Protokoll der Sitzung vom 27.03.2009

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bekämpfung des Rechtsextremismus ist ein zentrales Anliegen aller demokratischen Fraktionen in diesem Haus sowie der jetzigen, aber auch der vorherigen Landesregierung. Wir stehen hier in der Kontinuität und in der Gemeinsamkeit der Demokraten. Das sollten wir bei allen Unterschieden in Einzelfragen auch immer wieder deutlich machen. Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Nationalsozialismus oder gar die Leugnung des Holocaust dürfen bei uns keinen Platz finden. Sie sind in keiner Weise mit unserer demokratischen politischen Kultur zu vereinbaren.

In unseren Städten und Gemeinden setzen sich die Bürgerinnen und Bürger in engagierter und

couragierter Weise gegen rechtsextremistische Aufmärsche zur Wehr.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Das zeigt: Die Bundesrepublik Deutschland ist auch in ihrem 60. Jahr eine stabile Demokratie, die von den Menschen getragen wird. Wahr ist aber auch: Die freiheitliche Gesellschaft ist immer wieder Gefährdungen durch ihre Feinde ausgesetzt. Sie kommen von rechts, von links und aus dem religiösen Fundamentalismus.

(Unruhe)

Herr Minister, ich möchte Sie kurz unterbrechen. - Heute entstehen häufig Situationen, in denen man nicht unterscheiden kann, ob die Mehrzahl der hier Anwesenden sitzt oder steht. Ich bitte Sie, die Plätze einzunehmen, wenn Sie der Diskussion folgen wollen, und sich ansonsten draußen aufzuhalten. - Herr Minister, bitte!

Diesem Extremismus müssen wir entschieden entgegentreten. Das ist nicht nur die Aufgabe eines Ministeriums und auch nicht nur eines einzigen Politikbereichs, sondern die Aufgabe von uns allen, denen die Bundesrepublik Deutschland und ihre freiheitliche Gesellschaft am Herzen liegen.

Vor 60 Jahren wurde das Grundgesetz formuliert - vor dem Hintergrund der geschichtlichen Erfahrungen in der Weimarer Republik und mit dem menschenverachtenden Nationalsozialismus. Zudem erlebten die Mütter und Väter des Grundgesetzes, wie im anderen Teil Deutschlands eine kommunistische Diktatur errichtet wurde. Damals entschied man sich für eine wehrhafte Demokratie. Dazu gehörte ein wirksamer Verfassungsschutz.

Der Schutz der Verfassung ist aber nicht nur Aufgabe einer Behörde, die Verfassungsfeinde beobachtet, nicht nur Aufgabe des Staatsschutzes bei der Polizei. Der beste Verfassungsschutz ist vor allem der lebendige Verfassungspatriotismus der Bürgerinnen und Bürger. Ich sehe unsere Aufgabe vor allem auch darin, auf allen Feldern der Politik diesen Verfassungspatriotismus zu fördern und zu stärken. Das Ganze ist also nicht nur eine zentrale Aufgabe der Innenpolitik, sondern auch, wie hier richtigerweise gesagt worden ist, der Bildungs- und Sozialpolitik sowie der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik.

In den Ausschussberatungen ist hinreichend deutlich geworden, dass die Landesregierung in umfangreicher Weise Maßnahmen gegen den Rechtsextremismus ergriffen hat und auch auf dem aufbaut, was vorherige Regierungen begonnen haben. Hier nenne ich die ausgezeichnete Arbeit der Polizei sowie die vielfältigen Maßnahmen in der Jugendarbeit. Wir werden die Unterstützung lokaler Projekte gegen Rechtsextremismus weiter verstärken - in enger Kooperation mit der Arbeitsstelle Rechtsextremismus und Gewalt.

Ich nenne auch die beispielhafte Präventionsarbeit des Verfassungsschutzes - oft in enger Zusammenarbeit mit MK und MWK. Wir werden auf diesem Weg weitergehen und unsere Präventionsarbeit weiter ausbauen; denn die Information und Aufklärung in Schulen, Vereinen und Gesellschaft ist von größter Bedeutung.

