Protokoll der Sitzung vom 17.03.2010

- Das hat nichts mit Schuld zu tun. Das hat einfach etwas damit zu tun, dass sicherlich viele Anstrengungen von beiden Seiten erforderlich sind, um die Bedingungen dort zu verbessern.

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Sie und Ihre Vorurteile!)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch einmal auf den von Grünen und Linken geforderten Abschiebestopp kommen. Ich weiß nicht, wie oft ich an dieser Stelle schon erklärt habe, welche Voraussetzungen für einen solchen Abschiebestopp, ausgesprochen vom Innenministerium, vorliegen müssten. Wir haben keine akute Krisensituation im Kosovo, die eine solche Maßnahme - die dann auch nur für längstens sechs Monate gelten würde, nämlich bis das BAMF auf eine akute Konfliktlage reagieren könnte - rechtfertigen würde. Bitte nehmen Sie das doch einmal zur Kenntnis!

Ein dauerhaftes Bleiberecht für Roma findet keine gesetzliche Grundlage. Das Land Niedersachsen wird die Rückführung der ausreisepflichtigen Roma schrittweise vornehmen und dabei natürlich auch im Auge haben, dass die Reintegration nicht zu einer Überforderung der dortigen Kommunen führt.

Wir sind sehr zuversichtlich, dass das Kosovo auf einem guten Weg ist und nach und nach, auch mit Hilfe und Unterstützung der rückkehrenden Roma, die Lebenssituation für die Menschen dort verbes

sern wird. Die Anträge der Linken und der Grünen lehnen wir aufgrund der von mir gerade aufgezeigten Fakten ab.

(Zuruf von Klaus-Peter Bachmann [SPD])

Ich wünsche mir, viel mehr Roma würden die Unterstützungsleistungen, die von Land und Bund angeboten werden, in Anspruch nehmen und sich damit ihre Rückkehr in das Kosovo erleichtern.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Danke schön, Frau Kollegin Lorberg. - Ich habe zwei Bitten hinsichtlich einer Kurzintervention auf Sie, und zwar zunächst von Herrn Wenzel von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Sie haben das Wort für anderthalb Minuten.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Lorberg, ich glaube, Sie beschreiben die Situation im Kosovo etwas zu rosig.

(Dr. Gabriele Heinen-Kljajić [GRÜNE]: „Etwas“ ist gut!)

Wir haben den Bericht Ihres Innenministeriums gelesen, aber wir haben uns auch andere Berichte angesehen. Wir haben außerdem verschiedene Berichte von Flüchtlingen gelesen, die die Gesellschaft für bedrohte Völker zusammengestellt hat, und wir kennen auch die Berichte des Menschenrechtskommissars des Europarates, Herrn Thomas Hammarberg. Ich habe selber mit seinem Büro telefoniert und mir die Lage schildern lassen. Leider stehen alle diese Berichte im Widerspruch zu dem, was Ihr Minister für Inneres in seinem Bericht aufgeführt hat. Ich glaube, wir als Niedersachsen, als Deutschland können nicht einfach über einen solchen Bericht des Menschenrechtskommissars des Europarates hinweggehen.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Er ist nicht irgendwer. Wir müssen auch daran Interesse haben, den Kosovo insgesamt zu stabilisieren, Südosteuropa zu stabilisieren und dort eine friedliche Entwicklung voranzutreiben. Wo stehen wir in 10 oder 20 Jahren? - Es gibt doch für Südosteuropa eigentlich nur eine Perspektive, nämlich die Europäische Union.

(Glocke der Präsidentin)

Es muss deshalb doch in unserem Interesse sein, die Situation dort zu stabilisieren. Dann sind solche Maßnahmen wie die hier eingeleitete massive zwangsweise Rückführung aus meiner Sicht völlig kontraproduktiv.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Herr Wenzel, die anderthalb Minuten sind genau zu Ende. Es passte.

(Stefan Wenzel [GRÜNE]: Das ist be- dauerlich! Ich würde gern noch eini- ges zur Situation ausführen!)

- Das kann ich nachvollziehen. Das ist jetzt aber leider nicht mehr möglich, Herr Wenzel.

Auch Frau Zimmermann von der Fraktion DIE LINKE hat sich zu einer Kurzintervention auf Frau Kollegin Lorberg zu Wort gemeldet. Sie bekommen anderthalb Minuten.

