Protokoll der Sitzung vom 27.03.2009

Wenn man auf dem einen Auge blind ist, dann ist völlig klar, dass man auch die andere Seite nicht vernünftig bekämpfen kann.

Bei Ihnen bin ich ohnehin einer etwas anderen Meinung, aber die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen möchte ich wirklich darum bitten, hier mit uns zusammenzustehen und in keiner Weise den einen oder anderen Extremismus zu verharmlosen. Das ist mit uns nicht zu machen und wäre ein völlig falsches Signal. Sie sollten einmal überlegen, ob Sie nicht noch einmal nach vorne kommen und eine neue Rede halten.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Wir sind damit am Ende der Beratung.

Wir kommen nun zur Abstimmung. Wer der Beschlussempfehlung des Ausschusses zustimmen und damit den Antrag der Fraktion der SPD in der Drs. 16/624 in geänderter Fassung annehmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Spricht sich jemand dagegen aus? - Enthält sich jemand? - Das Erste war die Mehrheit. Damit ist der Beschlussempfehlung des Ausschusses gefolgt worden.

Bevor wir den Tagesordnungspunkt 31 behandeln, möchte ich darauf hinweisen, dass - nach Verständigung der Fraktionen - über den Tagesordnungspunkt 37 ohne Aussprache abgestimmt wird. - Dies zum Vormerken.

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 31 auf:

Erste Beratung: Die Sonderrechte der Atomindustrie schaden Niedersachsen! Subventionen abschaffen - Verursacherprinzip anwenden - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 16/1036

(Unruhe)

- Sofern Ruhe eingekehrt ist, wird Herr Wenzel diesen Antrag einbringen. Herr Wenzel, ich bitte Sie noch eine kurze Weile um Geduld. Einen kleinen Moment, bitte! - Bitte verlassen Sie den Saal, wenn Sie Ihre Gespräche fortsetzen wollen! Ansonsten nehmen Sie bitte die Plätze ein! - Danke schön.

Herr Wenzel, ich erteile Ihnen das Wort.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! In der nächsten Woche, am Dienstag, jährt sich zum 30. Mal der Tag, an dem der Gorleben-Treck mit 150 000 Demonstranten Hannover erreicht und hier gegen ein Atommüllendlager in Gorleben demonstriert hat.

(Zustimmung von Miriam Staudte [GRÜNE])

Morgen, am Samstag, jährt sich zum 30. Mal der Tag, an dem es im Atomkraftwerk Three Mile Island in den Vereinigten Staaten zu einer Kernschmelze kam - ein Ereignis, das angeblich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen war.

50 Jahre nach dem Beginn der Atomstromproduktion scheitert die Endlagerung von schwach radioaktivem Müll auf der 750-m-Sohle der Schachtanlage Asse, meine Damen und Herren.

(Einige Abgeordnete unterhalten sich stehend)

Herr Wenzel, einen kleinen Moment, bitte! - Verehrte Kollegen hier vorne, das geht so nicht!

Bis heute, meine Damen und Herren, wird die Atomindustrie in einem Ausmaß staatlich subventioniert, wie es das bei keiner anderen Technologie gibt. Kein anderes Unternehmen in Niedersachsen hat eine solch lächerlich geringe Haftpflicht zu zahlen wie die Betreiber der niedersächsischen Atomkraftwerke in Lingen, Grohnde und Esenshamm. Jedes Auto, das hier in Hannover auf unseren Straßen fährt, ist deutlich, um ein Vielfaches besser versichert als diese Atomkraftwerke. Kein anderes Unternehmen, das mögliche Schäden nur zu einem Tausendstel versichert, würde eine Betriebserlaubnis oder eine sonstige Zulassung bekommen.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

Diese skandalöse Subventionierung einer hoch gefährlichen Alttechnologie muss endlich abgeschafft werden!

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

Diese Technologie tötet nicht nur bei einem Unfall und vernichtet Heimat von sehr vielen Menschen. Diese Technologie tötet auch im Alltagsbetrieb. Herr Großmann und Herr Bernotat von RWE und E.ON tragen direkt Verantwortung für die Leukämieerkrankungen von Kindern im 5-km-Umkreis von Atomkraftwerken.

(Christian Dürr [FDP]: Das ist wirklich das Letzte! Wider besseres Wissen, Herr Wenzel!)

Ich zitiere von der Website des Bundesamts für Strahlenschutz, Herr Dürr. Zitat:

„Je näher Kinder unter fünf Jahren an einem Atomkraftwerk wohnen, desto höher ist ihr Risiko, an Leukämie zu erkranken.“

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN sowie Zustimmung bei der SPD - Zuruf von Christian Dürr [FDP])

Die Atomindustrie, Herr Dürr, hat es immer wieder verstanden, viele weitere staatliche Subventionen in Anspruch zu nehmen. Die illegale Billiglagerung in der Asse wurde als Forschung deklariert. Über den Hafen Emden wurde auch Müll im Meer versenkt. Immer haben sich Herr Großmann, Herr Bernotat und alle ihre Vorgänger um Verantwortung gedrückt.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN - Zustimmung bei der SPD - Zuruf von Christian Dürr [FDP])

Das Geschäftsgebaren dieser Herren, Herr Dürr, erinnert in fataler Weise an die verantwortungslosen Pleitebanker von der Hypo Real Estate oder der AIG oder anderen, die jede staatliche Subvention mitnehmen, ihren Laden auf Kosten der öffentlichen Hand gegen die Wand fahren und dann auch noch persönliche Boni abkassieren.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN sowie Zustimmung bei der SPD)

Das Geschäftsmodell der großen Atomkonzerne ist genauso angelegt: Bei gutem Wetter werden Milliardengewinne eingefahren.

