Protokoll der Sitzung vom 19.08.2010

Wenn Sie uns und den Fachleuten schon nicht glauben, dann hören Sie doch auf die Branche selber, die nach einer Novellierung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes verlangt. Marcus Schulz von der USG People Group - immerhin das viertgrößte Leiharbeitsunternehmen in Europa - erhebt schwere Vorwürfe gegen die eigene Branche: Systematisch bewege sich die Zeitarbeit in einer gesetzlichen Grauzone. Es gehe eben nicht nur um schwarze Schafe, sondern um das Alltagsgeschäft. Frau König, das ist mehr als ab und zu ein schwarzes Schaf. Auch Manpower - drittgrößter Anbieter in Deutschland - will, dass Leiharbeiter genauso bezahlt werden wie die Stammbelegschaft, um die gesellschaftliche Akzeptanz zu verbessern. Hören Sie auf diese Unternehmen. Sonst sind Sie dabei doch auch immer sehr aufmerksam.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN - Gabriela König [FDP]: Das ist doch teilweise schon umgesetzt!)

Wir alle sollten den SPD-Antrag unterstützen, weil er Initiativen auf Bundesebene fordert und auch eine Bundesratsinitiative, bei der wir selber aktiv werden können.

Wir brauchen das Synchronisationsverbot. Das Arbeitsverhältnis muss den Einsatz im Leihbetrieb überdauern. In der verleihfreien Zeit ist den Beschäftigten ein Mindestlohn zu zahlen. Dafür muss die Branche ins Arbeitnehmerentsendegesetz. Auch dafür brauchen wir die Unterstützung der FDP auf Bundesebene.

Die Stammbelegschaften dürfen nicht durch Leiharbeit ersetzt werden. Frau König, die konzerninterne Arbeitnehmerüberlassung muss verboten werden. Für den Einsatz von Leiharbeitern sollte eine Quote von 10 % gelten; denn bei denen, die bis zu 20 % Leiharbeiter beschäftigen, wie Sie es gerade beschrieben haben, ist entweder das Unternehmen nicht bereit, in die Zukunft zu investieren, oder es ist völlig überrollt worden. Dann kann das aber nur für einen sehr kurzen Zeitraum gelten; denn dann muss man eine normale Belegschaft aufbauen können.

Für Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter müssen gleiche Mitbestimmungsrechte gelten. Sie müssen das gleiche Recht wie Stammbelegschaften haben, sich von Betriebsräten vertreten zu lassen.

Auch das ist eine wichtige Veränderung, die wir brauchen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Nach der Krise erlebt keine andere Branche einen solchen Boom wie die Zeitarbeit. Mehr als 600 000 Beschäftigte sind jetzt schon in der Leiharbeit beschäftigt. Gleichzeitig macht sich die Bevölkerung aber über die Auswirkungen der Leiharbeitspraxis auf die Gesellschaft Sorgen. Laut aktueller Umfrage, Frau König, befürchten 85 % der Befragten in der Bundesrepublik, dass Zeitarbeit Lohndumping fördert und reguläre Beschäftigung verdrängt.

(Gabriela König [FDP]: Das ist rein gefühlt, das sind keine Tatsachen!)

Wir Politiker haben die Verantwortung, für Beschäftigte anständige Rahmenbedingungen zu schaffen und dafür zu sorgen, dass die volkswirtschaftliche Rechnung unter dem Strich stimmt. Wir können die Verantwortung nicht an Unternehmen abgeben, die Gesetzeslücken für sich zu nutzen versuchen. Unsere Aufgabe ist es, diese Lücken zu schließen und das Gesetz zu dem zu machen, wofür es gedacht ist - da bin ich wieder bei Ihnen -: zu einem Instrument, um Auftragsspitzen zu begegnen, und zu einem Instrument, das einen Weg in reguläre Beschäftigung eröffnen kann. Das würden wir mit diesem Antrag unterstützen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Herzlichen Dank! - Für die CDU-Fraktion hat Herr Kollege Höttcher das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich werde mich bemühen, jetzt etwas Licht in diesen Nebel oder diesen dunklen Wald zu bringen.

(Dr. Gabriele Andretta [SPD]: Wir se- hen sehr klar!)

Denn zum Teil wurden da Gerüchte gestreut, was mir persönlich gar nicht gefällt.

