Niemand kann verstehen, warum die Gründe und Ursachen, die Hintergründe für das Desaster in der Asse nicht vollständig aufgeklärt werden. Der
Betreiberwechsel und die Anwendung von Atomrecht sind ein erfreulicher Schritt. Unklar bleibt aber nach wie vor, wie es zu dem Desaster kommen konnte. Unklar bleibt der gesamte Umfang des Skandals. Unklar bleibt die Tragweite in ihrer ganzen Größe.
Die Parlamente in Hannover und Berlin haben einen Untersuchungsausschuss abgelehnt. Die Staatsanwaltschaft hat das Verfahren bereits zweimal eingestellt. Herr Minister Sander hat bis heute nicht alle Akten vorgelegt, obwohl die Niedersächsische Verfassung vollständige und unverzügliche Vorlage dieser Akten verlangt. Das Helmholtz-Zentrum München ist seit anderthalb Monaten nicht mehr zuständig, hat aber noch immer Unterlagen, die es der Öffentlichkeit vorenthält.
Meine Damen und Herren, die Staatsanwaltschaft hat jetzt zum dritten Mal Vorermittlungen aufgenommen. Dieses Mal geht es nicht um kommende Generationen, sondern um die Gesundheit von Mitarbeitern, die vor Jahren bzw. Jahrzehnten in der Asse gearbeitet haben.
Fakt ist, dass die Grenzwerte bei Alpha-, Beta- und Gammastrahlen deutlich überschritten wurden. Das gilt für Cäsium 137 bis zum 25-Fachen, für Tritium bis zum 75-Fachen und für Radon. Das gilt für verschiedene Radionuklide vor und nach den Änderungen der Strahlenschutzverordnung von 1989 und 2001. Auch nach 2001 wurden bei Tritium die Freigabewerte der Strahlenschutzverordnung meines Erachtens überschritten. Eine Genehmigung nach § 7 der Strahlenschutzverordnung liegt ebenfalls nicht vor, obwohl sie für den Umgang mit radioaktiven Stoffen zwingend ist.
Mittlerweile sehen zwei ehemalige Mitarbeiter der Schachtanlage einen Zusammenhang zwischen ihrer Arbeit und einer Krebs- bzw. einer Leukämieerkrankung. Dies wird auch von Ärzten bestätigt. Weitere Fälle zeichnen sich ab.
Meine Damen und Herren, mir ist klar, dass es nicht einfach ist, einen Zusammenhang zwischen einer Tätigkeit im Schacht und einer Jahre später auftretenden Erkrankung herzustellen. Aber: Fakt ist, dass der Betreiber gegen Recht und Gesetz verstoßen hat. Fakt ist, dass die Grenzwerte des Strahlenschutzes überschritten wurden. Fakt ist, dass es Unregelmäßigkeiten bei der Dokumentation der Strahlenbelastung gab. Fakt ist, dass die Dosimeter nur intern ausgewertet wurden. Fakt ist auch, dass die Eignung des Überwachungskon
zepts für den Nachweis von Alphakontaminationen fraglich ist. All das sind Indizien, denen man nachgehen muss.
Ich bin der festen Überzeugung: Diejenigen, die sich von Berufs wegen mit dem Strahlenschutzrecht auskannten - beim Helmholtz-Zentrum, beim Landesbergamt und bei der Atomaufsicht im Umweltministerium -, wussten ganz genau, dass hier Recht und Gesetz gebrochen wurden. Eine Gefährdung der Mitarbeiter wurde wissentlich in Kauf genommen.
Vor diesem Hintergrund ärgert es mich außerordentlich, dass noch immer nicht alle Informationen auf dem Tisch liegen, obwohl sie schon lange angefordert waren.
Meine Damen und Herren, vor diesem Hintergrund fordere ich die Staatsanwaltschaft auf, unverzüglich die fehlenden Unterlagen zur Asse beim Helmholtz-Zentrum und beim Landesbergamt zu beschlagnahmen. Was an dieser Stelle passiert und was hier toleriert wird, ist nicht mehr auszuhalten. Die Anwohnerinnen und Anwohner und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben ein Recht auf Aufklärung. Dem muss man endlich Geltung verschaffen.
Die FDP will Rechtstaatspartei sein, aber sie hat die Beschäftigten, die Anwohner und die Umwelt hier im Stich gelassen.
