Protokoll der Sitzung vom 30.10.2009

Damit er Ihnen präsent ist, lese ich § 22 e - Beteiligung von Kindern und Jugendlichen - einmal vor:

„Die Gemeinde soll Kinder und Jugendliche bei Planungen und Vorhaben, die ihre Interessen berühren, in angemessener Weise beteiligen. Hierzu soll die Gemeinde über die in diesem Gesetz vorgesehene Beteiligung“

- also Bürgersprechstunden etc. -

„hinaus geeignete Verfahren entwickeln und durchführen.“

(Astrid Vockert [CDU]: Das ist doch gut!)

- Ja, Städte und Gemeinden sind jetzt schon dazu verpflichtet, Kinder und Jugendliche einzubeziehen. Die Landkreise und auch die Region Hannover sind dazu bisher allerdings nicht verpflichtet. Das muss sich ändern, denn gerade Schulträger führen ja in sehr großem Umfang Maßnahmen durch, die Kinder und Jugendliche betreffen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Damit dieser Paragraf kein Papiertiger bleibt, muss das Land konsequenterweise auch auf die Einhaltung dieser Sollvorschrift drängen, etwa durch eine Berichtspflicht der Kommunen oder dadurch, dass Landesmittel für Maßnahmen, die Kinder und Jugendliche betreffen, nur dann ausgezahlt werden, wenn die Kommunen nachweisen können, dass sie Kinder und Jugendliche am Planungsprozess beteiligt haben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Frau Staudte, Frau Vockert möchte gern eine Zwischenfrage stellen. Lassen Sie das zu?

Man muss auch einmal zuhören können.

Das bedeutet: Schulsanierungen und Kitasanierungen sollen nur dann bezuschusst werden, wenn

Kinder und Jugendliche bzw. Schüler auch wirklich beteiligt worden sind.

Viertens. Die Kommunalverwaltungen benennen einen Kinderbeauftragten, damit sich in den Verwaltungen wirklich eine Person dafür verantwortlich fühlt, die Beteiligung umzusetzen. Das ist eine Kernforderung, die sich aus unserer internen Expertenanhörung ergeben hat.

Fünftens. Die Kitas, Schulen und Jugendeinrichtungen werden in ihren Bemühungen, Beteiligungsprozesse umzusetzen, unterstützt. Das bedeutet mehr Fortbildung für Lehrerinnen und Lehrer sowie Erzieherinnen und Erzieher. So viel zu unseren Kernforderungen.

Wenn es um eine kinderfreundliche Gesellschaft geht, sind Kinder Experten in eigener Sache und müssen einbezogen werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wenn Spielplätze von Kindern selbst mitgeplant werden, kann man sich sicher sein, dass sie tatsächlich ihren Bedürfnissen entsprechen und die Gelder nicht im wahrsten Sinne des Wortes in den Sand gesetzt worden sind. Wenn Kinder ihre Schulgebäude und Schulhöfe selbst gestalten können, kann man sich sicher sein, dass sie auch pfleglicher behandelt werden. Sollten wir uns in Niedersachsen dazu entschließen, diese Ansätze, die es ja schon einmal gab, wieder aufzugreifen, dann werden wir auch sehr viele Mitstreiter haben. Ich möchte das Deutsche Kinderhilfswerk, den Landesjugendring und die Bertelsmann-Stiftung nennen. Dieses Potenzial sollten wir nutzen. In einer alternden Gesellschaft darf man nicht nur darauf achten, dass altersgerecht gearbeitet wird. Es muss vielmehr auch kindgerecht gearbeitet werden. Ich denke, wir sollten hier einen Neuanfang wagen. Wir bitten dabei um Ihre Unterstützung.

(Lebhafter Beifall bei den GRÜNEN und Zustimmung bei der LINKEN)

Die nächste Rednerin ist Frau Reichwaldt von der Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eines, was mich im Alltag besonders erschreckt, ist das zunehmende Desinteresse vieler junger Menschen gegenüber Politik. Ständig sinkende Wahlbeteiligungen sind ein Warnzeichen.

Hier muss die Entwicklung dringend eine andere Richtung nehmen. Einen Grund für die zunehmende Politikverdrossenheit sehe ich in dem Gefühl, nicht beteiligt zu werden, dem Gefühl, doch sowieso nichts ändern zu können. Dieses Gefühl wird Kindern und Jugendlichen besonders vermittelt. Ich kann daher dem Titel des Antrags - Demokratie muss gelernt werden - nur zustimmen.

