Protokoll der Sitzung vom 16.02.2010

Wir haben im Oktober ein transparentes und effizientes Gesetz auf den Weg gebracht, das sich in das Bündel der Maßnahmen eingliedert. Nach dem Evaluierungszeitraum werden wir ein Fazit ziehen und das Gesetz gegebenenfalls weiterentwickeln.

Für Ihre Vorschläge ist der Zug abgefahren. Nutzen Sie die letzte Chance, mit aufzuspringen! Sonst treten Sie weiterhin da, wo Sie jetzt sind, nämlich auf der Stelle.

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Das Auf- der-Stelle-Treten liegt an Ihnen!)

Ich möchte mit einem Zitat des Bundesvorsitzenden der Deutschen Kinderhilfe, Georg Ehrmann, das er auf der Fachtagung zum Thema Kindesmisshandlung der Polizeiinspektion Braunschweig am 11. Februar 2010 gesagt hat, schließen. Ich zitiere: Das Einladewesen zu den Vorsorgeuntersuchungen ist in Niedersachsen vorbildlich geregelt worden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, es liegen zwei Wünsche auf Kurzinterventionen vor, zunächst von Herrn Humke-Focks und dann von Frau Staudte. Bitte!

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Focke, ich kann Ihnen bestimmte Bemerkungen nicht durchgehen lassen. Das wäre in der Tat falsch, weil ein Teil dessen, was Sie hier ausgeführt haben, ein erschreckendes Bild auf Ihre Position hinsichtlich des verbindlichen Einladungswesens wirft.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn Sie in diesem Kontext das Programm Erziehungslotsen heranziehen, das als Erfolgsgeschichte verkaufen wollen und es mit der zielgerichteten, zielgruppenorientierten Arbeit vergleichen, die dieser Gesetzentwurf vorschlägt, dann ist das sehr fahrlässig. Denn wir sprechen hier über Eltern mit besonderem Hilfebedarf und über deren Kinder. Da, denke ich, darf es nicht sein, dass Sie mit diesem Programm Erziehungslotsen ein Beispiel für die Entprofessionalisierung der sozialen Arbeit setzen. Hier ist professionelle Arbeit gefordert und nicht die Arbeit von Ehrenamtlichen, die ein paar Kurse gemacht haben; sie machen wichtige Arbeit, aber nicht in diesem Kontext. Das ist sehr fahrlässig und unverantwortlich.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Wir Linke wenden uns gegen eine Entprofessionalisierung der Arbeit. Sie begeben sich auf einen ganz gefährlichen Pfad. Auf diesen Zug wollen wir, will die Opposition nicht aufspringen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Frau Staudte, bitte!

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Focke, ich möchte mich den Ausführungen meines Vorredners anschließen und ein paar Sätze zu den Erziehungslotsen hinzufügen. Ich möchte Sie fragen: Ist Ihnen eigentlich bekannt, dass es sogar schon Situationen gab, in denen Problemfamilien an das Jugendamt herangetreten sind und gesagt haben: „Wir waren jetzt bei der Familienbildungsstätte; wir brauchen jetzt keine sozialpädagogische Familienhilfe, keinen professionellen Helfer mehr in unserer Familie; wir haben uns nämlich einen Erziehungslotsen besorgt“? Das kann nicht im Sinne des Kinderschutzes sein. Wir brauchen, wie gerade ausgeführt worden ist, die professionellen Helfer mit ihrer Ausbildung. 40-Stunden-Kurse reichen da nicht aus. Wir sind sehr dafür, Erziehungslotsen zusätzlich einzusetzen, aber immer nur in einem von Profis verantworteten Gesamtkonzept. Sie als Regierungsfraktionen und die Landesregierung überfordern das Ehrenamt hier ganz ernorm.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN sowie Zustimmung bei der SPD)

Herr Focke möchte erwidern. Bitte!

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Humke-Focks, liebe Kollegin Staudte, weil Sie beide Ihre Kurzinterventionen auf den gleichen Punkt beschränkt haben, kann ich Ihnen beiden antworten. Das Projekt der Erziehungslotsen ist nur ein weiterer Baustein auf dem Weg zu niedrigschwelligen Angeboten. Es gibt Familien, die einfach jemanden brauchen, der sie einmal an der Hand nimmt, die einfach Lob brauchen, denen einfach einmal gezeigt werden muss, wie bestimmte Dinge in der Familie ablaufen können. Sie aber machen immer aus jedem Einzelfall einen Extrem

fall, in dem professionelle Hilfe gebraucht wird. Das ist falsch.

