Protokoll der Sitzung vom 28.10.2009

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN - Björn Thümler [CDU]: Das dient der Qualität der Debatte, Herr Wenzel!)

Ich stelle fest: Der Rechtfertigungsdruck auf der rechten Seite des Hauses muss doch enorm groß sein.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD sowie Zustimmung bei der LIN- KEN)

Meine Damen und Herren, der Theaterdonner von Herrn Wulff, den wir am vorletzten Samstag vernommen haben, bereitete am Ende dem Plan zur Einrichtung eines Schattenhaushaltes den Weg. Das Gerede von seriöser Haushaltspolitik und Politik für die künftigen Generationen wurde gleich zu Beginn als großes Schauspiel entlarvt.

Aber dann währte dieser Plan nur zwei Tage. Ein beispielloses Medienecho auch in der konservativ geprägten Presse setzte dem Schattenhaushalt zunächst ein Ende. Jetzt verstecken Frau Merkel und Herr Westerwelle ihre Pläne hinter sage und schreibe 10 Kommissionen und 84 Prüfaufträgen. Jetzt kommt die Koalition mit einem Vertrag daher, der zwar Steuerentlastungen in Aussicht stellt, aber keinerlei Perspektive für eine seriöse Finanzierung verspricht.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

Im Gegenteil, CDU und FDP flüchten in eine ausufernde Verschuldung und in Absichtserklärungen, die schon strittig sind, bevor die Tinte unter dem Vertragswerk überhaupt trocken ist.

Mittlerweile haben sich selbst Parteifreunde von Ihnen, Herr Wulff, und von der FDP ganz deutlich geäußert. Der Ministerpräsident des Saarlandes, Herr Müller, hat angekündigt, dass die Zustimmung im Bundesrat zweifelhaft ist. Frau Lieberknecht, die neue Ministerpräsidentin von Thüringen, Herr Tillich, der Ministerpräsident von Sachsen, und auch Herr von Beust, der Bürgermeister von Hamburg, haben sich gleichfalls kritisch zu diesem Machwerk geäußert.

Aber es gibt auch Schweiger. In den letzten Tagen hat man von Herrn Möllring und von Herrn Wulff nichts zu den Auswirkungen auf den Landeshaushalt gehört. Erst jetzt, erst heute wurde die Rechtfertigung, wurde die Erklärung nachgeschoben. Nur einen treuen Hundt haben wir vernommen, der das Machwerk unterstützt hat: den Arbeitgeberpräsidenten.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: „Machwerk”? Sehr despektierlich!)

- Machwerk oder Machtwerk, wie man will. Beides würde vielleicht passen.

Meine Damen und Herren, die Süddeutsche fragt in einem Kommentar: „Ist das Betrug?“ Heribert Prantl gibt gleich die Antwort: „Natürlich ist das Betrug“. Das ist schon eine sehr deutliche Aussage.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der LINKEN)

Ein bisschen Steuersenkung soll es insbesondere für die besser verdienende Hälfte der Bevölkerung und ein bisschen mehr Steuersenkung für das am besten verdienende Zehntel der Bevölkerung geben. Aber höhere Lasten, fein säuberlich unterschieden nach Steuern und Abgaben, werden alle treffen. „Dieser Wortbruch war zu erwarten“, schreibt Zeit online. Die FAZ spricht von „SchwarzGeld“, die Süddeutsche von „schwarzen Kassen“. Auch die Wirtschaftswoche, die nicht unbedingt zu unseren Freunden zählt, spricht schlichtweg von einem „Armutszeugnis“. Was sie anderen stets vorgeworfen haben - den Sozialdemokraten, aber auch den Grünen -, machen Westerwelle und Merkel jetzt selber: Schulden anhäufen.

Meine Damen und Herren, neben den Schulden im Bund reißen diese Pläne der Regierungskoalition aber auch gigantische Löcher in den Landeshaushalt. Fast 60 % der Steuerentlastungen, die Sie versprechen, zahlen am Ende die Länder und Kommunen. Das Land wird im Haushalt 2010 nach Abzug der Folgen des Verfassungsgerichtsurteils zur Anrechnung der Krankenversicherung mit zusätzlich etwa 350 bis 400 Millionen Euro betroffen, in den Folgejahren mit 1,2 Milliarden Euro. Das entspricht den Kosten von etwa 30 000 Lehrerstellen - das ist fast die Hälfte der Vollzeitstellen in Niedersachsen -, von etwa 200 000 Kitaplätzen - das wären fast zwei Drittel der Plätze - oder von 150 000 Studienplätzen - das sind alle, die wir in Niedersachsen haben.

