Protokoll der Sitzung vom 29.04.2010

Frau Präsidentin, zum Abschluss möchte ich Folgendes sagen: Wenn es um die wahre Teilhabe von Immigranten geht, verweigert sich die Union konsequent. Konservative Integrationspolitik endet immer dort, wo es darum geht, Migrantinnen und Migranten ihre Rechte an die Hand zu geben, ob nun im Handlungsprogramm unseres Bundeslandes oder im Nationalen Integrationsplan. Integrationspolitik à la Christdemokraten ist reine Symbolpolitik.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Danke schön. - Für die Fraktion DIE LINKE hat sich Frau Zimmermann zu Wort gemeldet. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir reden über ein Thema, welches seit Jahrzehnten eine Rolle spielt, bei dem aber bisher kein positives Ergebnis hervorgebracht wurde. Bereits im Juli 2007 stellte die Fraktion DIE LINKE im Deutschen Bundestag den Antrag, ein kommunales Wahlrecht für Drittstaatenangehörige einzuführen. Im Oktober desselben Jahres legten die Grünen dann einen ähnlichen Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes vor. Jetzt geht es um einen Antrag der Fraktion der SPD. Wir haben - das wurde eben schon gesagt - auch hier im Landtag schon öfter über dieses Thema gesprochen, und zwar auch aufgrund eines Antrages meiner Fraktion. Herr Hiebing, ich kann Ihnen versichern, dass es Anträge zu diesem Thema immer wieder geben wird, weil es einfach wichtig ist, dass allen Menschen, die hier leben, das Kommunalwahlrecht eingeräumt wird.

(Beifall bei der LINKEN und Zustim- mung bei der SPD)

Meine Damen und Herren, die aktive und passive Teilnahme an Wahlen stellt den Kernbereich politischer Mitbestimmung dar. Deshalb ist es richtig und wichtig, dass Millionen in Deutschland lebender Menschen, welche keine EU-Staatsbürgerschaft besitzen, das kommunale Wahlrecht erhalten und somit aktiv an der politischen Willensbildung in unserem Land teilnehmen können.

Kommunalwahlen sind die Grundlage demokratischer Selbstverwaltung. EU-Bürgerinnen und EU-Bürger, Herr Hiebing, erhielten das Wahlrecht bereits im Jahre 1992, um eben dem Integrationsprozess innerhalb der Europäischen Union Rechnung zu tragen. Dieser Gedanke ist auch auf alle anderen zu übertragen.

Obwohl die durchschnittliche Aufenthaltsdauer dieser Menschen im Jahr 2006 über 17 Jahre betrug und damit im europäischen Vergleich überdurchschnittlich hoch ist, gibt es bisher keine Möglichkeiten für Drittstaatenangehörige, an demokratischen Entscheidungsprozessen teilzunehmen.

Meine Damen und Herren, die Mehrheit der europäischen Länder hat den Drittstaatenangehörigen ein kommunales Wahlrecht eingeräumt, und das unter den verschiedensten gesetzlichen Bedingungen.

(Zustimmung bei der LINKEN - Kres- zentia Flauger [LINKE]: Die sind schon klüger!)

Es ist längst überfällig, dass sich die Bundesrepublik Deutschland diesen Initiativen anschließt und ein solches Wahlrecht beschließt.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich will es noch einmal sagen, um gewissen Argumenten gleich vorzubeugen: Der Einführung des kommunalen Wahlrechts für Drittstaatenangehörige stehen keine rechtlichen Bedenken entgegen. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinen Urteilen zum kommunalen Wahlrecht festgestellt, dass eine dahin gehende Änderung des Kommunalwahlrechts im Einklang mit Artikel 79 Abs. 3 des Grundgesetztes möglich ist. Aus verfassungsrechtlichen Gründen ist sie vielmehr sogar geboten, wird mit der geforderten Einführung des Kommunalwahlrechts für Drittstaatenangehörige doch dem demokratischen Grundsatz Rechnung getragen, dass niemand für eine längere Zeit vom politischen Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozess ausgeschlossen werden darf. Außerdem wird zugleich die sachlich nicht zu rechtfertigende und verfassungsrechtlich fragwürdige Ungleichbehand

lung derselben gegenüber EU-Bürgerinnen und -Bürgern aufgehoben.