Frau Vorsitzende! Meine Damen und Herren! Frau Lorberg, ich frage mich, wie weit Sie es noch auf die Spitze treiben können, und ich frage mich auch, wie zynisch man eigentlich in einem solchen Zusammenhang noch sein kann. Sie reden davon, man könne schließlich Kooperation von Abzuschiebenden erwarten, aber Sie schieben Menschen in eine völlige Ungewissheit ab. Ich verstehe überhaupt nicht, warum Sie nicht zuhören und die Ausführungen z. B. des Kollegen Hammarberg ignorieren, der ganz genau beschreibt, wie es dort aussieht. Wie können Sie bei einer Arbeitslosigkeit von mehr als 50 % in einem Land sagen, die Lage dort sei sicher? - Es gibt natürlich unterschiedliche Regionen - das ist doch klar, das ist ja überall so -, es gibt Städte und ländliche Bereiche. Sie wissen doch auch, dass gerade Roma Übergriffen ausgesetzt sind. Sie wissen doch, dass Menschen, die hier geboren sind, die hier leben, hier zu Hause sind und sich hier integriert haben, nicht einfach abgeschoben werden können.

Ich meine, Sie sollten den vorliegenden Anträgen zustimmen, um das Schicksal genau dieser Menschen nicht weiter zu erschweren, sondern ihnen ein menschenwürdiges Leben hier bei uns zu ermöglichen.

(Beifall bei der LINKEN und Zustim- mung von Stefan Wenzel [GRÜNE])

Danke schön. - Frau Kollegin Lorberg? - Sie möchte nicht antworten.

Dann folgt jetzt für die SPD-Fraktion Frau Dr. Lesemann. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Heute, am 17. März 2010, werden Menschen auch aus Niedersachsen vom Flughafen Düsseldorf aus in den Kosovo zwangsrückgeführt. Deshalb haben sich gestern die integrationspolitischen Sprecher der Landtagsfraktionen von SPD und Grünen, Klaus-Peter Bachmann und Filiz Polat, sowie die Mitglieder Alptekin Kirci und Ingrid Lange des Rates der Landeshauptstadt Hannover für einen Abschiebungsstopp zugunsten in Niedersachsen lebender kosovarischer Roma ausgesprochen.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Alle vier unterzeichneten zudem einen Brief an Ministerpräsident Christian Wulff, in dem sie sich für ein Ende der Massenabschiebung von Roma in den Kosovo aussprechen.

(Editha Lorberg [CDU]: Es gibt gar keine Massenabschiebung!)

Schon in den vergangenen Monaten gab es zahlreiche Abschiebungen nach Pristina. Behördenbehauptungen, es handele sich hierbei nur um Alleinstehende und Straftäter, sind nicht korrekt. Jetzt aber sind alle Hemmungen gefallen. Am Mittwoch, also heute, sollen insgesamt 150 Personen vor allem aus NRW und Niedersachsen abgeschoben werden, unter ihnen viele Angehörige der Roma- und Ashkali-Minderheiten, Familien mit Kindern, Alte und Kranke. Auch Traumatisierte, Dialysepatienten und Herzkranke soll es treffen. Das ist inhuman, und deshalb verurteilen wir dieses Vorgehen.

(Lebhafter Beifall bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Unter den Menschen, denen heute eine Abschiebung bevorsteht, ist auch die Familie Zizaku aus Holdorf im Landkreis Vechta. Darauf haben meine Kollegen Polat, Geuter und Poppe aufmerksam gemacht. Die Familie kam 1993 in den Landkreis

Vechta. Zwei Jahre später verstarb der Vater. Die Kinder sind in Deutschland aufgewachsen. Das Kosovo ist für sie fremdes Ausland. Von einer Rückführung in die „alte Heimat“ kann deshalb nicht gesprochen werden.

(Klaus-Peter Bachmann [SPD]: Das ist in den meisten Fällen so!)

Die Zizakus sind in ihrem Heimatort geschätzte Mitbürger und erfahren dort viel Unterstützung. Insbesondere die Töchter dürfen sich mit einigem Recht als Niedersachsen fühlen. Die Abschiebung der Familie, ihrer vier Töchter sowie der zweijährigen Enkelin in das Kosovo ist für die Familie eine Katastrophe.

Alle Versuche und die eingelegten Rechtsmittel der Familie scheiterten bisher an der Parlamentsmehrheit aus CDU und FDP. Ohne Albanischkenntnisse haben sie im Kosovo keine Chance auf eine erfolgreiche Schullaufbahn. Die bevorstehende Abschiebung bedeutet für sie wie auch für andere betroffene Familien das Ende all ihrer Perspektiven und Hoffnungen. Deshalb appellierte auch die UNICEF kürzlich an die Bundesregierung, die Abschiebung von Romakindern und ihren Familien auszusetzen. Denn nach wie vor - das haben meine Kollegen geschildert - sind die Lebensbedingungen im Kosovo vor allem für Angehörige der Roma unerträglich: Diskriminierungen durch die albanische Mehrheitsbevölkerung, extrem hohe Arbeitslosigkeit, Armut, fehlende medizinische Versorgung. Im Kosovo gibt es für Roma keine Möglichkeit, in Sicherheit und Würde zu leben, Frau Lorberg.

