Da reicht es nicht, wenn Sie hier die Publicity machen und die Kommunen bezahlen müssen. Wir wollen es einfach nicht länger zulassen, dass sich diese Landesregierung beim Kinderschutz dauernd aus der Verantwortung stiehlt, meine Damen und Herren.
Das, was hier heute verabschiedet werden soll, mag vielleicht die Koalitionsfraktionen und die Ministerin beruhigen. Den Kindern hilft es ausweislich des gesamten Fachverstandes nicht. Deshalb verspreche ich Ihnen: Wir werden diesen Gesetzentwurf in dieser Legislaturperiode so lange und so oft einbringen, bis auch diese Landesregierung endlich die Handlungsnotwendigkeit begreift.
In der allgemeinen Aussprache hat jetzt Frau Staudte von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Bitte!
Sehr geehrter Herr Landtagspräsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Seit Mai 2008 debattieren wir hier im Landtag über das verbindliche Einladewesen, und es ist wirklich kein Zufall, dass dieser Entwurf erst nach der Bundestagswahl und zu so später Stunde hier heute durchgewunken werden soll. Er taugt nicht viel. Das wissen alle, die sich damit beschäftigt haben; Herr Schwarz hat es eben gerade ausgeführt.
Fraktionsübergreifend haben wir alle zunächst, am Anfang der Debatte, für ein verbindliches oder gar verpflichtendes Einladewesen plädiert. Doch spätestens seit der Anhörung wissen wir, dass das verbindliche Einladewesen keinen effektiven Schutz vor Misshandlung oder Vernachlässigung darstellt. Das verbindliche Einladewesen ist eine bürokratische Alibimaßnahme und politischer Aktionismus, das eher schadet, als dass es nützt.
Auch mit den von der SPD angeführten Ergänzungen, die Sie in Ihrem Gesetzentwurf darstellen - wie der Anerkenntnis der Konnexität gegenüber den Kommunen -, wird er nicht wesentlich besser. Wir Grüne können hier nur ein allerletztes Mal dafür plädieren: Ziehen Sie den Gesetzentwurf zurück, Frau Ross-Luttmann!
Bei der Anhörung im März dieses Jahres sprachen sich 12 der 13 angehörten Verbände mehr oder weniger scharf gegen diesen Gesetzentwurf aus. Mir ist vor allem eine Aussage noch ganz deutlich im Ohr - die möchte ich Ihnen gerne vorlesen -, und zwar die von Dr. Voigt von der Ärztekammer. Er sagte:
„Wir persönlich haben auch ganz konkret die Sorge, dass dieser vermehrte Kontrollaufwand für die Jugendämter dazu führen kann, dass wesentliche andere Aufgaben, die diese Jugendämter haben, speziell auch … das Aufsuchen von schon bekannten Problemfamilien, darunter leiden werden und dass dies womöglich eher zu
Ich sage Ihnen voraus: Die Jugendämter werden wieder allein als Kontrollinstanzen und nicht als Hilfeinstanzen wahrgenommen werden. Dabei haben die Jugendämter jahrzehntelang versucht, diesen Ruf loszuwerden.
Wir haben Ihnen mit dem Vorschlag eines zeitlich und räumlich begrenzten Modellversuchs eine goldene Brücke gebaut, damit Sie ohne Gesichtsverlust Abstand von diesem Gesetzentwurf nehmen können. Frau Ministerin, doch scheinbar ist nichts so schwierig, wie einen Fehler einzugestehen. Es ist absolut fahrlässig, erst - wie vorgesehen - nach fünf Jahren eine Evaluierung durchzuführen.
„… belastbare Daten, mit denen verlässlich beurteilt werden könnte, ob der verhältnismäßig große Aufwand den gewünschten Erfolg haben wird, liegen jedoch noch nicht vor.“
Die Vermutung liegt nahe, dass die Landesregierung auch vor Gericht mit dem Gesetzentwurf Schiffbruch erleiden könnte, wenn die Kommunen eine kommunale Verfassungsbeschwerde in Bückeburg einreichen würden; denn hier kommt es sehr wohl zu einer konnexitätsrelevanten Standarderhöhung durch die Absenkung der Eingriffsschwelle.
Kurz zum Gesetzentwurf der SPD: In der ersten Hälfte finden sich sehr viele gute Ansätze, Stichworte „Familienhebammen“, „Kinderkrankenschwestern“, „Netzwerk frühe Hilfen“ usw. Aber dass Sie letztendlich nicht den Mut haben, den einzig richtigen Schluss aus der Anhörung zu ziehen und dem verbindlichen Einladewesen ein für alle Mal eine Absage zu erteilen, hat mich doch ein wenig enttäuscht.
Unsere Position ist klar: Wir lehnen das verbindliche Einladewesen ab und wollen stattdessen erwiesenermaßen wirksame Kinderschutzprojekte fördern, wie Familienhebammen oder auch das Babybegrüßungsprojekt, das demnächst in Delmenhorst startet. Dort werden auch Hausbesuche durchgeführt, aber bei allen Familien und direkt nach der Geburt. Man kommt nicht mit erhobenem
Zeigefinger, sondern mit einem Geschenkpaket. Man kommt nicht mit Myrrhe und Weihrauch, um in der Bibelsprache zu bleiben, sondern mit Infomaterial oder mit Bildungsgutscheinen. So findet man den Weg zu hilfebedürftigen Familien, und so schafft man eine Basis für eine gelingende Zusammenarbeit. Berücksichtigen Sie dies, und ziehen Sie Ihren Gesetzentwurf zurück!