Seit 2006 wusste die ganze Atomabteilung im Umweltministerium Bescheid. Recht und Gesetz müssen hier ohne Rücksicht auf Parteiräson durchgesetzt werden. Das muss auch der Ministerpräsident erkennen und endlich dafür sorgen, dass dies passiert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Asse ist untrennbar mit krassen Fehlentscheidungen, Versäumnissen und dem Versagen derjenigen verbunden, die von Anfang an, von 1967 an - aber auch 1998, Herr Wenzel - die politische und behördliche Verantwortung für die Einlagerung der 126 000 Fässer mit radioaktiven Abfällen hatten. Hier ist vieles schief gelaufen: Salzlaugenzufluss von 12 m3 pro Tag, korrodierende Fässer, Kontamination und eine hohe Einsturzgefährdung. Dies alles stellt die Fachbehörden jetzt bei der Erarbeitung eines geeigneten Schließungskonzeptes vor enorme Probleme.
Wir können heute nur feststellen, dass hier viel Vertrauen verloren gegangen ist und die Menschen zutiefst verunsichert sind. Aus diesem Grunde - wir alle haben hier eine hohe Verantwortung -, sollten wir alles tun, Herr Wenzel, die Bevölkerung nicht noch weiter mit Mutmaßungen und Spekulationen zu irritieren.
Damit das völlig klar ist: Wir sind der Überzeugung, dass der Fall des an Leukämie erkrankten ehemaligen Mitarbeiters in der Asse, Herrn Duranowitsch, gutachterlich geklärt werden muss, wie das inzwischen vom Bundesamt für Strahlenschutz veranlasst worden ist. Vor allem sollte hierbei geklärt werden, ob es tatsächlich irgendwelche wissenschaftlich belegbaren Anhaltspunkte für einen Kausalzusammenhang zwischen der Erkrankung und einer etwaigen beruflichen Strahlenbelastung gibt.
Das BMU hat vor Kurzem noch einmal ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die in der Asse arbeitenden Personen im Hinblick auf die berufliche Strahlenexposition nach den Anforderungen der Strahlenschutzverordnung überwacht wurden, und zwar seit Beginn der Einlagerungen. Der TÜV NORD hat den Istzustand des Betriebes begutachtet und festgestellt, dass keine Dosen oberhalb der Nachweisgrenze registriert worden sind. Zur Wahrheit gehört im Übrigen auch, dass sich die Aussagen des Helmholtz-Zentrums und des erkrankten Mitarbeiters über die Einsatzorte widersprechen. Die staatsanwaltlichen Ermittlungen sind hier bereits eingeleitet und abzuwarten.
Meine Damen und Herren, es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Strahlenschutzmaßnahmen für das Personal nicht ausreichend waren oder sind. Auch die Ganzkörpermessungen, die zur Kontrolle der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf inkorporierte radioaktive Stoffe hin durchgeführt werden, haben keine Hinweise auf Inkorporationen ergeben. Somit kann eben nicht eine unzulässige Strahlenexposition unterstellt werden.
Ob das vom BfS angekündigte Gesundheitsmonitoring für alle derzeit 250 Beschäftigten der Asse am Ende weiterführt, darf ernsthaft bezweifelt werden. Bisher jedenfalls - so Rolf Michel, immerhin Vorsitzender der Strahlenschutzkommission - sei in keiner Studie wissenschaftlich nachgewiesen, dass Mitarbeiter kerntechnischer Anlagen bei Einhaltung heutiger Grenzwerte häufiger an Krebs erkrankten als der Rest der Bevölkerung. - Deshalb, meine Damen und Herren, sollte hier der Ball erst einmal ganz flach gehalten werden. Wir sollten zunächst die gutachterliche Klärung durch das BfS und selbstverständlich auch die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft abwarten.
Ich warne vor Panikmache und Hysterie. Ich warne auch davor, einen an Leukämie erkrankten Mitarbeiter offensichtlich für ideologische Ziele zu instrumentalisieren, meine Damen und Herren.
Herr Wenzel, Sie treten hier anmaßend als jemand auf, der vorgibt, wieder einmal exakt zu wissen, was wissenschaftlich bisher in keiner Weise belegt ist.
