Protokoll der Sitzung vom 19.08.2010

Schwarze Schafe gibt es doch überall. Darüber brauchen wir uns hier gar nicht zu unterhalten. Dass diese nicht Maßstab für die Leiharbeit sind, sollten auch Sie wissen.

(Beifall bei der FDP)

Frau Kollegin König, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, im Moment nicht, sonst komme ich aus dem Konzept.

(Unruhe)

Frau Kollegin König, ich schenke Ihnen zusätzliche Redezeit, wenn es nicht gleich ruhiger wird. Ich finde, es ist wieder unerträglich laut geworden. - Danke schön.

Sie sprechen von einer gefühlten Beschäftigungsunsicherheit. So nennt es z. B. auch die Hans

Böckler-Stiftung, die dies untersucht hat. Es sind nur 10 % der Kundenbetriebe, die zu Intensivnutzern zählen. Intensivnutzer sind Betriebe, die einen Anteil von mindestens 20 % an Zeitarbeitskräften haben. Bei nur 3 % der Unternehmen, die Leiharbeiter einsetzen, bedeutete das gerade einmal einen Anteil von 0,3 % Intensivnutzer. Der Anteil der Großunternehmen, die hier die maßgebliche Rolle spielen, ist mit 0,326 % aller Unternehmen so gering, dass er eigentlich zu vernachlässigen ist. Insofern gibt es hier einen Sturm im Wasserglas.

Auch beim Lohn - das habe ich eben schon gesagt - gibt es keine Abwärtsspirale. Der Lohn ist vielmehr tatsächlich vernünftig erhöht worden. Wir haben in der Zeitarbeitsbranche einen Mindestlohn eingeführt. Ich weiß nicht, woher Sie Ihre Informationen haben. Ich entnehme meine Informationen auch der erwähnten Untersuchung der Stiftung. Lesen Sie sie doch bitte einmal, bevor Sie solche Argumente hier vorbringen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Ich schließe mich Ihrer Auffassung an, wenn es um Sanktionen gegen die schwarzen Schafe geht. Bei den 260 Leiharbeitsfirmen gibt es davon aber nur sehr wenige. Ihr Anteil liegt teilweise unter 10 %. Wenn Sie den Menschen das Arbeitslosendasein möglicherweise aber erschweren wollen, indem Sie versuchen, diese nicht in Arbeit und teilweise in Facharbeit zu bringen, kann ich Ihnen absolut nicht folgen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Herzlichen Dank. - Für die Fraktion DIE LINKE hat sich zu diesem Tagesordnungspunkt Frau Kollegin Weisser-Roelle gemeldet. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bestand und die Zahl neu gemeldeter Stellen im Bereich der Leiharbeit nehmen bundesweit seit Jahresbeginn kontinuierlich zu. Bei mehr als einem Drittel der im Juni bei der Bundesagentur für Arbeit gemeldeten Stellen handelt es sich um Leiharbeitsplätze, Frau König.

Auch in Niedersachsen sind Ende Juli dieses Jahres im Vergleich zu Juli 2009 der Stellenzugang und das wachsende Angebot freier Stellen vor allem auf den gravierenden Zuwachs bei der Leih

arbeit zurückzuführen. Der Zuwachs beträgt 25,7 %. Das sind 13 059 Stellen.

Gleichzeitig - das ist das Entscheidende - hat in Niedersachsen im Vergleich zum Juli 2009 die Beschäftigung im verarbeitenden Gewerbe - das ist die Haupteinsatzbranche für Leiharbeit - um 11 214 Personen, also etwa im gleichen Umfang, abgenommen. Es wurden also Vollarbeitsstellen etwa im gleichen Umfang abgebaut, wie die Leiharbeit zugenommen hat. Sie können insofern nicht sagen, dass es sich nur um einen kleinen Prozentanteil handelt.

(Beifall bei der LINKEN - Gabriela Kö- nig [FDP]: Das stimmt ja auch gar nicht!)

Viele Medien titelten daher bei der Veröffentlichung der Arbeitslosenzahlen im Juli dieses Jahres mit Schlagzeilen wie „Leiharbeit rettet die Statistik der Bundesagentur für Arbeit“.

Die Ursache für die von der Bundesregierung so genannte Belebung am Arbeitsmarkt ist tatsächlich vor allem die massive Zunahme der Leiharbeit in Verbindung mit der Ausweitung prekärer Arbeitsverhältnisse wie Minijobs oder auch Befristungen.

(Gabriela König [FDP]: Die werden von Leiharbeit verdrängt!)

Diese Zahlen aus der aktuellen Arbeitsmarktstatistik Niedersachsens habe ich im SPD-Antrag leider vermisst.

Die Zahlen belegen eindeutig: Immer häufiger versuchen Unternehmen auch in Niedersachsen ihre Stammbelegschaften durch Leiharbeitskräfte zu ersetzen.

Damit wird eine verhängnisvolle Entwicklung in diesem Jahr wiederbelebt, die sich bereits vor Ausbruch der Wirtschaftskrise vollzogen hat. Die prekären Arbeitsverhältnisse im Allgemeinen und die Leiharbeit im Besonderen werden massiv zum Zweck von Lohndumping missbraucht. Da beißt die Maus keinen Faden ab. Das ist so.

(Beifall bei der LINKEN - Gabriela Kö- nig [FDP]: Das ist doch nicht wahr! Lesen Sie doch in der Studie nach!)

Diese Arbeitsverhältnisse werden benutzt, um Personalkosten in den Unternehmen zu drücken und gleichzeitig Arbeitnehmerrechte einzuschränken. Jegliches unternehmerische Risiko wird auf die Arbeitnehmer und in diesem Fall auf die Leiharbeiter abgewälzt.