Herr Ministerpräsident, wo wollen Sie angesichts der schon jetzt ausufernden Verschuldung weitere 1,5 Milliarden Euro im Landeshaushalt einsparen? Was passiert denn mit dem Bildungshaushalt, der ja eigentlich gestärkt werden muss? Werden Sie die Einsparungen im Land dann mit Zeitverzug auf die Tagesordnung setzen, um die haltlosen Versprechungen von Herrn Westerwelle und Frau Merkel am Ende finanzieren zu können?

Wenn Sie wenigen Entlastung versprechen und vielen die Rechnung präsentieren, fragt Herr Prantl in der Süddeutschen: „Ist das Betrug?“ Er gibt gleich die Antwort: „Natürlich ist das Betrug“.

(Beifall bei den GRÜNEN sowie Zu- stimmung bei der SPD und bei der LINKEN)

Ich frage Sie, meine Damen und Herren: Ist das vielleicht ein Konjunkturprogramm III, das jetzt kommt? - Der Experte Hans-Werner Sinn vom IfoInstitut - der auch nicht unbedingt verdächtig ist, auf unserer Seite zu stehen - sagt: Nein, zu klein und zu spät. - Trotzdem geht der Staat jetzt ohne Not noch tiefer in die Verschuldung.

Dabei stehen wir finanz- und wirtschaftspolitisch noch lange nicht auf dem Trockenen. Die Unternehmen schieben einen Berg von sage und schreibe 700 Milliarden Euro Verlustvorträgen vor sich her - eine Zeitbombe für den Landeshaushalt und die Haushalte der Kommunen. Der Export im Maschinenbau ist um 20 % zurückgegangen, der Absatz in der Automobilindustrie um 30 % eingebrochen.

Herr Wulff, in dieser Situation bremsen Sie ausgerechnet die zukunftsfähigsten Branchen aus. Die Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke verstopft die Netze und blockiert den Ausbau in der Windkraftbranche.

(Zustimmung bei den GRÜNEN - Björn Thümler [CDU]: Was ist das für ein Unfug?)

Gerade in Niedersachsen droht damit einer hoffnungsvollen Entwicklung die kalte Dusche.

Auch die Solarbranche wollen Sie durch eine außerordentliche Senkung der Einspeisevergütung stoppen. Ich sprach kürzlich mit dem Geschäftsführer eines Unternehmens, das als Zulieferer in vielen Branchen im industriellen Sektor tätig ist. Der sagte ganz deutlich: Das Einzige, was im Moment läuft, ist die Solarindustrie, die Solarbranche.

Meine Damen und Herren, Herr Wulff, Sie wollen Wachstum, aber ausgerechnet die neuen Wachstumsbranchen sollen jetzt leiden. Sie gefährden damit die industriepolitische Poleposition im Bereich der erneuerbaren Energien und der Effizienztechnologie. Stattdessen lassen Sie sich vor den Karren der großen Stromkonzerne spannen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich sage Ihnen ganz deutlich - das sage ich auch der FDP für ihr Stammbuch -: Das sind Entscheidungen gegen den Markt und gegen den Wettbewerb um die effizienteste Technologie.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sie reden von Wachstum, aber Sie bremsen ausgerechnet kleine und mittelständische Unternehmen aus, die für Innovation und neue Arbeitsplätze stehen. Sie stellen sich nicht den Herausforderungen des Klimawandels. Für den Kampf gegen den Klimawandel sind die kommenden vier Jahre, würde es nur nach Ihnen gehen, verlorene Jahre.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Sie verspielen die Chance auf eine abgestimmte Antwort auf Klima- und Finanzkrise. Meine Damen und Herren, Herr Wulff, Sie lassen sich Ihre energiepolitischen Konzepte von den Strategen und Lobbyisten der großen Energie- und Atomkonzerne diktieren, und das betrifft uns in Niedersachsen ganz besonders.

