Protokoll der Sitzung vom 05.12.2012

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Bundesverfassungsgericht hat alle bisherigen Regelungen zur Sicherungsverwahrung für nichtig erklärt und den Gesetzgebern neue Leitlinien vorgegeben. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf erfüllen wir diesen Auftrag.

Der ausdrückliche Dank meiner Fraktion gilt den Mitarbeitern des Justizministeriums und des Gesetzgebungs- und Beratungsdienstes für die Sorgfalt, die Geschwindigkeit und die gedankliche Tiefe, mit der sie uns bei den Beratungen zu diesem Gesetzentwurf unterstützt haben.

(Zustimmung bei der FDP, bei der CDU und bei den GRÜNEN)

Die Menschenwürde ist unantastbar, auch die Würde von Menschen, die übelste Verbrechen begangen haben. Unser Recht kennt keine Sanktionen jenseits der verhängten Strafe. Wenn jemand in Sicherungsverwahrung kommt, dann ist er zwar kein unbescholtener Bürger, aber seine Strafe hat er dann schon voll verbüßt. Einzig seine fortdauernde Gefährlichkeit für die Gesellschaft vermag zu rechtfertigen, dass ihm auch nach seiner Strafe die Freiheit verwehrt bleibt. Also gebietet es die Menschenwürde, dass ihm außer dem Entzug der Freiheit so wenig zusätzliche Einschränkungen auferlegt werden wie möglich. Mit anderen Worten: Der Vollzug der Sicherungsverwahrung darf sich nicht, wie früher, primär am Strafvollzug orientieren, sondern muss sich am normalen Leben orientieren - allerdings mit der einzigen, aber ganz we

sentlichen Einschränkung, dass die äußere Freiheit entzogen bleibt.

Für den einen oder anderen Mitarbeiter des Justizvollzuges dürfte das ein gewisses Umdenken bedeuten - für die Volksmeinung erst recht. Aber der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat so entschieden, und unser Bundesverfassungsgericht hat so entschieden, und es hat richtig entschieden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU sowie Zustimmung bei den GRÜNEN)

Herzlichen Dank, Herr Professor Dr. Zielke. - Nun hat für die SPD-Fraktion Herr Kollege Tonne das Wort. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir werden heute das Thema Neuregelung des Vollzuges der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vorläufig beenden und ein Gesetz beschließen, das den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes im Wesentlichen Rechnung trägt.

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Im We- sentlichen!)

Aufgrund der Entwicklungen während der Beratungen im Ausschuss werden wir dem jetzt vorliegenden Entwurf unsere Zustimmung geben. Ich will aber auf diesem Wege auch ganz deutlich machen, dass der jetzige Gesetzentwurf mit dem von CDU und FDP ursprünglich eingebrachten Entwurf so gut wie nichts mehr zu tun hat. Herr Kollege Dr. Biester, wir können uns ja beherzt darüber streiten, ob der damalige Entwurf gut, weniger gut oder sogar schlecht war. Aber eines ist ziemlich klar geworden: Er war stark verbesserungsbedürftig.

(Hans-Henning Adler [LINKE]: Er war verfassungswidrig!)

Der ursprüngliche Entwurf atmete nämlich den Geist von Strafvollstreckung. Und es ist insbesondere dem Gesetzgebungs- und Beratungsdienst, den angehörten Experten und den Oppositionsfraktionen zu verdanken, dass wir jetzt einen Gesetzentwurf haben, der den Anforderungen, die an die Sicherungsverwahrung gestellt werden, gerecht wird, meine Damen und Herren.