(Beifall bei der LINKEN)

Das ist für DIE LINKE absolut nicht mehr hinnehmbar.

Der ursprüngliche Sinn von Leiharbeit, Auftragsspitzen und krankheitsbedingte Ausfälle abzusichern, ist kaum noch ein Grund für Firmen, Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter einzustellen.

Die Große Koalition hat die Rahmenbedingungen für den jetzt stattfindenden Missbrauch geschaffen. Es ist kein Wunder, dass die schwarz-gelbe Bundesregierung dies unvermindert fortsetzt. Es gibt mehr prekäre Beschäftigungen und niedrige Löhne. Minijobs sollen ausgeweitet, Befristungen erleichtert, Praktika ohne Vergütungen verstärkt und Armutslöhne durch höhere Hinzuverdienstgrenzen stärker subventioniert werden. DIE LINKE setzt sich gegen all dies ganz entschieden zur Wehr.

Diese arbeitsmarkt- und sozialpolitische Geisterfahrt muss endlich ein Ende haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir verlangen, dass sich notwendiges politisches Handeln bei der Leiharbeit am Leitbild guter Arbeit und guter Löhne orientiert. Das Prinzip von gleichem Lohn für gleiche Arbeit zuzüglich einer Flexibilisierungsvergütung muss ab dem ersten Einsatztag gelten. Außerdem darf eine Leiharbeiterin bzw. ein Leiharbeiter nur maximal drei Monate an ein und dasselbe Unternehmen verliehen werden.

(Glocke der Präsidentin)

Dadurch wird verhindert, dass die Unternehmen reguläre Arbeitsplätze durch Leiharbeit ersetzen. Selbstverständlich fordern wir auch für Leiharbeit einen Mindestlohn. Wir haben die Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn auch schon in der letzten Wahlperiode im Bundestag erhoben. Leider konnte die SPD damals noch nicht zustimmen. Ich freue mich, dass die SPD in der Frage von Leiharbeit und Mindestlohn mittlerweile dazugelernt hat, ganz im Gegensatz zu CDU und FDP.

(Beifall bei der LINKEN)

Frau Weisser-Roelle, bitte nur noch einen letzten Satz.

Ein letzter Satz, Frau Präsidentin. Wir wollen, dass Leiharbeit strikt begrenzt wird und sozial gerecht

gestaltet wird; von daher sind wir für den Antrag der SPD.

(Beifall bei der LINKEN)

Von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat sich Herr Hagenah zu Wort gemeldet. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Schminke, ich möchte mich zunächst bei Ihnen und bei der Frau Präsidentin für die für mich erstaunliche Erweiterung des parlamentarischen Vokabulars bedanken. Ich werde das Protokoll bestimmt mit sehr viel Interesse lesen. Ich fand es nicht nur amüsant, sondern auch sehr treffend, wie Sie den Zustand auf dem Leiharbeitsmarkt beschrieben haben.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Ich bin natürlich ein bisschen säuerlich, weil Sie meine schönsten Zitate schon benutzt haben. Deshalb kann ich mich aber etwas mehr mit dem auseinandersetzen, was vorher gesagt worden ist.

Frau König, Sie scheinen die letzten Monate irgendwo anders verbracht zu haben. Den deutschen Arbeitsmarkt haben Sie in dieser Zeit jedenfalls bestimmt nicht studiert. Inzwischen wissen eigentlich doch alle politischen Fraktionen - außer der CSU; das muss ich jetzt auf die FDP im Niedersächsischen Landtag erweitern -, dass sich allein die Zahl der ermittelten Verstöße gegen das Gesetz mit mehr als 2 000 Bußgeldverfahren innerhalb eines Jahres vervierfacht hat.

(Zuruf von Gabriela König [FDP])

- Entschuldigen Sie, dabei muss man beachten, dass die Bundesagentur für Arbeit gerade einmal 75 Mitarbeiter zur Kontrolle von Leiharbeit bei 23 000 Leiharbeitsunternehmen einsetzt. Die 2 000 Bußgeldverfahren sind also nur die Spitze des Eisberges.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Ich würde insofern doch gern auf Herrn Schminke zurückgreifen und Ihnen empfehlen: Reden Sie doch einmal mit Herrn Kolb aus Ihrer Bundestagsfraktion. Konsultieren Sie einmal Frau von der Leyen, oder unterhalten Sie sich einmal mit Herrn Blüm als Altvorderen. Der hat zu den Fragen inzwischen eine ganz andere Einsicht gewonnen.

Das ist ein bisschen mehr als Altersweisheit. Er kennt den Laden auch sehr gut.

Wenn Sie uns und den Fachleuten schon nicht glauben, dann hören Sie doch auf die Branche selber, die nach einer Novellierung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes verlangt. Marcus Schulz von der USG People Group - immerhin das viertgrößte Leiharbeitsunternehmen in Europa - erhebt schwere Vorwürfe gegen die eigene Branche: Systematisch bewege sich die Zeitarbeit in einer gesetzlichen Grauzone. Es gehe eben nicht nur um schwarze Schafe, sondern um das Alltagsgeschäft. Frau König, das ist mehr als ab und zu ein schwarzes Schaf. Auch Manpower - drittgrößter Anbieter in Deutschland - will, dass Leiharbeiter genauso bezahlt werden wie die Stammbelegschaft, um die gesellschaftliche Akzeptanz zu verbessern. Hören Sie auf diese Unternehmen. Sonst sind Sie dabei doch auch immer sehr aufmerksam.