Protokoll der Sitzung vom 18.06.2009

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 34 auf:

Erste Beratung: Für eine echte Reform des Waffenrechtes! Handfeuerwaffen verbieten - getrennte Lagerung einführen - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 16/1334

Zur Einbringung hat sich von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Herr Kollege Briese zu Wort gemeldet. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Warum stellen wir heute diesen Antrag zum Waffenrecht, worüber wir schon im letzten Plenum diskutiert haben? - Die Antwort darauf ist ganz einfach: weil es absolut enttäuschend und wirklich absolut ernüchternd ist, was die Große Koalition bisher gemeinsam mit den Ländern in puncto Änderung des Waffenrechts auf den Weg gebracht hat. Es ist wirklich eine absolute Enttäuschung. Das will ich Ihnen einmal in aller Deutlichkeit sagen. Nieder

sachsen ist ein Schwerpunktland, was den legalen Waffenbestand anbetrifft.

Ich will Ihnen ein paar Pressestimmen nennen, wie die Änderungen des Waffenrechts durch die Große Koalition gemeinsam mit den Ländern in der öffentlichen Meinung bewertet werden. Die Zeit, eine, wie ich finde, ziemlich kluge Wochenzeitung, schreibt dazu - ich zitiere -:

„Abrüstung gescheitert … Was bis jetzt als Novellierung des Waffenrechts feststeht, ist läppisch.“

Die Süddeutsche Zeitung, die Tageszeitung mit der größten Auflage in Deutschland, eine, wie ich finde, sehr liberale und auch sehr kluge Zeitung, schreibt: „Simulation von Politik - Der Kompromiss im Waffenrecht zeigt, wie schlecht Politik sein kann.“

Eine letzte Stimme will ich Ihnen noch nennen, was die Große Koalition in dieser Sache auf die Reihe gebracht hat. Die freche taz bringt es richtig auf den Punkt, wenn sie schreibt: Die Peng-Gang, sprich: die Waffenlobby, hat sich hier wieder einmal durchgesetzt wie nach den schlimmen Amokläufen zuvor auch schon.

Ich habe es in meiner letzten Rede schon einmal angedeutet: Der Spiegel hat nach dem schlimmen Amoklauf von Winnenden die Frage gestellt: Warum hat die Bundesrepublik Deutschland eigentlich einen so immens hohen legalen Waffenbestand? Wie kann es sein, dass es eine unglaublich gut organisierte deutsche Lobby der Waffenbesitzer gegen den Willen der Mehrheit der Bevölkerung immer wieder schafft, dass das Waffenrecht nicht endlich substanziell wirklich ernsthaft entschärft wird, sondern immer nur wieder klitzekleine Korrekturen vorgenommen werden, und dass nicht eine wirklich echte Änderung mit dem Ziel stattfindet, den hohen Bestand an legalen Waffen in der Bundesrepublik signifikant zu reduzieren? Wo liegen die Ursachen dafür, meine sehr verehrten Dame und Herren?

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es ist schlicht und ergreifend - das hat Der Spiegel sehr gut herausgearbeitet; das hat auch der zuständige Referent aus dem Bundesinnenministerium immer wieder betont - eine Lebenslüge oder ein Mythos, dass das deutsche Waffenrecht ganz besonders scharf sei. Das stimmt schlicht und ergreifend nicht. Wir haben es vielmehr mit einem sehr komplizierten Gesetz zu tun. Es ist beileibe nicht ganz besonders scharf. Ein scharfes Waffen

recht hat England. Es hat die entsprechenden Konsequenzen aus einem schweren Amoklauf gezogen. 1996 gab es dort in Dunblane einen ähnlichen Fall wie in Winnenden. Danach wurden die Handfeuerwaffen in England komplett verboten. Seitdem gab es dort keine schweren Amokläufe mehr. Man sieht also ganz genau, dass das Waffenrecht zwar nicht ursächlich für Amokläufe ist - das würde ich auch niemals behaupten -, dass es aber mitverantwortlich dafür ist, dass solche Taten möglich sind. Das Beispiel England zeigt ganz eindeutig: Ein schärferes Waffenrecht bedeutet eine bessere innere Sicherheit. Es würde auch für die Schulen in Niedersachsen mehr Sicherheit bedeuten.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der LINKEN)