(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN - Zuruf von Björn Thümler [CDU])

- Ich will Ihnen das deutlich machen, Herr Thümler. Der ursprüngliche Entwurf hat insbesondere das Abstandsgebot zwischen Strafvollzug und Sicherungsverwahrungsvollzug nicht ausreichend beachtet. Und was hätte es bedeutet, wenn das so geblieben wäre? - Wir hätten ein Gesetz beschlossen, welches erfolgreich vor Gericht hätte beklagt werden können. Wir hätten durch CDU und FDP ein Mehr an Unsicherheit gehabt. Es wirft schon einen interessanten Blick auf den Zustand der Regierungskoalition, wenn wir als Oppositionsfraktionen in diesem Bundesland bereits jetzt für mehr Sicherheit sorgen müssen. Aber auch das machen wir mit.

(Zustimmung bei der SPD)

Herr Kollege Tonne, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Nacke?

Herr Nacke!

Herr Kollege Tonne, würden Sie mir zustimmen, wenn ich sage, dass der Gesetzgebungs- und Beratungsdienst uns eine Vielzahl von Ergänzungsvorschlägen gemacht, aber auch ausgeführt hat, dass diese Ergänzungsvorschläge mit den Fachleuten aus dem Ministerium abgestimmt gewesen sind?

Herr Tonne!

Sehr geehrter Herr Kollege Nacke, ich stimme Ihnen gerne zu, dass der Gesetzgebungs- und Beratungsdienst in hohem Umfang Änderungsvorschläge gemacht hat, die man dann seitens des Ministeriums akzeptiert hat.

(Jens Nacke [CDU]: Das ist so nie ge- sagt worden! Sie wissen doch, dass das anders läuft! - Gegenruf von Ur- sula Helmhold [GRÜNE])

Aber ich hätte erwartet, dass man diese Änderungen gleich vorlegt, um einen vernünftigen Entwurf auf den Weg zu bringen. Das ist der entscheidende Unterschied.

(Zustimmung bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN - Zuru- fe von der SPD und von den GRÜ- NEN)

Ich lasse es auch nicht zu, dass Sie sich hier heute in dieser Debatte mit fremden Federn schmücken. Sie haben sich zähneknirschend und nicht inhaltlich überzeugt zu dem jetzt vorliegenden Entwurf treiben lassen. Innere Überzeugung sieht nun wirklich ganz anders aus, Herr Kollege Nacke.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Der heute zu verabschiedende Entwurf ist solide. Ich sage von meiner Seite aus: Wir hätten uns an der einen oder anderen Stelle noch Änderungen vorstellen können. Ich will das an zwei Beispielen verdeutlichen.

Zum einen hätten wir uns eine noch stärkere Fokussierung auf den Wohngruppenvollzug gewünscht, damit die zum Teil seit Jahrzehnten in Haft befindlichen Insassen stärker und besser in ein soziales Umfeld eingegliedert werden können und ihnen Hilfen für die ersten Schritte auf diesem Weg angeboten werden können.

Zum anderen erscheint mir die Regelung zur Kürzung des Arbeitslohns im Falle der Therapieteilnahme als ein schlechter Weg. Wir wissen, wie schwierig es ist, Inhaftierte zur Therapie zu motivieren. Wenn das dann mit Gehaltsreduzierungen einhergeht, wird es noch schwieriger sein. Das hätte man ändern können.

Ich will aber auch sagen - das gehört dazu -, dass die aufgezählten Argumente eine Ablehnung nicht begründen. Wir behalten uns vor, sehr schnell nach Inkrafttreten des Gesetzes eine Überprüfung darauf, inwieweit es gesetzlichen Änderungsbedarf gibt, vorzunehmen.

Meine Fraktion wird mit Ihrer Zustimmung am heutigen Tag ihrer Verantwortung gerecht, das sensible Thema der Sicherungsverwahrung nicht mit polemischem Getöse an den Stammtischen zu behandeln. Das ist erfreulicherweise weitestgehend - sieht man einmal vom untauglichen Versuch der CDU im letzten Plenum in der Aktuellen Stunde und von der heutigen kleinen Klamaukspitze ab - gelungen.

