Protokoll der Sitzung vom 17.09.2008

Ich wiederhole mich hier gern: Jugendkriminalität ist anders, als von Ihnen suggeriert, kein Ausländerproblem, sondern ein soziales und bildungspolitisches Problem. Hier muss Politik ansetzen.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Aber mit Ihnen über Bildungspolitik und Chancengleichheit reden zu wollen, ist, wie wir heute Morgen erlebt haben,

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Sehr, sehr schwer! Unmöglich!)

angesichts Ihrer ideologischen Verbohrtheit wohl völlig aussichtslos.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Ich bin der festen Überzeugung, dass Ihr Festhalten am gegliederten Schulsystem Ihnen schon bald auf die Füße fallen wird.

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN)

Es wird nicht mehr lange dauern, bis Sie bei den Hauptschulen zum Handeln gezwungen werden.

(Editha Lorberg [CDU]: Was hat das jetzt mit unserem Thema zu tun?)

Meine Damen und Herren, Ihnen geht es bei der Bekämpfung der Jugendkriminalität vor allem um eine öffentliche Debatte über die Frage, ob das Jugendstrafrecht verschärft werden muss. Sie sind bei diesem komplexen Thema an einer differenzierten Betrachtungsweise überhaupt nicht interessiert und unterscheiden nicht zwischen kriminellen Jugendlichen und jugendlichen Mehrfach- und Intensivtätern, was aber dringend erforderlich wäre.

Sie fordern in Ihrem Antrag, die Einführung von Schülergerichten zu prüfen. Dies hätten Sie bereits tun können, weil es schon 2006 von der damaligen Justizministerin Heister-Neumann gefordert worden ist. Wie Sie vielleicht wissen, schafft Ihr Freund Ole von Beust in Hamburg die Schülergerichte gerade wieder ab. Eine kleine Notiz im Hamburger Abendblatt besagte, das Projekt sei nicht auf positive Resonanz gestoßen.

(Heiner Bartling [SPD]: Wo er recht hat, hat er recht!)

Vielleicht fragen Sie dort einmal nach. Dann ersparen Sie sich viel Arbeit und Zeit.

Weitere Forderungen in Ihrem Antrag sind die Einführung des Warnschussarrestes, der zusätzlich zur Bewährungsstrafe verhängt werden könnte, und die Möglichkeit, Heranwachsende nach dem Erwachsenenstrafrecht zu bestrafen. Sie wissen sehr genau, dass Ihre Vorschläge von der weit überwiegenden Mehrheit der Fachöffentlichkeit als kriminalpolitisch verfehlt abgelehnt werden, worauf der Kollege Briese eben hingewiesen hat. Deshalb finden Ihre Vorschläge in Berlin überhaupt kein Gehör.

Meine Damen und Herren, unser geltendes Jugendstrafrecht hat sich bewährt. Bei Ihrer Forderung einer generellen Anwendung des Erwachsenenstrafrechts verkennen Sie völlig, dass es sich bei der weit überwiegenden Zahl der Delikte von Heranwachsenden um solche der leichten und mittleren Kriminalität handelt. Dafür sieht das Erwachsenenstrafrecht oft nur Geldstrafen als Sanktion vor. Das Jugendstrafrecht dagegen verfügt für solche Fälle über ein sehr differenziertes Instrumentarium, das weitaus wirksamer und oft auch schmerzhafter ist. So wirkt eine Auflage, Sozialstunden absolvieren zu müssen, bei einem heranwachsenden Straftäter aus begütertem Haus viel nachhaltiger, als wenn seine Eltern die Geldstrafe zahlen.

(Beifall bei der SPD)

Im Jugendstrafrecht sind dagegen Weisungen zur Lebensführung, soziale Trainingskurse, Betreuungsweisungen oder ein Täter-Opfer-Ausgleich möglich. Solche Sanktionen sind oft viel besser geeignet, erzieherisch auf einen jungen Straftäter einzuwirken und die Chancen auf ein künftig straffreies Leben zu erhöhen. Außerdem kennen wir auch hier das Instrument des Jugendarrestes.

Meine Damen und Herren, brauchen wir wirklich Änderungen im Jugendstrafrecht? - Beispielsweise der Deutsche Richterbund hält das bestehende Jugendstrafrecht für gut und ausreichend. Wir brauchen schnelle Verfahren, schnelle Verurteilungen und schnelle Strafantritte. Daran müssen wir arbeiten, und dafür brauchen wir - darauf ist hingewiesen worden - mehr Richter.

(Beifall bei der SPD)

Ich schließe meine Ausführungen mit einem Zitat vom Vorsitzenden des Deutschen Richterbundes, Herrn Christoph Frank, der solche Debatten übrigens für überflüssig hält:

„Die Diskussion gaukelt den Menschen Zusammenhänge vor, die es nicht gibt.

