Protokoll der Sitzung vom 15.12.2009

Nun führen wir aber eine grundsätzliche Auseinandersetzung rund um das ÖPP-Projekt in Bremervörde. Das hat etwas Ideologisches. Ich glaube - darüber haben wir auch vor vier Wochen schon diskutiert -, dass wir hier nicht so richtig zueinander finden werden. Eines muss in diesem Zusammenhang doch einmal klargestellt werden, wenn hier vonseiten der Opposition immer wieder von „zusätzlichen Belastungen für das Land“ gesprochen wird: Im Gegenzug zu Bremervörde werden wir kleinere unselbstständige Justizvollzugsanstalten schließen. Bis zur Jahreswende werden die Einrichtungen in Alfeld, Gifhorn, Holzminden, Königslutter und Peine geschlossen. Bis 2012 werden darüber hinaus auch die Einrichtungen in Achim, Stade, Verden und Osnabrück/Schinkelstraße geschlossen. Jede Schließung führt sofort zur Einsparung von Sach- und Betriebsausgaben sowie von eventuell erforderlichen Bauunterhaltungsmaßnahmen. Ferner kann durch die Schließungen der für die JVA Bremervörde notwendige Personalansatz auf staatlicher Seite von rund 85 Bediensteten kostenneutral gedeckt werden.

Bei der im Haushalt eingestellten Verpflichtungsermächtigung in Höhe von 269,5 Millionen Euro handelt es sich erstens nicht um eine einmalige Belastung des Haushalts, sondern um die derzeit prognostizierte Gesamtsumme aller durch das Land zu zahlenden Kosten, verteilt auf 25 Jahre, und zweitens auch nicht um eine zusätzliche Belastung des Haushalts; denn wir erwarten, dass diese Kosten - ich habe es erwähnt - zu mehr als 80 % durch Einsparungen im Zusammenhang mit der Schließung der von mir genannten Einrichtungen erwirtschaftet werden können. Deswegen hat das ÖPP-Projekt in Bremervörde seine Sinnhaftigkeit. Der Rechnungshof hat sich auch nicht dagegengestellt. Ich weiß gar nicht, was Sie hier daherkommentieren.

Herr Kollege Adler, Ihren Haushaltsänderungsantrag - wenn ich das richtig gelesen habe - fand ich

doch etwas drollig. Da machen Sie eine geniale Rechnung auf, was man sparen kann: 269,5 Millionen Euro geteilt durch 25 ergibt eine jährliche Einsparung von 10,7 Millionen Euro. - Wunderbar! Aber dabei vergessen Sie etwas: Wenn wir das Projekt Bremervörde nicht realisieren, kann man die anderen acht oder neun Anstalten nicht schließen. Die werden weiter betrieben. Das ist fast ein Nullsummenspiel. Ich wäre dankbar, wenn Sie da etwas transparenter arbeiten würden. Ich hätte von Ihnen eigentlich etwas anderes erwartet. Aber wie auch immer.

Meine Damen und Herren, was ist im Jahre 2009 passiert? - Wir haben die sozialen Dienste reformiert und die 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bewährungshilfe, der Führungsaufsicht, der Gerichtshilfe und der Opferhilfe zum 1. Januar 2009 in einem einheitlichen Justizsozialdienst zusammengefasst.

(Glocke des Präsidenten)

Meine Damen und Herren, mal ehrlich: Hat in Fachkreisen jemand gewaltig etwas davon gehört? - Eigentlich nicht. Das heißt, es funktioniert. Gut gemacht! Darüber dürfen wir uns auch freuen.

Wir haben im Laufe des Jahres das Niedersächsische Vollzugsgesetz den Erfordernissen der Praxis angepasst. Wir haben im Laufe des Jahres das neue Richtergesetz beraten. Ich denke, das wird im Januar im Parlament beraten werden. Wir haben das Niedersächsische Schlichtungsgesetz entwickelt. Darüber werden wir heute Abend miteinander diskutieren. Wir sind auch im baulichen Bereich - die Justizzentren wurden angesprochen - Schritt für Schritt dabei, ein Projekt nach dem anderen zu realisieren. Dass man dafür viel Geld aufwenden muss und dass das Kraft kostet, ist klar. Aber wir haben alles im Blick.

