Protokoll der Sitzung vom 16.06.2009

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am Freitag letzter Woche war ein guter Tag für alle Kinder und die späteren Generationen in unserem Land; denn letzten Freitag haben wir mit einer viel zu lange anhaltenden Tradition gebrochen, nämlich dass wir als Gesellschaft immer auf Kosten der kommenden Generationen und unserer Kinder leben. Damit ist jetzt im Wesentlichen Schluss! Denn wegen der Aufnahme der Schuldenbremse ins Grundgesetz werden Bund, Länder und Kommunen ab dem Jahr 2020 ihre Aufgaben nicht mehr länger auf Pump finanzieren, sondern man wird sie sofort bezahlen müssen. Das ist normalerweise eine Selbstverständlichkeit. Aber für die Bundesländer und den Bund ist das schon eine Revolution. Allein in Niedersachsen haben wir in den letzten 60 Jahren nicht einen einzigen Kredit, den wir aufgenommen haben, tatsächlich zurückgezahlt. Keine Regierung, kein Landtag hat dies geschafft. Die Verschuldung wurde jedes Jahr erhöht, immer mit dem Problem, dass kommende Generationen dann weniger Handlungsspielräume haben, als sie brauchen. Das ist ein unmoralisches Verhalten. Damit ist jetzt Schluss!

Herr Dr. Sohn, jeder hat natürlich etwas an dieser Reform auszusetzen, beispielsweise an den Regeln, die mit ins Grundgesetz aufgenommen worden sind, die sehr viel komplizierter sind, als sie eigentlich sein müssten. Dass die Länder keine Schulden aufnehmen dürfen und keine Einnahmesteuerung haben, der Bund hingegen eine minimale Möglichkeit und die komplette Einnahmesteuerung hat, ist nicht systemkonform.

Bei der Abwägung muss man immer fragen, ob bei diesen Fragen, die der Verstand aufwirft, nicht tatsächlich das Herz entscheiden muss; denn sonst werden wir in den nächsten Jahren nie wieder die Chance bekommen, tatsächlich ein Verschuldungsverbot aufzunehmen. Deshalb war es richtig - dies sagt jedem das Herz -, dass wir für die kommenden Generationen so entschieden haben.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Meine Damen und Herren, wir dürfen dies aber nur als einen Schritt verstehen. Die Föderalismuskommission II hatte nämlich eine wesentliche zentrale Aufgabe, parteiübergreifend im Einsetzungsbeschluss festgelegt. Das war die Aufgabe, die

Entflechtung der Finanzbeziehungen zwischen Bund, Ländern und Kommunen vorzunehmen sowie einen effektiven Föderalismus zu schaffen. Diese Aufgabe ist nicht nur nicht ausreichend, sie ist vom Ergebnis der Föderalismuskommission her betrachtet eigentlich gar nicht angegangen worden. Die Reform steht hier noch aus. Wir dürfen nicht sagen: „Das war es jetzt“, sondern wir müssen weiter hieran arbeiten; denn jede Durchmischung der Aufgabenwahrnehmung und der Finanzverantwortung führt zu bürokratischen Strukturen. Es werden Gelder für Verwaltung, für Abwicklung und für Kontrolle ausgegeben, die wesentlich besser bei den Menschen vor Ort, bei den Schulen, bei den Kindertagesstätten ankommen sollten.

Es ist ja nicht so, dass unsere Kommunen Förderprogramme für den Krippenausbau und für Investitionen in Schule deshalb brauchen, weil unsere Kommunalpolitiker vor Ort das nicht tun, sondern das Geld anderweitig ausgeben wollten. Vielmehr ist es so, dass die Mittel, die die Kommunen aufgrund unserer Finanzverfassung erhalten, für diese Aufgabe, die im Vergleich zum Bund ihre eigene, originäre und einzige Aufgabe ist, schlicht und ergreifend nicht ausreichen. Wir haben in der Vergangenheit nämlich erlebt, dass die gesellschaftliche Wertigkeit dieser Aufgabe auf der Ebene der Kommunen und der Länder wesentlich gestiegen ist, aber die finanzielle Wertigkeit in unseren Finanzausgleichen nicht angepasst worden ist.

(Dr. Manfred Sohn [LINKE]: Wo er recht hat, hat er recht!)

