Protokoll der Sitzung vom 10.06.2010

1. Weshalb tritt der Ministerpräsident bei einem Verein als Hauptredner auf, zu dem die Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen rät, Distanz zu halten?

2. Teilt die Landesregierung die Auffassung der Zentralstelle für Weltanschauungsfragen, und, wenn nein, aus welchen konkreten inhaltlichen Gründen nicht?

3. In welcher Form war der Ministerpräsident vor der Veranstaltung am 19. Mai 2010 über den Arbeitskreis Christlicher Publizisten International informiert?

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Für die Landesregierung antwortet Herr Minister Dr. Althusmann.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am 19. Mai dieses Jahres hat Herr Ministerpräsident Wulff im Glaubenszentrum Bad Gandersheim bei der Jahrestagung des Arbeitskreises Christlicher Publizisten e. V. International -ACP - einen öffentlichen Vortrag zum Thema „Politik aus christlichem Geist in der modernen Welt“ gehalten und sich den Fragen der Zuhörer gestellt. Auf dieser Veranstaltung wurde auch einer seiner Vorgänger im Amt des Niedersächsischen Ministerpräsidenten, Herr Dr. Ernst Albrecht, als eine Persönlichkeit geehrt, die in der Öffentlichkeit immer wieder glaubhaft Zeugnis von ihrem christlichen Glauben abgelegt hat.

Die weltanschauliche Ausrichtung des ACP war und ist dem Ministerpräsidenten bekannt. Der wertkonservative Arbeitskreis ist dem freikirchlichen evangelikalen Spektrum des Protestantismus zuzuordnen. Daran ist nichts Verwerfliches, es sei denn, man hat generell Probleme mit der grundgesetzlich verbrieften Meinungs- und Religionsfreiheit. Aus verfassungsrechtlicher Sicht sprach und spricht jedenfalls nichts dagegen, bei diesem Veranstalter als Vortragender und Diskutant aufzutreten, zumal die Landesregierung zu weltanschaulicher und religiöser Neutralität verpflichtet ist.

Im Übrigen ist diese Dringliche Anfrage der Fraktion DIE LINKE wie auch die Mündliche Anfrage der Abgeordneten Helge Limburg und Filiz Polat von den Grünen eine Wiederholung der Wiederholung. Bereits im November 2004 hat der Ministerpräsident dem ACP anlässlich seiner damaligen Bundestagung in Bad Gandersheim ein Grußwort zukommen lassen.

(Zuruf von Helge Limburg [GRÜNE])

Als Reaktion, Herr Limburg, folgte eine Kleine Anfrage des Abgeordneten Uwe Schwarz, in der dem Arbeitskreis rechtslastige Aktivitäten und Züge einer Sekte unterstellt wurden. Damit haben sich im Prinzip jetzt alle drei Oppositionsparteien im Niedersächsischen Landtag mit dem ACP und seiner Weltanschauung auseinandergesetzt.

(Helge Limburg [GRÜNE]: Nur die Landesregierung nicht!)

Die damalige Antwort der Landesregierung, Herr Limburg, vom 27. Januar 2005, nachzulesen in der Drs. 15/1662, erstellt vom niedersächsischen Innenministerium, sah ebenfalls keinen Anlass, den ACP als extremistische oder verfassungsfeindliche Organisation einzustufen. Dies würde in der Tat jeden Kontakt zum ACP verbieten.

Auch wertkonservatives Denken ist von der Meinungsfreiheit gedeckt. Wie in vielen anderen Fällen auch, ist es nicht zwingend notwendig, dass der Ministerpräsident als Gastredner oder Diskussionsteilnehmer in jedem Fall die Meinung oder die weltanschauliche oder politische Ausrichtung der Veranstalter, die ihn eingeladen haben, teilen muss. Das gilt im Übrigen auch umgekehrt.

Im Falle des Vortrags und der Diskussion am 19. Mai im Glaubenszentrum Bad Gandersheim hat der Ministerpräsident die Gelegenheit genutzt, vor einigen Hundert Bürgerinnen und Bürgern für seine Politik zu werben. Die Veranstaltung verlief, wie Sie auch den Gandersheimer Kreisblatt vom 22. Mai entnehmen können, harmonisch und war ein Gewinn für alle Seiten. Ich zitiere:

„Muss es Kritik finden, wenn ein Niedersächsischer Ministerpräsident im Amt das Glaubenszentrum Bad Gandersheim und eine dort stattfindende Jahrestagung des Arbeitskreises Christlicher Publizisten - ACP - besucht?“

