Protokoll der Sitzung vom 09.06.2010

Ich wünsche Ihnen ein starkes Rückgrat, um Integrationsinteressen auch von den Menschen zu vertreten, die dieser Innenminister nicht integrieren will.

(Zustimmung bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Und ich wünsche Ihnen die Überwindung Ihrer derzeitigen Sprachlosigkeit.

(Starker Beifall bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Ich erteile der Kollegin Zimmermann von der Fraktion DIE LINKE das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ließen die Berufung von Frau Özkan als Ministerin und die Ankündigung, dass sie den Bereich Integrationspolitik künftig übernehmen wird, noch aufhorchen, sind doch relativ schnell Ernüchterung und der alte schwarz-gelbe Alltag in Niedersachsen eingetreten.

(Zustimmung bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Schnell wurde nach dem Bericht über den neuen Ressortzuschnitt klar: Frau Özkan ist in der Tat das integrationspolitische Feigenblatt des Noch

Ministerpräsidenten und des Innenministers, der weiterhin alle entscheidenden Fäden in der Hand behält.

Meine Damen und Herren, ehrlich gesagt, das hat mich und meine Fraktion nicht ernsthaft überrascht. Natürlich kann man Überlegungen über die Frage von Zuschnitten anstellen, und wir haben das im Zuge der Haushaltsberatungen für das Jahr 2010 auch getan. Da stellte sich beispielsweise für uns die Frage, ob man den gesamten Bereich der Integrations- und Flüchtlingspolitik sowohl personell als auch finanziell nicht in einer Art Stabsstelle in der Staatskanzlei mit ausreichenden Kompetenzen ausstatten und bündeln sollte.

Aber, meine Damen und Herren, ich glaube, das Grundproblem ist ein ganz anderes: Solange die inhaltliche Richtung so ist, wie man sie hier in Niedersachsen, aber auch darüber hinaus vorfindet, ist es egal, wer diesen Bereich in welchem Ressort bearbeitet.

(Beifall bei der LINKEN)

Denn wie soll eine moderne Integrations- und Flüchtlingspolitik funktionieren, wenn es Abschiebeabkommen wie das zwischen Deutschland und dem Kosovo gibt, in dessen Folge Roma, welche zum Teil mehr als ein Jahrzehnt hier gelebt haben und integriert waren, in eine unsichere Zukunft abgeschoben werden?

(Beifall bei der LINKEN)

Wie soll eine solche Politik funktionieren, wenn es eine Residenzpflicht für Flüchtlinge gibt, welche die Pflege familiärer und sozialer Kontakte und eine Teilnahme am gesellschaftlichen und kulturellen Leben außerhalb des zugewiesenen Landkreises erschwert bzw. verhindert und Menschen bei einem Verstoß dagegen als kriminell diskriminiert? Wie soll eine solche Politik funktionieren, solange ein Asylbewerberleistungsgesetz gilt, welches Flüchtlinge massiv sozial benachteiligt und somit diskriminiert?

(Zustimmung bei der LINKEN)

Wie soll eine Politik funktionieren, solange Flüchtlinge in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht werden und somit eine wesentliche Voraussetzung für eine Integration nicht vorhanden ist? Wie soll eine solche Politik funktionieren, solange es keine wirkliche Bleiberechtsregelung für langjährig hier lebende Flüchtlinge gibt, die diesen Namen auch verdient hat?

(Beifall bei der LINKEN)

Um ein letztes Beispiel zu nennen: Wie soll eine solche Politik funktionieren, solange einer Organisation im Land, welche sich seit Jahren tagtäglich für Flüchtlinge engagiert und sich für ausländische Bürgerinnen und Bürger in unserem Land einsetzt, nämlich dem Flüchtlingsrat, aus rein ideologischen Gründen von CDU und FDP in Niedersachsen die notwendigen finanziellen Mittel für ihre Arbeit verwehrt werden?

Meine Damen und Herren, was ich damit deutlich machen will, ist: Wir können über alle möglichen und unmöglichen Ressortzuschnitte reden. Aber solange es keinen grundsätzlichen inhaltlichen Wandel in der Integrations- und Flüchtlingspolitik gibt, ist das alles insgesamt eine Feigenblattdebatte.

(Beifall bei der LINKEN)

Für einen grundsätzlichen Wandel bedarf es der Abschaffung der Residenzpflicht, wie es jetzt von meiner Fraktion beantragt wurde, der Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes, der dezentralen Unterbringung von Flüchtlingen, der Schaffung einer Bleiberechtsregelung, welche den betroffenen Menschen eine wirkliche Perspektive gibt, und wir brauchen eine nachhaltige Unterstützung des Flüchtlingsrates in unserem Land.

Das sind nur ein paar Voraussetzungen für eine Flüchtlings- und Integrationspolitik, die diesen Namen auch wirklich verdient hat. Schließlich müssen wir uns natürlich auch Gedanken darüber machen, mit wem und in welcher organisatorischen Form wir das Ganze umsetzen wollen.