Man hätte beim Bund sozusagen eine Entflechtung vornehmen müssen und jeder Ebene die Finanzmittel geben müssen, die sie braucht. Diesen Schritt haben wir nicht geschafft. Das bedauern wir sehr. Wir müssen weiter gemeinsam daran arbeiten. Das ist ein wesentlicher Beitrag für kommende Generationen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Eines wurde in der Föderalismuskommission aufgrund der Expertenanhörung ebenfalls deutlich. Man schätzt, dass der Verlust, der aus den unterschiedlichen Zuständigkeiten und den unterschiedlichen Finanzströmen resultiert, 1 % unseres Bruttoinlandsprodukts beträgt. Wenn man sich einmal vor Augen führt, wie viele Kindertagesstätten wir mit 1 % des Bruttoinlandsprodukts neu eröffnen könnten, wird deutlich, dass wir an diese Aufgabe ganz schnell herangehen müssen.

Wir haben heute Morgen in der Feierstunde etwas von dem Vermächtnis des ehemaligen Ministerpräsidenten Kubel gehört. Dieses Vermächtnis, das die Frage einer Länderfusion bzw. einer Länderreform betrifft, ist noch unerfüllt. Der ehemalige Ministerpräsident Kubel hatte das Bild eines Nordstaates vor Augen. Man muss hierzu in der Tat sagen: Die Bürger haben Anspruch auf bürgernahe, aber auch leistungsfähige Verwaltung. Deshalb ist auch in der Föderalismuskommission zu Recht die Frage gestellt worden, ob es nicht sinnvoll ist, mit dem Ziel von mehr Bürgernähe und mehr Leistungsfähigkeit im Falle einiger kleiner Bundesländer wie beispielsweise dem Saarland oder, wie Kubel sagte, im Falle von Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein über neue Ländergrenzen nachzudenken. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Für das Jahr 2020, in dem wir mit der Verschuldung Schluss machen wollen, ist das eine Aufgabe, der wir uns stellen müssen, damit das, was wir für kommende Generationen tun wollen, auch funktionieren kann. Wir müssen deshalb jetzt die richtigen Schritte angehen. Wir müssen nämlich dafür sorgen, dass die Menschen insbesondere in den kleinen Bundesländern Vertrauen entwickeln können, damit sie auf dem Wege über Kooperation und Zusammenarbeit bereit sind, den Schritt hin zu einer Fusion zu tun. Für die Fusion - Christian Wulff hat es in der Föderalismuskommission oft genug versucht - müssen wir die Hürden und die Hemmnisse, die es noch gibt, weiter absenken. Das sind wir den Menschen in der Zukunft schuldig.

Meine Damen und Herren, Sie sehen: Nach der Föderalismusreform ist vor der Föderalismusreform. Packen wir es gemeinsam an!

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Der nächste Redner ist Herr Dr. Sohn von der Fraktion DIE LINKE.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Dr. Sohn, Ihnen stehen zu diesem Tagesordnungspunkt 1:30 Minuten zur Verfügung.

Das müsste reichen. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte auf die Ausführungen von Herrn Bode eingehen. Wir befinden uns hier in der Aktuellen Stunde, und ich habe folglich keinen

vorgefertigten Redetext. Ich möchte Herrn Bode in einem Punkt widersprechen und ihm in einem Punkt zustimmen.

Zunächst zu dem Punkt, in dem ich ihm widersprechen möchte. Er hat hier die Feierstunde angesprochen. Ich habe fünf Jahre im Suchtkrankenbereich gearbeitet. Bei der Feierstunde am Freitag in Berlin verhält es sich so ähnlich wie mit einem Fall, in dem sich 17 Alkoholiker getroffen haben. 15 davon haben sich darauf geeinigt: Ab 2020 saufen wir nicht mehr. Weil das ein so großartiger Beschluss ist, heben wir jetzt noch einmal kräftig einen. - Jetzt gehen nämlich alle 17 noch einmal kräftig in die Verschuldung. Herr Bode, das ist wahrhaftig kein Grund zum Feiern. In diesem Punkt widerspreche ich Ihnen entschieden.

