen beider Länder, diese Position in Verhandlungen und notfalls auch vor Gericht zu verteidigen. Dies gehört zum Kernbereich exekutiver Verantwortung und unterliegt bis zum Abschluss des Vorgangs nicht der parlamentarischen Kontrolle.

(Enno Hagenah [GRÜNE]: Das ist doch lächerlich! Danach könnten Sie alles ausschließen und müssten nie wieder etwas vorlegen!)

Wir wollen nicht die starke Position des Landes, die wir haben, durch mögliche öffentliche Diskussionen schwächen.

Selbiges gilt für die übrigen laufenden Verfahren, die in meinem in der Frage zitierten Schreiben vom 12. Juli 2012 an den Landtagspräsidenten näher beschrieben wurden.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich Ihre Fragen wie folgt:

Die Fragen 1 und 2 werden wegen des Sachzusammenhanges gemeinsam beantwortet: Ob die Landesregierung zu einem Teilbereich Akten vorlegen muss, richtet sich nicht danach, ob zu diesem Bereich „garantiert“ künftig kein gerichtliches Streitverfahren droht; denn eine Garantie kann man in einem funktionierenden Rechtsstaat kaum für irgendeinen Bereich mit letzter Sicherheit abgeben.

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Dann schließen Sie prophylaktisch alles aus!)

- Warten Sie doch einmal ab, Frau Helmhold!

Akten werden nicht vorgelegt, wenn sie laufende Streitigkeiten betreffen, unabhängig davon, ob sie gerichtlich anhängig sind. Das ist die Position der gesamten Landesregierung.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Die laufenden Verfahren sind in meinem Schreiben an den Landtagspräsidenten aus heutiger Sicht abschließend aufgeführt.

Die Landesregierung legt bei allen Akteneinsichtsbegehren die angeforderten Akten selbstverständlich in Übereinstimmung mit den verfassungsrechtlichen Bestimmungen vor. Bei umfangreichen Akteneinsichtsbegehren wie dem vorliegenden erfolgt dies in mehreren Tranchen. So kann der jeweils anfordernde Ausschuss frühzeitig mit der Akteneinsicht beginnen und muss nicht erst darauf warten, dass die letzte Einzelakte aus den verschiedenen Ministerien und Behörden angefertigt, angefordert, kopiert, paginiert und nach den Vorschriften des Artikels 24 Abs. 3 unserer Verfassung geprüft worden ist.

Um einmal den Umfang der vorgelegten Akten zum Thema JadeWeserPort zu umreißen, will ich mich hier auf die Akten des von mir geleiteten Ministeriums beschränken. Es werden zu den bereits vorgelegten Akten voraussichtlich seitens des Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr 41 Vorgänge vorgelegt werden. Diese betreffen u. a. den Bau und die Finanzierung des JadeWeserPorts, die künftige Hafenverwaltung, einzelne Grundstücksgeschäfte, die EFRE-Förderung, das Beihilfe-Notifizierungsverfahren bei der EU, die Inbetriebnahme, Kompensationsmaßnahmen am Langwarder Groden und am Leuchtfeuer Eckwarderhörne.

Ich weise in diesem Zusammenhang darauf hin, dass es sich um ein Anschlussbegehren handelt, insoweit die Unterlagen daher häufig bereits vorgelegte Vorgänge ergänzen. Allerdings können in den Ordnern einzelne Seiten herausgenommen worden sein, sofern sie die in dem Schreiben an den Landtagspräsidenten aufgeführten Verfahren betreffen.

Zu Frage 3: Die Landesregierung handelt im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nach sorgfältiger Abwägung im Einzelfall.

(Enno Hagenah [GRÜNE]: Das ist doch lächerlich!)

Die Gründe habe ich dem Landtagspräsidenten in meinem Schreiben vom 12. Juli dezidiert dargelegt. Den Vorwurf der Willkür weise ich im Namen der gesamten Landesregierung entschieden zurück.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Die erste Zusatzfrage wird vom Kollegen Hagenah von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gestellt. Bitte!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor dem Hintergrund, dass der Minister in keiner Weise die Generalklausel zurückgenommen hat, sie in seinem Anschreiben nach juristischer Fachmeinung nicht ordentlich begründet hat und alles das, was potenziell noch beklagt werden kann, nicht vorlegen will, frage ich die Landesregierung: Worin unterscheidet sich nach Ansicht der Landesregierung das Akteneinsichtsrecht eines Parlaments laut Verfassung von der Pflicht, in öffentlicher Gerichtsverhandlung später die Akten vorzulegen, die da der Öffentlichkeit bekannt gegeben werden, aber vorher dem Landtag, der das Regierungshandeln kontrollieren soll, nicht vorgelegt werden sollen?

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD - Ursula Helm- hold [GRÜNE]: Weil sie dann endgül- tig nichts mehr vertuschen kann!)

Herr Minister!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Frage ist aus meiner Sicht ein bisschen komisch.

(Dr. Gabriele Heinen-Kljajić [GRÜNE]: Sie ist Ihnen vielleicht unangenehm! Komisch ist sie nicht!)

Auch Sie waren ja einmal in Regierungsverantwortung. Sie kennen die Verfassung und ganz bestimmt auch das Flick-Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Bestimmt kennen Sie auch die Entscheidung des Staatsgerichtshofs zu einem Aktenvorlagebegehren in Niedersachsen. Damals hat der Abgeordnete H. M. ein Verfahren geführt. Der Staatsgerichtshof hat entsprechende Regelungen vorgegeben. Aber da Sie auch wissen wollten, seit wann und wie das gilt, will ich Ihnen aus einer Grundlage für das Kabinett vorlesen, bearbeitet von Frau Zypries, vom 18. November 1993. Dort heißt es - ich zitiere -:

„Die autonome Gestaltung des Regierungshandelns durch die Ministerinnen und Minister sowie die Landesregierung als Kollegialorgan schließt in der Regel die Einflussnahme des Parlaments auch durch Akteneinsicht auf laufende, nicht abgeschlossene Entscheidungsprozesse aus. Nicht abgeschlossene Vorgänge sind daher im Rahmen des Artikels 24 grundsätzlich von der Vorlage ausgenommen. Erachtet ein Mitglied des Kabinetts eine Vorlage gegenüber dem Ausschuss im Hinblick auf die Eigenverantwortung der Landesregierung für vertretbar, so ist zuvor das Kabinett zu unterrichten.“

Weiter heißt es:

„Bei der Beurteilung, ob eine Verletzung der schutzwürdigen Interessen Dritter zu besorgen ist, bedarf es regelmäßig einer Einzelfallentscheidung, bei der der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit strikt zu beachten ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in Akten Informationen geben kann, deren Weitergabe wegen ihres streng persönlichen Charakters für die Betroffenen unzumutbar ist und bei denen für eine Abwägung nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes kein Raum vorliegt.“

Dann wird auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 80, Seite 367 und Seite 373, verwiesen. Weiter heißt es darin:

„Auch in allen weiteren in Artikel 24 Abs. 3 NV genannten Fällen

bedarf die Zulässigkeit der Vorlage von Akten oder Aktenteilen der Einzelentscheidung.“

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist nicht neu, sondern von 1993.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Enno Hagenah [GRÜNE]: Das ist doch alles nicht erfüllt!)

Meine Damen und Herren, die nächste Zusatzfrage wird vom Kollegen Limburg gestellt.