Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, es ist wichtig, den Antrag „Verpflichtung und Ansporn für die Zukunft“ eindeutig zu formulieren. Wir können ihn nicht so kraftlos handhaben. In dem Antrag müssen folgende Formulierungen zwingend bleiben: „Etablierung verbindlicher Zielvorgaben für die gleichberechtigte Teilhabe“, „Ausweitung der bewährten Quotierungsregelungen auf weitere gesellschaftliche Bereiche“ und „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“. Das ist für die SPD unerlässlich.
Der gesetzliche Mindestlohn ist dabei ein wichtiges Element für mehr Geschlechtergerechtigkeit. Wir beklagen gemeinsam immer wieder, dass Frauen schlechter entlohnt werden als Männer, und beklagen uns über die Altersarmut bei Frauen, lassen aber gerade in sozialen Berufen, in denen überwiegend Frauen arbeiten, Tür und Tor für die Möglichkeit offen, ohne einen den Lebensunterhalt sichernden Lohn arbeiten zu müssen. Wenn Frauen wenig Gehalt bekommen, ist leider die logische Folge, dass sie auch wenig Rente bekommen.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, die Situation in der deutschen Politik hat sich in den letzten Jahren zwar stark verändert, ist aber auch nach 60 Jahren noch meilenweit von tatsächlicher Gleich
berechtigung weg. Wenn Elisabeth Selbert dies erlebte, würde sie sich im wahrsten Sinne des Wortes schwarz ärgern und gelb vor Neid nach Norwegen schauen.
Wir haben gestern gehört, Niedersachsen ist stark; es hätte das Grundgesetz auch allein formulieren können. Zeigen wir, dass die Niedersachsen und Niedersächsinnen immer noch stark sind, und machen wir die Gleichberechtigung zur Wirklichkeit! Stimmen Sie unserem Antrag zu, dann hat Niedersachsen wieder einmal eine geschichtsträchtige Entscheidung für Deutschland getroffen, auf die es stolz sein kann!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „90 Jahre Frauenwahlrecht - Verpflichtung und Ansporn für die Zukunft“, so lautet der Titel des Antrags, der hier zur Abstimmung steht. Dies ist ein selbstverständliches Anliegen, und über Selbstverständlichkeiten brauchen wir nicht zu reden. Natürlich ist dies auch ein Anliegen, das alle frauenpolitischen Sprecherinnen und, wie ich hoffe, auch alle hier Anwesenden teilen. Trotzdem konnten wir uns auf keinen gemeinsamen Antrag verständigen. Die erste Beratung im Ausschuss ließ noch hoffen. Wir haben gut und genau hingeschaut, was in diesen Antrag hineingehört und was nicht. Dann wurden verschiedene Änderungsvorschläge ausgetauscht. Es war absehbar, dass wir keinen gemeinsamen Antrag hinbekommen. Ich erinnere nur kurz daran, warum nicht - Frau Groskurt hat es bereits angerissen -: Die SPD und wir Grünen wollten keinen Antrag mit Frau von der Leyen im Postulat, die CDU keinen mit all den Sozialdemokratinnen, wie ich gehört habe, wobei wir auch meines Erachtens an Elisabeth Selbert tatsächlich nicht vorbeikommen.
Gestern haben wir gehört, wie engagiert sie an der Erfolgsgeschichte des Grundgesetzes mitgearbeitet hat.
Mir ging es seit der ersten Beratung so, dass bei genauerer Betrachtung des Themas verschiedene Aspekte überhaupt noch nicht zur Sprache gekommen sind, die aber sehr wohl zum Thema gehören. Genau deswegen haben wir einen eigenen Änderungsvorschlag gemacht und konnten dem SPD-Antrag nicht folgen. Die hier vorliegende Beschlussempfehlung aber wird einer modernen Gleichstellungspolitik, wie wir sie wollen, nicht gerecht.
Für uns Grüne, die wir in unserer eigenen Geschichte von Anfang an die Quote als die offensichtlich wirksamste Möglichkeit, die Beteiligung von Frauen zu verbessern, installiert haben, ist dieser Antrag viel zu wenig präzise, zu seicht und zu leise. Herr Stratmann ist nun leider nicht mehr da. Quotierungen sind aber im Hinblick auf die Diskussion von heute Morgen eben doch mehr als Showeffekte.
Stichwort „Lohngleichheit“: Der Equal Pay Day ist noch keine acht Wochen her. An diesem Tag waren wir uns unisono einig. Aber die Formulierung „tatsächliche Maßnahmen zur Durchsetzung des Prinzips ‚gleicher Lohn für gleiche Arbeit’“ in den Antrag aufzunehmen, war des Guten dann schon wieder zu viel. Lohngleichheit für alle Gehaltsstufen ist jedoch sehr viel weitergehend. Wir brauchen letztendlich einen effektiven Schutz vor Lohndiskriminierung. Gleiche Gehälter für Männer und Frauen müssen zu einer Selbstverständlichkeit werden. Freiwillig bringt’s nicht.
