Protokoll der Sitzung vom 17.06.2009

Das halten wir für völlig überzogen.

(Beifall bei der SPD)

Die Verhältnismäßigkeit zwischen sicherheitspolitischen Aspekten und berechtigten Interessen von ausländischen Studierenden in Bezug auf ihr Studium ist nicht mehr gegeben. Wir müssen das ändern. Die meisten der in Deutschland studierenden Ausländer kommen aus Entwicklungs- und Schwellenländern. 85 % organisieren ihr Studium selbst. Ihre größten Schwierigkeiten: die Orientierung im deutschen Studiensystem, der mangelnde Kontakt zu deutschen Kommilitoninnen und Kommilitonen sowie die Studienfinanzierung. Die Integration der ausländischen Studierenden - das ist wichtig - muss deutlich besser werden.

(Beifall bei der SPD)

Zu begrüßen sind daher interkulturelle Trainings und Hochschullotsen an unseren Hochschulen und Universitäten. Das sind aber nur erste Schritte. Wichtig ist vor allem der Ausbau der sozialen Infrastruktur. Gerade Wohnheimplätze werden in Niedersachsen von ausländischen Studierenden überdurchschnittlich hoch nachgefragt. Studentenwerke wie z. B. die in Hannover und Osnabrück fördern mit ihren Wohnheimtutorenprogrammen die Integration dieser Studierenden. Das ist soweit gut. Sie benötigen allerdings auch frühzeitig ausreichende Informationen über das deutsche Studiensystem.

Die vielen aktuellen Hochschulreformen - voran die Umstellung auf Bachelor und Master - erschweren den ausländischen Studierenden die Orientierung im deutschen Studiensystem zusätzlich. Mehr noch als deutsche leiden ausländische Studierende unter einer angespannten Finanzlage. Gerade die wirtschaftliche und soziale Situation ausländischer Studierender vor allem aus Nicht-EU-Ländern ist nach wie vor schwierig und hindert ihren Studienerfolg.

Wer die Attraktivität Niedersachsens als Studienort nachhaltig sichern und den Studienerfolg international Studierender unterstützen will, Herr Minister, der steht auch in der Verantwortung, die wirtschaftliche und soziale Studieninfrastruktur auszubauen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN)

Sie ist ein genauso wichtiger Faktor für den Studienerfolg wie gute Lehre und fachliche Betreuung.

Es gibt noch eine weitere Gruppe von Studierenden, die mehr Aufmerksamkeit erfahren sollte. 18 % der Studierenden in Niedersachsen haben eine Behinderung oder sind chronisch krank. Noch immer fehlen an den Hochschulen gleichwertige Bedingungen für Studierende mit Behinderung oder mit chronischer Krankheit. Auf die spezifischen Beratungs- und Unterstützungsbedürfnisse - Stichwort „Barrierefreiheit“ - sind die Hochschulen nur unzureichend eingestellt, also weder infrastrukturell noch bei den Studien- und Prüfungsordnungen. Das hat für den Betroffenen Auswirkungen, das Studium dauert länger.

Wir als SPD fordern den Wegfall von Studiengebühren. Aber sie Studierenden mit Behinderung oder chronischer Krankheit abzunehmen, ist in höchstem Maße unanständig. Bis auf BadenWürttemberg und Niedersachsen haben die Länder übrigens den Anspruch auf Nachteilsausgleich bei Prüfungen für Studierende mit Behinderung explizit in ihren Studienverordnungen verankert. Ganz aktuell hat die HRK mit der Empfehlung „Eine Hochschule für alle“ beschlossen, Maßnahmen für mehr Chancengleichheit einzuleiten.

Sie empfiehlt u. a., mehr Einzelfallentscheidungen zu ermöglichen, Gebäude und Informationsangebote barrierefrei zu gestalten, die Mitarbeiter aller Beratungs- und Serviceeinrichtungen zu schulen sowie bei Finanzierungsfragen für Behinderte einen Mehrbedarf anzusetzen. Auch hier, Minister Stratmann, sind Sie gefordert.

Hierher gehört aber auch das Versprechen, Herr Minister, einen zentralen Stipendienfonds einzurichten. Außer in Ankündigungen hat sich der zentrale Stipendienfonds noch nicht realisiert. Es ist wirklich schon ein starkes Stück, sich für ein Stipendienprogramm für besonders Begabte und ehrenamtlich Engagierte feiern zu lassen, welches die Allgemeinheit der Studierenden selbst durch ihre Studiengebühren bezahlt. Der Versuch, durch ein Stipendienprogramm, gespeist aus Studiengebühren, die Akzeptanz für Studiengebühren zu erhöhen, ist einfach nur noch lächerlich, meine Damen und Herren.