Zur Wahrheit gehört auch - das muss man in diesen Debatten ehrlicherweise sagen und immer wieder betonen -: Wir hatten in den letzten zehn Jahren mittlerweile fünf Amokläufe. Dabei waren 42 tote Menschen, viele Schwerverletzte und viele traumatisierte Menschen zu beklagen. Alle diese Taten sind mit Waffen aus legalen Waffenbeständen verübt worden. Die Waffen stammten nicht aus illegalen Waffenbeständen. Wenn es anders wäre, würde ich glatt sagen, das Waffengesetz habe damit gar nichts zu tun. Alle diese Taten sind jedoch mit Waffen aus legalen Waffenbeständen verübt worden. Insofern ist das Waffenrecht zumindest stark von der Möglichkeit tangiert, dass entsprechende Übergriffe stattfinden.

Ich möchte hier auch unbedingt ansprechen, dass insbesondere die Opferverbände und die Hinterbliebenen von dem maßlos enttäuscht sind, was die Große Koalition jetzt auf den Weg gebracht hat. Man muss wirklich einmal lesen, was die betroffenen Familien und die Hinterbliebenen jetzt an die Bundesregierung geschrieben haben. Sie sollten die Stellungnahmen einmal durchlesen. Ich will Ihnen eine Passage vorlesen: Wir brauchen kein halbherzig geändertes Waffengesetz. Wir wollen ein Verbot von Mordwaffen als Sportwaffen. Solche Waffen dürfen nicht länger verkauft und benutzt werden. Erst dann können Schulen wieder sichere Orte sein. - Dies schreibt die entsprechende Initiative.

Abschließend wird dort gesagt:

„Die von der Bundesregierung beabsichtigten Änderungen des Waffenrechts sind kaum oder nicht geeignet,

Amokläufe wie in Winnenden oder Erfurt erheblich zu erschweren.“

Das schreiben die Hinterbliebenen. Solange die Opferverbände und die Hinterbliebenen diese Meinung vertreten, sollte die Landesregierung jedenfalls den Spruch „Opferschutz genießt bei uns Priorität“ schlicht und ergreifend nicht mehr in den Mund nehmen, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

In meiner Eingangsrede habe ich es schon skizziert: Wir wollen uns ein Beispiel an der englischen Gesetzgebung nehmen. Dort ist es gelungen, den Bestand an Handfeuerwaffen signifikant zu reduzieren. Ich weiß nicht, warum das, was in England möglich ist, in Deutschland nicht möglich sein sollte. Dort hat man die entsprechenden Konsequenzen gezogen. Das, was in Großbritannien möglich ist, muss selbstverständlich auch in der Bundesrepublik Deutschland möglich sein. Dabei handelt es sich ja um ähnliche Länder. Man kann nicht sagen, dass man da Äpfel mit Birnen vergleicht. Das ist auch hier sehr wohl möglich.

Wir wollen einen zweiten wichtigen Punkt einführen, gegen den sich der Innenminister ebenfalls immer wehrt: Wir wollen die getrennte Lagerung von Waffen und Munition. Waffen und Munition gehören schlicht und ergreifend nicht in einen Privathaushalt. Herr Innenminister, Sie sagen dann ja immer: Nein, das ist mit mir nicht zu machen. Die Gefahr ist noch größer, wenn das außer Haus gelagert wird. - Ich sage Ihnen: Dieses Argument stimmt einfach nicht. Sie können technische Auflagen machen, dass die Waffen entsprechend gesichert sein müssen. Sonst müssten Sie schon heute jedes Waffengeschäft verbieten; denn dort werden ja ebenfalls entsprechende Waffen gelagert.

(Beifall bei den GRÜNEN - Helge Limburg [GRÜNE]: Sehr richtig!)

