Protokoll der Sitzung vom 17.06.2009

Meine Damen und Herren, wir kommen jetzt zu Tagesordnungspunkt 24:

Einzige (abschließende) Beratung: Zwangsheiraten bekämpfen - Krisenintervention dauerhaft sichern - Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 16/894 - Beschlussempfehlung des Ausschusses für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit - Drs. 16/1358 - Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 16/1382

Die Beschlussempfehlung des Ausschusses lautet auf Annahme in geänderter Fassung. Der Änderungsantrag der Fraktion der Grünen zielt ebenfalls auf eine Annahme des Antrags in geänderter Fassung.

Eine Berichterstattung ist nicht vorgesehen.

Wir kommen zur Beratung. Zu Wort gemeldet hat sich Frau Groskurt für die SPD-Fraktion.

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die SPD-Fraktion hat diesen Antrag gestellt, als sie durch den Landesfrauenrat sowie die Landesarbeitsgemeinschaft kommunaler Frauenbüros Niedersachsen erfahren hat, dass die Einrichtung „ADA“ in Hannover, eine anonyme Krisenunterkunft für die von Zwangsheirat betroffenen und bedrohten Mädchen und Frauen, existenzielle, finanzielle Schwierigkeiten hat.

(Vizepräsidentin Astrid Vockert über- nimmt den Vorsitz)

In Hannover besteht zwar die Möglichkeit, den Mädchen und Frauen eine Unterkunft zu gewähren, die tatsächliche Aufnahme kann allerdings erst nach Kostenanerkenntnis erfolgen. Hier liegt das Problem. Und dieses Problems, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, müssen wir uns zwingend annehmen. Die Finanzierung dieser über Parteigrenzen hinweg unstrittig notwendigen Einrichtung ist von der Kostenübernahmezusage der zuständigen Leistungsträger abhängig. Das Kostenübernahmeverfahren dauert in der Regel mehrere Wochen. Es kommt auch vor, dass die Kosten nicht übernommen werden. Dieser verwaltungstechnische, zeitaufwendige Vorgang ist für die Betroffenen eine Zeit der Angst und des Schreckens. Es ist dringend notwendig, dass die Kriseneinrichtung „ADA“ in Hannover Planungssicherheit bekommt.

(Zustimmung bei der SPD)

Das, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, bestätigten in der ersten Beratung im Ausschuss alle Fraktionen.

(Zustimmung von Patrick-Marc Hum- ke-Focks [LINKE])

Sie begrüßten den Antrag der SPD-Fraktion. Es wurde deutlich betont, dass das Ziel, den betroffenen Frauen zu helfen, unterstützt werde. Die dramatische Situation der Mädchen und Frauen wurde fraktionsübergreifend gesehen. Frau Meißner merkte sogar an, dass es, seitdem bekannt sei,

dass die Einrichtung „ADA“ in Gefahr geraten sei, nur eine Frage der Zeit gewesen wäre, bis eine Fraktion einen solchen Antrag in den Landtag einbringt, um „ADA“ abzusichern. Es müsse dauerhaft dafür gesorgt werden, dass entsprechende Einrichtungen existierten, in denen sich die Betroffenen sicher aufhalten könnten.

(Zustimmung bei der SPD und von Gesine Meißner [FDP])

Diese erste Beratung im Ausschuss ließ auf einen gemeinsamen Antrag aller Fraktionen hoffen. Leider ist es nun doch nicht dazu gekommen. Ausdrücklich betonen möchte ich, dass sich die SPD und Bündnis 90/Die Grünen einig waren, wobei ich aber auch die Bemühungen der CDU wirklich anerkennen will. Aber diese Bemühungen haben nicht gereicht. Die SPD ist CDU und FDP sehr weit entgegengekommen, indem sie ihre ursprünglichen Forderungen in Absprache mit den Frauenverbänden sehr reduziert hat, und zwar bis hin zu einer Überbrückungsfinanzierung. Das heißt, dass die Landesregierung nur für den Fall eines verzögerten Kostenanerkenntnisses zwischenfinanzieren müsste. Dies würde der Kriseninterventionsstelle die Möglichkeit geben, junge Mädchen und junge Frauen, die mit Todesangst vor ihrer Tür stehen, sofort hereinzulassen, ihnen Schutz zu gewähren und anschließend den Verwaltungsvorgang abzuwickeln. Die Ablehnung von CDU und FDP mit dem Hinweis auf den einen von Niedersachsen geförderten Platz in der Kriseneinrichtung „Papatya“ in Berlin lenkt von dem Problem in Hannover ab und löst es auf keinen Fall.