(Beifall bei der CDU)

Die Weltwirtschaftskrise hat vor allem die Industrie hart getroffen. Herr Schminke, die Wirtschaftsleistung des verarbeitenden Gewerbes ist in Deutschland um fast 20 % gesunken. Dass in der Folge

auch der Arbeitsmarkt reagiert, muss uns allen einleuchten. Das ist leider so. Unternehmen müssen ihre Produktions- und Personalkosten flexibel der Nachfrage anpassen können.

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Miss- stände gab es schon vor der Krise!)

Von dieser Flexibilität profitiert die Stammbelegschaft, die dadurch auch in Zeiten der Krise ihren Arbeitsplatz behalten kann. Dementsprechend müssen Zeitarbeitsunternehmen mit ihrem Personal reagieren. Schließlich ist es keine willkürliche Entscheidung der Betriebe, sich in so hohem Maße, wie es geschehen ist, von den Mitarbeitern zu trennen. Letztlich verdienen diese Unternehmen damit ihr Geld. Sollen sie in die Insolvenz gehen, wenn es nicht genügend Personalanforderungen gibt?

Ich stehe nach wie vor zu meinen Worten: Die Zeitarbeit ist unverzichtbar für die Unternehmen, um flexibel auf Auftragsschwankungen reagieren zu können.

Frau Weisser-Roelle, Sie sollten sich lieber über die starken Zuwächse an Arbeitsplätzen freuen, als das zu kritisieren. Wenn der jetzige Konjunkturaufschwung zu einem starken Auftragsanstieg führt und dadurch Personalmangel herrscht, ist die Mitarbeiterbeschaffung durch Zeitarbeit ein ganz wichtiger Stützpfeiler für die Wirtschaft, aber natürlich auch für die Zeitarbeiter.

(Zustimmung bei der CDU)

Denn Sie wissen: Ein hoher Anteil der Zeitarbeitskräfte war vorher arbeitslos, und dies war der Weg zurück in den Arbeitsmarkt. Vielleicht noch nicht in den ersten Arbeitsmarkt, aber bislang war das ein guter Weg.

Kritisch anmerken möchte ich allerdings auch, dass es nicht Zweck der Zeitarbeit sein kann, gekündigte Mitarbeiter, wie wir alle es gehört haben, von unternehmenseigenen Zeitarbeitsfirmen zu schlechteren Konditionen wieder einstellen zu lassen

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

oder feste Stellen in Betrieben dauerhaft durch Zeitarbeit zu ersetzen. Sollte sich dieser Trend fortsetzen, dann müssen wir tatsächlich über gesetzliche Änderungen nachdenken.

(Beifall bei der CDU - Kreszentia Flauger [LINKE]: Das gibt es doch schon seit Jahren!)

Herr Schminke, in einem Punkt gebe ich Ihnen ausdrücklich Recht: Wenn nächstes Jahr die Freizügigkeit in der EU kommt, dann kann natürlich ein Problem auftauchen. Bis dahin ist aber noch viel Zeit, und wir müssen diese Dinge erst einmal abwarten. Unser Ziel muss es hierbei sein, Missbrauch vorzubeugen und Lohndumping entgegenzuwirken.

Selbstverständlich wollen wir nicht, dass jeder vierte Mitarbeiter eines Unternehmens ein Zeitarbeiter ist. Man kann aber einem Unternehmen keine starren Prozentvorgaben zum Anteil dieser Mitarbeiter machen; denn schließlich unterliegt jeder Betrieb völlig unterschiedlichen Anforderungen. Allein der bürokratische Aufwand zur Kontrolle wäre fatal.

Wir sollten uns lieber noch eine andere Frage stellen: Warum nimmt die Zeitarbeit so stark zu? Ist es die Sorge der Unternehmen, dass der derzeitige Aufschwung auf wackligen Beinen steht und dass festangestellte Mitarbeiter bei einem erneuten Rückgang der Produktion durch einen strikten Kündigungsschutz nur sehr schwer zu entlassen sind? Hauptsächlich aus diesem Grund weicht man in vielen Bereichen auf Zeitarbeit aus.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Herzlichen Dank, Herr Höttcher! - Für die Landesregierung hat Herr Minister Bode das Wort. Bitte schön!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach den Ausführungen kann ich meinen Redebeitrag auf ein paar weitere Ergänzungen beschränken. Lassen Sie mich zweierlei sagen.

Zunächst einmal sollten wir die Tatsache, dass das Kapitel Leiharbeit bei Schlecker beendet worden ist, auch hier deutlich darstellen und erklären, weil das in der Begründung des Antrags nicht erwähnt wird. Der Fall Schlecker, über den wir auch hier im Landtag schon diskutiert haben, ist, wie Ihnen bekannt ist, mittlerweile seit Anfang Juni dieses Jahres durch drei Tarifverträge der Gewerkschaft ver.di mit den Schleckergesellschaften abgeschlossen.