Fehlende Beteiligung behindert die demokratische Entwicklung der Gesellschaft. Kinder und Jugendliche sind besonders empfänglich für das Gefühl der Machtlosigkeit: Andere bestimmen über uns. Kinder und Jugendliche haben aber Rechte, wie in der UN-Kinderrechtskonvention niedergelegt. Es ist vielsagend, dass das im Jahr 2000 gestartete umfassende Förderprogramm des Landes zur Beteiligung von Kindern und Jugendlichen im Jahr 2004 ersatzlos gestrichen wurde. § 22 e der Niedersächsischen Gemeindeordnung, der die Kinderbeteiligungsrechte regelt, scheint auch nicht wirksam zu sein.

Der Antrag stellt Forderungen in drei Bereichen: Er fordert eine Reaktivierung der Landeskampagne, eine Konkretisierung der Vorgabe der Niedersächsischen Gemeindeordnung und - dieser Bereich erscheint mir als besonders wichtig - eine Qualifizierung von Betreuerinnen und Betreuern in Kindertagesstätten, Schulen und Jugendeinrichtungen einschließlich einer Integration der Beteiligungsrechte im Hinblick auf die Zielsetzungen. Wir werden über die Einzelmaßnahmen noch ausführlicher in den Ausschussberatungen diskutieren können.

Kinder und Jugendliche haben das Recht, an der Gestaltung ihrer Lebenswelt beteiligt zu werden. Wenn wir sie beteiligen, werden sie sich zu Mitbürgern entwickeln, die unsere Demokratie aktiv mitgestalten. Sie können soziale und intellektuelle Kompetenzen entwickeln. Sie werden wahrscheinlich später mehr direkte Bürgerbeteiligung in unseren politischen Strukturen fordern, was für mich wünschenswert wäre. Die Motivation, sich auch im späteren Leben aktiv einzumischen, wird steigen. Politikverdrossenheit könnte dann ein Fremdwort werden. Geben wir Kindern und Jugendlichen diese Partizipationsmöglichkeiten. Schaffen wir Strukturen, um Demokratie zu lernen.

Der vorliegende Antrag gefällt mir außerordentlich gut. Ich freue mich auf die Beratungen im Ausschuss.

(Beifall bei der LINKEN und Zustim- mung von Miriam Staudte [GRÜNE])

Nun hat Herr Försterling von der FDP-Fraktion das Wort. Bitte!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist, wie ich glaube, unser aller Ziel, dass Kinder und Jugendliche in unserer Gesellschaft partizipieren können und ernst genommen werden.

Allerdings muss die Frage erlaubt sein - wir können diese Frage im weiteren Beratungsgang sicherlich ausdiskutieren -, ob der vorliegende Antrag dafür die richtige Grundlage ist. Ich habe in dieser Hinsicht durchaus einige Bedenken.

Wir werden immer massiv kritisiert, wenn - egal in welchem Bereich - Servicestellen eingerichtet werden, wenn Wettbewerbe initiiert werden etc. Dann wird gesagt, das sei alles nicht ausreichend. In dem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen geht eine der Kernforderungen aber gerade in diese Richtung.

Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob es richtig ist, von Landesseite aus so massiv in die kommunale Selbstverwaltung einzugreifen. Im Antrag wird gefordert, eine Berichtspflicht einzuführen. Wenn die Berichte dann vorliegen, muss es auch eine übergeordnete Behörde geben, die diese Berichte liest und prüft und die Kommunen letztendlich rügt, wenn sie Kinder und Jugendliche nicht entsprechend beteiligt haben.

Darüber hinaus ist beabsichtigt, in Stiftungsentscheidungen des Landes einzugreifen. Das heißt, dass auch Entscheidungen von Stiftungsräten dahin gehend hinterfragt werden sollen, ob vor der Förderung von Projekten der Kinder- und Jugendarbeit sichergestellt worden ist, dass Kinder und Jugendliche entsprechend beteiligt worden sind.

Ich glaube, dass wir uns bei den meisten Stiftungen im Lande Niedersachsen keine Gedanken darüber machen müssen, dass dort kinder- oder jugendfeindliche Entscheidungen getroffen werden. Von daher stellt sich die Frage, ob es tatsächlich sinnvoll ist, in Entscheidungen der Stiftungen einzugreifen.

