Meine Damen und Herren, nächster Redner ist Herr Klein von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der Linken ist eine schöne Erklärung für das Phänomen, mit dem sich Parteienforscher im Moment vehement beschäftigen: Es ist Krise, und die Linke profitiert nicht. - Herr Sohn, mit solchen Anträgen wird Ihnen das wohl auch weiterhin nicht gelingen.
Sie präsentieren uns hier unter dem Titel „Untaugliche Schuldenbremse“ wieder ein Sammelsurium an Maßnahmen, mit dem Sie die Landesfinanzen retten wollen. Es ist einfach so: Mit der Entfernung zur Realität verliert ein solcher Antrag an Glaubwürdigkeit. Das ist einfach nicht zielführend. Jens Bisky von der Süddeutschen Zeitung nennt so etwas „politisch folgenlos“ oder „Ätsch-Marxismus“. Ich mag ihm da nicht widersprechen.
Zur Forderung der Linken, der Grundgesetzänderung für die Einführung der Verschuldensobergrenze nicht zuzustimmen: Die Grünen im Bundestag werden diese Grundgesetzänderung ablehnen.
Allerdings sind wir im Gegensatz zu der Linken der Auffassung, dass wir tatsächlich verbindliche Verschuldensregeln für Bund, Länder und Gemeinden brauchen. Gleichzeitig muss jedoch sichergestellt werden, dass eine solche Regel alle Ebenen politisch handlungsfähig hält.
Die grüne Schuldenbremse bindet die Ausgaben an die Einnahmen. Dies bedeutet aber nicht eine Entmündigung der Politik, wie von den Linken kolportiert, sondern vielmehr kann der Staat seinen
Handlungsspielraum dadurch erweitern, dass er seine Einnahmen steigert, etwa indem er umweltschädliche Subventionen abbaut, Ausnahmen von der Ökosteuer abschafft oder den Umweltverbrauch stärker besteuert.
Meine Damen und Herren, darüber hinaus müssen wir zu einem modernisierten Nettoinvestitionsbegriff kommen. Hier bleiben die Vorschläge der Großen Koalition ohne jede Idee. Auch die Frage der Altschuldenhilfe ist nicht ausreichend geklärt. Wir brauchen zunächst einen solidarischen Ausgleich zwischen den Gebietskörperschaften. Länder und Gemeinden, die überdurchschnittliche Zinslasten tragen, müssen für einen begrenzten Zeitraum eine finanzielle Entlastung erhalten. Die Forderung der Niedersächsischen Landesregierung nach einem absoluten Verschuldungsverbot ist natürlich ökonomischer Unsinn und politisch gefährlich. Dass Herr Wulff und Herr Rösler im gleichen Atemzug auch noch massive Steuersenkungen fordern, ist an Unseriosität kaum zu überbieten und zeigt, dass dieser Landesregierung Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit Fremdworte sind.
Die OECD kritisiert, dass von den Steuerentlastungen der vergangenen Jahre vor allem die Gutverdiener profitiert hätten. Da wird sehr deutlich, für wen die Steuersenkungsversprechungen der Union bestimmt sind. Herr Wulff marschiert vorneweg und zerstört die Reste an finanzpolitischer Seriosität, mit der sich diese Landesregierung so gern schmücken möchte. Aber genauso orientierungslos kommen auch die Linken daher. Mit ihrem Vorschlag der Steuersenkungsbremse bedienen sie doch lediglich die andere Seite der Medaille. Im Grunde genommen könnte man sagen: Das ist der CDU-Vorschlag, nur mit umgekehrten Vorzeichen. - Das ist aber genauso unflexibel und genauso wenig zielführend wie das, was CDU und FDP wollen.
Am Ende, Herr Sohn, haben Sie doch auch ein Riesenproblem mit Ihrem Antrag in Bezug auf Ihre Basis. Sie haben sicherlich von der Umfrage im ZDF gehört. Der Wunsch nach Steuersenkungen ist unterschiedlich ausgeprägt: Am größten ist der Wunsch nach Steuersenkungen bei den Anhängern der Linken. Am wenigsten wünschen sich dagegen die Anhänger der Grünen Steuersenkun
gen. Ich glaube, da haben Sie noch einiges an Überzeugungsarbeit zu leisten. Vielleicht lösen Sie erst einmal dieses Problem, bevor Sie uns mit solchen Anträgen belästigen.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Man muss sich schon wundern, dass in manchen Reden auf dem Recht bestanden wird, Schulden machen zu dürfen. Ich halte Schuldenmacherei - wenn es nicht unbedingt notwendig ist oder gar nicht anders geht - gegenüber der nachfolgenden Generation ethisch und moralisch für wenig vertretbar.
(Zustimmung bei der CDU - Ralf Brie- se [GRÜNE]: Das macht doch jedes Unternehmen, Herr Minister! Jedes Unternehmen macht Schulden!)
