Protokoll der Sitzung vom 28.10.2009

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zuruf von Ursula Helmhold [GRÜNE])

- Frau Helmhold, ob Erziehungsgeld, Erziehungsurlaub, Anrechnung von Kindererziehungszeiten im Rentenrecht oder Elterngeld - alles ist zu unseren Zeiten passiert. Deswegen freuen wir uns auf diese Bundesregierung in Berlin.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Ursula Helmhold [GRÜNE]: Was ist mit Hartz IV? Da gibt es doch gar nichts!)

- Sie haben gleich zwei Stunden lang Zeit, ausführlich zu Wort zu kommen, Frau Helmhold; erfreulicherweise nicht Sie allein, aber Sie ja doch auch. Wenn Sie die 7 : 7-Pattsituation in Ihrer Fraktion aufgelöst bekommen, können Sie vielleicht sogar einmal ganz das Sagen bekommen. Aber das kann ich von hier nicht im Einzelnen beurteilen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Ursula Helmhold [GRÜNE]: Ihr Stil und Ihre Arroganz, das ist eine Schande! - Unruhe - Weitere Zurufe von den GRÜNEN)

Die SPD hat eine Aktuelle Stunde beantragt zum Thema - - -

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

- Mein Gott, wie erbärmlich muss der Zustand sein - Herr Gabriel hat, glaube ich, gesagt, die SPD ist in einem katastrophalen Zustand -, wenn man bei der Landtagsdebatte hier so unruhig ist und nicht den Argumenten zuhört?

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Ursula Helmhold [GRÜNE]: Das liegt am Redner! - Heiner Bartling [SPD]: Das sind keine Argumente!)

- Wenn ich ehrlich bin, Herr Bartling, würde ich mir auch meine Gedanken machen. Wenn Sie hier als Parlamentarischer Geschäftsführer einen Antrag zur Aktuellen Stunde unter der Überschrift „Arbeitnehmerrechte werden abgesenkt“ stellen, dann frage ich Sie: Haben Sie eigentlich mitbekommen, was der Vertreter der Arbeitnehmer in Deutschland, der DGB-Bundesvorsitzende Michael Sommer, gesagt hat? - Ich zitiere:

„Die Kanzlerin hat in Sachen Tarifautonomie, Mitbestimmung und Kündigungsschutz Wort gehalten.“

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zuruf von Ursula Helmhold [GRÜNE] - Weitere Zurufe)

Nach ihrem Grußwort bei der IG BCE - - -

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Ein klei- nes Wort! - Unruhe - Glocke des Prä- sidenten - Weitere Zurufe - Zuruf von der CDU: Lassen Sie doch mal aus- reden!)

- Besucherinnen und Besucher des Landtages sagen mir hinterher immer wieder, wie erbärmlich es um die stehen muss, die in einer Demokratie nicht einmal dem zuhören können, der gerade das Wort hat.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zuruf von Ursula Helmhold [GRÜNE])

Natürlich tut es weh, wenn man beim IG-BCEBundeskongress erleben muss, dass sich die Delegierten nach der Rede der Bundeskanzlerin Angela Merkel erheben, dass es nach der Rede der Bundeskanzlerin Standing Ovations gibt. Da würde ich mir an der Stelle der Sozialdemokraten Gedanken darüber machen, ob es richtig ist, eine Aktuelle

Stunde dazu anzumelden, dass die Arbeitnehmerrechte abgesenkt werden.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Wir begrüßen, dass Niedersachsen durch den Koalitionsvertrag vor allem klare Signale für die Agrarwirtschaft und die Lebensmittelwirtschaft bekommt. Unsere Milchbauern beispielsweise werden sich über das Grünland-Milch-Programm des Bundes freuen, weil ihnen der Strukturwandel dadurch ein bisschen erleichtert wird. Es ist ein Skandal, dass in diesem Land für einen Liter gemolkene Milch nur 20 Cent gezahlt werden. Das ist ein Skandal in diesem Land.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Wir sind sehr froh darüber, dass es im Koalitionsvertrag heißt - ich zitiere -: Wir gehen in das Zeitalter der regenerativen Energien. Dazu werden wir den Ausbau der erneuerbaren Energien entsprechend den Vorgaben weiter fördern, das EEG, das ja ein Gesetz aus Unionszeiten ist, sowie den unbegrenzten Einspeisevorrang erhalten sowie zugleich die Förderung wirtschaftlicher Einspeisung effizienter gestalten. Unser Ziel ist es, die erneuerbaren Energien so schnell wie möglich markt- und speicherfähig zu machen.