Aktive Maßnahmen zur Gleichstellung von Männern und Frauen gerade im Hinblick auf Frauen in Führungspositionen sind in Deutschland überfällig, nicht nur was die gleiche Teilhabe anbelangt, sondern viele Studien haben auch mehr Umsatz und mehr Gewinn nachgewiesen. Moderne und erfolgreiche Unternehmen nutzen das Know-how und die Soft Skills von Frauen und profitieren davon. Die heutige Situation steht einer erfolgreichen Wirtschaftspolitik entgegen und ist in Krisenzeiten ein völlig falsches Signal. Frauen und ihre Qualifikationen werden in unserem Land in volkswirtschaftlicher Hinsicht dringend gebraucht.
Auch in der Politik haben wir einen Nachholbedarf. Weil meine Redezeit abläuft, sage ich nur, dass das französische Paritätsgesetz ein gutes Beispiel ist. Wer dort nicht zur Hälfte Frauen auf die Wahlliste setzt, zahlt Bußgeld.
Ich komme zum Schluss. - Letzter Satz: Nach nunmehr 90 Jahren Frauenwahlrecht geht im 21. Jahrhundert die glasklare Forderung um: die Hälfte der Macht den Frauen! Gleichstellung, wann, wenn nicht jetzt? Diese Frage ist für uns Ansporn genug. Fangen wir endlich an, konkrete Gleichstellungspolitik zu machen! Es geht um mehr, meine Damen und Herren von der CDU, als um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Gewinnen können die Frauen, die Kinder, die Wirtschaft, unser Sozialsystem und bestimmt auch die Männer.
Am 15. Mai 1908, sehr verehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren, also vor 100 Jahren und 363 Tagen, wurde das deutsche Vereins- und Versammlungsrecht dergestalt geändert, dass Frauen erstmals die Vereinsfreiheit für politische Organisationen erhielten. Dies war ohne Zweifel eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass zehn Jahre später das aktive und passive Wahlrecht für Frauen eingeführt werden konnte. Bereits 1879 veröffentlichte August Bebel das lesenswerte Buch
„Die Frau und der Sozialismus“, in dessen Vorwort zur 9. Auflage 1890 er feststellte - ich zitiere -:
„Die Frau ist in der neuen Gesellschaft sozial und ökonomisch vollkommen unabhängig, sie ist keinem Schein von Herrschaft und Ausbeutung mehr unterworfen, sie steht nunmehr dem Mann als Freie, Gleiche gegenüber, sie ist Herrin ihrer Geschicke.“
Im Ziel der tatsächlichen Gleichstellung sollten wir uns im Landtag über alle Fraktionen einig sein. Das Thema eignet sich auch im Jahre 2009 nicht für das Haschen nach Wählerinnengruppen. Bereits die energische Vorkämpferin für Frauenrechte Marie Elisabeth Lüders, Mitglied des Deutschen Reichstages ab 1919 und Alterspräsidentin des Deutschen Bundestages, dem sie von 1953 bis 1961 für die FDP angehörte, Ehrenvorsitzende der FDP, war sich sicher, dass die Motivation der SPD, sich für Frauenrechte einzusetzen
„keinesfalls auf liberaler Gesinnung beruhte, sondern vielmehr auf der Erwägung, nicht nur die Arbeiterinnen über die Gewerkschaften, sondern auch die Frauenbewegung für die politische Organisation mit ihrer damals allgemein vertretenen Parole vom Klassenkampf gewinnen zu können.“
Aber für die tatsächliche Gleichheit von Frauen und Männern ist im Sinne Bebels bereits viel erreicht worden. Für das Rollenverständnis beider Geschlechter bleibt jedoch noch viel zu tun. Immerhin beginnt die Wertschätzung der Kinder pflegenden Hausmänner sich zu verbessern. Hier hat die Familienministerin Ursula von der Leyen viel erreicht.
Die Tarifpartner und nicht der Staat haben die Hauptverantwortung bezüglich der tatsächlichen gleichwertigen Vergütung von Arbeit. Die Erkenntnisse über bestehende Ungleichheiten bei Arbeitseinkommen und ihre Ursachen müssen allerdings noch vertieft werden. Behauptungen helfen uns dort nicht weiter.
Die tatsächliche Gleichberechtigung von Frauen und Männern setzt einen gesellschaftlichen Wandel im weiblichen und im männlichen Rollenverständnis und die stärkere Wertschätzung und Integration weiblicher Potenziale in Wirtschaft und Gesellschaft sowie männlicher Lebensentwürfe mit Teilzeitarbeit und Familienphasen voraus.
- Letzter Satz. - Der Weg dorthin führt jedoch nicht über die starre Quote, wohl aber über den entschlossenen Abbau jeglicher Hindernisse und die Entwicklung des Bewusstseins bei Frauen und Männern.