Wir haben vorgestern „60 Jahre Grundgesetz“ gefeiert. Das Land Niedersachsen ist 1946 gegründet worden. Viele von uns sind noch gar nicht 63 Jahre alt, aber wir zahlen heute noch Zinsen für Schulden, die vor unserer Geburt gemacht worden sind. Wieso es moralisch und sozial verträglich sein soll, wenn wir heute Schulden machen, die noch nicht geborene Kinder später zurückzahlen müssen, verstehe ich hinten und vorne nicht.
Herr Professor Schneider ist vorhin zitiert worden. Er hat hier vorgestern einen Festvortrag gehalten, der naturgemäß nicht diskutiert werden kann, schon gar nicht mit ihm. Er ist ja auch nach dem Festvortrag gegangen.
Meines Erachtens waren in seinem Vortrag mindestens zwei Fehler enthalten. Zum einen hat er nämlich zur Bundesversammlung gesagt, damals hätten die elf Landtage ihre Mitglieder dorthin entsandt. Aber das Saarland ist erst sehr viel später - nach der Verabschiedung des Grundgesetzes - als elftes Bundesland dazugekommen. Es kann also damals keine Mitglieder entsandt haben. Berlin
hatte den Viermächtestatus und durfte daher damals keine Mitglieder entsenden. Der Präsident der dortigen Versammlung war damals zwar Gast, aber er konnte nicht mitbestimmen. Das war der eine Fehler.
Der zweite Fehler ist, dass Professor Schneider übersehen hat, dass vor 1969 in der Verfassung, im Grundgesetz, und vor 1972 in der Vorläufigen Niedersächsischen Verfassung ein Schuldenverbot bestanden hat. In Artikel 54 - heute Artikel 71 - der Niedersächsischen Verfassung stand nämlich:
„Im Wege des Kredites dürfen Geldmittel nur bei außerordentlichem Bedarf und in der Regel nur für Ausgaben zu werbenden Zwecken und aufgrund eines Gesetzes beschafft werden.“
Das Gleiche war in Artikel 115 des Grundgesetzes geregelt. Die Niedersächsische Verfassung ist nach dem Grundgesetz entstanden und hat diese Regelung übernommen.
Das hatte zur Folge, dass bis 1970 der Gesamtstaat, die elf Bundesländer der Bundesrepublik Deutschland, alle Gemeinden und Landkreise, nur 125 Milliarden DM Schulden hatte. Das sind umgerechnet in etwa 63 Milliarden Euro. Erst als man die Schuldenbremse eingeführt hat - Herr Sohn hat eben darauf hingewiesen, sie aber falsch interpretiert hat - und in der Niedersächsischen Verfassung formuliert hat: „Kredite dürfen die für eigenfinanzierte Investitionen, Investitionsfördermaßnahmen und zur Umschuldung veranschlagten Ausgaben nicht überschreiten“, ging das Schuldenmachen richtig los, weil man den Investitionsbegriff - Herr Klein hat es richtig gesagt - nicht als Nettoinvestitionsbegriff interpretiert hat, sondern nur als Investitionsbegriff. Dann hat man auch noch „falsche“ Ausgaben darunter subsumiert. Es wäre ja noch hinnehmbar, wenn man es auf Infrastrukturmaßnahmen - Straßen, Kanäle, Häfen - bezogen hätte. Aber es sind auch Autos und Computer darunter gefasst worden. Die Autos, die seit 1972 unter diesen Artikel gefallen sind, sind also kreditfinanziert gewesen. Die Autos gibt es heute nicht mehr, aber die Schulden sind noch da. Mit Nachhaltigkeit hat das nichts zu tun. Deshalb muss dieser Artikel dringend geändert werden. Das bedeutet auch keine Entmachtung des Landtages. Bis 1972 durften solche Kredite ja gar nicht aufgenommen werden, weil ein Schuldenverbot galt.
Des Weiteren steht in unserer Verfassung, im Grundgesetz, dass Bundesrecht Landesrecht bricht. Es gilt auch, dass einfachrechtliche Regelungen des Bundes unsere Verfassung aushebeln können. Das kann man bedauern oder auch nicht - so ist eben die Rechtslage. Deshalb wäre es schön, wenn ein Schuldenverbot auf Bundesebene erreicht würde. Wir haben 63 Jahre lang, solange das Land Niedersachsen existiert, jedes Jahr neue Schulden gemacht. Mir kann niemand erzählen, dass die letzten 63 Jahre unsozial gewesen wären.
Ein letzter Punkt: Nach der Regelung in Artikel 71 dürften wir die Zahlung von Gehältern nicht mit Krediten finanzieren; denn Gehälter sind mit Sicherheit keine Investitionen und können deshalb als Begründung für die Aufnahme von Schulden nicht herhalten.