In der Einrichtung „ADA“ in Hannover wohnen zurzeit sechs junge Mädchen und Frauen, die auf Hilfe angewiesen sind. Diese jungen Mädchen und Frauen gehen nicht aus einer Laune heraus zu „ADA“, sondern weil ihr Leben bedroht ist, wenn sie nicht den Mann heiraten, der ihnen von der Familie aufgezwungen wurde.

Sehr geehrte Frau Ministerin, sehr geehrte Kolleginnen, am Montag hat Herr Ministerpräsident Wulff anlässlich des Sommerfestes des Landesfrauenrates gesagt, dass er mutige Frauen bewundere und von ihrer Durchsetzungskraft beeindruckt sei. Das hat mir gut gefallen. Er hat anerkennend mutige Frauen genannt, die z. B. für die Gleichberechtigung der Frauen gekämpft haben. Also, Frau Ministerin, beeindrucken Sie den Ministerpräsidenten, seien Sie eine mutige Frau, und gewähren Sie „ADA“ eine existenzsichernde Finanzierung. Es besteht natürlich auch für die Frak

tionen von CDU und FDP die vielleicht einmalige Gelegenheit, den Ministerpräsidenten zu beeindrucken: Nutzen Sie sie, indem Sie die Existenz von „ADA“ sichern und dem SPD-Antrag zustimmen!

Danke schön.

(Beifall bei der SPD)

Herzlichen Dank. - Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Frau Kollegin Twesten das Wort. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es gibt sicherlich niemanden hier im Haus, der oder die das Thema Zwangsheirat nicht ernst nimmt, Zwangsheirat nicht als eine tiefe Verletzung der Menschenwürde einschätzt. Es macht keinen Sinn, wenn wir hier in einen Wettbewerb der Entrüstung eintreten. Der Wettbewerb sollte auf einer ganz anderen Ebene laufen, nämlich: Wie helfen wir den Opfern? - Sich hier zu entrüsten und dann nur Alibihilfen anzubieten, geht nicht. Den Opfern muss geholfen werden, und zwar wirksam und schnell.

Die Hilfe lässt sich mit einem einfachen Satz beschreiben: Die Frauen brauchen Rechte. Sie brauchen das Recht, sich aus einer Zwangsverheiratung zu lösen, sie brauchen ein Rückkehrrecht, wenn sie zur Zwangsverheiratung ins Ausland verschleppt worden sind, und ein eigenständiges Aufenthaltsrecht, wenn sie sich in Deutschland aus einer Zwangsehe befreien wollen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Diesen Fragen sollte sich die Koalition stellen. Diesen Weitblick haben Sie nicht. Davor kneifen Sie, wie die Ausschussberatungen gezeigt haben. Dabei ist die Sache doch völlig klar: Nicht mitleidsvolle Reden, sondern Rechtsänderungen helfen den Frauen.

(Zuruf von Gudrun Pieper [CDU])

Deshalb muss dieser Antrag auch einen Forderungskatalog enthalten.

Im Januar hat „ADA“ das Thema „Krisenintervention sichern“ auf die Agenda gesetzt. Wir haben uns der Problematik im Ausschuss angenommen und uns seitens der Landesregierung unterrichten lassen. Ergebnis: Die weitere Förderung des niedersächsischen Platzes bei „Papatya“ ist aktuell sei

tens des Sozialministeriums nicht vorgesehen. Zum 31. Dezember ist bei „Papatya“ Schluss, zumindest was den Platz aus Niedersachsen anbelangt. Und wir haben dann möglicherweise immer noch keinen Platz bei „ADA“! Angesichts bundesweit steigender Fallzahlen brauchen wir eigentlich beides. Ziel sollte sein, einen sicheren Platz in Berlin zu haben und zusätzlich einen Platz bei „ADA“ in Niedersachsen einzurichten.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Nach den bis dato vollkommen unbefriedigenden Ergebnissen der Ausschussberatung bin ich allerdings überhaupt nicht sicher, ob wir am 1. Januar 2010 überhaupt einen Kriseninterventionsplatz vorhalten werden. Ihnen, meine Damen und Herren von CDU und FDP, ist es immerhin gelungen, einen völlig verwässerten Antrag vorzulegen, in dem Sie gekonnt um den heißen Brei herumreden.