(Zuruf von Christian Dürr [FDP])

Herr Wenzel, ich möchte jetzt den Kollegen Dürr kurz ansprechen. - Herr Dürr, Sie haben gleich die

Möglichkeit, Ihre Redezeit zu nutzen. Ich bitte Sie um etwas mehr Ruhe. - Bitte, Herr Wenzel!

Vielen Dank. - Bei schlechtem Wetter wird die Rechnung an den Staat durchgereicht. Wir haben zum 31. Dezember 2006 bei den vier großen Konzernen 27,4 Milliarden Euro steuerfreie Rückstellungen. Diese Gelder wurden aber nicht für nukleare Altlasten verwendet, sondern als Steuersparmodell in der Bilanz geführt. Sie sind auch nicht konkurssicher angelegt. Wohin das führen kann, sieht man bei der Firma Enron und vielen anderen Konzernen in diesen Tagen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Deshalb gehören diese Gelder in einen öffentlichrechtlichen Atommüllfonds, der aus Gebühren, Abgaben und einer Brennstoffsteuer gespeist wird.

Niedersachsen hat diese Fehlentwicklung Jahr für Jahr und bis heute teuer mitbezahlt. Das Land und seine Kommunen haben in den letzten Jahren allein auf ca. 720 Millionen Euro Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer verzichtet. Wir werden heute der in Hannover ansässigen E.ON Kernkraft eine Rechnung über eine Summe von 360 Millionen Euro zustellen. Das ist die Steuerermäßigung, die E.ON Kernkraft in Anspruch genommen hat, die sie aber ganz offensichtlich nicht einsetzt, um z. B. nukleare Altlasten wie in der Asse zu beseitigen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN sowie Zustimmung bei der SPD)

Wir haben in einem Brief ganz deutlich gemacht, dass wir erwarten, dass diese Steuerersparnis wieder an die Landeskasse abgeführt wird. Diesen Brief werden wir heute zustellen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN sowie Zustimmung bei der SPD)

Niedersachsen muss sich dafür einsetzen, dass die Verantwortlichen für ihren Müll endlich zur Kasse gebeten werden.

Auch Gorleben ist im Kern ein profitables steuerliches Abschreibungsobjekt für die Konzerne. Solange die Endlagersuche blockiert ist, kassieren die Konzerne die steuerfreien Rückstellungen, müssen diese aber nie in Anspruch nehmen, genauso wie es im Falle Asse jetzt wieder praktiziert wird. Selbst dort, wo Kosten anfallen, sagt man,

man sei nicht zuständig, und sorgt durch Lobbyarbeit noch dafür, dass hinterher Ausnahmen im Gesetz eingebaut werden. Deshalb, meine Damen und Herren, brauchen wir endlich ein ergebnisoffenes Suchverfahren in allen geologischen Formationen in Deutschland, um den besten Ort für radioaktive Altlasten und radioaktiven Müll zu finden. Auch bei den Kosten des Suchverfahrens müssen die Konzerne auf Heller und Pfennig mit dem öffentlich-rechtlichen Atommüllfonds herangezogen werden.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN sowie Zustimmung bei der SPD)

Ich erwarte ausdrücklich, dass sich der Regierungschef, Herr Ministerpräsident Wulff, persönlich um diese Frage kümmert. Das ist keine Sache, die man Herrn Sander im Umweltministerium überlassen sollte. Hier muss der Regierungschef ran. Gerade angesichts der gigantischen Haushaltslasten, die in den nächsten Monaten auf uns zukommen - es ist zu befürchten, dass in unserem Haushalt tatsächlich ein Loch von 3 Milliarden auftritt, wie es vom Bund der Steuerzahler an die Wand gemalt wurde -, erwarte ich, dass in diesem Landtag bei dieser Frage wirklich alle an einem Strang ziehen, dass die Verursacher zur Kasse gebeten werden und dass dafür gesorgt wird, dass steuerrechtlich Gerechtigkeit geübt wird und Subventionen abgeschafft werden, für die es nach 50 Jahren Atomstromproduktion wirklich keinerlei Rechtfertigung mehr gibt.

(Lebhafter Beifall bei den GRÜNEN und Beifall bei der LINKEN sowie Zu- stimmung bei der SPD)

Der nächste Redner ist Herr Bäumer für die CDUFraktion. Ich erteile ihm das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Viererbande, so hieß eine Gruppe linksradikaler Führungskräfte der Kommunistischen Partei Chinas. „Vier gegen Willi“, so hieß eine TVSchau mit dem Komiker Mike Krüger. „Vier schräge Vögel“ war der Titel einer US-amerikanischen Krimiserie. Warum erzähle ich Ihnen das? - Der uns vorliegende Antrag von Bündnis 90/Die Grünen hat auch eine ganze Menge mit der Zahl vier

zu tun. Wenn wir heute Abend nach Hause fahren, gibt es noch exakt vier Plenarwochen, die uns von der Bundestagswahl im September 2009 trennen. Man muss kein Prophet sein, um zu wissen, dass uns die Fraktion der Grünen hier im Landtag bis zu dieser Wahl in jedem Plenum einen Antrag zur Kernenergie präsentieren wird. Ich habe in diesem Zusammenhang eine herzliche Bitte: Wenn Ihnen das Thema wichtig ist, dann schreiben Sie bitte gute Anträge.

(Zustimmung von Jörg Bode [FDP])