Auch in Ihrem gesamten Wahlkampf haben Sie nichts zu dem gesagt, was Sie als einstimmigen Beschluss in Wolfsburg gefasst haben. Und uns
Sie reden jetzt sehr populistisch über ganz aktuelle Dinge, aber nicht darüber, was Sie sich an Bildungspolitik vorgenommen haben, um diese umsetzen zu können. Ich bitte Sie, in Zukunft einmal Stellung dazu zu nehmen, damit wir der Öffentlichkeit sagen können, wo Sie mit Ihrer Bildungspolitik eigentlich hinwollen.
(Lebhafter Beifall bei der FDP und bei der CDU - Heinrich Aller [SPD]: Herr Bode, welche „Geheimwaffen“ haben Sie denn noch, die Sie nach vorne schicken können?)
Meine Damen und Herren, ich sehe nicht, dass eine Erwiderung gewünscht wird. Dann hat jetzt der Herr Ministerpräsident das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte für die Landesregierung drei Dinge zu dieser Debatte sagen, die wir am Mittwoch zu Recht geführt haben, die wir gestern geführt haben, die wir heute führen und die uns noch weiter beschäftigen wird.
Die erste Bemerkung: Für die Proteste der Lehrerinnen und Lehrer habe ich großes Interesse, weil sich in unserer Gesellschaft eingebürgert hat, dass für alles und jedes die Schule verantwortlich gemacht wird und die Verantwortung der Elternhäuser, der Verwandten, der Nachbarschaft und der Umgebung in den Hintergrund getreten ist. Der schöne afrikanische Grundsatz „Das ganze Dorf erzieht das Kind“ sollte uns veranlassen, dafür zu sorgen, dass wir alle unsere Verantwortung für die junge Generation wahrnehmen und nicht immer weiter die Lehrer mit den Anforderungen, die die Gesellschaft an sie richtet, be- und überlasten. Für mich gilt der Grundsatz des Niedersachsen Freiherr von Knigge: Jeder Lehrer, der seinen Beruf ordentlich ausübt, ist wichtiger als jeder Finanzminister im Staate.
dersachsen ist so stark gestiegen wie der Etatposten Schule. Es gibt in keinem Bereich eine solch starke Zunahme an Personal wie im Bereich Schule. Es hat ja auch die Kritik der SPD gefunden, dass wir im Bildungsbereich fast so viele eingestellt haben, wie in anderen Verwaltungsbereichen durch die große Kraftanstrengung der Verwaltungsreform reduziert worden ist.
Die zweite Bemerkung: Wenn wir über sinkende Wahlbeteiligung klagen, dann müssen wir uns immer fragen: Werden die Besucherinnen und Besucher, die unserer Debatte lauschen, das Gefühl haben, dass wir ernsthaft um die Sache ringen und verschiedene Vorstellungen gegeneinander abwägen oder dass es uns nur um die Verunglimpfung des jeweils anderen geht?
Das, was wir in dieser Woche erlebt haben, lässt jedenfalls bei mir Verständnis für die Erregung bei Herrn Försterling aufkommen, weil ich mir denke: Ein neuer Abgeordneter kommt in den Landtag, will um den besten Weg für unser Land ringen und streiten und erlebt dann, dass hier seine Eltern und seine Kinderstube thematisiert werden, wie Frau Heiligenstadt es eben getan hat.
Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Auf Dauer wird man als Kandidaten für dieses Parlament nur noch Menschen finden, die sich vorher keinen Eindruck von Parlamentssitzungen verschafft haben. Andere werden sich mit Grausen abwenden.
Ich glaube, dass wir am Ende einer solchen Plenarwoche darüber nachdenken müssen, ob wir jungen Leuten in der Schule beibringen können, sich gegenseitig achtungsvoll zuzuhören, wenn sie Leute wie Sie erleben, die nichts anderes können, als ständig dazwischen zu schreien und die Debattenkultur zu zerstören.
(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP - Lebhafter Widerspruch bei der SPD und bei der LINKEN)
Nein, ich gestatte keine Zwischenfrage, weil ich doch sehe, dass gleich alle die Gelegenheit nutzen werden, in Kurzinterventionen ihre Meinung dazu zu sagen. Das ist auch gut so.
Herr Tanke, die Zuschauer auf der Tribüne wollen stehen bleiben, aber leider müssen sie jetzt zum nächsten Termin. Sie würden diese Debatte gern hören, weil sie das Gefühl gewonnen haben, dass es jetzt langsam zum Kern der Dinge geht,
nämlich wie Sie sich hier aufführen und versuchen, diese Debatte für die Sozialdemokratie in einer Situation zu nutzen, wo doch jeder bei uns Verständnis hat. Wir haben das damals mit Josef Stock, Jürgen Gansäuer und anderen erlebt. Wir wissen doch, was bei Ihnen zwischen Weser-Ems, Oldenburg und Hannover los ist und wie Ihnen die Strandkorbhoffnungsträger von dannen gehen.
Sie können natürlich jetzt den Versuch machen, das zu überlagern und zu übertünchen. Sie könnten aber auch den Versuch machen, sich bei dieser Frage ohne jede Arroganz der Thematik als solcher zu stellen.
Ich komme jetzt zu meiner dritten Bemerkung. Offenkundig ist eine der großen Organisationen dieses Landes die Organisation Amnesie. Man darf offenkundig nicht daran erinnern, wann und von wem welche Entwicklungen eingeläutet worden sind.