In jeder Stadt gibt es entsprechende Waffengeschäfte. Sie müssen einfach die gesetzlichen Auflagen so streng machen, dass diese Waffen sicher sind, oder diese Waffen werden nicht erlaubt. So einfach ist es! Gefährliche Waffen und Munition in dieser Anzahl gehören einfach nicht in Privathaushalte.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Die dritte Forderung, die wir aufstellen, betrifft die Frage des großkalibrigen Schießens. Insbesonde

re die Schützenvereine argumentieren, der Sport sei für sie ein wichtiges kulturelles, aber auch sportliches Ereignis. Ich will beileibe nicht - das will ich deutlich machen - alle Sportschützen über einen Kamm scheren und behaupten, das seien alles potenziell gefährliche Leute. In keiner Weise! Aber wenn das Argument angeführt wird, die entscheidende Motivation beim Sport sei die Konzentration, dann frage ich mich, warum diese Konzentrationsübungen mit so gefährlichen Waffen praktiziert werden müssen. Warum müssen es unbedingt großkalibrige Waffen sein? Warum kann man das nicht mit luftdruckbetriebenen Waffen machen? Das fördert die Konzentration genauso. Wenn dies das entscheidende Argument ist, dann kann man das großkalibrige Schießen in den Schützenvereinen mit sehr guten Argumenten verbieten.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Dass in diesem Land Menschen teilweise mit gefährlicheren Waffen ausgebildet werden als die Polizei selber, sollte Sie, Herr Innenminister, zum Nachdenken bringen. Teilweise wird dort mit Waffen hantiert, die größere Durchschlagkräfte haben als Polizeiwaffen. Das ist in meinen Augen überhaupt nicht zu verantworten. Sie müssen mir einmal erklären, warum Menschen mit so großkalibrigen Waffen unterwegs sind, die sogar gefährlicher sind als die der Polizei. Auch die Haltung der Polizei würde mich dazu sehr interessieren.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN - Glocke der Präsidentin)

Herr Innenminister, ich kann nur eines feststellen: Sie sind in der Frage des Waffenrechtes für mich zum Minister der virtuellen Realitäten oder des radikalen Symbolismus geworden. Sie stellen sich hier immer wieder hin und schildern mit emotionaler Emphase die große Gefahr von Softairwaffen und das große Problem von PC-Killerspielen und der Anscheinswaffen. Dazu sage ich Ihnen: Von mir aus können Sie das alles gern verbieten. Aber dass Sie kein Wort zu echten Waffen finden und immer nur sagen, Anscheinswaffen oder Paintball seien das zentrale Problem, eine echte Waffe sei dagegen kein Problem, entbehrt wirklich jeglicher Logik. Das will ich Ihnen einmal deutlich sagen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Herr Schünemann, daher ist es zu durchschaubar, wo Sie sich in dieser Debatte bewegen. Sie sind

nämlich auf dem sprichwörtlichen Nebenkriegsschauplatz. Wir haben gute Argumente für unsere Forderungen. Wir haben die Opferverbände und eine Reihe von Stellungnahmen hinter uns.

(Glocke der Präsidentin)

Wenn Sie das alles - das ist mein letzter Satz, Frau Präsidentin - nicht überzeugt, dann sollten Sie sich anschauen, was der Bund Deutscher Kriminalbeamter - ein Polizeiverband - zu dieser Frage sagt. Er fordert eine deutliche Verschärfung des Waffenrechts.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke schön. - Für die SPD-Fraktion hat sich zum gleichen Thema Herr Kollege Hausmann zu Wort gemeldet. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! „Für eine echte Reform des Waffenrechtes! Handfeuerwaffen verbieten - getrennte Lagerung einführen“ lautet der Titel des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Natürlich dürfen sich weder der schreckliche Amoklauf von Winnenden noch der Amoklauf von Erfurt wiederholen. Dafür müssen wir sorgen und deswegen auch etwas am Waffenrecht verändern. Die Bundesregierung hat in Absprache mit den Koalitionsfraktionen einen Gesetzentwurf eingebracht. Ich weiß, dass das ein Kompromiss ist. Mit diesem Kompromiss können wir als Landtagsfraktion in der Form noch nicht einverstanden sein. Dieser Gesetzentwurf muss noch nachgebessert werden. Trotzdem bin ich der Meinung, dass die Forderungen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen etwas überspannt und überzogen sind.

