Protokoll der Sitzung vom 12.05.2009

Deshalb gehören Steuersenkungen nach meiner Auffassung nicht in diese Zeit. Schauen Sie sich die Kommentare der Zeitungen an. Lesen Sie einmal nach, wie Herr Knebel heute in der HAZ die 180-Grad-Wendung von Frau Merkel bewertet. Und Herr Wulff geht klasse hinterher und klatscht zu dieser Geschichte ordentlich Beifall.

Ich sage Ihnen: Steuersenkungen? Mit uns nicht!

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Damit komme ich zum zweiten Thema, dem Neuverschuldungsverbot. Dabei handelt es sich auch um eine heiße Sache. Welche Kompetenzen hat dieser Landtag in Zukunft noch, wenn der Bundestag ein Neuverschuldungsverbot in die Verfassung aufnimmt? Das möchte ich gerne einmal von Ihnen wissen. Ein solches Konzept schließt eine flexible Haushaltsführung aus. Wie soll beispielsweise ein Großprojekt der Infrastrukturgestaltung - nehmen Sie nur den JadeWeserPort - ab 2020 gebaut werden? In einem 30-Jahres-Bauprogramm? Oder wie stellen Sie sich das vor? Wir brauchen eine Steuerung der Schulden, aber doch kein Neuverschuldungsverbot, mit dem sich die Politik handlungsunfähig macht. Das ist wirklich falsch, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD - Dr. Bernd Althusmann [CDU]: Sie sind ja ein ausgewiesener Fachmann auf diesem Gebiet!)

Herr Wulff, die skurrilste Vorstellung kommt von Ihnen. Ich zitiere aus der Sitzung des Bundesrates vom 3. April 2009:

„Das Schuldenmachen … ist ethisch fragwürdig und letztlich unmoralisch …“

Ich empfehle Ihnen, einmal ein Semester Volkswirtschaft zu belegen. Dort würden Sie lernen, dass eine Gesellschaft ohne Einsatz von Fremdkapital in eine Naturalwirtschaft zurückfällt. Das können Sie doch nicht wollen, meine Damen und Herren.

(Zuruf von Dr. Manfred Sohn [LINKE])

Deshalb sage ich Ihnen: Über eine Verschuldungsgrenze können wir reden, aber nicht über ein Neuverschuldungsverbot und über Steuersenkungen. Klare Kante!

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD - Ulf Thiele [CDU]: Herr Jüttner, das war jetzt ganz dicht an Herrn Dr. Sohn!)

Bevor ich Herrn Klein aufrufe, teile ich Ihnen zur Information die verbleibenden Redezeiten mit: Die SPD hat für den letzten Tagesordnungspunkt noch 3:44 Minuten. Für die letzten beiden Punkte haben die CDU noch 10:19 Minuten, die FDP 7:23 Minuten, die Grünen 5:53 Minuten und die Linken 9:33 Minuten.

Nun gebe ich Herrn Klein zum Tagesordnungspunkt 1 d das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unsere Altvorderen hatten so ihre speziellen Wahrheiten: Auf eine Sonnenfinsternis folgt der Weltuntergang. Alle rothaarigen Frauen sind Hexen. Die Erde ist eine Scheibe. Die Sonne dreht sich um die Erde.

In dieser Form gibt es auch neuere Weisheiten. Sie lauten z. B.: Die Rente ist sicher.

(Dr. Bernd Althusmann [CDU]: Die Grünen sind grün!)

