Protokoll der Sitzung vom 28.08.2009

Wir kommen zur Ausschussüberweisung.

Zuständig soll der Ausschuss für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr sein. Wer so beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Das ist so beschlossen.

Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 30 auf:

Erste Beratung: Bundesratsinitiativen für die Ausweitung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes von 7 % sowie deren Finanzierung durch Einführung einer Börsenumsatzsteuer - Antrag der Fraktion DIE LINKE - Drs. 16/1486

Der Antrag wird von Herrn Dr. Sohn von der Fraktion DIE LINKE eingebracht.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zurück zu Niedersachsen und zum Koalitionsvertrag. Es ist jetzt 18 Monate - genauer gesagt: anderthalb Jahre und einen Tag - her, als Herr McAllister, Herr Rösler und ein paar andere u. a. die beiden Sätze unterschrieben haben, die wir in den Mittelpunkt dessen stellen möchten, was wir jetzt zu behandeln haben.

(Jörg Bode [FDP]: Sehr gute Sätze!)

- Mal gucken, was Sie daraus machen, Herr Bode.

Die beiden Sätze lauten:

„CDU und FDP halten eine Überprüfung der Umsatzsteuersystematik für zwingend geboten.“

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Ach!)

Da ist ja doch ein gewisses Drängen in der Formulierung.

„Dies gilt in Bezug auf einen verminderten Mehrwertsteuersatz insbesondere für Produkte des Kinderbedarfes und, angesichts der Wettbewerbslage in Grenzregionen, im Beherbergungsgewerbe.“

So viel aus dem Koalitionsvertrag. Und seitdem? - 18 Monate Stillstand, Herr Bode.

(Jörg Bode [FDP]: Das ist nicht rich- tig!)

Dieser Stillstand nimmt inzwischen schon fast autistische Züge an; denn die EU wiederum hat vor nunmehr auch schon wieder einer geraumen Zeit, nämlich vor sechs Monaten, das Tor für diesen verminderten Steuersatz weit aufgestoßen.

(Vizepräsident Dieter Möhrmann übernimmt den Vorsitz)

Alle Finanzminister - Herr Steinbrück von der SPD übrigens eingeschlossen - haben am 10. März erklärt, dass sie per Beschluss die Senkung der Mehrwertsteuer für arbeitsintensive Dienstleistungen empfehlen. Sie haben dann ausführlich aufgeführt: für Hotellerie, Gastronomie und verschiedene arbeitsintensive Handwerkerleistungen. - Aber seitdem ist nichts passiert.

Dies hat natürlich den Aspekt der sozialen Erleichterung für die von der Steuererleichterung Betroffenen. Dies hat auch - mit Blick auf Grüne und andere - ökologische Lenkungsfunktionen; denn es ist klar, dass dies die Reparatur statt die Neuproduktion von Waren befördern würde.

Die Kernfrage aber ist: Warum schleppt sich das so lange hin? - Die Gefahr ist offensichtlich, dass die CDU/FDP-Koalition hier in Niedersachsen dem schlechten Beispiel der CDU/SPD-Koalition auf Bundesebene folgt. Sie alle erinnern sich sicherlich noch an die Eröffnungsbilanz dieser Koalition: Damals trat vor der Wahl der eine Koalitionspartner mit der Forderung auf, den Mehrwertsteuersatz nicht zu erhöhen. Die andere Partei trat vor der Wahl mit der Forderung nach einer zweiprozentigen Erhöhung auf. Dann kam die neue Merkel

Mathematik, die so aussieht: Das arithmetische Mittel zwischen 0 und 2, auf das man sich geeinigt hat, ist 3.

Angesichts der nun schon anderthalb Jahre währenden autistischen Koalitionsvertragsumsetzungsverweigerungshaltung

(Jörg Bode [FDP]: Ein schönes Wort!)

ist die Gefahr nicht von der Hand zu weisen, dass wir, statt der Umsetzung der EU-Empfehlung, also den Mehrwertsteuersatz stärker zu vermindern und die Besteuerung mit 7 % auszudehnen, möglicherweise eine Mehrwertsteuererhöhung bekommen. Wir haben ja schon von mehreren Seiten die Empfehlung gehört, die Mehrwertsteuer auf 20 oder 25 % zu erhöhen.

(Jörg Bode [FDP]: Was?)

Lesen Sie doch einmal das, was eigentlich zu Ihrer Lieblingslektüre gehören müsste, nämlich den Artikel „Von Moos und Mehrwertsteuer“ in der gestrigen Ausgabe des Informationsdienstes des Instituts der Deutschen Wirtschaft Köln, in dem das außerordentlich gefordert wird.

(Jörg Bode [FDP]: Das haben aber nicht wir gefordert!)

Ihr künftiger Möchtegernkoalitionspartner möchte das ja.

(Jörg Bode [FDP] zur CDU: Habt ihr das gefordert?)

Das Zweite, was in der Diskussion ist, ist die Gefahr, dass man im Zuge der von Ihnen mit zu verantwortenden Staatsverschuldungsnot den verminderten Mehrwertsteuersatz insgesamt eliminiert. Da würden Sie von der FDP vermutlich das Argument liefern, dass dies eine Vereinfachung der Steuersystematik sei.