Der Antrag soll in den Ausschuss für Haushalt und Finanzen überwiesen werden. Wer so beschließen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Das ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir kommen jetzt zum letzten Tagesordnungspunkt für heute. Ich rufe Tagesordnungspunkt 44 auf:
Erste Beratung: Mobilfunk darf der Kultur nicht dazwischenfunken - Umfassende Prüfung der Auswirkungen einer Umverteilung des Frequenzbandes von 790 und 862 MHz erforderlich - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 16/1213 - Änderungsantrag der Fraktionen der CDU, der SPD, der FDP und der GRÜNEN - Drs. 16/1278
Zur Einbringung hat sich Frau Helmhold von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gemeldet. Bitte, Frau Helmhold!
nung - hinter diesem Wortungetüm verbirgt sich ein Problem, und zwar ein bislang kaum öffentlich kommuniziertes Riesenproblem für die bundesweit etwa 700 000 Nutzer von Funkmikrofonen. Funkmikrofone werden z. B. bei Musikveranstaltungen, in öffentlichen und privaten Theatern, bei öffentlichen Veranstaltungen, in Kirchen, bei Sportevents, Sportgroßereignissen, in Stadtteilen, in vielen kommunalen Einrichtungen, auf Freilichtbühnen, bei Kongressen und Messen benutzt - übrigens auch hier im Saal.
Nun stellen Sie sich einmal vor, Sie halten irgendwo eine schwungvolle Rede, und plötzlich gibt es massive Störungen. Nun könnte man einwenden, das sei in dem einen oder anderen Fall vielleicht nicht ganz so schlimm. Aber stellen wir uns einmal einen Musical- oder Theaterabend vor, bei dem Mikroportanlagen eingesetzt werden. Sie sitzen gemütlich im Theater und genießen die Kultur, und plötzlich muss die Aufführung aufgrund von massiven Störungen vielleicht sogar abgebrochen werden. Dazu reicht zukünftig ein eingeschaltetes Handy.
Was steckt dahinter? - Am 4. März 2009 hat die Bundesregierung die Frequenzbereichszuweisungsplanverordnung beschlossen. Dabei geht es um die Umnutzung von Funkfrequenzen im Spektrum von 790 bis 862 MHz. Durch die Digitalisierung des Rundfunks sind vermehrt Frequenzen frei geworden. Diese können von anderen Nutzern genutzt werden. Das ist die sogenannte digitale Dividende. Natürlich ist es sinnvoll, eine Änderung vorzunehmen und eine Umnutzung der frei werdenden Frequenzen zu ermöglichen. Diese sollen übrigens an Telekommunikationsunternehmungen versteigert werden. Auf den ersten Blick eine gute Idee, auch vor dem Hintergrund, dass man diese Frequenzen für schnelle Internetverbindungen im ländlichen Raum nutzen kann, was gerade für uns in Niedersachsen schon von Bedeutung ist.
Auf den zweiten Blick aber ist die Sache etwas problematischer, und zwar nicht nur am Rande, weil wir in der Funkübertragung beim Internet nicht unbedingt den Königsweg sehen - nicht zuletzt wegen der wachsenden Strahlenbelastung der Bürgerinnen und Bürger. Es gibt für uns sinnvollere Lösungen. Wir würden eine Kabellösung in jedem Fall vorziehen.
Auf den dritten Blick erschließt sich die Riesenproblematik. Denn die Frequenzen, die jetzt versteigert werden sollen, sind gar nicht frei. Sie haben sogenannte sekundäre Nutzer. Das sind unge
fähr 700 000 Nutzer von Funkmikrofonen, die auf diesen Frequenzen senden. Problematisch ist nun, dass bis jetzt überhaupt nicht geklärt ist, welche technischen Probleme sich zukünftig bei einer gleichzeitigen Nutzung derselben Frequenzen durch eine Breitbandanwendung für das Internet und durch Funkmikrofone ergeben. Nach Berichten aus den USA mussten dort sogar schon Konzerte abgebrochen werden, weil diese gemeinsame Nutzung eben nicht möglich ist.
Ein weiteres großes Problem betrifft die Abschätzung der finanziellen Folgen. Wer nämlich diese Veranstaltungen weiter mit Mikrofonen durchführen will - auf Ersatzfrequenzen -, der braucht ein anderes Equipment. Den Aufwand für die Umrüstung hätten die Nutzer und die Medienunternehmen zu tragen. Fachleute gehen davon aus, dass der Investitionsbedarf, den eine entsprechende Umrüstung bzw. eine Neuanschaffung mit sich bringen würde, allein für die mit Steuermitteln finanzierten Kultureinrichtungen 2 bis 3 Milliarden Euro beträgt. Wer soll das denn bezahlen?
Die Kultureinrichtungen haben das dafür nötige Geld nicht. In sehr vielen Fällen werden die Haushalte der Kommunen belastet werden. Aber auch unser Landeshaushalt wäre betroffen. Der Bundeswirtschaftsminister jedenfalls macht es sich hier etwas zu einfach, wenn er schmallippig darauf hinweist, dass für den Bundeshaushalt keine finanziellen Folgen entstehen.