Es war ein großer Fehler, dass 1995 und 1996 von Ihrer Landesregierung überhaupt keine Lehrer in Niedersachsen eingestellt worden sind. Natürlich fehlen uns diese Lehrerinnen und Lehrer. Denn die
besten Absolventen in Niedersachsen sind nach Hessen, Nordrhein-Westfalen, Hamburg und Bremen gegangen. Der zusätzliche Satz über die „faulen Säcke“ hat auch nicht gerade dazu ermuntert, Lehrer in diesem Land werden zu wollen. Das ist eine Verantwortung, die Sie dauerhaft tragen.
Sie müssen damit leben, dass wir damals darauf hingewiesen haben, dass uns nicht nur die Lehrer ein Leben lang fehlen, sondern dass damals bestimmte junge Leute das Lehramtsstudium gar nicht angefangen haben, und dass wir die Schaffung größerer Ausbildungskapazitäten für Mangelfächer thematisiert haben. Sie haben das in Ihrer Hochschulpolitik abgelehnt.
Damals gab es Umfragen in Deutschland zu dem Thema: Lohnt sich der Lehrerberuf? Soll man Lehrer werden? - Als ich Oppositionsführer war, haben wir im Landtag thematisiert, dass Sie sich an diesen Umfragen seitens des Kultusministeriums nicht einmal beteiligt, d. h. gar nicht das Signal gegeben hatten, dass man Mangelfächer studieren soll, um den jungen Nachwuchs in unseren Schulen zu qualifizieren.
Wir haben 2003 als Erstes 2 500 zusätzliche Lehrerstellen geschaffen. Sie haben als SPD durch Herrn Gabriel erklärt, das Land könne sich diese Stellen nicht leisten. Sie haben dagegen gestimmt, dass wir diese 2 500 Lehrerstellen einrichten.
Wir haben die Zahl der Unterrichtsstunden erhöht. Wir haben z. B. die Klassen an den Hauptschulen verkleinert und dadurch eine Unterrichtsversorgung geschaffen, wie sie das Land Niedersachsen nie zuvor hatte. Wir haben heute mit über 81 000 die höchste Lehrerzahl in der Geschichte unseres Landes.
Wir haben die höchste Zahl an Referendaren, ungefähr 6 000. Das ist eine Politik, auf die wir stolz sind und bei der wir uns von Ihnen nicht in dieser Weise attackieren lassen, wie Sie es beabsichtigen.
Jetzt komme ich zu der Frage der zu lösenden Probleme. Sie haben in dieser Zeit nicht nur keine Lehrer eingestellt, sondern Sie haben die vorhandenen Lehrer mehr unterrichten lassen mit dem
Versprechen, dass sie später weniger unterrichten dürfen. Jetzt, wo Ihre Erblasten im finanziellen Bereich, aber auch im Bereich der Arbeitszeitkonten auf den Tisch kommen, gibt es die Situation, dass die Zahl der Gymnasiasten in Niedersachsen dankenswerterweise ständig steigt. Inzwischen erwerben 42 % eines Jahrgangs die Hochschulzugangsberechtigung. Wir wollen diese Zahl auf an die 50 % steigern, weil wir glauben, dass wir immer besser und höher qualifizierte junge Leute brauchen. Dafür brauchen wir auch mehr Gymnasiallehrer. Wir brauchen sie vor allem in Fächern wie Biologie, Chemie, Physik, Informatik, Latein, alte Sprachen und Religion, die sträflich vernachlässigt worden sind und in denen überall Lehrer fehlen.
Wir appellieren an die Lehrer: Überlegt, ob ihr alle eure Arbeitszeitkonten jetzt einlöst oder ob ihr sie beispielsweise verzinst als Altersteilzeitregelung einlöst, bevor ihr in Pension geht, oder ob ihr sie in vier Jahren einlöst, wenn wir den doppelten Abiturientenjahrgang und den Anstieg der Gymnasialzahlen verkraftet haben und vielleicht auch einige Mangelprobleme stärker im Griff haben. Diesem Appell sollte sich der gesamte Landtag anschließen.
Das ändert nichts daran, dass die Rechtsverordnung, die die Landesregierung jetzt erlässt, jedem, der es will, die Möglichkeit belässt, diese Arbeitszeitkonten auch jetzt einzulösen. Das ist das Ergebnis des Diskussionsprozesses der letzten Wochen. Auch bei diesem Thema sage ich Ihnen: Es ist besser, man gibt etwas in die Anhörung hinein und hört, was zurückkommt, als dass man rechthaberisch etwas in eine Anhörung gibt und sagt: Weil das so hineingegeben wurde, muss es auch unverändert herauskommen. - So einfach strukturiert sind wir nicht. Wer A sagt, muss nicht B sagen, wenn er festgestellt hat, dass man A auch korrigieren kann. Diese Regierung hat diese Kraft, und sie wird sie auch in Zukunft zeigen. Dieser Diskursprozess nimmt die Lehrerverbände ernst.
- Frau Modder, das war ein Appell dafür, zwei Dinge in Einklang zu bringen: die Lehrer mit ihren Anliegen und die Schüler, für die wir Verantwortung tragen, mit ihren Anliegen zur Unterrichtsversorgung.