(Widerspruch bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Ich will Ihnen einmal sagen, wie die Öffentlichkeit das wahrnimmt. Ich zitiere aus dem Rundblick vom 12. Februar 2010:

(Uwe Schwarz [SPD]: Seit wann ist denn der Rundblick die Öffentlich- keit?)

„Wenn die Landtagsgrünen der Sozialministerin jetzt vorwerfen, sie setze mit den Erziehungslotsen eine ‚systematische Entprofessionalisierung im Bereich der Pädagogik’ fort, die sich bereits im Ausbau der Kindestagespflege, also der Förderung von Tagesmüttern, durch NeugeborenenBesuche, Mehrgenerationenhäuser etc. zeige, haben sie - mit Verlaub - den Schuss nicht gehört bzw. meinen offenbar, damit ihre Wählerklientel zu umgarnen.“

Meine Damen und Herren, dem ist nichts hinzuzufügen.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, nächste Rednerin ist Frau Ministerin Ross-Luttmann. Bitte!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach unserem Grundgesetz haben zuvorderst die Eltern den Erziehungsauftrag.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ihre Aufgabe ist es, ihre Kinder zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten zu erziehen und dafür Sorge zu tragen, dass sie unbeschwert aufwachsen können. Deshalb wollen wir starke Eltern; denn sie sind der beste Kinderschutz. Dem Staat kommt nach unserem Grundgesetz eine Wächterrolle zu, d. h. er schaut nach, ob Eltern ihre Erziehungspflicht erfüllen.

Dieses Wächteramt, meine sehr geehrten Damen und Herren, nehmen die Kommunen als Träger der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe in eigener

Verantwortung wahr. Diese Aufgabe nehmen sie auch verantwortungsbewusst und kompetent wahr. Trotzdem gibt es immer wieder Missbrauch, Misshandlungen, Vernachlässigung von Kindern - bis hin zu Kindstötungen.

Wenn Kinder nicht entsprechenden Schutz erfahren, bedarf es Lösungen, wie man diesen Krisensituationen begegnen kann. Das Land unterstützt die Kommunen bei dieser wichtigen Aufgabe und möchte gleichzeitig auch die Familien stärken, damit Kinder sicher und unbeschwert aufwachsen können. Gemeinsam wollen wir alles dafür tun, dass Kinder gleich gute Entwicklungschancen bekommen und dass sie vor allem umfassend vor Gefahren geschützt werden.

(Beifall bei der CDU)

Hierfür hat die Landesregierung viel getan. Zur Unterstützung der Kommunen tragen die vier Koordinierungszentren Kinderschutz - Kommunale Netzwerke früher Hilfen bei. Meine Damen und Herren, damit ist es uns gelungen, klare und verbindliche Regelungen zwischen der Kinder- und Jugendhilfe einerseits und insbesondere dem Gesundheitswesen andererseits, aber auch Polizei und Schulen im Umgang mit Kindesvernachlässigung zu erarbeiten und in der Praxis zu verankern. Da sind alle Verantwortlichen in die Handlungsabläufe einbezogen, und die Zusammenarbeit ist forciert worden.

Wegen des großen Interesses weiterer Kommunen bieten wir jedem interessierten Jugendamt unsere Unterstützung beim Auf- und Ausbau eigener Netzwerke früher Hilfen an. Außerdem bietet das Land den Kommunen und den freien Trägern Fortbildungsveranstaltungen zur Kinderschutzfachkraft an.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, damit Kinder in Niedersachsen gesund und wohlbehalten aufwachsen können, stärken wir auch die Familien. Es wird immer wieder beklagt, dass der familiäre Rückhalt in der Gesellschaft schwindet, dass die Nachbarschaftshilfe seltener wird. Deshalb setze ich ganz bewusst auf die Stärkung des Gemeinschaftssinns. Ich möchte eine Gesellschaft, die füreinander einsteht und Verantwortung übernimmt.