Vielen Dank.

(Starker, anhaltender Beifall bei der SPD - Dr. Gabriele Andretta [SPD]: Das ist ein Skandal!)

Herzlichen Dank. - Wie bereits angekündigt, erhält jetzt die Landesregierung das Wort. Herr Minister Stratmann, bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Lesemann, ich weiß nicht, wie oft ich das hier schon gesagt habe. Aber man kann die Dinge immer und immer wieder wiederholen. Es gibt aufseiten der Opposition überhaupt keine Bereitschaft, etwas zu akzeptieren, was hier ohne Wenn und Aber zum Ausdruck gebracht worden ist. Es gibt keine Stipendientöpfe, die aus Studienbeiträgen gespeist werden; es sei denn, die Studierenden selber wünschen das. Bitte hören Sie auf, hier den Eindruck zu erwecken, als träfe das genaue Gegenteil zu! Ich finde es allmählich nicht mehr erträglich. Wir sollten uns hier zumindest bemühen, mit der Wahrheit etwas sorgfältiger umzugehen.

(Beifall bei der FDP)

Es ist auch wieder deutlich geworden - wir haben das erwartet; das ist ja auch Ihr gutes Recht; das alles kann die Opposition machen, aber ob sie auf Dauer damit so klug fährt, ist eine andere Frage -, dass Sie diese Anfrage im Grunde ausschließlich dazu nutzen wollten, dass Thema Studienbeiträge und auch andere Fragen in den Fokus zu rücken.

Wir haben das schon gestern erlebt. Sie müssen sich langsam einmal entscheiden, Frau Dr. Andretta und all die Kollegen, die in der Wissenschaftspolitik bei Ihnen aktiv sind. Wenn Sie hier ständig das Hohelied der Autonomie singen, wie schon gestern geschehen, dann bitte ich, auch insoweit konsequent zu argumentieren. Sie können nicht einerseits ein Höchstmaß an Autonomie einfordern und andererseits immer wieder eine Einschränkung der Autonomie fordern, indem Sie uns nämlich für Fragen kritisieren, die wir gar nicht mehr zu beantworten haben, sondern bei denen die Hochschulen mittlerweile viel weiter von Ihnen entfernt sind. Die Hochschulen entscheiden die Fragen nämlich selber: Wie gehen sie mit ausländischen Studierenden um? Wie schaffen sie familienfreundliche Strukturen und dergleichen mehr?

Es ist sozusagen unser Verständnis von Autonomie und damit auch von Wettbewerb, dass eine Hochschule für sich vor allem selber entscheiden muss: Schaffe ich familienfreundliche Strukturen, oder tue ich es nicht? - Wenn sie es nicht tut, wird

sie merken, dass sie im Wettbewerb zurückfällt. Das sind die ganz klaren Regeln. Die sind sozusagen durch den Wettbewerb gesteuert. Das hat etwas mit Autonomie zu tun. Also reden Sie nicht heute so, morgen so, sondern entscheiden Sie sich, welchen Weg Sie gehen wollen!

(Beifall bei der CDU)

Vermutlich ist Ihnen das entgangen, aber wenn Sie ein bisschen sorgfältiger Vorarbeit geleistet hätten, dann wären Sie zu dem Ergebnis gekommen, lieber noch ein halbes Jahr oder ein Jahr mit der Anfrage zu warten; denn dann hätten wir auf die 19. Sozialerhebung zurückgreifen können. Sie haben es ja selber eben eingeräumt.

(Dr. Gabriele Andretta [SPD]: Ver- gleichsmaterial!)

Wir können jetzt leider nur auf die 18. Sozialerhebung zurückgreifen, weil die 19. noch in Arbeit und nicht fertig ist. Das bedeutet, wir reden über das Jahr 2006. Gleichwohl können wir das jetzt machen. Ich sage aber - das wissen auch Sie -, 2006 und 2009/2010 sind vermutlich nicht ohne Weiteres mehr vergleichbar.

Zu den Lebenshaltungskosten: Wie ich von dieser Stelle aus schon wiederholt erwähnt habe, liegen die Lebenshaltungskosten in Niedersachsen unter dem Bundesdurchschnitt. Das führt zu der Situation, dass, wenn man Niedersachsen mit Hamburg vergleicht, in Niedersachsen für die Studierenden das Leben trotz höherer Studienbeiträge immer noch preiswerter ist, als das in Hamburg der Fall ist.

(Victor Perli [LINKE]: In Hamburg sind auch die Einkommen höher!)