Ein Kernthema ist die personelle Ausstattung in der Justiz. Ich denke, auch hier sind wir auf einem ganz ordentlichen Weg. Herr Haase und alle anderen Redner, suchen Sie in Deutschland einen Justizminister, der sich wirklich zu PEBB§Y bekannt hat! PEBB§Y - ich sage das für diejenigen, die nicht täglich damit zu tun haben - ist ein Personalbedarfsberechnungssystem, mit dem die Belastungen von Richtern, Staatsanwälten und sonstigen Justizbediensteten bewertet werden. Das Ziel ist eine 100-prozentige Arbeitsauslastung oder PEBB§Y 1,0. Dann haben wir die Ideallinie erreicht.

(Unruhe)

Herr Minister, einen Moment, bitte! Ich möchte in den letzten Minuten vor der Mittagspause ein bisschen mehr Ruhe für Sie haben. - Bitte schön!

Herr Haase, ich hatte den Eindruck - wenn Sie mir diesen Seitenhieb gestatten -, Sie hätten die Rede vom Vorjahr hier noch einmal durchgeleiert.

(Hans-Dieter Haase [SPD]: Nein, überhaupt nicht!)

Sie sind bei den Zahlen nicht ganz auf dem neuesten Stand.

(Zustimmung bei der CDU)

Ich sage das auch für die anderen. Wie ist derzeit die PEBB§Y-Belastung? - Ordentliche Gerichte: 1,10. Staatsanwaltschaften: 1,19. Verwaltungsgerichte: 0,91. Sozialgerichte: 1,10. Arbeitsgerichte: 1,08. Wenn der Haushalt übermorgen beschlossen wird, kommen noch ein paar personalwirksame Maßnahmen hinzu. Ich darf Ihnen sagen: Wenn Sie uns gefragt hätten, dann hätten wir auch Ihnen das verraten: Im Hinblick auf die Eingänge im Geschäftsbereich dürfen wir von einer gewissen Entspannung ausgehen. Also dieser Justizminister, Herr Haase, ist nicht weit weg von PEBB§Y 1,0. Das sollte uns miteinander freuen.

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Haase?

Nein, die Zeit ist knapp.

(Hans-Dieter Haase [SPD]: Oh! Das könnten Sie aber ruhig mal machen!)

- Gut, Herr Haase, auf geht’s!

Herr Minister, eine Frage müssen Sie sich schon stellen lassen. Sie sprechen von den Richterzahlen. Ich habe aber vorhin von PEBB§Y-Belastungen im Justizdienst gesprochen. Sie wissen: Rechtspfleger: 1,22. Die Spitzenbelastung besteht beim Rechtspflegerdienst bei den Generalstaatsanwalten: 1,35. Sie können sich gerne in Ihrem Haus erkundigen.

Es gibt in der Tat auch andere Bereiche als die von mir zitierten.

(Hans-Dieter Haase [SPD]: Eben!)

Ja, mal liegt es drüber, mal liegt es drunter. Zum Beispiel bei den Wachtmeistern, von denen ich keinen entbehren möchte, liegt die Belastung bei 0,9. Das geht je nach Saison ein bisschen rauf oder runter.

Der Etat wächst. Dass dies so ist, haben Sie zugestanden. Wir erreichen miteinander einige gute Beschlüsse und Maßnahmen: 20 neue Staatsanwaltsstellen - wann hat es das jemals gegeben, meine Damen und Herren? - und zusätzlich neun neue Richterstellen für die ordentlichen Gerichte. Wir verlängern bei 15 Richterinnen- und Richterstellen, die ursprünglich vorübergehend zur Verstärkung der Strafkammern zusätzlich zur Verfügung gestellt wurden, die bestehenden kwVermerke um ein Jahr. Ähnliches machen wir bei acht Richterstellen für die Sozialgerichtsbarkeit. Ich meine insofern, dass wir hier ganz vernünftig miteinander weiterkommen.

