Protokoll der Sitzung vom 19.08.2010

Vielen Dank, Herr Präsident. - Eines ist mir aus den Antworten der Landesregierung, respektive des Innenministers, noch nicht klargeworden. Wir sind uns also einig in diesem Haus - jedenfalls sagt das Hesse-Gutachten das -: Es gibt partiell Handlungsbedarf, was die kommunale Gebietsstruktur angeht, nicht überall, aber eben partiell in Niedersachsen. Jetzt sagt der Innenminister hier in seiner Antwort, wie dieses Gutachten zu bewerten ist oder welche Schlüsse wir daraus ziehen: Ja, wir gehen in die Regionen und führen einen intensiven Dialog mit den entsprechenden Kreisen oder mit den Regionen, welche Schlüsse aus dem Gutachten zu ziehen sind.

Die zentrale Frage für mich ist jetzt aber - das haben Sie noch nicht so richtig beantwortet, Herr Innenminister -: Was machen Sie in den Gebietskörperschaften, zu denen Hesse sagt, da sei Handlungsbedarf? Sie diskutieren mit den entsprechenden Gebietskörperschaften oder Regionen, aber die Einsichtsfähigkeit ist aufgrund von Veränderungen nicht da; die sagen: Nein, wir wollen uns nicht verändern, wir sehen die Notwendigkeit nicht. - Dieses Phänomen haben wir ja in verschiedenen Regionen. Wie geht es dann politisch weiter?

Herr Minister, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um noch einmal das aufzugreifen, was Professor Hesse dargelegt hat: Er hat nicht von Handlungsbedarf gesprochen, sondern zunächst von Stabilisierungsbedarf in den Regionen, die er anhand der Kriterien ausfindig gemacht hat.

Ich habe Ihnen dargelegt, man kann nicht zu Beginn eines Prozesses, wenn wir jetzt aktiv in diese Regionen gehen, sagen: Wenn ihr euch überhaupt nicht bewegt, dann passiert das und das. - Ich glaube, das wäre keine vernünftige Diskussionskultur.

Wir gehen mit einem Instrumentenkoffer dorthin, wir gehen mit Argumenten dorthin, unterlegt durch ein wissenschaftliches Gutachten, das eigentlich auch nicht angreifbar ist, sodass die Argumente jetzt eindeutig auf dem Tisch liegen. Dann muss sich die kommunale Ebene, wenn sie das nicht macht, überlegen, welche Handlungsfähigkeit sie in der Zukunft noch hat.

Nach einer gewissen Zeit, wenn sich überhaupt nichts tut, ist die Landesregierung sicherlich gefordert, sich anzuschauen, welche Auswirkungen hat es denn, wenn man sich vor Ort überhaupt nicht bewegt. Ist es zu rechtfertigen, dass die Landesregierung dort nichts tut, weil das zwar sicherlich eine schwierige Situation ist, aber die Handlungsfähigkeit auf Dauer nicht gefährdet ist?

Kommt es aber in der Zukunft dazu, dass die Handlungsfähigkeit nicht mehr gegeben ist und man überhaupt keine freiwilligen Aufgaben mehr machen kann, dass man noch nicht mal mehr eine Möglichkeit hat, Pflichtaufgaben umzusetzen, dann entsteht eine Situation, in der man als Landesregierung, als Kommunalaufsicht ganz individuell entscheiden muss, wie man in dieser Region helfen kann. Aber das ist im Moment nicht angesagt, das ist auch nicht Diskussionspunkt.

Wir sagen: Wir haben euch Angebote gemacht, wir moderieren, wir haben einen Instrumentenkoffer, den könnt Ihr nutzen, und dadurch habt ihr diese und jene Vorteile.

Wenn man die dann nicht nutzt, dann muss man allerdings sehen, welche Konsequenzen man auch vor Ort für die Bürgerinnen und Bürger zieht. Ich möchte das am Beispiel von Bad Gandersheim deutlich machen.

Wenn man sich Bad Gandersheim anschaut, dann weiß man, dass die einen Prozess hinter sich haben, der schmerzhaft ist. Aber wir wollen erreichen, dass Bad Gandersheim Gelegenheit hat, tatsächlich in der Zukunft, ab dem Jahr 2013/2014, wieder selber zu entscheiden, wie Politik vor Ort gemacht werden kann. Bisher war die Stadt von den Bedarfszuweisungen, von dieser katastrophalen Finanzsituation gefangen.

Wenn man solche positiven Beispiele vor Ort aufzeigen kann, dann - das gebe ich zu - wird es schon schwer, sich einfach zurückzuziehen und zu sagen: Wir haben überhaupt nichts nötig. - Denn die positiven Effekte sind ja nicht für die Ratsmitglieder oder für den Bürgermeister oder Oberbürgermeister, sondern die wirken sich gerade für die Bürgerinnen und Bürger hervorragend aus, und das muss immer im Vordergrund stehen.