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen nennt diesen Gesetzentwurf in ihrem Antrag „oberflächliche Symbolpolitik“. Ich finde, das ist sehr stark übertrieben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich unterstelle allen Entscheidungsträgern, dass wir alle das gleiche Ziel haben: Winnenden und Erfurt dürfen sich nicht wiederholen!

(Beifall bei der SPD)

Darum ist es für mich komplett unverständlich, dass Sie von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Forderung nach einem Verbot von Spielzeugwaffen - sie sind von echten Waffen kaum zu unterscheiden -, von Computerspielen und Gewaltvideos für Kinder als reines Ablenkungsmanöver

bezeichnen. Sie betreiben hier eine Verharmlosungspolitik, die wir nicht mittragen können; denn auch das muss verboten werden. Das ist ein wichtiger Punkt, um Dinge, wie wir sie in Winnenden und Erfurt erlebt haben, zu verhindern. Darauf werde ich nachher noch einmal eingehen.

Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, wollen den privaten Besitz von Handfeuerwaffen verbieten und die waffenrechtlichen Vorschriften über den Erwerb und den Besitz von Schusswaffen und Munition verschärfen. Das ist in Ordnung. Dagegen gibt es nichts einzuwenden.

Die Aufbewahrung von funktionsfähigen Schusswaffen und von Munition in Privatwohnungen soll nach Ihrem Antrag grundsätzlich verboten werden. Ich müsste von Ihnen jetzt noch eine Definition bekommen, was „funktionsfähige Schusswaffen“ sind. Jede Schusswaffe, die in Ordnung ist, ist eine funktionsfähige Schusswaffe. Wenn Sie das mit Munition in Verbindung bringen, müssten Sie sicherlich anders formulieren. Für mich heißt das, dass grundsätzlich keine Schusswaffen mehr - welcher Art auch immer - in Privatwohnungen untergebracht werden dürfen. So interpretiere ich jedenfalls Ihre Formulierung.

Aber was ist die Konsequenz daraus, wenn wir Schusswaffen in Privatwohnungen verbieten? - Wir müssen Möglichkeiten finden, die Waffen woanders zu lagern. Ich kann mir nicht unbedingt vorstellen, dass es eine sichere Lagermöglichkeit ist, die Waffen in Schützenheimen - selbst mit Auflagen - unterzubringen; denn Schützenheime befinden sich - das wissen wir alle - nicht in bewohnten Gebieten, sondern außerhalb. Sie bieten unwahrscheinlich große Angriffsmöglichkeiten für einen Einbruch und damit auch für eine illegale Waffenbeschaffung. Das können wir nicht ohne Weiteres mittragen.

Sie bringen in der schriftlichen Begründung Ihres Antrags auch zum Ausdruck, Sie wollen mit der Reform des Waffenrechts nicht die Schützenvereine und die Jägerschaft undifferenziert an den Pranger stellen. Wie wollen Sie dann aber unter Berücksichtigung Ihrer Aussage Ihre Reform zum Waffenrecht durchsetzen? Es handelt sich doch in gewisser Weise um ein Andenprangerstellen der Schützenvereine und der Jägerschaft.

(Stefan Wenzel [GRÜNE]: Wieso?)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Amoklauf von Winnenden sollte uns dazu veranlassen, gemein

sam danach zu suchen, welche Ursachen überhaupt zu solchen Amokläufen geführt haben. Ich meine entgegen Ihrer Aussage - das habe ich vorhin schon gesagt -, Computerspiele, Spielzeugwaffen und Gewaltvideos bei Kindern und Jugendlichen führen zumindest zum Abbau von Hemmschwellen und gehören daher verboten. Das ist die erste Aussage, die wir machen müssen.