Dennoch will die Bundesregierung in den nächsten Jahren ca. 14 000 ehemalige Flüchtlinge in das Kosovo abschieben - und das sind Massenabschiebungen. Ab 2010 sollen jährlich ungefähr 2 500 Menschen zurückgebracht werden. Grundlage dafür ist ein gegenseitiges Rückübernahmeabkommen. Die Abgeschobenen werden ins Ungewisse geschickt. Sie landen im Desaster. Gerade die Roma unter den Abgeschobenen haben im Kosovo vor allem Diskriminierung und Armut zu erwarten.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Eine kürzlich abgeschobene Familie berichtet von Bedrohung und von tätlichen Angriffen durch Nachbarn, von denen selbst ihre Kinder nicht verschont blieben. Das Leben im Kosovo heißt für sie ein Leben in Angst. Menschenwürdig ist das nicht!

Deshalb, meine Damen und Herren, müssen diese Abschiebungen aufhören.

(Lebhafter Beifall bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Die kosovarische Regierung ist weit davon entfernt, akzeptable Bedingungen für die Rückkehrer zu schaffen. Ich möchte in diesem Zusammenhang auch auf das Interview mit dem Sozialminister Nenad Rasic hinweisen, auf das Frau Polat schon eingegangen ist, der ja auch zugibt, dass die Regierung mit der Aufnahme von Rückkehrern völlig überfordert ist.

Ebenso hat der EU-Menschenrechtskommissar Thomas Hammarberg erst im Februar 2010 seine Forderung nach einem Abschiebestopp für Roma in den Kosovo bekräftigt. Die Infrastruktur lässt eine Reintegration der abgeschobenen Flüchtlinge nicht zu. Extrem hohe Arbeitslosigkeit, die miserablen Bedingungen in den bleiverseuchten Lagern Cesmin Lug und Osterode und die andauernden Diskriminierungen verhindern ein Leben in Sicherheit und Würde. Mindestens 70 bis 75 % der bisher Abgeschobenen hätten sich im Kosovo nicht integrieren können und seien zu Binnenflüchtlingen geworden oder auf illegalen Wegen wieder in die Länder zurückgekehrt, aus denen sie abgeschoben worden seien.

Ähnliches berichtet auch die grüne Europaabgeordnete Lochbihler von ihrem Besuch im Februar 2010. Abgesehen von einzelnen kleinen Projekten sei die Integrationsarbeit für und mit den Rückkehrern nicht ansatzweise zufriedenstellend.

Nun zum Besuch der Delegation des Innenministeriums im November 2009. Zweck war die nähere Information von Minister Schünemann. In diesem Zusammenhang sind die Bemerkungen des Delegationsleiters aus dem MI interessant, auch im Hinblick auf das, was Frau Lorberg gesagt hat. Er spricht nämlich ausdrücklich von der subjektiven Färbung des Reiseberichts, die mit eigenen Vorprägungen, Interessen und Anschauungen einhergeht. Der Bericht vermittelt den Eindruck, man habe händeringend nach Informationen gesucht, die die Situation im Kosovo schönen. Dies ist aber nicht gelungen. Der Reisebericht gliedert sich in vielen Punkten in die vorliegenden Darstellungen von NGOs und neutralen Berichterstattern ein. Die Lektüre dieses Papiers bestätigt den Eindruck der Unmöglichkeit einer verantwortungsvollen Rückführung, gerade weil vor Ort die Vorbereitungen nicht so sind, wie sie sein sollten.

Dieser Bericht wurde auch in der Integrationskommission äußerst kritisch diskutiert. Den vorliegenden Anträgen, über die wir jetzt zu entscheiden haben, wurde von den Vertreterinnen und Vertretern der landesweit tätigen Vereinigungen von Ausländern und Migranten bei einer Enthaltung zugestimmt. Allein wegen der Neinstimmen von CDU und FDP kam keine Empfehlung der Kommission zustande, meine Damen und Herren.

Wir müssten uns hier nicht über dieses wichtige Thema unterhalten, wenn wir zu einer weniger restriktiven Anwendung der Bleiberechtsregelung kämen. Die SPD-Fraktion hier im Landtag hat sich immer wieder für eine Bleiberechtsregelung ohne Stichtag eingesetzt. Auch für die Kosovo-Roma gilt: Wir wollen die Berücksichtigung humanitärer Gesichtspunkte im Rahmen einer Sozialklausel. Ein langfristiger Aufenthalt der Betroffenen ohne Status, das Erreichen eines hohen Integrationsgrades, die Situation der in Deutschland geborenen und sozialisierten Kinder müssen berücksichtigt werden. Eine Trennung von Familien lehnen wir ab, ebenso wie die Sippenhaft. Wir wollen auch ergänzende Sozialleistungen akzeptieren, wenn Kinder der Grund dieser Zahlungen sind.

Selbstverständlich gehört für uns auch dazu, traumatisierte ältere und kranke Menschen vor der Abschiebung zu bewahren.