Im Einzelnen: Der Ministerpräsident hat die Gelegenheit genutzt, insbesondere für die Integrations-

und Religionspolitik des Landes zu werben. Er hatte Gelegenheit, die Ernennung von Frau Özkan zur Sozial- und Integrationsministerin zu erläutern, und konnte in diesem Zusammenhang im Übrigen in der Kreuz- und Kruzifixdebatte die Maßstäbe zurechtrücken und dabei insbesondere für Toleranz, Menschlichkeit, Gerechtigkeit und Achtung der Menschenwürde werben. Ausdrücklich trat er für die Allseitigkeit von Toleranz ein. Das heißt, er warb auch konkret für die Anerkennung der Christen in der Türkei, im Irak und anderen muslimischen und nicht muslimischen Ländern. Ausgehend vom christlichen Menschenbild und seinem eigenen christlichen Glauben und den mit ihm verbundenen Werten, warb er des Weiteren für eine Gesellschaft, in der diese Werte lebendig und wirksam bleiben, für ein menschliches und verantwortliches reales Miteinander, gegen die Flucht gerade auch junger Menschen in virtuelle Computerwelten, für ein ehrenamtliches Engagement, das nichts anderes ist als angewandte christliche Nächstenliebe, gegen aktive Sterbehilfe, für Sterbebegleitung aus christlichem Geist. Er äußerte des Weiteren die Hoffnung, dass die Welt Intoleranzen, die überall noch bestehen, überwinden und zu einem harmonischen Miteinander kommen könne. Das gilt auch für die Religionen und Glaubensgemeinschaften überall auf der Welt.

Beispielhaft für die gute niedersächsische Integrationspolitik hat der Ministerpräsident auch den Schulversuch Islamischer Religionsunterricht und die Ausbildung deutschsprachiger Imame für die Moscheengemeinden im Land Niedersachsen angeführt.

Mit seinem Vortrag in Bad Gandersheim hat der Ministerpräsident nicht einen Verein gefördert, der den Zielen der freiheitlichen Demokratie entgegensteht. Vielmehr ist er aus seiner christlichen und toleranten Überzeugung heraus für die Stärkung unserer demokratischen Werte eingetreten.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich namens der Landesregierung die Fragen im Einzelnen wie folgt:

Zu 1: Siehe meine Vorbemerkungen.

Zu 2: Die Landesregierung stellt bei Entscheidungen über die Wahrnehmung von Terminen auf eigene Auffassungen und Einschätzungen ab. Im Übrigen verweise ich auf die Vorbemerkungen.

Zu 3: Siehe Vorbemerkungen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Eine erste Zusatzfrage stellt die Kollegin Flauger von der Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich frage die Landesregierung: Vertritt der Ministerpräsident respektive die Landesregierung die Auffassung, wie es der ACP und auch Dieter Althaus in Thüringen tun, dass an den Schulen gleichberechtigt die Evolutionstheorie und der Kreationismus unterrichtet werden sollten?

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Minister Dr. Althusmann, bitte!

Grundsätzlich gilt, dass der Ministerpräsident die Auffassungen des ACP nicht teilen muss, sondern im Gegenteil

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Teilt er?)

er bei dieser Veranstaltung für seine Position werben wollte, insbesondere für seine Position zu integrationspolitischen Überzeugungen, und er hat insbesondere einen Diskussionsprozess mit den Mitgliedern des Arbeitskreises anstoßen wollen. Ich glaube im Übrigen, dass es ihm im Kern bei seiner Rede um die Frage der Integrationspolitik und sein Bild vom Menschen ging, das er vermitteln wollte. Es bedarf nicht der Überzeugung und der Teilung anderer Auffassungen.

(Beifall bei der CDU)

Herr Kollege Klare stellt die nächste Zusatzfrage.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister, haben Sie Erkenntnisse darüber, ob es weitere Politiker gibt, die z. B. Mitglied des ACP sind oder in Publikationen des ACP Beiträge veröffentlicht oder Interviews gegeben haben?

Herr Minister Dr. Althusmann!

(Zuruf von den GRÜNEN: Oh, er hat schon etwas aufgeschrieben! - Ursula Helmhold [GRÜNE]: Zufällig hat er Unterlagen dabei! - Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Wir sind ja gut vorbereitet auf Ihre Fragen.

Meine Damen und Herren, die Tatsache, dass zahlreiche Vertreter der Öffentlichkeit dem Arbeitskreis Christlicher Publizisten zu verschiedenen Anlässen Grußbotschaften gesandt haben, denke ich, zeigt klar, dass auch andere politische Vertreter eine ähnliche Einschätzung gegenüber dem ACP haben wie der Ministerpräsident. Unterstrichen wird diese Tatsache im Übrigen durch Aussagen des Verfassungsschutzes, dass keine Meldungen gegen den ACP insgesamt vorliegen.

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Insge- samt!)

Dem ACP haben in der Vergangenheit u. a. Grußworte übersandt: der ehemalige Herr Bundeskanzler, als er noch Ministerpräsident in Niedersachsen war, Gerhard Schröder,

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Aha!)

der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt.

(Björn Thümler [CDU]: Was?)

Und dies hier ist die Zeitschrift des ACP.

(Minister Dr. Bernd Althusmann hält ein Papier hoch)

Dort ist angekündigt für die nächste Ausgabe ein Wort von Herrn Herbert Schmalstieg aus Hannover,

(Zuruf von der CDU: Oh!)

von Herrn Robert Fischer, Oberlandeskirchenrat in Wolfenbüttel, zur Zukunft der EKD, sowie auch von Richard von Weizsäcker. Im Übrigen ist der aktuellen Ausgabe ein Grußwort des ehemaligen SPDMinisterpräsidenten Björn Engholm zu entnehmen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und Zustimmung von Christian Dürr [FDP])

Der Kollege Dr. von Danwitz stellt die nächste Zusatzfrage.