Das gilt auch für die Beobachtung der Rechtsextremen. Auch hier werden wir uns nicht schwächen, z. B. durch einen nicht verantwortbaren Abzug von V-Leuten, sondern sogar noch verstärken. Der Verfassungsschutz muss als Frühwarnsystem der wehrhaften Demokratie auch weiterhin möglichst lückenlose Gefahrenanalysen liefern. Der niedersächsische Verfassungsschutz leistet auch in dieser Hinsicht hervorragende Arbeit.

Die Studie von Prof. Pfeiffer ist schon angesprochen worden. Teilweise ist sie in die Kritik geraten. Es kommt aber nicht darauf an, ob nun 1, 2 oder 3 % der Jugendlichen in den 9. Klassen in irgendeiner Weise in Kameradschaften sind. Für uns ist wichtig, dass wir jegliche Bestrebungen in dieser Hinsicht bekämpfen müssen.

Das müssen wir durch das Instrument erreichen, das wir auf den Weg gebracht haben, nämlich durch Multiplikatorenschulung der Lehrerinnen und Lehrer. Wir dürfen die Schulen und die Lehrer hier nicht alleinlassen, sondern müssen sie unterstützen. Deshalb ist es uns wichtig, dass wir diese Multiplikatorenschulung fortsetzen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Unser Ziel ist nicht nur, über den Extremismus - egal aus welcher Richtung - aufzuklären und zu informieren. Wir wollen unsere Demokratie stärken. Das bedeutet, die Eltern, die Lehrerinnen und Lehrer, die Bildungseinrichtungen, die Kommunen, die Initiativen, die Vereine, die Verbände und auch die Medien in ihren vielfältigen Anstrengungen zu unterstützen und den Wert von Freiheit und Demo

kratie immer wieder neu bewusst und erlebbar zu machen.

Diese Aufgabe stellt sich uns allen. Deshalb wäre ich Ihnen dankbar, wenn wir bei allem Streit, den wir in der Politik immer wieder haben, gerade in dieser zentralen Frage der Bekämpfung des Extremismus - sowohl von rechts als auch von links - ein geschlossenes Signal setzten.

Natürlich kann man über die Frage nachdenken, ob wir noch die eine oder andere zusätzliche Initiative ergreifen sollten. Die Zielrichtung eint uns aber doch auf jeden Fall. Deshalb hätte auch ich es begrüßt, wenn es möglich gewesen wäre, dass wir hier eine gemeinsame Entschließung verabschieden. Meines Erachtens wird durch unsere heutige Debatte aber auch nach außen deutlich, dass die demokratischen Kräfte dieses Parlaments in dieser Frage zusammenstehen. Das ist wichtig. Dafür bedanke ich mich.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Frau Leuschner, Sie bitten um zusätzliche Redezeit. Herr Minister hat etwas überzogen. Ich gestatte Ihnen nach § 71 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung 1:30 Minuten. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister, wir erkennen durchaus an, was die Landesregierung macht und welche Projekte sie fortführt. Es geht aber um eine Bündelung und Koordinierung, und das ist ein größerer Ansatz.

Sie haben eben zu Recht darauf hingewiesen, dass wir Multiplikatoren auf allen Ebenen, die diese Gedanken weiter fortsetzen, benötigen. In diesem Zusammenhang nur eine rhetorische Frage - Sie brauchen mir nicht darauf zu antworten -: Warum haben Sie die Landeszentrale für politische Bildung abgeschafft, die dieses Instrument gewesen ist und die das erfolgreich gemacht hat?