Es gibt noch krassere Unterschiede, nämlich dass in Niedersachsen das Leben mit Studienbeiträgen immer noch preiswerter ist als in anderen Ländern gänzlich ohne Studienbeiträge, weil die Lebenshaltungskosten entsprechend höher sind. Auch deshalb hat die Einführung der Studienbeiträge - auch das haben wir an dieser Stelle schon oft diskutiert - nicht zu signifikanten Wanderungsbewegungen geführt, was natürlich vor dem von mir eben dargestellten Hintergrund durchaus nachvollziehbar ist.

Die Einnahmen der Studierenden über alle Herkunftsgruppen hinweg sind in etwa im Bundesdurchschnitt gleich. Gut die Hälfte der Einnahmen wird durch Zuweisungen der Eltern erzielt. Diese

Beträge, um die es da geht, sind seit etwa 15 Jahren nahezu konstant.

Ich gehe das Thema jetzt einmal stichwortartig durch, weil, wie ich finde, wir die Zeit nicht überbeanspruchen sollten.

Erwerbstätigenquote: Die Erwerbstätigenquote ist erfreulicherweise rückläufig. 2006: Der Anteil der Studierenden, die mehr als die Hälfte des Lebensunterhaltes aus eigenem Verdienst bestreiten, ist von 16 % auf 13 % gesunken. Ob sich das die letzten drei, vier Jahre geändert hat, weiß ich nicht. Es wäre interessant, sich das einmal anzuschauen, weil in den letzten Jahren die Einführung der Studienbeiträge erst richtig ihre Wirkung hat entfalten konnte. Da bin ich ganz offen, weil das natürlich auch uns selbst interessiert und gegebenenfalls in unseren Entscheidungen beeinflussen kann und vielleicht auch muss.

38 % arbeiten, um sich - das ist die Begründung - mehr leisten zu können.

Ein weiteres wichtiges Thema: Der Anteil der BAföG-Empfänger ist von 31 % 1996 auf 25 % 2006 zurückgegangen. Das halte ich für nicht zufriedenstellend. Der durchschnittliche Förderbetrag ist bei uns höher als im Bund, die Quote der Geförderten höher als in den anderen alten Ländern. Über das Thema BAföG haben wir ja schon oft gemeinsam gesprochen. Ich hoffe, dass ist mal ein Thema, bei dem wir an einem Strang ziehen. Ich glaube, dass wir eine BAföG-Reform brauchen mit dem Ziel, dass wir diejenigen, die des BAföG wirklich bedürfen, stärker fördern können und es in der Hinsicht zu einem gerechteren Ausgleich kommt.

(Victor Perli [LINKE]: Was haben Sie dafür getan?)

- Lieber Herr Perli, Sie wissen, dass das keine Entscheidung war, die ein Land wie Niedersachsen allein treffen kann, sondern das muss mit dem Bund verhandelt werden. Ich verrate Ihnen kein Geheimnis, wenn ich sage, dass beispielsweise Herr Steinbrück manche Dinge völlig anders sieht als Frau Schavan. Das ist kein Vorwurf nach dem Motto, der eine ist SPD, die andere ist CDU, sondern Herr Steinbrück hat als Finanzminister seinen Job zu erledigen, und das möglichst gut, genauso wie die Wissenschaftspolitiker das zu tun haben. Deshalb wird natürlich bei verschiedenen Fragen heftig miteinander gerungen.

Wohnheimplätze: Die Unterbringungsquote beträgt in Niedersachsen 12,83 %. Sie liegt damit über dem Bundesdurchschnitt. Das heißt, das Thema

Wohnheime hat bei uns insoweit einen etwas höheren Stellenwert, als das im Bundesdurchschnitt der Fall ist. Die Erhebung sagt aber auch, dass wir einen einigermaßen entspannten Wohnungsmarkt haben, weil nämlich die durchschnittlichen Mietkosten bei uns in Niedersachsen erheblich geringer sind, als das beispielsweise in Oberzentren - wenn ich an den Großraum München denke, aber auch an Hamburg - der Fall ist. Wir haben im Übrigen mit dem Konjunkturpaket II versucht, einen Beitrag zur Sanierung einiger Wohnheime zu leisten.

Ein ganz wichtiges Thema ist von Ihnen, Frau Lesemann, mit in den Fokus gerückt worden, nämlich die Vereinbarkeit von Studium und Familie. Studierende mit mindestens einem Kind gibt es in der Größenordnung von 8 %. Im Erststudium sind es 6 %. Die Quote ist seit Jahren in etwa konstant.