Das Gleiche gilt auch für Ihre Pläne in Gorleben. Sie haben sich doch längst für Gorleben entschieden und wollen dort jetzt weiterbauen. Das haben etliche Ihrer Parteifreunde - darunter auch sehr hochrangige - unverblümt zu Protokoll gegeben. Meine Damen und Herren, dieses Vorhaben ist verwerflich. Das sage ich so deutlich, und das meine ich auch so.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

Sie ignorieren die Ereignisse in der Asse, dem Versuchsendlager für Gorleben. Sie wollen dort weitermachen, wo Kanzler Kohl nach der Manipulation der PTB-Gutachten aufgehört hat, und Sie wollen sogar wieder das Bergrecht anwenden. Auch dort haben Sie nichts gelernt.

(Zuruf von Karl-Heinrich Langspecht [CDU])

Das Land und seine Kommunen, meine Damen und Herren, Herr Langspecht, können sich diese Politik schlicht und einfach nicht leisten.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung von Heiner Bartling [SPD])

Wir werden alles daransetzen, das zu verhindern, zumal die Haushalte 2009 und 2010 mit der geplanten Neuverschuldung schon jetzt verfassungswidrig sind. Sie brechen drei zentrale Wahlversprechen: Sie kündigen eine Steuersenkung an, können sie aber nur auf Pump finanzieren, zwei Drittel der Bevölkerung werden am Ende weniger netto im Portemonnaie haben, und Sie nehmen Abschied von einer solidarischen Finanzierung der Krankenversicherung.

Meine Damen und Herren, zum Schluss noch ein Wort zu der Geschichte von dem neuen Herkules der FDP, zu dem Märchen von dem Waisenjungen, der Minister wurde, wie die Bild-Zeitung schreibt. Das ist ein steiler Aufstieg für Herrn Rösler, von dem hier bei uns im Niedersächsischen Landtag zunächst zwei ganz große Ehrenworte in Erinnerung bleiben. Erstens sagte er, mit 45 würde er aus der Politik aussteigen. Zweitens erklärte er, er würde nie nach Berlin gehen. Neulich stand in der HAZ, selbst Parteifreunde hätten sich vor dem Fernsehgerät gewundert und gesagt, dass sie nun überhaupt nicht mehr verstehen, was da passiert ist. Diesen Parteifreunden können wir ebenso wie allen anderen Rätselratern vielleicht helfen, das doch zu verstehen. Die Antwort auf die Frage, warum Philipp Rösler nun doch nach Berlin geht, ist ganz einfach: Nur wenn er sein Ehrenwort Nummer zwei bricht, kann er sein Ehrenwort Nummer eins halten. Aber es ist nicht auszuschließen, dass auch das am Ende nicht klappt. Angesichts der desolaten Lage im Gesundheitsbereich und angesichts der ungesunden Programmatik der FDP könnte der Ausstieg aus der Politik schon viel früher kommen.

Meine Damen und Herren, ich wünsche Philipp Rösler von hier aus persönlich viel Gutes. Man könnte auch sagen: Hals- und Beinbruch!

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

Ich erteile dem Kollegen Jüttner von der SPDFraktion das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das ist die erste Aktuelle Stunde, die mit einer Regierungserklärung beginnt. Das ist schon ungewöhnlich. Wahrscheinlich hat Herr Wulff gedacht: Wenn schon Frau Merkel heute in Berlin keine Regierungserklärung abgeben kann, dann hören wir wenigstens in Niedersachsen eine stellvertretende Regierungserklärung. - Das ist ja eigentlich ganz schlüssig. Das finde ich gar nicht so schlecht.

(Beifall bei der SPD - Björn Thümler [CDU]: Dann wissen Sie schon mal, was darin steht! Das ist ja auch schon gut!)

Ich muss wirklich sagen: Ich bin erstaunt, wie unterschiedlich man Texte lesen kann, Herr Wulff. „Chaostage in Berlin“ - Quelle: Handelsblatt. „Desaster“ - Frankfurter Rundschau. „Blanker Dilettantismus“ - Financial Times Deutschland. „Gescheitert!“ - Die Welt.

(Klaus Rickert [FDP]: Gehören alle der SPD!)

- Ja, genau, die gehören alle der SPD!

(Lachen und Beifall bei der CDU)

„Selber ausgebremst!“ - Die Welt. „Koalition verheddert sich in Finanztricks“ - Süddeutsche Zeitung.

(Björn Thümler [CDU]: Gabriel ist doch noch gar nicht im Amt!)