Das ist ebenso Aussage im Koalitionsvertrag wie das klare Ziel, beim Klimaschutz die internationalen Vereinbarungen zu erfüllen und Deutschlands Vorreiterrolle beim Klimaschutz beizubehalten. Hierin liegen gerade für unser Land Niedersachsen gewaltige Arbeitsmarktpotenziale. Mit großem Stolz sage ich an dieser Stelle, dass wir in der größten Wirtschafts- und Finanzkrise seit 80 Jahren, seit 1929, den geringsten Anstieg der Arbeitslosigkeit aller elf westdeutschen Flächenländer haben. Wir haben den geringsten Anstieg.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Als wir die Regierung im Jahre 2003 übernommen haben, war Niedersachsen bei der Arbeitslosenquote unter den 16 Bundesländern auf Platz 9. Niedersachsen liegt jetzt auf Platz 5, auch bei der Jugendarbeitslosigkeit. So gut war Niedersachsen niemals zuvor. Das ist ein Zeichen für die erfolgreiche Politik der Landesregierung, jetzt auch im Einvernehmen mit der Bundesregierung.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Da wir Wachstumseffekte und Arbeitsmarkteffekte auslösen, da in unserer Regierungszeit die Arbeitslosigkeit zurückgegangen ist, während sie in Regierungszeiten anderer angestiegen ist, begleiten

wir das Vorhaben der neuen Bundesregierung mit dem Koalitionsvertrag auch im Bundesrat mit großer Sympathie und großem Wohlwollen. Einnahmeausfälle sind dann hinnehmbar, wenn sie Wachstum generieren. Für Einnahmeausfälle haben wir in Niedersachsen durch Sparsamkeit mehr Vorsorge getroffen als andere. Die internationale Staatengemeinschaft zwingt uns zu mehr Konsum. In dem Kommuniqué des Pittsburgher Gipfels der G-20-Finanzminister wird gerade Deutschland daran erinnert, in der Krise Besonderes leisten zu müssen.

Herr Steinbrück hat in seinem Haushalt für das Jahr 2010 eine Neuverschuldung von 86 Milliarden Euro vorgesehen sowie ein Darlehen an die Bundesagentur für Arbeit in Höhe von 20 Milliarden Euro und andere Schattenhaushalte eingerichtet. Wir in Niedersachsen haben in der schwersten Wirtschafts- und Finanzkrise einen Ansatz von 2,3 Milliarden Euro. Ich wage zu prophezeien, dass es uns gemeinsam in Niedersachsen mit großer Anstrengung gelingen wird, mit diesem Ansatz im nächsten Jahr auszukommen, und zwar unter Einbeziehung der Auswirkungen, die sich aus den Berliner Beschlüssen nach den Verhandlungen im Bundesrat ergeben werden. Das ist ein hehres Ziel, das wir verfolgen. Wir haben unsere Ziele in der Haushalts- und Finanzpolitik seit 2003 immer erreicht oder übererfüllt.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Wir hatten im letzten Jahr beim Haushaltsabschluss mit einer Nettokreditaufnahme von 657 Millionen einen historischen Tiefstand, und das Ziel eines ausgeglichenen Haushaltes wäre ohne Finanz- und Wirtschaftskrise im nächsten Jahr erreicht worden.

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Nur die Ber- liner waren zu blöd!)

Jetzt kommen zusätzliche Belastungen auf die Haushalte in der gesamten Welt zu. Da brauche ich gar nicht nach Amerika zu gucken. Trotzdem müssen wir die Maßnahmen durchführen, die wichtig für unser Land sind, um die Krise zu entschärfen. Zusätzliche finanzielle Belastungen sind von Bund, Ländern und Kommunen zu tragen; denn es kann an der Notwendigkeit einer Steuerstrukturreform ebenso wenig Zweifel geben wie an der Notwendigkeit einer Entschärfung der kalten Progression oder der Entlastung von Familien, damit sie stärker konsumieren können.

Es hat im Mittelstand große Verärgerung über die Regelungen zur Betriebsnachfolge, zur Zinsschranke und zum Mantelkauf gegeben. Diese verhindern die Sanierung von Unternehmen und schrecken Investoren ab. Das ist gerade in der Krise das falsche Signal, weil es prozyklisch und nicht antizyklisch ansetzt. Deswegen haben auch alle Wirtschaftsexperten in Deutschland - z. B. IfoPräsident Hans-Werner Sinn - erklärt, man müsse die Steuerreform eher früher als später durchführen. Der Staat müsse sich verschulden, um die Krise zu bekämpfen, und es wäre ein großer Fehler, jetzt mit der Konsolidierung der Finanzen zu beginnen, da wir uns in der Bekämpfung der weltweit größten Finanz- und Wirtschaftskrise befinden.