Meiner Meinung nach müssen wir Kindern und Jugendlichen noch mehr deutlich machen, dass sie in der Gesellschaft und auch in den Kommunen vor Ort mitreden und auch aktive Beiträge leisten dürfen und sollen. Ich glaube nicht, dass es zielführend wäre, dafür so massive Regularien einzu

führen, wie es die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit ihrem Antrag fordert.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Eine Kurzintervention von Frau Staudte. Bitte schön!

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Försterling, einige kurze Anmerkungen. Wir sind nicht generell gegen Servicestellen. Das ist, glaube ich, eine Behauptung, die nicht wirklich belegt werden kann. Von uns aus kann diese Servicestelle im Ministerium gern auch „Referat“ genannt werden oder einen anderen Namen bekommen. Wir kritisieren Wettbewerbe nur dann, wenn sie keine wirklichen Anreize schaffen, sondern nur dazu dienen, dann, wenn die Ministerin oder die Staatssekretärin irgendwo einen Preis überreichen, eine dicke Schlagzeile in den Zeitungen zu produzieren.

Die Kommunen sind nun einmal der Wohn- und Lebensort von Kindern und Jugendlichen. Das bedeutet: Kinder und Jugendliche können auch nur an dem, was in den Kommunen entschieden wird, partizipieren, nicht jedoch an den Aufgaben des Landes. Insofern ist es meiner Meinung nach richtig, die Motivation der Kommunen zu steigern. Bei der Diskussion über das Thema Fusion haben wir heute Morgen ja gesehen, dass das Land da ansonsten auch keine Bedenken hat.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Herr Försterling möchte antworten. Sie haben ebenfalls anderthalb Minuten. Bitte!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich konnte in der Vergangenheit nicht feststellen, dass es der Landesregierung bei der Durchführung von Wettbewerben nur um Schlagzeilen ging. Ich glaube, dass die Wettbewerbe, die von der Landesregierung in der Vergangenheit ausgelobt worden sind, durchaus richtig waren und auch Initiativen in Gang gesetzt haben. Deshalb kann ich sagen, dass wir in diesem Bereich zu Recht stolz auf die Landesregierung sein können.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Nächster Redner ist Herr Tonne von der SPDFraktion. Bitte schön, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Rahmen von Diskussionen über das Erleben von Demokratie sowie über Partizipation und Jugend habe ich gelegentlich den Eindruck gewonnen, dass manche Vertreter der Politik eine sehr distanzierte Haltung gegenüber diesen Themen einnehmen.

Auf Fragen, warum die Jugendlichen nur sehr spärlich Parteimitglieder werden, nicht wählen gehen und sich nicht beteiligen, wird immer wieder gern mit der allgemeinen Floskel der Politikverdrossenheit geantwortet. Ich bin der festen Ansicht: Wer so redet, der macht es sich viel zu einfach. Vielmehr muss man doch die Frage stellen, ob es sich dabei nicht um eine Politiker- und Parteienverdrossenheit handelt. Beim vorletzten Tagesordnungspunkt haben wir dafür in der Auseinandersetzung um die Frage, wer wie gut in Wolfenbüttel abgeschnitten hat, ein hervorragendes Beispiel erlebt.

(Beifall bei der SPD - Astrid Vockert [CDU]: Sie setzen ein weiteres Bei- spiel dafür, Herr Tonne!)

Mein Eindruck ist, dass Jugendliche durchaus ein politisches Interesse haben, genau so, wie sie bereit sind, sich zu engagieren; nur eben nicht für die klassische etablierte Politik. Daher ist es begrüßenswert - insofern nehme ich die angesprochene Einladung auch gern an -, dass wir hier einen Antrag vorliegen haben, der sich mit der Verbesserung der Partizipation von Kindern und Jugendlichen auseinandersetzt. Es ist richtig, dass wir dabei sowohl das Land als auch die Kommunen mit einbeziehen.

Im Jahr 2000 hat das Land Niedersachsen Mittel bereitgestellt, sodass in einer Gemeinschaftsaktion mit Kinderschutzbund, Landesjugendring und anderen Beteiligten insgesamt 105 Partizipationsprojekte gefördert werden konnten.

Jetzt kommen wir zu dem, was CDU und FDP machen: Sie streichen diese Mittel ersatzlos und fordern in Sonntagsreden gleichzeitig mehr Einsatz für Demokratie. Ihr Handeln entlarvt ihre tatsächliche Haltung, nämlich Gleichgültigkeit.