Die Formel härtere Strafen gleich höhere Abschreckung gleich weniger Straftaten ist schlicht falsch.“

Die Politik erliege hier erneut der Versuchung, Fragen des Strafrechts für schnelle und plakative Botschaften zu missbrauchen. Das Thema sei aber viel zu ernst, um vor Wahlen immer wieder instrumentalisiert zu werden. - Dem habe ich nichts hinzuzufügen, meine Damen und Herren. Wir von der SPDFraktion werden also Ihren Antrag ablehnen.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Abgeordneten Biallas von der CDU-Fraktion für anderthalb Minuten das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch der letzte Beitrag hat dazu beigetragen, dass das Thema, um das es hier eigentlich geht, gar nicht in angemessener Weise gewürdigt und behandelt wird. Frau Modder, ich will Ihnen hier sehr deutlich sagen, wenn Sie den Antrag genau gelesen hätten, dann hätten Sie feststellen können, dass darin sehr wohl auch auf die Ursachen von Jugendgewalt und Jugendkriminalität eingegangen wird und dass der Gedanke der Prävention dort ausdrücklich ausgeführt ist - und nicht das Gegenteil.

Das, was Sie eben zur Ausländerkriminalität vorgetragen haben, muss ich richtigstellen. Im Antrag steht keineswegs, dass bei der Jugendkriminalität der Anteil ausländischer Jugendlicher besonders hoch sei. Es gibt auch sehr viele deutsche jugendliche Straftäter. Uns gibt aber zu denken, dass der Anteil der jugendlichen Straftäter mit ausländischem Hintergrund, bezogen auf den Anteil an der Bevölkerung, deutlich höher ist. Das ist nicht wegzudiskutieren. Das ist so.

Ich möchte ferner sehr deutlich sagen, dass es uns nicht in erster Linie um eine Verschärfung des Jugendstrafrechts, sondern darum geht, zunächst einmal festzustellen, dass die Anwendung des Jugendstrafrechts bei Tätern zwischen 18 und 21 Jahren die Ausnahme ist - so steht es nämlich im Gesetz - und dass wir uns Gedanken darüber machen, dass das inzwischen zur Regel geworden ist. Fragen Sie dazu einmal in der Bevölkerung nach! Das wird in der Bevölkerung nicht verstanden. Darum geht es hier.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Frau Kollegin Modder möchte nicht von der Möglichkeit Gebrauch machen, darauf zu antworten.

(Heiner Bartling [SPD]: Das lohnt auch nicht!)

Ich komme dann zum nächsten Beitrag und erteile der Kollegin Zimmermann von der Fraktion DIE LINKE das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren der Regierung! Sie behaupten in Ihrem Antrag zur Jugendkriminalität:

„Besonders Gewaltdelikte erfahren sowohl zahlenmäßig als auch in ihrer Brutalität eine ganz neue Intensität.“

Dazu möchte ich den Juristen Wolfgang Heinz zitieren: Es „werden immer wieder dramatische Einzelfälle belichtet. Dadurch nimmt die gefühlte Kriminalität zu. Das hat mit der Realität aber nichts zu tun. Gewaltkriminalität hat einen Anteil von etwa drei Prozent an der gesamten Kriminalität - ohne Verkehrsdelikte. Sie ist also ein seltenes Ereignis.“ Das sagt er zu der These, Jugendliche würden immer mehr Straftaten begehen. Das ist die Aussage von Herrn Wolfgang Heinz.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Sie wollen die Jugendkriminalität bekämpfen. Das ist auch gut so. Das wollen auch wir. Sie benutzen wichtige Worte wie „Integration“, „Prävention“ und „Repression“. Sie vergessen dabei aber, diese Worte mit Inhalten zu füllen.

(Editha Lorberg [CDU]: Das stimmt doch gar nicht!)

Sie lassen sie als Worthülsen stehen und verschaffen sich ein Feigenblatt, um von Ihrer Unzulänglichkeit bei diesem Thema abzulenken.

(Beifall bei der LINKEN)

Ihr Schwerpunkt liegt eindeutig auf Repression, statt sich mit den Untersuchungen von Herrn Professor Dr. Pfeiffer zu beschäftigen, der sich sehr kompetent zu dem Thema der Präventionsmaßnahmen geäußert hat, statt sich mit Integrationsplänen zu beschäftigen, z. B. mit dem der Stadt Hannover, und festzustellen, dass richtig angewandte Integration zur Vermeidung von Straftaten bei Kindern und Jugendlichen führt - egal, welcher

Herkunft -, und statt auf die Juristinnen und Juristen zu hören, die sich in ihrer Mehrheit gegen eine Verschärfung des Jugendstrafrechts aussprechen. Sie ignorieren sogar die Gewaltenteilung: Legislative, Judikative und Exekutive. Glauben Sie denn wirklich, dass die Richterinnen und Richter ohne unsere Ansage aus der Politik nicht handeln könnten?

(Beifall bei der LINKEN)

In Ihren Ausführungen ignorieren Sie völlig den Zusammenhang zwischen sozialem Status, Bildungslaufbahn und Gewaltbereitschaft.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren von der Regierung, Sie fangen zu diesem Thema erst an zu arbeiten, wenn der Fisch schon vom Kopf her stinkt.

(Beifall bei der LINKEN - Widerspruch bei der CDU)

Meine Damen und Herren, deshalb empfehle ich Ihnen heute, am Parlamentarischen Abend des Landesjugendrings teilzunehmen und dort z. B. über die Nicht-Förderung der außerschulischen Kinder- und Jugendarbeit sowie auch die Abschaffung des Landesjugendamtes zu reden. Sie können dort diskutieren. Ich bin mir sicher, dass es möglich ist, dass Sie dort noch zu weisen Erkenntnissen kommen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN und Zustim- mung bei den GRÜNEN)