(Lebhafter Beifall bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Herr Minister, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, das haben Sie hier schon zum

fünften Mal gefragt, und ich habe schon fünfmal darauf geantwortet. Dies will ich auch jetzt wieder tun: Wir wollen nicht in Verwaltung investieren.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Schauen Sie sich einmal an, was nach der Abschaffung der Landeszentrale für politische Bildung an zusätzlichen Initiativen auf den Weg gebracht worden ist! Wir haben zwar die Verwaltung reduziert, aber in Maßnahmen sehr viel mehr investiert. Das ist für uns wichtiger. Wir haben die Landesverwaltung immer danach ausgerichtet, dass sie schlanker wird. Die Maßnahmen, die anschließend umgesetzt worden sind, haben wir aber erheblich verstärkt. Deshalb kann ich Ihnen nur noch einmal sagen: Die Landeszentrale für politische Bildung hat ihre Arbeit zwar durchaus gemacht. Aber wir haben das Geld, das in der Verwaltung war, jetzt in Projekte gesteckt. Das ist gut angelegtes Geld!

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hätte gerne zusätzliche Redezeit. Eine Minute ist angemessen. Bitte schön, Herr Limburg!

Vielen Dank, Herr Präsident. - Der Minister hat, einer alten Tradition folgend, wieder einmal angesprochen, dass wir Links- und Rechtsextremismus gleichermaßen bekämpfen müssen.

(Zustimmung bei der FDP - David McAllister [CDU]: Richtig!)

In der Ablehnung von Formationen wie z. B. der MLPD sind wir alle einer Meinung; das ist völlig klar. Aber ich möchte einmal darauf hinweisen, was die reale Bedrohungslage für unsere Demokratie und für unsere freiheitliche Gesellschaft im Jahr 2009 ist.

(Zustimmung von Dr. Manfred Sohn [LINKE])

Schauen Sie sich einmal die Zahlen der politisch motivierten Morde an, die verübt worden sind! Da werden Sie vom Anfang der 90er-Jahre ein paar Mörder aus dem Bereich der RAF finden. Aber danach, seit 2000, werden die Morde in diesem Land von braunen Horden begangen.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN - Klaus Ri- ckert [FDP]: Das ist unerhört! - Weite- re Zurufe - Unruhe)

Ich verharmlose das nicht. Natürlich sind das schlimme Morde. Aber das liegt über zehn Jahre zurück. Es geht um die Bedrohung im Jahr 2009, nicht im Jahr 1992.

Schauen Sie sich die Zahl der schweren Körperverletzungen an! Schauen Sie sich die Zahl der Waffenfunde an! Wo werden denn die Waffen gefunden? - Bei rechtsextremen Kameradschaften und bei Neonazis, auch hier in Niedersachsen. Darum kommt die Bedrohungslage im Jahr 2009 ganz eindeutig vom Rechtsextremismus und nicht vom Linksextremismus.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Der Herr Minister möchte darauf antworten. Bitte!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe eben in meiner Rede extra darauf hingewiesen, dass wir Demokraten im Kampf gegen den Extremismus vereint sein sollten. Aber das, was ich gerade gehört habe, stimmt mich wirklich nachdenklich.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Es geht um die Verfassung. Es geht auch darum, dass wir eine wehrhafte Demokratie sind. Eine Klassifizierung, ob jemand vom Rechtsextremismus, vom Linksextremismus oder vielleicht sogar vom islamistischen Extremismus kommt - alles bedroht mehr oder weniger unsere Verfassung -, dürfen wir in keiner Weise zulassen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Vielmehr muss jegliche Bestrebung, unsere Verfassung in irgendeiner Weise zu gefährden, mit aller Entschiedenheit bekämpft werden. Wir haben den Verfassungsschutz genau so ausgerichtet.

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Sie wol- len die Linken doch nur mit Nazis gleichsetzen!)

- Ich will überhaupt keine Klassifizierung vornehmen. Dazu werden Sie mich auch nicht drängen, Frau Flauger, weil das falsch wäre.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Wenn man auf dem einen Auge blind ist, dann ist völlig klar, dass man auch die andere Seite nicht vernünftig bekämpfen kann.