(Beifall bei der LINKEN)

In einem anderen Punkt muss ich Ihnen allerdings zustimmen. Dieser Punkt ist in Ihrem Beitrag gegenüber der Ankündigung des Themas in dieser Aktuellen Stunde aber etwas zu kurz gekommen. Ich stimme Ihnen darin zu, dass wir tatsächlich eine Föderalismusreform III brauchen, weil die Reformen I und II Käse waren. Die Föderalismusreform III muss allerdings den Schwerpunkt haben, die kommunalen Finanzen zu stärken.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir werden nämlich - das wurde hier mehrfach gesagt - als Folge Ihrer Politik und als Folge der von Ihnen zu verantwortenden Wirtschaftskrise spätestens im übernächsten Jahr eine massive Krise der kommunalen Finanzen bekommen. Wir brauchen zur Stärkung der Finanzen in den Kommunen eine gründliche Reform. Ich empfehle Ihnen dazu - ich komme jetzt zum Schluss und kann deshalb nicht mehr aus der Drucksache zitieren - die Lektüre der entsprechenden Bundestagsdrucksache, in der wir als Fraktion DIE LINKE im Bundestag ausführlich aufgelistet haben, wie man die kommunalen Finanzen durch eine Föderalismusreform III stärken kann.

(Zurufe von der CDU)

Auch daran hat der großartige Bundestagsabgeordnete Diether Dehm natürlich mitgearbeitet.

Schönen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun Herr Klein das Wort. Ihm stehen 4:16 Minuten Redezeit zur Verfügung. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich sehe es etwas anders als Herr Sohn. Als ich dieses Thema für die Aktuelle Stunde las, habe ich mich gefragt: Wie masochistisch muss man eigentlich sein, um sich nach den Verschlimmbesserungen und den Nichtergebnissen der Föderalismusreformen I und II jetzt auch noch eine dritte Reform zu wünschen?

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir haben doch in der Tat erlebt, dass aus den ersten beiden Reformen nicht sehr viel herausgekommen ist. Wo wir früher ein Gesetz brauchten, brauchen wir jetzt plötzlich 16 Gesetze. In diesen Gesetzen steht zwar überall das Gleiche, aber der Inhalt muss 16 Mal verabschiedet werden. Ich erwähne hier auch die Herzblutgeschichte des Artikel 104 b, der mit aller Kraft der Länder in das Grundgesetz gedrückt worden ist, der aber jetzt plötzlich wieder herausgenommen werden soll. Es ist ja nur das Grundgesetz, das wir ändern wollen.

(Zuruf)

- Inhaltlich ergibt sich jedenfalls eine Relativierung, Herr Kollege

Die Schuldenbremse ist, wie man sagt, ein Kompromiss. Ich würde sie eine „Kompromissgeburt“ nennen. Wie hat der Wirtschaftsminister gesagt? Es hieß, die Schuldenbremse sei richtig, notwendig und längst überfällig. Es ist klar, dass sie notwendig ist. Sie ist auch längst überfällig. Mir fällt in diesem Zusammenhang immer die Frage ein: Wer hat eigentlich in diesem Land am längsten in der Regierung gesessen und damit den größten Beitrag zu dem Schuldenberg geleistet? Herr Bode, das sollten Sie sich einmal fragen. Rechnen sie einmal nach.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Richtig ist der Ausführungserlass, den man in das Grundgesetz geschrieben hat, aber auf keinen Fall. Er ist viel zu starr und viel zu unflexibel für die Wechselfälle unseres Konjunktur- und Finanzlebens. Diese Regelung kommt viel zu spät, und sie ist auch wenig glaubhaft, wenn die Politiker jetzt dreistellige Milliardenbeträge an Schulden aufnehmen und die Rückzahlung dieser Schulden und

das Gebot, keine Schulden mehr zu machen, folgenden Politikergenerationen überlassen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich erinnere auch an das, was der Wirtschaftsminister heute Morgen zu der Notwendigkeit gesagt hat, die Kreditklemme für die kleinen und mittleren Betriebe aufzuheben. In dieser Hinsicht sehen Sie eine absolute Notwendigkeit. Sie würden es als Katastrophe ansehen, wenn man es diesen Betrieben verbieten würde, mit Blick auf die Zukunft zu investieren und dafür Kredite aufzunehmen. Für den Fall, dass der Staat in Zukunft investieren will, sehen Sie aber ein völlig überflüssiges und ökonomisch völlig unsinniges Verschuldungsverbot vor.