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eines habe ich in der heutigen Aussprache noch nicht gehört - das jedoch sollte die zentrale Botschaft in einer solchen Debatte sein -: Wir sind davon überzeugt, dass die allermeisten Eltern in Niedersachsen sich ihrer Verantwortung bewusst sind, ihre Kinder liebevoll erziehen und sich um deren Gesundheit sorgen. Das muss vorweg gesagt werden, statt alle Eltern unter Generalverdacht zu stellen.
Der Gesetzentwurf der Landesregierung unterstreicht, dass wir den Eltern vertrauen, dass wir sie in ihrer Fürsorge für ihre Kinder unterstützen und ihnen für ihre Kinder Unterstützung anbieten, wenn sie Hilfe brauchen.
Dabei spielt die Erhöhung der Teilnehmerzahl an den Früherkennungsuntersuchungen eine zentrale Rolle. An dieser Stelle setzt die Landesregierung richtigerweise an; denn gesunde Kinder, informierte und motivierte Eltern sind die Grundlage dafür, dass es gar nicht erst zur Vernachlässigung und Misshandlung von Kindern kommt oder dass eine solche frühzeitig erkannt wird. Die Eltern werden in Zukunft zur Teilnahme an den Früherkennungsuntersuchungen eingeladen und von den örtlichen Trägern der Kinder- und Jugendhilfe unterstützt.
Wir unterstützen die Kommunen in einer ihrer originärsten Aufgaben. Sie jedoch sprechen mit Ihrem Entwurf den Kommunen die Kompetenz dafür ab, sich genug um die Kinder zu kümmern. Deshalb wollen Sie das zentralisieren. Sie wollen alles von Hannover aus regeln, und Sie wollen auch
Sie wollen das Geld für das Programm „Familie mit Zukunft“, das von unserer Ministerin entwickelt wurde, umschichten. Sie wollen ein bürokratisches Monster aufbauen und die bisherigen Strukturen zerstören. Haben Sie das eigentlich schon einmal Ihren Landräten erzählt, die das Programm „Familie mit Zukunft“ für hervorragend halten?
Bei mir im Landkreis gibt es einen SPD-Landrat, dessen Familienservicebüro mit Mitteln aus diesem Programm finanziert wird. Sie sollten einmal Ihre Kommunalpolitiker über das informieren, was Sie hier vorhaben.
Unsere Ministerin wird auch von den örtlichen Kommunalpolitikern, die Ihrer Partei angehören, für dieses Programm gelobt. Sie aber wollen diese Strukturen zerstören, indem Sie das Geld umleiten wollen. So sieht Kinderschutzpolitik der SPD aus!
Herr Schwarz, Sie haben die zu lange Bearbeitungszeit im Ministerium kritisiert und von einem Kolbenfresser gesprochen. Während Sie noch mit Altöl fahren, fährt unsere Regierung bereits mit Elektroantrieb: sauberer, effizienter und zukunftsorientiert. So sieht es in diesem Haus aus, meine Damen und Herren.
Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein weiterer Baustein zur Verbesserung der Gesundheit und des Schutzes von Kindern. Wir setzen dabei insgesamt auf drei Säulen. Das sind zum einen die gesetzlichen Grundlagen, d. h. die Kinderrechte in der Verfassung. Da sind Sie ja Gott sei Dank eingeschwenkt, sodass das jetzt umgesetzt ist.
Herr Kollege Focke, einen kleinen Moment, bitte! Es ist unglaublich unruhig hier. Meine Damen und Herren, hören Sie doch bitte dem Redner zu!
Im Zentrum steht die Vernetzung aller Akteure durch die Kinderschutzzentren und Beratungsstellen, das Landesprogramm „Familie mit Zukunft“, das Modellprojekt „Koordinationszentren Kinderschutz - Kommunale Netzwerke früher Hilfen“, die Kinderschutzkonferenzen, 280 Familienservicebüros in Niedersachsen. Komplettiert wird diese Politik durch die aktive Unterstützung der Familien. Auf diesem Gebiet hat die Landesregierung in den letzten Jahren viel geleistet. Zu nennen sind die Ausbildung von Erziehungslotsen, die Förderung des Instituts für frühkindliche Bildung und Entwicklung, 200 Familienhebammen, die Ausbildung von Kinderschutzfachkräften und das sehr erfolgreiche Programm „welcome“, das junge Eltern unterstützt und entlastet.
Das alles ist ein bunter Strauß an Maßnahmen, die eine Vernetzung vor Ort fördern, Eltern und Kinder unterstützen. Das wird durch das vorliegende Gesetz weiter gestärkt. Das ist eine Familienpolitik, das ist ein Kinderschutz aus einem Guss.
Lassen Sie mich jetzt noch einmal auf Ihren Gesetzentwurf zu sprechen kommen, meine Damen und Herren von der SPD. Schon der Ton in Ihrem Gesetzentwurf macht die grundsätzlich gegenteiligen Auffassungen in diesem Bereich deutlich. Während in unserem Gesetzentwurf davon die Rede ist, dass die Eltern und Kinder zu Vorsorgeuntersuchungen eingeladen werden, schreiben Sie - ich zitiere -:
„Die gesetzlichen Vertreterinnen und Vertreter werden mit ausdrücklichem Hinweis auf ihre Mitverantwortung für die gesundheitliche Entwicklung ihrer Kinder zur Teilnahme aufgefordert.“
Meine Damen und Herren, da schwingt doch schon das grundsätzliche Misstrauen gegen die Eltern mit, wenn man das so formuliert.