Protokoll der Sitzung vom 14.05.2009

(Beifall bei der LINKEN)

Es liegt mir natürlich fern, die SPD zu verteidigen. Aber es muss natürlich auch ein bisschen dezent darauf hingewiesen werden - da Sie ja immer dieses Mantra mit der Verschuldung in der Zeit der SPD-Regierung bringen -, dass, wenn ich richtig informiert bin, die Regierung Albrecht einen Schuldenberg von 7 Milliarden DM übernommen und danach einen Schuldenberg von 42 Milliarden DM abgegeben hat. Das ist eine Versechsfachung des Schuldenbergs. Damit sind Sie in der Tradition Niedersächsischer Landesregierungen der Schul

denweltmeister und nicht etwa Nachfolgeregierungen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wäre Herr Wulff Demokrat, dann wäre der Weg zu einer anderen Schuldenregelung völlig klar. Er würde einen Antrag stellen, den Artikel 71 zu ändern, und würde versuchen, dafür eine Zweidrittelmehrheit des Hauses zu bekommen. Wenn das nicht klappt, würde er sagen: Schade, war nichts. - Dann würde der Artikel 71 unverändert weiter gelten. Das tut er aber nicht.

Herr Dr. Sohn, ich weiß nicht, ob ich Ihren Ausspruch richtig mitbekommen habe, weil ich ein bisschen abgelenkt war. Haben Sie gesagt „Wäre Herr Wulff Demokrat“?

Ja. Herr Wulff bescheinigt uns ja ständig, keine Demokraten zu sein.

(Dr. Bernd Althusmann [CDU]: Da hat er ja auch Recht!)

Also tit for tat. Das habe ich genauso formuliert.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Dr. Sohn, dafür muss ich Ihnen einen Ordnungsruf erteilen, weil ich nicht möchte, dass solche Sitten hier einreißen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Aber Herr Wulff tut das Gegenteil und möchte per Bundesratszustimmung diese De-facto-Außerkraftsetzung des Artikels 71 erreichen. Auch hier ist es so ähnlich wie eben. Bisher wurde uns immer vorgeworfen, wir seien die Zentralisten, die von oben herab irgendetwas unten außer Kraft setzen wollen. Tatsache aber ist: Sie sind die Zentralisten, die per Bundesratszustimmung zu einer Veränderung des Grundgesetzes unsere Niedersächsische Verfassung außer Kraft setzen wollen.

(Beifall bei der LINKEN)

Um mir einen Ordnungsruf zu ersparen, erspare ich mir die Qualifikation dieses skandalösen Vorgangs. Das wäre - wäre, ich sage es im Konjunktiv - dann der Verfassungsbruch Nummer zwei.

Damit ist die Serie dieses Serientäters oder angestrebten Serientäters aber noch nicht zu Ende. Sie könnten ja versuchen, dieses Außerkraftsetzen per Beschluss, mit der einfachen Mehrheit Ihrer ja 2008 etwas geschrumpften Mehrheit dieser entmündigten CDU- und FDP-Fraktionen, abzusegnen. Das tun Sie aber nicht, sondern Sie versuchen als Landesregierung - also noch nicht einmal mit dem Parlament, mit einfacher Parlamentsmehrheit - eine eigentlich eine Zweidrittelmehrheit erfordernde Verfassungsänderung durchzusetzen. Sie erklären das als Landesregierung.

Da gehört Ihnen ins Stammbuch geschrieben, dass das Haushaltsrecht das zentrale Parlaments- und nicht das Regierungsrecht ist. Genau das hat Herr Wulff heute Morgen hier gesagt: Das Entscheidende in der parlamentarischen Demokratie ist das Parlament. Diesem Satz schlägt Herr Wulff mit der geplanten Zustimmung zur Änderung des Artikels 109 diametral ins Gesicht. Auch hier erspare ich mir eine Qualifizierung dieses Vorgangs.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber auch damit ist die Serie der geplanten Verfassungsbrüche noch nicht zu Ende; denn die Niedersächsische Verfassung reiht sich ein und ordnet sich ein in unser Grundgesetz, in dem als eine unabänderliche Regelung das Sozialstaatsgebot festgeschrieben ist. Das ist damit höher priorisiert als haushaltstechnische Vorschriften. Diese Höherpriorisierung stellen Sie gerade auf den Kopf; denn es ist völlig klar: Würden Sie diese Verschuldungsgrenze Null für die Landesverfassung einführen, dann wäre das Gebot des Sozialstaates dieser harten Verschuldungsgrenze nicht mehr über-, sondern untergeordnet. Das würde unser Grundgesetz und unsere Niedersächsische Verfassung auf den Kopf stellen. Wir werden das nicht zulassen.

(Beifall bei der LINKEN)

Damit komme ich zum zweiten Punkt, bei dem ich mich kurz fasse, weil das Thema gestern und vorgestern im Grunde schon thematisiert worden ist. Wer sich in dieser Form an dem Sozialstaatsgebot vergreift, macht dann natürlich auch praktische Politik. Das wäre die schlimmste Konsequenz dessen, was hier geplant wird. Wir haben gestern über den öffentlichen Beschäftigungssektor debattiert mit zum Teil, wie ich finde, fast zynischen Argumentationen von CDU und FDP. Aber auch hier gilt natürlich: Das wird man in der jetzigen Krise mehr und nicht weniger brauchen, und das wird man

auch über Kredite finanzieren dürfen müssen. Und das genau wollen Sie verbieten.