(Ursula Weisser-Roelle [LINKE]: Das war exemplarisch! Schlecker gibt es überall!)

Die wohl wichtigste Vereinbarung lautet: Alle Beschäftigten erhalten ihr Gehalt zukünftig auf der Grundlage des Flächentarifvertrages des Einzelhandels Baden-Württemberg. Dabei handelt es sich um einen Ecklohn von 12,30 Euro in der Stunde. Ebenfalls ist vereinbart worden, dass Leiharbeit hier nur noch bei außergewöhnlichen Arbeitsbelastungen möglich sein soll, wenn das Stammpersonal nicht in der Lage ist, den Arbeitsanfall zu bewältigen. Nur dann wird es bei Schlecker noch zur Leiharbeit kommen.

Hier sind wir an einem Punkt, den wir, glaube ich, sehr weit nach vorne stellen müssen. Das Ganze ist passiert durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, durch die Gewerkschaften und durch die öffentliche Diskussion über Missstände, die man nicht wollte und die teilweise - nicht nur bei Schlecker - Gesetzesverstöße waren. Darauf müssen wir immer mit dem Finger zeigen. Das muss verhindert werden. Die missbräuchliche Praxis darf sich nicht festsetzen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Kreszentia Flauger [LINKE]: Mit dem Finger zu zeigen, reicht nicht!)

Jetzt stellt sich die Frage, wie man weiter vorankommt. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Sie werden ein schwarzes Schaf nicht dadurch weiß machen, dass Sie eine Rechtsetzung, die das schwarze Schaf schon jetzt nicht einhält, einfach verändern. Sie werden das nur verändern können, wenn derjenige sieht, dass er auch andere wirtschaftliche Nachteile hat und es ihm nichts nützt, gegen Gesetze zu verstoßen. Das hat Schlecker gesehen. Es ist nämlich nicht sinnvoll, mit negativen Schlagzeilen in der Zeitung zu stehen und eine Seite weiter Produkte verkaufen zu wollen. Die Kunden sagen: „Das machen wir nicht mit. Wir wollen nicht, dass so gegen Gesetze verstoßen wird.“ - Deshalb müssen wir dafür Sorge tragen, dass es auch gesellschaftlich nicht gutgeheißen wird, wenn es gegen die gesetzlichen Regeln geht.

Herr Minister Bode, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, ich möchte am Stück vortragen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, zum zweiten Punkt. Was derzeit in Berlin diskutiert wird, ist schon verwirrend. Das Prinzip „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ soll in das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz aufgenommen werden. Es steht dort aber schon. Es doppelt hineinzuschreiben hat keinen Sinn.

Nun gibt es die unterschiedlichsten Vorschläge. Hier haben wir jetzt den Vorschlag, zunächst einen branchenspezifischen Mindestlohn einzuführen, ihn aber flankierend durch einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn zu unterstützen. Das ist doppelt gemoppelt und verfolgt natürlich ein bestimmtes Ziel. Das will ich der SPD zugestehen; das ist Handeln aus Überzeugung, genauso wie es vorgetragen worden ist. Sie haben damit eine klare Zielrichtung. Sie wollen damit dem Großteil der bei Ihnen anscheinend unter Generalverdacht stehenden Unternehmen hinsichtlich des Zwecks ihrer unternehmerischen Betätigung die Grundlage entziehen. Es geht um die Existenzgrundlage für den Bereich der Leiharbeit. Das wollen wir genauso wenig, wie wir den Missbrauch der bestehenden gesetzlichen Regelungen wollen, weil nämlich Leiharbeit auch ihr Gutes hat. Der Kollege Höttcher und Frau König haben das bereits ausgeführt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, in Berlin wird diskutiert, was man enentuell ändern muss, wie man aber auch Missbrauch besser bekämpfen kann, damit wir mit diesem Thema sensibel umgehen.

Ich bin der festen Überzeugung, Bundesratsinitiativen können gerade im jetzigen Diskussionsstadium die Diskussion in Berlin nicht weiter beschleunigen und sind deshalb überflüssig.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Ganz herzlichen Dank, Herr Minister Bode. - Nach § 71 Abs. 3 der Geschäftsordnung erteile ich jetzt für eine Minute Frau Kollegin Weisser-Roelle von der Fraktion DIE LINKE das Wort. Bitte schön!