(Glocke der Präsidentin)

Der Antrag ist verwässert, nichts Genaues weiß man nicht. Es fehlt ein klares Bekenntnis, was Ihnen die Arbeit von „ADA“ in Niedersachsen eigentlich wert ist. Und genau darum sollte es uns hier heute gehen.

(Glocke der Präsidentin)

- Ich komme zum Schluss: Zu viele Fragen blieben nach den Ausschussberatungen unbeantwortet. Deswegen fordere ich Sie, meine Damen und Herren, heute auf, der Ausschussempfehlung in der vorliegenden Fassung nicht zuzustimmen. Uns geht es darum, die Situation der betroffenen Frauen mit einem eindeutigen Bekenntnis zu „ADA“ - - -

Sie wollten zum Schluss kommen.

- - - zu unterstützen. - Ich bin doch fertig.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN - Zustimmung bei der SPD)

Ja, danke, toll! - Für die Fraktion DIE LINKE hat Herr Kollege Patrick-Marc Humke-Focks das Wort. - Bitte schön!

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man sich die Protokolle des Ausschusses für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit einmal zu Gemüte führt, kann der Eindruck entstehen, dass zum Thema Zwangsheirat Einigkeit zwischen den Fraktionen herrsche; zu ernst sei das Thema. Dies ist zumindest in der ersten Beratung so herübergekommen. Als es aber in der abschließenden Sitzung in der vergangenen Woche zum Schwur kommen sollte, haben die Regierungsfraktionen von CDU und FDP einen Änderungsvorschlag eingebracht, der den Ursprungsantrag aufgeweicht hat. So wies etwa Frau Pieper von der CDU darauf hin, dass sich die Projekte „ADA“ aus Hannover und „Papatya“ aus Berlin handelseinig werden sollten und dass darüber hinaus ohnehin drei Plätze zu viel vorgehalten werden würden. Herr Riese von der FDP wies in derselben Sitzung darauf hin, dass man bewusst von möglichen Trägern spreche und sich nicht auf das Angebot von „ADA“ beschränken wolle.

(Zuruf von Gudrun Pieper [CDU])

- Ich zitiere nicht aus der Ausschusssitzung. Aber stehen Sie doch zu dem, was Sie sagen!

(Gudrun Pieper [CDU]: Ich stehe ger- ne dazu!)

Nach den Äußerungen von Herrn Riese ist auch hier offensichtlich ein Wettbewerb notwendig. Eine betriebswirtschaftliche Betrachtung im sozialen Bereich - hier besonders vor dem Hintergrund von Opfern einer Zwangsverheiratung - muss allerdings als zynisch erscheinen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir Linke lehnen eine solche Betrachtungsweise ab. Für uns ist dieses von den Regierungsparteien von CDU und FDP in ihrem Änderungsantrag verbreitete Misstrauen in keiner Weise nachvollziehbar. Gerade „ADA“ hat eine Vorreiterrolle inne und verfügt über einen großen Schatz an Erfahrungen in der Arbeit mit den betroffenen Frauen, mit den Opfern. Es gilt, diese Position zu stärken und weiter auszubauen. Deshalb ist eine dauerhafte institutionelle Förderung notwendig. Dieses Projekt braucht Planungssicherheit; sie ist für das erfolgreiche Weiterbestehen unbedingt notwendig. Hier wäre in der Tat der vorgelegte Änderungsantrag von Bündnis 90/Die Grünen ein Kompromiss, der zumindest die erforderliche Verbindlichkeit schafft.

(Glocke der Präsidentin)

- Ich komme zum Schluss: Die Linke bedauert es außerordentlich, dass sich hier offenbar eine Form von Ränkespiel abbildet, das sich letztendlich gegen die betroffenen Frauen richten könnte; ich sage bewusst: könnte. Dies wollen wir aber vermeiden. Wir wünschen uns, dass wir mittelfristig oder schon kurzfristig zu einer institutionellen Förderung kommen, damit Projekte wie „ADA“ nicht eingehen. Wir brauchen solche Plätze, und da darf es auch einmal „zwei Plätze zu viel“ sein.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)