Für die Übertragung zum Beispiel der Tarifabschlüsse im öffentlichen Dienst auf die Beamtenschaft gilt etwas Ähnliches. Wenn die Rücklagen beispielsweise für die 20-Euro-Aufstockung verbraucht würden, über die wir vorgestern diskutiert haben, dann könnte sich ein künftiger Finanzminister hinstellen und sagen: Ich würde das ja gerne übertragen, aber wegen der totalen Schuldenbremse darf ich es nicht. - Das würde Herrn Möllring außerordentlich gefallen, wie Sie jetzt alle gerade an seinem kräftigen Nicken sehen können. Auch das wollen wir im Gegensatz zu Ihnen tatsächlich nicht; denn das wäre sozusagen die Sozialstaatsbremse durch die kalte Küche.

Sie machen das deshalb - das kann eigentlich nur die einzige Begründung sein -, weil Sie tatsächlich nicht wissen, woher Sie sonst das Geld nehmen können. Wir haben in unserem Bundestagswahlprogramm, das ja bei den Bundestagswahlen im September eine gegenüber den letzten Bundestagswahlen verstärkte Zustimmung erfahren wird, über die Wiedereinführung der Vermögensteuer hinaus eine Reihe weiterer Vorschläge zur Finanzierung gemacht, die Sie alle ablehnen. Sie möchten lieber Verfassungsbruch begehen, als den Reichen in die Tasche zu greifen. Das ist der Kern dieses ganzen politischen Problems.

Schönen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, für die CDU-Fraktion hat sich Herr Dr. Althusmann gemeldet. Bitte!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! So wenig Realitätssinn für die wahre Lage der Bundesrepublik Deutschland ist schon erschreckend.

(Kurt Herzog [LINKE]: Bei den Linken oder bei wem?)

Eines haben weder Linke noch ganz Linke in unserem Land jemals begriffen: Was verteilt wird, muss in der Regel erst einmal hart erarbeitet werden.

(Beifall bei der CDU)

Das, was über Schulden verteilt wird, holt sich der Staat mit Sicherheit am Ende wieder zurück.

Meine Damen und Herren, wenn der Antrag der Linken gegen die Einführung einer Schuldenbremse im Grundgesetz eines beweist, dann ist es Ihre hemmungslose Unverantwortlichkeit mit der öffentlichen Gesamtverschuldung in der Bundesrepublik Deutschland.

(Zustimmung von Ulf Thiele [CDU])

Einfacher ausgedrückt: Es ist Ihnen schlichtweg gleichgültig, ob Sie Schulden für die Erfüllung Ihrer politischen Wünsche machen, ob im Sozialbereich oder bei der Arbeitsförderung. Linke versprechen in der Regel allen alles - ganz egal, wer es am Ende bezahlt.

(Zuruf von der LINKEN: Sie natürlich nicht! - Kreszentia Flauger [LINKE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

Herr Dr. Althusmann, erlauben Sie eine Zwischenfrage?

Jetzt nicht. - Genau wegen dieser Grundhaltung darf es niemals dazu kommen, dass linke Grundpositionen in Deutschland mehrheitsfähig werden.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, Sie lehnen eine Schuldenbremse ab, weil Sie sonst Ihre Wünsch-dirwas-Ausgabenpolitik nicht finanzieren könnten.

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Haben Sie eigentlich zugehört?)

- Ich habe sehr gut zugehört. - Stattdessen, Frau Flauger, bieten Sie uns zur Gegenfinanzierung alte Ladenhüter an wie eine reformierte Vermögensteuer. Sie erläutern, damit könne man mal eben 1 Milliarde Euro in den Landeshaushalt hineinspülen.

(Zustimmung von Dr. Manfred Sohn [LINKE])

Das ist Unsinn. Oder Sie fordern einen verbesserten Steuervollzug, der angeblich zu Mehreinnahmen von 600 Millionen Euro führen soll.

(Zustimmung von Kreszentia Flauger [LINKE])

Unsinn! Gleichzeitig behaupten Sie, man könne mal eben 300 Millionen Euro Steuermehreinnahmen durch eine Großerbensteuer erzielen. Danke schön, das ist blanker Unsinn! Am Ende kommen

Sie noch zu einer irrwitzigen Steuersenkungsbremse.

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Sie lei- den unter Realitätsverlust!)

Meine Damen und Herren, es bleibt ökonomische Wahrheit: Ausgabensteigerungen durch Steuererhöhungen sind nicht das Kennzeichen einer verantwortungsbewussten Finanzpolitik. Sie sind schon gar nicht Kennzeichen einer verantwortungsbewussten Finanzpolitik dieser Landesregierung.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Das ist nichts anderes als linke Steuerscharlatanerie. Wir haben es doch bereits hinter uns. Gerade die von Herrn Dr. Sohn in so mancher Lobeshymne gefeierten, inzwischen aber längst untergegangenen Systeme und Staaten hätten ihn doch eines Besseren belehren können. Der Glaube an den allumsorgenden Vollkaskomentalitätsstaat, der alle Wünsche finanziert, hat in den letzten Jahrzehnten gerade diese Staaten, denen Sie ja immer noch nachhängen, in die Verschuldung und damit letztendlich in den Untergang geführt.