Ich erinnere auch an den Verfassungsaspekt, den diese Regelung beinhaltet, nämlich an die Beschneidung der Finanzautonomie der Länder. Immer wenn die FDP zwar Nein denkt - wie auch in diesem Fall -, aber mit voller Überzeugung Ja sagt, fängt sie an, Klimmzüge zu machen. Sie stimmt im Bundesrat der Entmachtung der Länder erst einmal zu und fordert dann in der PM, die anschließend folgt, genau das Gegenteil. Dort soll es dann plötzlich um Steuerautonomie und Hebesatzrechte gehen. Man kann darüber reden, aber doch nicht mit FDP-Leuten. Bei der FDP ist die Richtung doch klar: herunter mit den Einkommen- und Unternehmenssteuern, herunter mit den Sozialleistungen und herunter mit der Staatsquote. Genau das brauchen wir in diesem Land aber nicht. Ich frage Sie auch: Was ist denn, wenn Sie diese Instrumente einführen, eigentlich mit der von Ihnen gewünschten Steuervereinfachung, mit der Planungssicherheit oder dem Organisationsaufwand der kleinen und mittleren Betriebe, wenn diese sich demnächst darum kümmern müssen, 16 Gesetze statt wie bisher nur ein Gesetz zu beachten? Herr Wirtschaftsminister, wir brauchen solche Sonderwirtschaftszonen in Deutschland nicht. Sie funktionieren auch nicht. Wir brauchen auch kein weiteres Erpressungspotenzial der Wirtschaft gegenüber den Politikern, damit mehr und mehr Steuergelder für die Wirtschaft bereitgestellt werden. Wir brauchen auch keine Steueroasen im eigenen Land. Vergessen Sie diese Vorschläge!

(Lebhafter Beifall bei den GRÜNEN)

Frau Geuter von der SPD-Fraktion hat das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bode, in einem Punkt haben Sie recht: Wir brauchen eine aufgabengerechte Finanzausstattung für alle politischen Ebenen, für Bund, Länder und Gemeinden. In diesem Punkt sind wir sogar einer Meinung. Es stellt sich aber natürlich die Frage, wie wir das in der Praxis umsetzen können. Bei all den Diskussionen in den vergangenen Wochen und Monaten zum Thema eines Neuverschuldungsverbotes habe ich eine bemerkenswerte Zurückhaltung sowohl bei der Landesregierung als auch bei den Regierungsfraktionen bei der Frage, welche Gestaltungsmöglichkeiten wir haben, um das ins Auge gefasste Ziel zu erreichen, gespürt. Es wurde immer behauptet, das bekomme man automatisch hin. Herr Bode, vor diesem Hintergrund ist es ja ganz spannend, heute zu erfahren, dass Sie selbst auch schon erkannt haben, dass es mit einer Nettoneuverschuldung von null bis 2010 nicht mehr klappen wird, weil die Rahmenbedingungen jetzt andere sind. Aber Sie wollen die Rahmenbedingungen noch weiter verschlechtern, indem Sie weitere Steuersenkungen wollen. Auf die Frage, wie das dann mit der aufgabengerechten Finanzausstattung werden soll, sind Sie uns eine Antwort schuldig geblieben.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung von Hans-Henning Adler [LINKE])

Der niedersächsische Wirtschaftsminister hat in einer Presseerklärung in der letzten Woche die Katze aus dem Sack gelassen - dafür sind wir sehr dankbar - und deutlich gemacht, was er jetzt eigentlich vorhat. Er fordert nämlich genau die Gestaltungsspielräume, die wir in der Vergangenheit immer angemahnt haben, aber auf eine andere Art und Weise. Er möchte ein Heberecht für die Länder mit einem Wettbewerb mit niedrigen Steuersätzen für mehr Unternehmen.

Meine Damen und Herren, wo kommen wir dann in Niedersachsen als Nehmerland im Länderfinanzausgleich eigentlich hin? - Es war der Niedersächsische Finanzminister, der in einer Plenarsitzung im Jahr 2005 darauf hingewiesen hat, welche Folgen das für Niedersachsen haben wird. Er hat darauf hingewiesen, dass wir für den Fall, dass es die Möglichkeit der Zuschlagrechte auf bestimmte Steuern gibt, vom Bund keine Unterstützung aus dem Finanzausgleich bekommen, wenn wir unsere eigenen Steuereinnahmemöglichkeiten nicht ausgeschöpft haben. Das heißt - wir sind ja im Verhältnis zu anderen Bundesländern schlechter

dran -, wir müssten zunächst einmal Zuschläge auf bestimmte Steuern erheben, um unsere Ausgaben überhaupt finanzieren zu können.

Was werden dann die Unternehmen tun, die Gestaltungsmöglichkeiten haben? - Sie werden ihre Firmensitze in die Bundesländer verlegen, die diese Zuschlagmöglichkeit nicht in Anspruch nehmen müssen. Sie werden zumindest ihre Gewinne dort versteuern.

(Beifall bei der SPD)