Vorgestern ist viel von Europa die Rede gewesen. Wenn man nach Europa guckt, dann wird man im Zusammenhang mit der Frage, die hier zu diskutieren ist, feststellen: Großbritannien und Irland haben bei Kinderbekleidung eine Umsatzsteuer von 0 %. Großbritannien und Schweden haben bei apothekenpflichtigen Arzneien eine Umsatzsteuer von 0 %. Die apothekenpflichtigen Arzneien sind in Frankreich mit 2,1 %, in Spanien mit 4 % und in den Niederlanden mit 6 % besteuert. Das ist die soziale Frage zugunsten all derer, die Kinder haben oder Arzneimittel bedürfen.

Ökonomisch - dies brauche ich hier nicht auszuführen - ist die Erweiterung der reduzierten Mehr

wertsteuersätze natürlich ein Konjunkturprogramm, und es ist spezifisch niedersächsisch, vor allen Dingen in Bezug auf die Tourismusindustrie. Andere Regionen will ich gar nicht erwähnen, aber das Emsland und die Küste konkurrieren bei den Beherbergungen mit den Niederlanden, die die Beherbergungsleistungen mit 6 % besteuern. Da wären die 7 %, die wir für diesen Bereich vorschlagen, eine gewisse Erleichterung und eine Wettbewerbsgleichstellung z. B. mit Texel und anderen Inseln. Dies ist unsere Forderung. Ich sehe zwar Nicken, aber ich sehe keine Taten.

Nun taucht natürlich die Frage auf: Wie finanziert man dies alles gegen? Denn die Vorschläge - so haben wir ausgerechnet - würden bundesweit ungefähr 7 Milliarden Euro kosten. Die Gegenfinanzierung, die ich Ihnen jetzt vorschlage, ist ein Geschenk an alle Fraktionen, zumindest von der Argumentation her.

Herr Kollege, Ihre Fraktionskollegin Frau Flauger würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.

Gut, bitte schön!

(Heinrich Aller [SPD]: Die glaubt das alles nicht!)

- Doch!

(Jörg Bode [FDP]: Aber sie hat zu- mindest Zweifel!)

Sehr geehrter Herr Dr. Sohn, wundern Sie sich eigentlich genauso wie ich darüber, dass bei der Frage einer sozialeren Ausgestaltung der Umsatzsteuer offensichtlich so wenig Interesse vorhanden ist, wie es die mangelnde Besetzung in diesem Saal gerade widerspiegelt?

(Beifall bei der LINKEN)

Regiemäßig würde ich jetzt allen eine Freude machen, wenn ich dir widerspräche. Das ist kein mangelndes Interesse, sondern der Erschöpfungszustand der CDU und der FDP, der diesen Wahlkampf insgesamt kennzeichnet.

(Beifall bei der LINKEN - Kreszentia Flauger [LINKE]: Ach so!)

Das war übrigens nicht abgesprochen - nicht, dass Sie das denken.

Aber zurück zur Frage der Gegenfinanzierung. Das Geschenk von mir an CDU und FDP ist, dass ich nichts mehr über die Vermögensteuer im weiteren Verlauf meines Beitrages sage. Wir haben andere Vorschläge gemacht.

Das Geschenk an die SPD und auch die Grünen ist, dass wir zur Gegenfinanzierung an diesem Punkt - Sie werden das gesehen haben - die Börsenumsatzsteuer vorschlagen, die sich auch bei der SPD und bei den Grünen im Wahlprogramm findet.

Das besondere Geschenk an die SPD und persönlich an Herrn Aller können Sie unserer Begründung entnehmen. Wir alle wissen, dass die Schätzzahlen im Hinblick auf das Aufkommen aus der Börsenumsatzsteuer in der wissenschaftlichen Diskussion tatsächlich sehr differieren. Ich komme gleich zu dem, was wir empfehlen. Wir haben uns und Herrn Aller den Spaß gemacht, in die Begründung den Reiznamen eines ehemaligen SPDVorsitzenden aus der Zeit großer SPD-Wahlerfolge hereinzubringen, und zwar zur Konkretisierung unseres Vorschlages, an dem Sie sich gleich abarbeiten können.

Auf jeden Fall ist aber das konservativ, was wir Ihnen als Begründung vorschlagen. Es geht unseres Erachtens mindestens um eine knappe zweistellige Milliardensumme. Dieser Betrag differiert etwas gegenüber dem anderen Kanal, den wir vorgeschlagen haben. Auf jeden Fall - darüber sind sich, wie ich glaube, alle einig - würde eine solche Börsenumsatzsteuer - egal, ob man sie im Prozentbereich oder im Promillebereich ansetzt - eine Summe von deutlich mehr als 7 Milliarden Euro erbringen, die zur Gegenfinanzierung erforderlich sind. Das wäre also eine solide Gegenfinanzierung.

Insofern habe ich die herzliche Bitte an die FDP - man muss sich ja nicht gleich in Koalitionsträumen ergehen -: Setzen Sie sich bei diesem Punkt wenigstens einmal gegenüber Ihrem - jetzt riskiere ich einen Ordnungsruf - etwa bräsigen Koalitionspartner durch.

Schönen Dank.