Das ist genauso unglaublich wie Ihre Behauptung, in der Asse seien hoch radioaktive Abfälle eingelagert worden, oder auch die unerhörte Behauptung von Herrn Gabriel, der allen Ernstes erklärt hat, radioaktiv verseuchtes Wasser werde von der Asse zu anderen Bergwerken in Niedersachsen gefahren. Alle Überprüfungen haben bestätigt, dass Gabriel - ich sage das parlamentarisch - schlicht die Unwahrheit gesagt hat, weil sich dies in den gesamten Untersuchungen nicht hat bestätigen lassen. Sie hetzen die Menschen auf. Ich kann nur sagen: So kann man kein Vertrauen gewinnen!
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Ich nenne die Asse mittlerweile ein Stück aus dem Tollhaus. Wenn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tatsächlich erkrankt sind, so haben diese ein Recht auf Reputation. Sie haben ein Recht auf Anerkennung einer Berufskrankheit. Vor allem haben sie auch ein Recht auf Entschädigung. Dies gilt für die Erkrankten ebenso wie für diejenigen, die möglicherweise schon daran verstorben sind.
Nach Aussagen der Betroffenen - es ist ja kein Geheimnis, dass ich aus dieser Region stamme und nur wenige Steinwürfe von der Asse entfernt wohne - wurden oftmals keine Dosimeter getragen. Es wurde keine Schutzkleidung getragen. Drei Mitarbeiter sind mittlerweile erkrankt. Ein ehemaliger Kollege scheint an Krebs verstorben zu sein.
Im Landkreis Wolfenbüttel selbst ist keine Erhöhung der Krebsrate festzustellen. Aber was ist mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern? - Bekannt ist, dass die Lauge vor Kammer 12 nicht gemessen wurde, dann auf die 700-m-Sohle gepumpt und dort zur Staubbindung versprüht wurde.
Mir ist auch bekannt, dass eine Mitarbeiterin - sie möchte nicht genannt werden - vor Kammer 12 mit Lauge hantierte, ohne davon Kenntnis gehabt zu haben, dass die Lauge kontaminiert ist. Ich nenne das verantwortungslos. Ich gehe noch weiter: Ich nenne das kriminell, und zwar hochkriminell, meine Damen, meine Herren!
Dort unten herrschte über viele Jahre hinweg Chaos, Gleichgültigkeit und kollektives Nichtstun in Bezug auf Strahlenschutz. Das Bundesamt für Strahlenschutz muss nun zwingend eine Arbeitsanamnese machen: Wie war die Strahlenbelastung in der Grube? Wo, an welcher Stelle gab es eine erhöhte Belastung? Wer, welcher Mitarbeiter hat wo wie lange gearbeitet? - Das wird dauern. Die Frage ist auch: Belegen die Unterlagen des Helmholtz-Zentrums das Vorhandensein eines Dosimeters bei jedem Mitarbeiter?
Wir wissen ebenfalls, dass noch nicht sämtliche Unterlagen vom Helmholtz-Zentrum gekommen sind. Wir wissen auch, dass das Verhältnis zwi
schen dem Bundesamt für Strahlenschutz und dem Helmholtz-Zentrum mittlerweile - so nenne ich es einmal - angespannt ist und dass das Miteinander nicht ganz so einfach ist.
Ich sage hier auch: Die Menschen in der Region sorgen sich. Sie sorgen sich um ihre Gesundheit, um ihre Kinder und um die Zukunft. Sie fragen sich: Kann ich, können wir hier weiter leben? - Immer wieder wird die Frage aufgeworfen: Wie geht es weiter?
Man hört aber auch: Endlich ist jemand da, der sich mit der nötigen Ernsthaftigkeit kümmert. Man trifft aber immer wieder auf Unverständnis: Was haben die da unten bloß gemacht?
Viele Fragen sind noch offen, insbesondere bezüglich der Neubewertung des Tritiums. Das Labyrinth voller Rätsel, was sich unter Tage abspielt, wird immer größer. Die Landesregierung kann hier einen ganz wesentlichen Beitrag zur Aufklärung und Aufhellung leisten.
Eine der allerersten großen Taten des neuen Wirtschaftsministers - er ist ja noch Minister in spe; erst in wenigen Minuten wird er vereidigt - könnte sein, dass er die sogenannten Geheimakten aus dem Wirtschaftsministerium freigibt, zu denen uns im Umweltausschuss erklärt worden ist: Auch in diesen Akten werden wieder neue Erkenntnisse stehen.
Hier bitte ich, wirklich mit der nötigen Ernsthaftigkeit heranzugehen, Herr Rösler. Sie können für wesentlich mehr Transparenz in dieser unendlich langen Geschichte sorgen, die uns noch viele Jahre beschäftigen wird.