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN und Zustim- mung von Filiz Polat [GRÜNE])

Ich erteile der Kollegin Polat von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Bachmann, Sie wissen, die CDU macht das, was sie am besten kann: Menschen kategorisieren und definieren, um sie dann auszusortieren. Ihre Politik ist und bleibt unsozial; das zeigen auch die aktuellen Sparpläne Ihrer Bundesregierung.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN sowie Zustimmung bei der SPD)

Meine Damen und Herren, 40 % Ihrer Einsparungen gehen zulasten der einkommensschwachen Haushalte. Sie wissen, dass das überproportional Migrantenfamilien betrifft. Was Ursula von der Leyen in Niedersachsen begonnen hat, setzt sie in der Bundesregierung fort. Große Teile der Bevölkerung werden ausgegrenzt, Kinder und Jugendliche im viergliedrigen Schulsystem wegsortiert. Mit Ihrer Sozial-, Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik spalten Sie die Gesellschaft - spalten Sie auch die Migrationsgesellschaft.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN sowie Zustimmung von Klaus-Peter Bachmann [SPD] - Karl- Heinz Klare [CDU]: Was ist das für ein Unsinn!)

Meine Damen und Herren, wenn wir davon sprechen, Menschen zu integrieren, dann sprechen wir davon, Teilhabechancen zu ermöglichen, Zugang zu gesellschaftlichen Positionen zu schaffen, und wir sprechen von der gegenseitigen Anerkennung von Unterschieden. Dafür müssen wir die Rahmenbedingungen schaffen, Frau Ministerin Özkan, und zwar für alle Menschen, für alle Kinder und Jugendlichen, für Großeltern, für chronisch Kranke, aber auch für traumatisierte Menschen - ob mit unsicherem Aufenthaltsstatus, mit sicherem Aufenthaltsstatus oder deutscher Staatsbürgerschaft.

Sie definieren aber Menschen allein nach dem Leistungs- und Nutzenprinzip und ihrem Status. Flüchtlinge, die am Rande unserer Gesellschaft stehen, haben einfach keinen Platz in Ihrem Ressort, Frau Özkan.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

Dabei ist das Problem nicht der geduldete Roma, der arbeitsunwillig ist, wie es das Innenministerium mit dem Slogan „Zuwanderung in die Sozialsysteme“ immer wieder zu verbreiten versucht hat, sondern das ist die systematische Benachteiligung von Flüchtlingen, insbesondere von Kindern und Jugendlichen in diesem Bundesland.

Ich muss die letzte Innenministerkonferenz zur UN-Kinderrechtskonvention nicht kommentieren, auf der Sie gesagt haben, das wird keine Auswirkungen auf das Ausländer- und Asylrecht haben, was insbesondere unbegleitete minderjährige Flüchtlinge betrifft. Langjährig Geduldete, die einerseits im Rahmen von Bleiberechtsregelungen zahlreiche Voraussetzungen erfüllen müssen, um als gut integriert zu gelten, sollen andererseits aus

dem Zuständigkeitsbereich Ihres Integrationsministeriums herausfallen. Am Ende werfen Sie genau diesen Menschen Verhinderung der Integration und Integrationsunfähigkeit vor. Meine Damen und Herren, das grenzt an Schizophrenie!

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der LINKEN)

In Deutschland ist nicht die Herkunft entscheidend, sondern es sind der Aufenthaltstitel und die damit verbundenen Lebensumstände, die zur Ausgrenzung und Stigmatisierung führen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Vizepräsident Dieter Möhrmann übernimmt den Vorsitz)

Denn es liegt nicht an dem Mazedonier, dass er keine Arbeit findet, sondern daran, dass sein Abschluss nicht anerkannt wird. Denn es liegt nicht an der Kongolesin, dass sie keine Arbeit findet, weil sich ihr nicht genügend Anreize bieten, wie dies Frau von der Leyen betont hat, sondern es liegt an ihrem Arbeitsverbot und ihrem Duldungsstatus, die ihr ein Leben in Würde unmöglich machen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Es liegt nicht an der Türkin oder der Muslima, dass sie keine Arbeit findet, sondern an der Diskriminierung am Ausbildungs- und Arbeitsmarkt, die sie daran hindern. Und es liegt nicht an dem Ukrainer, dass er keine Arbeit findet, sondern an seiner sozialen Herkunft aus einer Arbeiterfamilie, die ihn in unserem Bildungssystem benachteiligt und zum Verlierer macht.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, konservative Integrationspolitik - das sage ich immer wieder in diesem Plenum - endet immer dort, wo es darum geht, Immigrantinnen und Immigranten ihre Rechte zu gewähren und ihnen eigene Handlungsspielräume zu geben. Das ist und bleibt Ihr Verständnis von christdemokratischer Integrationspolitik. Teilhabechancen, Chancengerechtigkeit, wie Herr Bachmann es ausgeführt hat, finden bei Ihnen nur in ausgeschmückten Reden statt, nicht in der Praxis. Es ist und bleibt pure Symbolpolitik. Der Zuschnitt der Ressortzuständigkeiten steht beispielhaft dafür.

Herr Minister Schünemann, lassen Sie mich das zum Abschluss sagen: Einen kleinen Revancheakt gegenüber Frau Özkan haben Sie sich ja dann doch noch mit dem Referat 45 gegönnt. Oder wie wollen Sie uns und der Öffentlichkeit sonst die fachliche Zuordnung von Aussiedlerinnen und Aussiedlern zu Ihrem Ministerium erklären? Das ist eine ganz klare Entmachtung Ihres Ministeriums, Frau Özkan. Das ist aber letztendlich auch geleitet von personalpolitischen Entscheidungen im Hause Schünemann im Zusammenhang mit einzelnen Politikkarrieren.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, nächste Rednerin ist Frau Mundlos von der CDU-Fraktion.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben jetzt einige Beiträge gehört, und ich kann nur feststellen: Diese Aktuelle Stunde ist Polemik pur und reine Stimmungsmache.

(Zurufe von der SPD: Was?)