(Beifall bei der CDU)

Ich will, dass Familien, die beispielsweise durch eine schwere Erkrankung eines Familienmitglieds, durch Scheidung, durch Arbeitslosigkeit in eine Krisensituation geraten, die überfordert sind, zu

einem ganz frühen Zeitpunkt aufgefangen werden. Ich möchte, dass ihnen schnelle und unbürokratische Hilfe angeboten wird. Hier setzt das ehrenamtliche Wirken von Erziehungslotsinnen und Erziehungslotsen an. Mittlerweile sind 400 von ihnen im Einsatz. Für dieses bürgerschaftliche Engagement bin ich den Lotsinnen und Lotsen außerordentlich dankbar;

(Beifall bei der CDU)

denn damit kehrt auch ein Stück Nachbarschaftshilfe in die heutige Zeit zurück.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, natürlich haben Sie recht, Frau Staudte: Wenn hauptamtliche Hilfe gebraucht wird, wenn es um mehr als das Bewältigen einer Krise geht, dann sind selbstverständlich die Professionellen gefragt. Aber wir sollten doch einmal in die Realität schauen und überlegen, ob es nicht auch Krisensituationen gibt, in denen es wichtig ist, dass jemand einen Ansprechpartner hat, dass jemand da ist, der ein Familienmitglied entlastet, damit sich die Mutter um ein schwer erkranktes Kind kümmern kann, während gleichzeitig die Geschwisterkinder versorgt werden. Hier ist diese lebenspraktische Hilfe unserer Erziehungslotsen von unschätzbarem Wert. Ich möchte Sie bitten: Gehen Sie in eine Familienbildungsstätte, sprechen Sie mit denen, die ausbilden, gehen Sie in eine Familie, in der Erziehungslotsen tätig sind, und fragen Sie dort nach dem Wert der Arbeit dieser Erziehungslotsen! Sprechen Sie mit Erziehungslotsen! Ich glaube, dann bekommen Sie ein ganz anderes Bild.

(Beifall bei der CDU - Kreszentia Flauger [LINKE]: Können Sie alle nicht zuhören?)

Ich bin auch der Stiftung „Eine Chance für Kinder“ von Professor Windorfer außerordentlich dankbar, dass sie sich der wichtigen Aufgabe der Fortbildung von Familienhebammen verschrieben hat. Die Landesregierung fördert die Stiftung bereits seit Jahren und wird mit der staatlichen Anerkennung von Familienhebammen einen weiteren erfolgversprechenden Schritt zur Stärkung dieser Berufsgruppe unternehmen. Schon jetzt steht Niedersachsen mit aktuell 220 fortgebildeten Familienhebammen an der Spitze im Bundesländervergleich.

(Beifall bei der CDU)

Nicht zu vergessen sind die Modellprojekte PRO KIND und wellcome - alles wirksame Hilfen, die

teilweise auch schon vor der Geburt des Kindes ansetzen.

Sie sehen, die Maßnahmen der Landesregierung zur Stärkung präventiver Hilfen sind vielfältig. Wir lassen die Mütter und Väter nicht allein, wenn sie sich überfordert fühlen. Dabei muss ich gar nicht an die Förderung von 280 Familien- und Kinderservicebüros erinnern. Sie sind ein Erfolgsmodell, ein Modell, das gewährleistet, dass aufeinander abgestimmte Angebote für Familien ausgebaut und gefestigt werden und Familien Ansprechpartner zur Verfügung stehen.

Zu den präventiven Maßnahmen zählt selbstverständlich auch ein Einladewesen zu den Früherkennungsuntersuchungen für Kinder. Wir wollen durch Einladungen und Erinnerungen erreichen, dass noch mehr Kinder als bislang kontinuierlich untersucht werden. Je mehr Kinder untersucht werden, desto eher erfahren wir, ob es einem Kind nicht mehr gut geht. Deshalb machen wir die Früherkennungsuntersuchungen verbindlicher.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Landtag hat dieses Gesetz bereits beschlossen. Es wird am 1. April in Kraft treten. Wir werden erste Erfahrungen mit der Umsetzung sammeln und dann das Gesetz evaluieren. Eine Notwendigkeit, wie von Ihnen vorgeschlagen das Gesetz bereits vor Inkrafttreten zu verändern oder zu ersetzen, ohne dass uns erste Erfahrungen vorliegen, kann ich nicht erkennen. Deshalb lehne ich diesen Vorschlag ab.