Die Arbeitsgerichtsbarkeit ist hier durchaus mit einer gewissen Übereinstimmung kommentiert worden. Da war man, zugegeben, nach dem Stand Frühling dieses Jahres mit einer zusätzlichen Stelle eingestiegen. Jetzt werden es fünf Stellen werden. Ein Rechtspfleger kommt noch dazu. Das ist auch notwendig, damit gar nicht erst das entstehen kann, was in der Sozialgerichtsbarkeit entstanden ist, nämlich Aktenberge. Die können wir nicht gebrauchen. Wir brauchen kurze Verfahren.

Eines will ich ganz deutlich sagen: Sehr oft wird die Personalfrage in der Justiz im Zusammenhang mit Richtern und Staatsanwälten diskutiert. Das wird immer - Entschuldigung - bei „denen da oben“ festgemacht. Aber dass es noch viele, nämlich 15 000 andere gibt und die sogenannten kleinen Gehaltsempfänger - A 5, A 6, A 7 - auch einmal gewürdigt sein wollen, muss man auch einmal in den Fokus nehmen.

Ich bin sehr dankbar dafür, dass wir 154 Hebungen im Wachtmeisterdienst im Planentwurf 2010 aufnehmen. Das heißt, der Wachtmeister, der ja zunehmende Verantwortung zu übernehmen hat, kann auch nach A 6 oder A 7 befördert werden, in einigen Fällen auch nach A 8. Das ist ein Quantensprung! Warum sind Sie früher eigentlich nicht darauf gekommen?

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Kreszentia Flauger [LINKE]: Das hätte die Opposition ja mal vorschlagen können!)

Darauf hätte man kommen können. Ich meine, dass wir hier eine ganz vernünftige Maßnahme treffen.

Ich will an dieser Stelle einfügen: Wir haben Tarifbeschäftigte im Servicebereich. In 300 Fällen können wir Verbeamtungen vornehmen, was viele, glaube ich, ganz gerne annehmen. Wir machen im mittleren Dienst des Justizvollzugs mit dem weiter, was wir seit einigen Jahren zeitigen, nämlich mit erheblichen Stellenhebungen. Diesmal werden es 126 Hebungen sein.

Mehr als nur eine Randerscheinung ist das Thema „Dienstkleidungszuschuss“. Dass wir hierbei jetzt den Vollzug mit einbeziehen, ist, glaube ich, eine vernünftige Maßnahme.

Noch eine letzte Bemerkung zum Thema Strafvollzug: Strafvollzug kann nur gelingen, wenn die Sozialtherapie funktioniert. Ich gehe davon aus, dass wir uns hier einig sind. Das ist noch etwas im Aufbau begriffen. Wenn ich für den nächsten Etat in diesem Bereich weitere fünf Stellen bekomme, dann ist das eine vernünftige Maßnahme. Wir wissen, dass auch die Folgejahre noch etwas bringen müssen.

Dann ist das große Thema „Sicherheit“ angesprochen worden. Wir erhalten zum einen mehr Mittel für die Vollzugsanstalten. Wir bekommen zum anderen aber auch mehr Mittel für Sicherheitseinrichtungen an unseren Gerichten. Diesen Aspekt möchte ich doch noch aufgreifen, Herr Adler. Sie waren nicht ganz auf der Höhe des Geschehens und haben unter der Woche auch nicht genug Zeitung gelesen. Ich habe in der letzten Woche eine Sicherheitskonferenz im Lande durchgeführt, um mich auch zu positionieren. Damit es ganz klar ist, meine Damen und Herren: Waffen gehören nicht in unsere Gerichtsgebäude!

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Deswegen wird die Zeit der zugänglichen Nebeneingänge usw. dem Ende entgegengehen. Der Minister übernimmt da Verantwortung. Wir werden klare Standards setzen und überall Eingangskontrollen durchführen, damit wir einen Überblick haben, wer in die Gerichte hineingeht bzw. wer aus den Gerichten herausgeht, damit das ganz klar ist. Alles wird zwischen dem Landeskriminalamt, dem Ministerium und jedem einzelnen Gerichtsstandort

abgesprochen. Wenn jemand meint, sein Sicherheitskonzept lockern zu können, weil ihm das zu viel erscheint, dann muss er uns nachweisen, dass das gerechtfertigt ist. Wir werden das jedenfalls in einer ganz anderen Weise zeitigen, als Sie es hier beschrieben haben. Das ist übrigens das Ergebnis der Sitzung der letzten Woche.