Die Frage des Rechtsanspruchs auf einen Platz in einer Kindertageseinrichtung muss ich hier nicht wiederholen. Dies alles haben wir eben debattiert. Kinder unter drei Jahren von Studierenden haben einen Anspruch auf Förderung in Tageseinrichtungen oder in der Kindertagespflege. Die Summe, die seitens des Landes zur Unterstützung der Kommunen zur Verfügung gestellt wird, nämlich 462 Millionen Euro, ist bereits genannt worden.

Ich möchte darauf hinweisen, dass wir das Teilzeitstudium, auch wegen der familienfreundlichen Komponente, ganz bewusst wieder kodifiziert bzw. rechtlich verankert haben. Dies hatten Sie abgeschafft. Ich glaube, dass dies für Mütter, aber auch für Väter eine Möglichkeit ist, den Wunsch nach Familie und Studium miteinander zu verbinden.

Wenn Sie Bologna, Bachelor, Master und dergleichen mehr kritisieren, Frau Dr. Andretta, gehe ich davon aus, dass ich das nicht so verstehen darf, dass sich die SPD jetzt auch von Bologna verabschieden möchte.

(Dr. Gabriele Andretta [SPD]: Sie wis- sen, dass das nicht stimmt!)

Ich verstehe dies vielmehr so, dass es in der Tat Notwendigkeiten gibt - wir beobachten dies -, beim Bologna-Prozess nach etwa fünf bis zehn Jahren in unterschiedlicher Tiefe an der einen oder anderen Stellschraube zu drehen und sich beispielsweise die Frage zu stellen: Ist die starke Verschuldung, die wir in einigen Bereichen haben, sinnvoll? - Ich mache gar kein Geheimnis daraus, dass ich dies in Teilen, insbesondere für die Geisteswissenschaften, manchmal als problematisch erachte.

Über solche Fragen werden wir in den nächsten Jahren im Rahmen der Kultusministerkonferenz oder auch hier miteinander diskutieren müssen.

Zu der Frage des Übergangs vom Bachelor zum Master möchte ich sagen - dies sage ich auch den Studenten, die uns kritisieren -, dass wir im Vergleich zu anderen Ländern, insbesondere zu Baden-Württemberg, relativ gut aufgestellt sind; denn im Gegensatz zu Baden-Württemberg haben wir für Masterstudiengänge Kapazitäten geschaffen. Wir wenden die CNWs an. Dies haben die BadenWürttemberger nicht getan, sondern sie sagen: Wenn ihr über die Bachelorstudiengänge hinaus Masterstudiengänge anbietet, dann müsst ihr sehen, dass ihr das sozusagen aus dem Bachelorfleisch schneidet. - Dies haben wir nicht gemacht, weil wir das für den falschen Weg halten.

Die Frage der Übergänge von den Bachelorstudiengängen in den Master muss zuallererst von den Hochschulen selbst entschieden werden. Sie sind allerdings sehr pragmatisch. Wir haben das Thema beispielsweise in Bezug auf die Note 2,5 bei der Lehramtsausbildung schon intensiv miteinander diskutiert.

In Bezug darauf, inwieweit man in Fällen von Familienvätern oder -müttern andere Regelungen trifft, sage ich: Es kann konstruktive Vorschläge seitens der Hochschulen geben, die wir gerne aufgreifen.

Wir haben in Niedersachsen acht Hochschulen - damit sind wir bundesweit spitze - mit dem Zertifikat „Audit familienfreundliche Hochschule“. Beim Thema Familienfreundlichkeit, aber auch bei der Frage der Rolle der Frauen als Lehrkräfte gibt es zwar noch viel zu tun. Aber bei dieser Frage ist Niedersachsen, bundesweit betrachtet, spitze. Ich habe überhaupt kein Problem damit, öffentlich zu sagen, dass die Voraussetzungen dafür, dass das so ist, im Wesentlichen von meiner Vorvorgängerin Helga Schuchardt geschaffen worden sind und dass wir heute davon partizipieren. Wir haben diesen Weg so fortgesetzt, weil wir ihn für absolut richtig halten. Wir müssen natürlich noch eine Menge tun. Aber wir sind bundesweit nicht schlecht aufgestellt.

Die ausländischen Studierenden sind angesprochen worden. Natürlich gibt es Probleme, sprachliche und kulturelle Barrieren sowie Unkenntnis der Studienstruktur. Auch hier trägt der BolognaProzess dazu bei - das Hauptziel ist ja immer die Vergleichbarkeit der Studienstrukturen gewesen -, dass wir ein höheres Maß an Internationalisierung