Man kann aus der Portokasse blühende Landschaften in Ostdeutschland schaffen. Oder - ganz neuer Art -: Die Pleite von Lehman Brothers hat nichts mit dem Landeshaushalt zu tun. - Diese Liste kann man jetzt um einen Punkt fortsetzen: Unsere Bundeskanzlerin ist der Auffassung, sie beherrsche nun die Quadratur des Kreises. Das heißt, sie kann die Staatsschulden senken, die Innovationsinvestitionen für den Weg aus der Krise steigern und gleichzeitig noch die Steuern senken. Das ist einfach unglaublich! Einen solchen Realitätsverlust kannten wir bisher ausschließlich von der FDP.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Man muss solche Dummheiten wohl nur oft genug wiederholen und sich noch Rückendeckung aus Bayern holen, dann ist es ohne Weiteres möglich, dass sich auch die Kanzlerin von Herrn Westerwelle am Nasenring durch die Manege ziehen lässt. Während auf den Rängen einige CDU-Unterhäuptlinge davor warnen und sagen: „Wir wollen lieber bei der Wahrheit bleiben“, marschiert unser Ministerpräsident treu und brav hinterher. Dabei hat es nicht einmal etwas genutzt: Nun ist doch Herr Koch wirtschaftspolitischer Sprecher geworden.

Der Wirtschaftsflügel der CDU singt das „Lied vom Tod“ über die Erbschaftsteuer und den Solidarfonds. Die Finanzsprecher der Landtagsfraktionen - ich weiß nicht, ob Sie diesmal dabei waren, Herr Althusmann - fordern einen Hebesatzaufschlag auf die Körperschaft- und Einkommensteuer. Wenn es nach der Kategorie unseres Ministerpräsidenten geht, haben Sie sich damit als Vollpfosten identifiziert.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Eines macht diese Zirkusvorstellung aber deutlich: Sie klärt über einen weiteren sehr weit verbreiteten historischen Irrtum auf. Es hatte sich nämlich herumgesprochen, dass die CDU angeblich eine Kompetenz in Sachen Wirtschaft und Finanzen hätte. Damit ist jetzt wohl wirklich Schluss.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Kommen wir zu Niedersachsen, meine Damen und Herren. Keine Angst, Herr Finanzminister, ich zähle jetzt nicht all die falschen Prognosen auf, die Sie im letzten halben Jahr von sich gegeben haben. Dazu reicht meine Zeit einfach nicht aus. Ich muss es symbolisch machen. Sie kennen das, nicht wahr?

(Der Redner hält ein Schriftstück hoch)

Das ist der Finanzstatus Niedersachsen, in dem Sie im letzten Sommer all Ihre Highlights und Versprechungen zusammengefasst haben. Ich kann nur sagen: Das hat sich inzwischen erledigt.

(Der Redner zerreißt das Schriftstück - Beifall bei den GRÜNEN)

Es nützt Ihnen nichts, wenn Sie jetzt das zentrale Projekt der Landesregierung, nämlich die Nettoneuverschuldung auf null zu drücken, auf das Jahr 2012 verschieben. Das ist sozusagen die nächste Fehlprognose. Wählen Sie einige Jahre später; dann können Sie anschließend behaupten, Sie hätten es geschafft, wenn Sie 2013 nicht abgewählt worden wären.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Für die Fraktion DIE LINKE ist Herr Dr. Sohn der nächste Redner. Bitte schön!

(Beifall bei der LINKEN)

Danke schön. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir alle haben heute Morgen zu dem Vortrag von Herrn Professor Hans-Peter Schneider applaudiert. Er hat darin angedeutet - an dieser Stelle haben nicht mehr alle applaudiert -, dass er sich auch einige Gedanken über die hier diskutierte Frage der sogenannten Schuldenbremse gemacht hat.

Ich möchte Ihnen wärmstens einen Aufsatz empfehlen, den Herr Professor Hans-Peter Schneider zu diesem Thema unter dem Titel „Die Haushaltswirtschaft der Länder - Verfassungsrechtliche Grenzen einer ‚Schuldenbremse’“ geschrieben hat. Er entwickelt darin den Gedanken, dass die Eigenständigkeit der Länder und insbesondere des Landesparlaments - also nicht nur der Regierung, Herr Wulff - namentlich im Wesentlichen an der tatsächlichen Haushaltshoheit der Länder einschließlich des Rechtes, Kredite aufzunehmen, hängt und dass sich jeder, der dieses Recht infrage stellt oder als Landesregierung per Bundesrat gar weggibt, an dieser Verfassung vergreift. Sie, Herr Wulff, vergreifen sich gegenwärtig mit diesem Projekt an der Niedersächsischen Verfassung und am Grundgesetz gleichzeitig.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Frage, die hier aufgeworfen wird, ist - vorhin hat ein Kollege der CDU-Fraktion dankenswerterweise unser Handbuch hochgehalten; dies zeigt, dass Sie es immerhin kennen -: Was wird aus dem Artikel 71 unserer Niedersächsischen Verfassung nach der Grundgesetzänderung, die Sie anstreben?