(Glocke der Präsidentin)

Ein letzter Satz! - Zum Schluss möchte ich noch auf den SPD-Antrag eingehen. Er enthält nämlich einen Schwachpunkt, der sicherlich ausgemerzt werden kann. Nach Ihrer Formulierung ist es nämlich für eine Person, die z. B. eine Aufenthaltsdauer von drei oder vier Jahren hat, nicht möglich, ein Wahlrecht zu erlangen. Ich denke aber, auch dieser Personenkreis muss mit dazugehören.

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN)

Danke schön, Frau Zimmermann. - Für die FDPFraktion hat jetzt Herr Oetjen das Wort.

Ganz herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben schon 2008/2009 über einen Antrag der Fraktion DIE LINKE in diesem Hause zum gleichen Thema diskutiert. Wenn Sie die Reden von 2008/2009 gelesen haben, dann wissen Sie, dass die FDP durchaus Sympathie für diese Vorschläge hat, weil wir wissen, dass es in der Europäischen Union gute Beispiele gibt, wo das funktioniert, und weil ich auch aus dem persönlichen Umfeld weiß, dass es schwer verständlich ist und jemandem, der hier geboren ist, der hier zur Schule gegangen ist, hier arbeitet, hier seine Kinder zur Schule schickt, hier Steuern zahlt, nur schwer zu vermitteln ist, warum er für sein persönliches Umfeld im Bereich der Kommunalpolitik nicht mitgestalten darf.

Der Kollege Bachmann hat zu Recht darauf hingewiesen, dass es sich dabei um die kommunale Selbstverwaltung handelt, weshalb das nicht mit den Landtagen oder dem Bundestag zu vergleichen ist; das hat auch der Kollege Hiebing hier schon gesagt. Ich weiß auch, dass sich solche Menschen manchmal als Bürger zweiter Klasse fühlen, was aber eigentlich nicht der Fall sein sollte.

Ich bin allerdings mit Herrn Kollegen Bachmann nicht einig, der hier gerade gesagt hat, es gebe keine bessere Möglichkeit für die Integration als ein kommunales Wahlrecht. Ich glaube - und da hat der Kollege Hiebing recht -, dass es im Bereich der Integration andere Punkte gibt, die durchaus wichtiger sind. Ich möchte hier die Sprache oder

die Teilhabe an Arbeit nennen, die für die Integration wirklich wesentlich wichtiger sind.

(Filiz Polat [GRÜNE]: Wir sprechen über Leute, die z. B. seit 30 Jahren hier leben!)

Ich glaube, dass es außerdem notwendig ist, verehrte Kolleginnen und Kollegen, dass wir uns an dieser Stelle einmal deutlich machen, dass von 45 Personen, die für eine Einbürgerung infrage kommen, nur eine Person diesen Weg der Einbürgerung nutzt.

(Vizepräsident Dieter Möhrmann über- nimmt den Vorsitz)

Deswegen sollten wir sehr viel aktiver für Einbürgerung, für die deutsche Staatsbürgerschaft bei diesem Personenkreis werben, damit diese Menschen die deutsche Staatsbürgerschaft annehmen. Ich sage hier deutlich: Jeder, der die deutsche Staatsbürgerschaft annimmt, ist ein Gewinn für unsere Gesellschaft. Deswegen sollte das ein Weg sein, den wir stärker beschreiten sollten, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Herr Kollege Bachmann, Sie sind schon lange hier im Parlament, wohl seit der Landtagswahl 1994. Ich weiß, dass Sie diese Themen mit Verve vertreten. Das haben wir hier vorne gesehen. Ich möchte von Ihnen gerne wissen, warum Sie in der Vergangenheit, als die SPD allein regiert hat, das nicht so umgesetzt haben, ob das damals nicht möglich war.

Aber darum geht es eigentlich nicht, verehrte Damen und Herren. Wir haben das Kommunalwahlrecht im Moment in der Debatte. Wir sollten diesen Vorschlag in dieser Debatte mit diskutieren, auch wenn wir es sozusagen nicht im eigenen Saft entscheiden können, sondern auf die Berliner Entscheidung angewiesen sind. Ich glaube, dass dieser Vorschlag im Sinne einer Integration durchaus sachlich geprüft werden sollte. Aber wir wissen auch, wie der Antrag der Fraktion DIE LINKE vor rund einem Jahr hier beschieden wurde; er wurde nämlich abgelehnt. Deswegen kann ich Ihnen an der Stelle leider nicht viel Hoffnung machen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Kreszentia Flauger [LINKE]: Wir dach- ten, Sie lernen dazu!)