Einen solchen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts wie in diesem Jahr hat es noch nie gegeben. Der größte Rückgang betrug zuvor 0,9 %. In diesem Jahr wird die Wirtschaft um 4,5 % schrumpfen. Es gab seit 1929 niemals zuvor einen schrumpfenden Welthandel und ein zurückgehendes Bruttoinlandsprodukt der Welt. Deswegen sind wir extrem gefordert. Aber wir nehmen die Verantwortung sowohl in Berlin als auch hier in Hannover und auch demnächst im Bundesrat beherzt wahr.

Sie haben sich nicht aufgeregt, als die alte Große Koalition eine Entlastung zum 1. Januar in Höhe von 14 Milliarden Euro beschlossen hat. Wir haben gesagt, dass wir das hier schultern müssen, indem wir die Neuverschuldung erhöhen. Das hat uns mit Hunderten Millionen Euro getroffen. Die 14 Milliarden Euro betreffen verschiedene Maßnahmen. Wenn wir hier jetzt zu Entlastungen kommen, dann werden wir das im Einzelnen zu verarbeiten und zu bewältigen haben.

(Zustimmung von Karl-Heinz Klare [CDU])

Der positive Ansatz zur Haushaltskonsolidierung innerhalb der Koalitionsvereinbarungen sind die goldenen Regeln zur Finanzpolitik. Darin haben sich die Koalitionsparteien verpflichtet, dafür zu sorgen, dass das Ausgabenwachstum unter dem Wachstum des Bruttoinlandsproduktes liegen wird. Das heißt, Sparpolitik wird morgen für jedes Ressort beginnen. In jedem Ressort wird man sich so wie in Niedersachsen zur Decke strecken müssen. Denn die Bundesrepublik Deutschland muss das Schuldenverbot bereits 2016 mit 0,35 % des Bruttoinlandsprodukts einhalten, wir im Jahr 2020.

Ich bin sicher, dass wir in Niedersachsen mit unserer Haushalts- und Finanzpolitik bei klugen Entscheidungen auch in der Zukunft unsere Voraussetzungen erfüllen und die Regeln der grundgesetzlichen Schuldenbremse, die wir befürwortet haben, weil man nicht auf Kosten kommender Generationen leben darf, einhalten werden. Ich lade Sie also ein: Wir werden Ihnen in den nächsten Jahren viel Freude bei der Regeneration in der Opposition bereiten, die ja auch eine Chance ist, wie Sie es auch selber empfinden. Wir werden uns in der Regierung regenerieren. Dann sind die Aufgaben verteilt.

Ich kann Ihnen sagen: Seien Sie mutig und nicht so verzagt! Seien Sie zuversichtlich! Seien Sie optimistisch! Ohne Optimismus ist die Wirtschafts- und Finanzkrise nicht zu bewältigen.

(Starker, lang anhaltender Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, es zeichnet sich schon jetzt ab, dass durch die veränderte politische Konstellation in Berlin auch die Debatten hier im Niedersächsischen Landtag möglicherweise kontroverser und munterer werden.

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Wer geben unser Bestes! - Heiner Bartling [SPD]: Das Büblein stampft und hacket wie- der!)

Mein Appell an die Fraktionen geht dahin, darauf zu achten, dass die Fähigkeit zum gegenseitigen Zuhören dabei nicht leidet oder vielleicht sogar verloren geht. Ich glaube, es gehört zum Fundament eines guten, niveauvollen Parlamentarismus, dass man Argumente des anderen ernst nimmt

(Detlef Tanke [SPD]: Argumente ja!)

und sich gegenseitig zuhört.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Ich halte das Haus für damit einverstanden, dass ich den Rednern der Fraktionen in der Reihenfolge der Einreichung der Beratungsgegenstände zu den Tagesordnungspunkten 1 a bis 1 e das Wort erteile. Demnach erteile ich jetzt dem Kollegen Wenzel von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Ministerpräsident, die Aktuelle Stunde ist eine

Stunde des Parlaments. Aber die letzte Woche der Koalitionsverhandlungen in Berlin hat der Glaubwürdigkeit der neuen Regierung offensichtlich einen so schweren Schlag versetzt, dass Sie die Notwendigkeit sahen, hier noch vor den Fraktionen das Wort zu ergreifen.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN - Björn Thümler [CDU]: Das dient der Qualität der Debatte, Herr Wenzel!)