Ich möchte aus dem genannten Artikel von Herrn Professor Schneider - mit Ihrer Erlaubnis - etwas länger zitieren. Er befasst sich darin mit dem Artikel 109 des Grundgesetzes und führt aus - ich zitiere -:

„Er sollte verhindern, dass die Länder nicht - wie in der Weimarer Republik - zu Kostengängern des Bundes werden (oder umgekehrt) und dass sie insbesondere nicht - wie im Dritten Reich - vorwiegend auf Dotationen des Bundes angewiesen sind.“

Er führt dann fort:

„Auf der 3. Sitzung des Plenums am 9. September 1948 brachte der Abgeordnete Dr. Schwalber dieses Ziel auf folgende Kurzformel: ‚Ein Land, das kein Budgetrecht mehr hat, ist kein Staat, und einer Volksvertretung, der das Budgetrecht genommen wird, wird damit das Kernstück der Volksvertretung überhaupt genommen.’“

(Beifall bei der LINKEN)

„Dem fügte der Abgeordnete Dr. Binder auf der 7. Sitzung des Plenums am 21. Oktober 1948 hinzu: ‚Ein bundesstaatlicher Aufbau unserer Verfassung wäre praktisch hinfällig, wenn die Länder nicht ihre selbstverantwortliche Finanzwirtschaft haben würden’, gefolgt von Dr. Seebohm mit den Worten:“

- diese kennen Sie schon, wenn Sie heute Morgen gut aufgepasst haben; aber Repetitorien sind ja nützlich, wie man weiß -

„‚Wenn für einen föderalen Staat die Staatlichkeit der Länder Voraussetzung des Bundes bildet, dann ist die Bestimmung des Artikels 121 des Entwurfes,’“

- das ist der Entwurf des Grundgesetzes, der hinterher in den Artikel 109 gemündet hat -

„‚dass Bund und Länder eine gesonderte Finanzwirtschaft zu führen haben, von wesentlicher Bedeutung für die Verfassung’.“

Dieser wesentlichen Bedeutung, Herr Wulff, schlagen Sie diametral ins Gesicht.

(Zustimmung von Kreszentia Flauger [LINKE])

Ich möchte noch eine Ergänzung zu Herrn Professor Schneider machen, weil das aus seinem Zitat nämlich nicht hervorgeht und weil man meinen könnte, damals sei im Parlamentarischen Rat sozusagen eine SPD-Argumentation verbreitet worden. Den einen, Herrn Seebohm, kennen Sie schon aus dem Vortrag von heute Morgen. Er ist kein Parteigänger der SPD, sondern DP-Abgeordneter im Parlamentarischen Rat, der später zur CDU gegangen ist. Wer weiß, wo er mit diesen Positionen heute hingehören würde.

Auch Dr. Schwalber, den ich genannt habe, war kein Sozialdemokrat und kein Kommunist, sondern CDU-Vorsitzender des Ausschusses für Finanzfragen im Parlamentarischen Rat, also jemand, der Ahnung von dieser Materie hatte. Der ebenfalls bereits genannte Dr. Binder war Mitglied der CSU und war in dieser sogenannten HerrenchiemseeRunde einer der Väter nicht nur des Grundgesetzes, sondern des Entwurfs. All denen trampeln Sie auf der Traditionslinie herum. Sie trampeln auf der Verfassung und dem Grundgesetz herum, dessen 60-jähriges Bestehen wir heute Morgen gefeiert

haben. Das ist - Verzeihung! - mindestens ein bisschen doppelzüngig!