Meine Damen und Herren, mir liegen hier zwei Meldungen zu Kurzinterventionen vor. Zunächst hat Frau Polat von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Bitte!

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Oetjen, es ist schon wirklich erschreckend, mit welcher Argumentation Sie da herangehen. Das entspricht überhaupt nicht der Realität in den Kommunen.

Ich wollte eigentlich kein persönliches Beispiel anbringen. Aber man sieht sich ja als Kind eines immigrierten Türken sozusagen genötigt, die persönliche Lebensgeschichte einzubringen. Mein Vater lebt seit 40 Jahren in Deutschland, hat die türkische Staatsbürgerschaft und kann kommunal nicht teilhaben. Durch so ein restriktives Staatsangehörigkeitsrecht, das immer noch nicht die doppelte Staatsbürgerschaft zulässt, ist er gezwungen, die deutsche Staatsbürgerschaft nicht anzunehmen, und hat auch keine Lust dazu.

(Zurufe von der CDU: Wenn er seit 40 Jahren hier lebt, kann er das doch machen! - Gegenruf von Johanne Modder [SPD]: Weil ihm das verwehrt ist! Vielleicht kapiert ihr das einmal! - Weitere Zurufe und Gegenrufe - Un- ruhe)

Meine Damen und Herren, ich glaube nicht, dass das weiterführt.

Ich will jetzt nicht ins Detail gehen, welche Gründe dagegen sprechen. Das kann ich Ihnen einmal bilateral erklären.

Im Übrigen wollte ich noch einmal darauf hinweisen, dass ich mir von der FDP doch noch mehr Unterstützung erwartet habe. Beispielsweise in Braunschweig - viele wissen es: dort gibt es eine schwarz-gelbe Mehrheit - ist die FDP im Februar aus der schwarz-gelben Mehrheit ausgeschert und hat einem Antrag meiner Fraktion - eingebracht zusammen mit der SPD und den Unabhängigen - zugestimmt und damit eine Resolution verabschiedet.

So werden zurzeit in vielen Kommunen Resolutionen verabschiedet; denn die Kommunen sind da weiter - noch weiter als die kommunalen Spitzen

verbände -, z. B. Stadt Osnabrück, Landeshauptstadt Hannover, Braunschweig - aktuell - und viele andere Kommunen. In NRW sind es über 31, die sich den Kampagnen anschließen. Nehmen Sie sich daran ein Beispiel!

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Meine Damen und Herren, die nächste Kurzintervention wird von Herrn Bachmann von der SPDFraktion vorgetragen.

Vielen Dank, Herr Präsident. - Diesmal gehe ich wirklich nur auf zwei Punkte ein; denn mehr schafft man in eineinhalb Minuten nicht, wie ich gemerkt habe.

Erstens. Hierbei geht es um Teilhabe und Partizipation. Herr Kollege Oetjen, wir sind uns einig, dass zur gelungenen Integration viel, viel mehr gehört. Man muss ja nicht alle Reden wiederholen. Aber ich habe wortwörtlich gesagt: Es gibt doch keinen besseren Weg - das hat auch Herr Hiebing noch als Antwort von mir verdient -, um Wertschätzung zu erfahren, als über die aktive Beteiligung und Teilhabe bei kommunalen Wahlen als Kandidatin und Kandidat und als Wählerin und Wähler. Da gibt es wirklich keinen besseren Weg! Alles andere sind die zweitbesten Lösungen.

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN)

Zu Ihrer konkreten Frage an mich, warum wir das seit 1994, seitdem ich hier dafür kämpfe - ich betreibe seit 1998 Integrationspolitik für meine Fraktion -, nicht umsetzen konnten. Das ist ganz einfach: Man braucht Zweidrittelmehrheiten. Wir haben mit dem Integrationsprogramm von Gitta Trauernicht im Jahre 2002 in diesem Landtag mit Mehrheit ein kommunales Wahlrecht beschlossen, aber wir haben im Deutschen Bundestag die Zweitdrittelmehrheit nicht erreicht. Das liegt auch an Ihnen. Helfen Sie diesmal mit!

(Beifall bei der SPD)

Herr Oetjen möchte antworten. Bitte schön!

Vielen Dank, Herr Präsident. - Ich möchte im Wesentlichen auf die Ausführungen der Kollegin Polat