Zur zweiten Zusatzfrage hat sich Frau Korter von Bündnis 90/Die Grünen gemeldet. Bitte sehr.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will die Frage meines Kollegen Briese noch ein bisschen konkretisieren, Herr Minister. Der Gutachter Hesse hat ja als Handlungsempfehlung gesagt, die Landkreise Wittmund, Friesland, Wesermarsch sollten sich zusammentun und sollten fusionieren. Diese drei Landkreise sind allesamt finanziell nicht auf Rosen gebettet. Das kann man sehr genau nachvollziehen. Aber mindestens zwei Landräte dieser Landkreise, nämlich die von Wittmund und von Friesland, haben sich entschieden dagegen ausgesprochen.

Was gedenken Sie denn zu tun, wenn Sie den finanziellen Handlungsbedarf sehen, die Handlungsfähigkeit dieser Kommunen eingeschränkt sehen, aber die Landkreise nicht fusionieren wollen? Sie müssen doch irgendeine Zielvorstellung haben, wie Sie dann handeln wollen. Sie reden hier immer nur von Diskussion. Ich habe das Gefühl, Sie haben überhaupt kein Ziel.

Herr Minister!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin Ihnen sehr dankbar für dieses Beispiel; denn daran können Sie sehen, dass der Landkreis Wittmund - mit etwa 60 000 Einwohnern, wenn ich es richtig in Erinnerung habe, ein kleiner Kreis - finanziell nicht so dramatisch dasteht wie andere in der Region. Somit kann ich nachvollziehen, wenn ein Hinweis von Herrn Professor Hesse dahin geht, dort insgesamt einen Zusammenschluss hinzubekommen, während der gerade frisch gewählte Landrat sagt: Wir haben die Sache im Griff, wir sind zukunftsfähig und meinen, dass wir weiter vorankommen.

Wenn man sich nicht nur die Haushaltssituation, sondern auch die 22 Kriterien anschaut und dann sieht, dass es in dem einen oder anderen Bereich durchaus Stabilisierungsbedarf gibt, dann ist das eine andere Angelegenheit. Nicht alle, für die Vorschläge gemacht werden, sind tatsächlich in einer schwierigen Situation. Um aber von der Gesamtlösung her die Region voranzubringen - jemand, der in Schwierigkeiten ist, muss natürlich, wenn er einen Gebietszusammenschluss andenkt, einen Partner haben -, sind in dem Gutachten auch Landkreise genannt worden, die nicht direkt betroffen sind. Das ist meiner Ansicht nach sinnvoll.

Sie wollen hören, dass die Landesregierung eben doch etwas von oben umsetzen will. Das ist ganz interessant.

(Zurufe von den GRÜNEN und der LINKEN)

Zum einen höre ich aus der SPD-Fraktion vor Ort: Die Landesregierung muss nun endlich handeln, sie soll uns sagen, wo es langgeht, wir bekommen es nicht voreinander; sagt doch endlich, was passiert. - Zum anderen lese ich von Ihrem neuen Landesvorsitzenden, Herrn Lies, nachdem das Gutachten vorgestellt worden ist: Das ist unglaublich, der Innenminister will eine Gebietsreform von oben machen.

Meine Damen und Herren, ich kann verstehen, dass Sie mit diesem Weg, der durchaus neu ist, Probleme haben und

(Zuruf von Ina Korter [GRÜNE])

dass es vor Ort schwierig ist, wenn man von niemandem sagen kann: Das ist das Feindbild. Das war in anderen Bundesländern auch der Fall.

Nein, es ist genau richtig, dass wir der kommunalen Selbstverwaltung Fördermöglichkeiten geben, Wege aufzeigen, aber auch sagen: Ihr habt vor Ort die Verantwortung für die Bürgerinnen und Bürger; nutzt sie, wir geben euch die Möglichkeit. - Dass wir den Kommunen jetzt zusammen mit den kommunalen Spitzenverbänden einen Zukunftsvertrag anbieten, ist einmalig in der Bundesrepublik, und das wird erfolgreich sein.

(Beifall bei der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich stelle fest: Es ist 16.32 Uhr. Damit sind die vorgesehenen 60 Minuten für die Mündlichen Anfragen überschritten.

Wir haben noch sechs Wortmeldungen, die natürlich abgehandelt werden. Zunächst hat das Wort Herr Kollege Adler zu seiner zweiten Zusatzfrage!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir waren mit dem Rechtsausschuss vor Kurzem in der Schweiz und haben uns dort über die Fragen der Kreis- und Gebietsreform unterhalten, in diesem Fall auch den Zuschnitt der Kantone kennengelernt. Auf die Frage, ob man dort etwas reformieren will - der Kanton Appenzell ist sehr klein, dort kann die Bevölkerung auf Volksver

sammlungen noch direkt abstimmen -, haben wir nur Kopfschütteln entgegengenommen. Uns war völlig klar: Wenn man dort etwas verändern will, dann geht das nur mit einer Volksabstimmung.