Meine Damen und Herren, der letzte Passus betrifft die Frage Impetus, Innovation. Wer hat das hier kritisiert? - Manches ist hier aus dem Lande entwickelt worden, aber in Berlin gescheitert. Jetzt haben sich die Zeiten geändert. Wir werden unsere Bundesratsinitiativen weiter nach vorne schieben, um auch in kostenrelevanten Bereichen weiterzukommen. Es wird - nur ganz kurz - um Aufgabenübertragungen auf Notare im Bereich des Nachlasswesens gehen. Das entlastet die Gerichte. Es geht um den Riesenkomplex der Übertragung von Aufgaben von Gerichtsvollziehern auf Beliehene. Man muss wissen: Der deutsche Steuerzahler bezuschusst das Gerichtsvollzieherwesen mit 200 Millionen Euro pro Jahr. Das ist eigentlich Geld, das die Schuldner bezahlen müssten. Also dürfen wir hier andere Wege gehen. Es wird um den Bereich Prozesskostenhilfe, Beratungshilfe, vielleicht auch SGG-Gebühren gehen. Klar muss sein: Der Bürger, auch der finanziell schwache, muss immer zu seinem Recht kommen. Das darf nie eine Frage des Geldbeutels sein. Aber dass hier Reformbedarf besteht, ist auch klar.

Meine Damen und Herren, es ist also noch einiges zu tun. Am Ende - Sie wollen in die Mittagspause - gibt es da und dort sicherlich unterschiedliche Auffassungen. In der großen Linie ist der Justizetat bestens aufgestellt. Ich bitte um entsprechende Beschlussfassung.

Danke.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Mir liegt noch eine Wortmeldung vor.

(David McAllister [CDU]: Es ist doch alles gesagt!)

Herr Adler von der Fraktion DIE LINKE, Sie haben noch 2:45 Minuten. Bitte schön!

Vielen Dank, Herr Präsident. Das ermöglicht es mir doch, noch auf einiges einzugehen, was hier gesagt worden ist.

Herr Professor Zielke, dass wir uns auf Sozialgerichte und Arbeitsgerichte konzentriert haben, liegt daran, dass wir als Opposition den Fokus natürlich auf die Bereiche legen, in denen es am schlimmsten ist. Da Sie als FDP häufig etwas mit dem Mittelstand zu tun haben - zumindest geben Sie vor, dessen Interessen zu vertreten -, will ich Ihnen einmal sagen, wie dramatisch es für einen Mittelständler sein kann, wenn ein Arbeitsgerichtsverfahren unglaublich lange dauert; denn er trägt immer das Risiko, wenn er den Prozess verliert. Dann muss er den Lohn nachzahlen. Das kann für ein mittelständisches Unternehmen manchmal ganz schön schwierig werden. Deshalb muss die Arbeitsgerichtsbarkeit so ausgestattet werden, dass wir zu einer schnellen Beendigung der Verfahren kommen.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Zweite Bemerkung zu Herrn Busemann. Selbstverständlich haben Sie recht, dass Sie wieder Geld sparen, wenn Sie Justizvollzugsanstalten schließen und gleichzeitig Bremervörde ausbauen. Nur: Ich kritisiere das gesamte Justizvollzugskonzept, weil Sie im Ergebnis zu einer Zentralisierung des Vollzuges kommen und damit letztlich von der Tendenz her die heimatnahe Unterbringung der Strafgefangenen verhindern.

Dazu möchte ich Ihnen eine Episode erzählen: Als ich als Strafverteidiger mit einem Mandanten in der Justizvollzugsanstalt gesprochen und ihm gesagt habe, die Revision sei völlig aussichtslos, sagte er: Leg doch bitte Revision ein, dann kann ich noch länger hier bleiben; denn meine Verwandten wohnen hier. - Diese Erfahrung macht jeder Strafverteidiger. Die Menschen möchten in der Nähe ihrer Heimat inhaftiert sein, damit sie hin und wieder Besuch bekommen. Ein solcher Besuch ist für die Resozialisierung unglaublich wichtig.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn Sie die Menschen von ihren sozialen Kontakten abschneiden, dann schaffen Sie die Ursache dafür, dass sie wieder kriminell werden. Daran muss man denken.