Ich habe bei der Einbringung gesagt, dass wir dafür Sorge tragen werden, dass Sie von den Regierungsfraktionen die sorgfältig vom Bundesverfassungsgericht hergestellte Waage der Gerechtigkeit zwischen den zu beachtenden Rechten aller Betroffenen nicht wieder einseitig verrücken werden. Heute kann ich feststellen: Auftrag erfüllt.

(Beifall bei der SPD)

Herzlichen Dank, Herr Tonne. - Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Limburg. Bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist von meinen Vorrednerinnen und Vorrednern schon zu Recht darauf hingewiesen worden, dass der vorliegende Gesetzentwurf zur Sicherungsverwahrung während der sehr konstruktiven Beratung im Rechtsausschuss deutlich verändert und, so möchte ich hinzufügen, deutlich verbessert wurde. Ich schließe mich ausdrücklich dem bereits geäußerten Dank an den Gesetzgebungs- und Beratungsdienst an. Die Aufgabe unter teilweise hohem Zeitdruck, weil wir eben das Dezember-Plenum erreichen mussten, war nicht leicht, und ich meine, der Gesetzgebungs- und Beratungsdienst hat sie meisterlich erfüllt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es sind auch, insbesondere vom Kollegen Adler und vom Kollegen Tonne, zu Recht einige Schwachstellen angesprochen worden. Ich möchte mich dem anschließen und sagen, dass das Gesetz vermutlich in den kommenden Jahren novelliert und nachgebessert werden muss. Aber zur Wahrheit gehört auch, dass wir mit diesem Gesetzentwurf in dieser Art und Weise Neuland betreten. Ich glaube, es gibt unabhängig von politischen Konstellationen kaum ein Gesetz, das sich mit einem völlig neuen Sachverhalt beschäftigt und das nicht nach dem Inkrafttreten nachgebessert werden muss. Insofern ist das keine grundsätzliche Kritik an dem Gesetz.

Ich stelle fest, dass viele der Dinge, die auch medial sehr kontrovers diskutiert worden sind - rund um die Ausstattung der Sicherungsverwahrten mit Pay-TV oder Internet -, mit dem Gesetzentwurf nicht ausgeschlossen sind, sondern dass es Einzelfallentscheidungen sind, ob so etwas möglich

ist. Wir werden sehr genau beobachten, wie das gehandhabt wird.

Ich möchte zum Abschluss anmerken, dass ich es wichtig finde, dass viele der Verbesserungen, die wir zu Recht diskutiert haben, nicht erst mit Inkrafttreten des Gesetzes oder mit dem Bezug der neuen Anstalt, sondern schon jetzt in der JVA Celle, also schon in diesen letzten Dezemberwochen, umgesetzt werden. Die Sicherungsverwahrten haben einen Anspruch darauf, meine Damen und Herren.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke schön, Herr Limburg. - Nun spricht für die Landesregierung Herr Minister Busemann. Sie haben das Wort.

Verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vorhin klang die Aussage an: Mit Sicherungsverwahrung kann man keine Wahlen gewinnen, aber möglicherweise kann man mit Sicherungsverwahrung Wahlen verlieren, wenn denn alles falsch liefe.

Wenn Sie mir die lakonische Zwischenbemerkung gestatten, Herr Kollege Tonne: Ich verdanke ja nun offenbar Ihrer Optimierungsoffensive, dass ich im Amt bleiben darf.

(Heiterkeit bei den GRÜNEN)

Da haben wir ja noch einmal Glück gehabt.

Wie auch immer: Ich will darauf verzichten, meine Damen und Herren, die ganze Geschichte der Sicherungsverwahrung mit all ihren Schwierigkeiten hier aufzublättern. Aber nehmen Sie es mir ab - und ich spreche hier auch ausdrücklich für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Ministeriums -: Es gab in den letzten fünf Jahren kaum ein Thema, was rechtlich wie politisch so schwierig, auch so belastend war wie das Thema der Neuregelung der Sicherungsverwahrung.