Die Frage ist: Sollte man tatsächlich aus irgendwelchen nachvollziehbaren Gründen zwangsweise eingreifen müssen, um einen notwendigen Kreiszusammenschluss herbeizuführen, müsste man dann nicht wenigstens sagen: „Das machen wir nur, wenn das Volk darüber abstimmen darf“?

Herr Minister, bitte schön!

Die Bürgerbeteiligung ist bei all diesen Dingen zwingend vorgeschrieben - das wissen Sie -, allerdings muss es nicht eine Abstimmung sein. Die Kantone sind im Prinzip - nicht unbedingt - mit den Ländern gleichzusetzen. Dort ist die Volksabstimmung vorgeschrieben ebenso wie in unserer Verfassung; das wissen Sie leidlich. In Brandenburg und Berlin ist es an einer Volksabstimmung gescheitert. Deshalb können Sie davon ausgehen, dass das auch in Zukunft schwierig ist.

(Hans-Henning Adler [LINKE]: Das war auch allgemeiner gefragt!)

Deshalb gehen wir oftmals einen anderen Weg und versuchen, Verwaltungen teilweise länderübergreifend zu nutzen, um Synergieeffekte zu erreichen. Die Bürgerbeteiligung in Form von Abstimmungen ist bei uns in der Verfassung wohl ähnlich geregelt wie in der Schweiz.

Frau Kollegin Leuschner zur zweiten Zusatzfrage. Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Innenminister, es kann ja sein, dass wir aus unterschiedlichen Unterlagen zitieren. Ich habe die zusammenfassenden Handlungsoptionen aus dem Hesse-Gutachten. Daraus habe ich vorhin zitiert, dass Herr Professor Hesse zudem das Fazit zieht, dass eine Optimierung der Handlungsoptionen nicht mehr ausreichend und zukunftsfähig sei, auch wenn das einzelne Kommunalpolitiker und Landespolitiker nun fordern, sondern dass aus den unterschiedlichsten Gründen gehandelt werden müsse. In den Handlungsoptionen wird auch noch zum Ausdruck gebracht, gerade was den Ansatz

der komplementären Kommunalreform betrifft, dass der Zeitpunkt des Handelns erreicht ist. Es geht nicht mehr darum, ob man es macht, sondern es geht darum, wie man es macht. Dabei kann man die Kommunen nicht ihrem eigenen Handlungsfeld überlassen. Ich frage Sie: Was macht die Landesregierung?

Herr Minister, bitte sehr!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Landesregierung macht das, was ich hier seit über einer Stunde darstelle.

(Beifall bei der CDU)

Die nächste Frage kommt von Herrn Biallas für die CDU-Fraktion. Bitte!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor dem Hintergrund, dass das Gutachten deutlich macht, dass in einigen Regionen und Kommunen aufgrund der finanziellen Lage Hopfen und Malz buchstäblich verloren sind,

(Zuruf von der LINKEN: Na, na, na!)

vor dem Hintergrund, dass alle Erfahrung lehrt, dass dort, wo die Handlungsnotwendigkeiten am größten sind, die Handlungsbereitschaft zugleich am niedrigsten ist, vor dem Hintergrund der Tatsache, dass in dem Gutachten klar zum Ausdruck kommt, dass wir ohne Denkverbote und Tabus gemeinsam mit den Kommunen nach Lösungen suchen müssen, frage ich im Hinblick auf das Beispiel Lüchow-Dannenberg, ob sich die Landesregierung auch - das hat Herr Professor Hesse angesprochen - länderübergreifende Lösungen vorstellen kann, ohne dass ich jetzt die Empfehlung abgeben will, Gorleben nach MecklenburgVorpommern abzugeben.

(Heiterkeit bei der CDU und der FDP - Ursula Helmhold [GRÜNE]: Und was war jetzt die Frage?)

Herr Minister, bitte sehr!

Vor diesen Hintergründen würde ich sagen, dass wir unsere Probleme erst einmal in unserem Land lösen müssen. Ich glaube nicht, dass wir das mit anderen Ländern erreichen können.

Herr Professor Hesse hat gerade für LüchowDannenberg und für die Region nähere Vorschläge gemacht, die aus meiner Sicht durchaus sinnvoll sind. Ich gebe aber zu, dass Lüchow-Dannenberg sicherlich ein enormes Problem hat, nicht nur was die finanzielle und strukturelle Situation angeht.

Die Begründung dafür, dass der Kreistag noch nicht einmal ein Gutachten in Auftrag geben will, um mit Uelzen zusammenzuarbeiten, ist schon hoch interessant. Es heißt, dass man dann den Gorleben-Protest vielleicht nicht mehr so organisieren kann.

Das hat natürlich weniger mit sachlichen Argumenten zu tun, wie man eine Region weiter voranbringen und für die Bürgerinnen und Bürger wieder handlungsfähig werden kann. Aber man muss auch mit solchen Dingen umgehen. Mit Lösungen außerhalb Niedersachsens werden wir wahrscheinlich nicht vorankommen.