Herr Präsident! Herr Kollege Haase, ich danke zunächst für das Verständnis, in dieser doch bedeutenden Frage etwas über die enge Fragestellung hinausgegangen zu sein. Ich sage es ganz offen: Wir haben als Justizminister der Länder schon nach der Dezember-Entscheidung gewusst, dass vor allem dann, wenn es dabei bleibt, Schwierigkeiten in technischer, rechtlicher und verfassungsrechtlicher Hinsicht und wie auch immer auf uns zukommen. Es war unser Bestreben - das ist ja schon vor Monaten geschehen -, dass wir ein Netzwerk aufbauen, damit wir in den Ländern erfahren, was jeweils wo Sachstand ist. Ein Oberlandesgericht in irgendeinem Bundesland, das eine Freilassung letztlich möglich macht, muss uns und den jeweiligen anderen Bundesländern auch sagen, wo der Mensch seinen Wohnsitz nimmt. Denn es ist doch völlig klar: Wenn das OLG X im Bundesland X eine Freilassung verfügt, dann kann der gute Mensch frei herumlaufen und sagen: Ich habe zwar in München eingesessen, finde es aber in der Lüneburger Heide schöner. - Derjenige, der in Hamburg freigelassen wird, kann
es auch in Freiburg schöner finden. Also müssen wir doch dieses Informationssystem aufbauen! Ich meine, dass wir in der Hinsicht gemeinsam auf einem guten Weg sind.
Ich kann mir aber an dieser Stelle die Kritik nicht verkneifen: Das Bundesland Baden-Württemberg hat diese Mechanismen offenbar nicht richtig gesehen oder nicht richtig gehandelt. Wir haben erstmals an einem Mittwoch, am späten Nachmittag oder frühen Abend, durch eine E-Mail davon erfahren, dass es sein könnte, dass in den nächsten Tagen das OLG Karlsruhe entscheidet, dass jemand freizulassen sei. Genaues wusste man aber nicht. Die Landeskriminalämter haben sich darüber auch untereinander verständigt. Unsere Gremien - ich habe sie soeben alle aufgeführt - haben sich dann am Donnerstag mit der Sache befasst und Kontakt nach Baden-Württemberg hergestellt, um herauszufinden, was zu tun ist, wenn die Freilassung erfolgt. Dann passierte es: Am Freitagmittag kam die Freilassung. - Ich habe hier keine Schutzrede für den Herrn Hans Peter W., der heute in Hamburg ist, zu halten. Aber es geht nicht - wie auch immer Sie zu dem Einzelfall stehen -, dass jemand, der 30 Jahre in Haft oder in Sicherungsverwahrung war, bei einem noch so schönen Gerichtsurteil von heute auf morgen in Freiheit gesetzt wird. Da muss man eine Entlassungsvorbereitung machen - unabhängig davon, wie man den Menschen beurteilt.
Zweitens. Es geht nicht, dass ein Gericht - ich achte es, wenn es sagt, dass Straßburg gilt - jemanden Freitagmittag herauslässt, wissend, dass er mit einer Eskorte in ein anderes Bundesland geht, und die Beschlüsse zur Führungsaufsicht nicht gefällt werden. Das geht nicht!
Da kann man auch als unabhängiges Gericht nicht sagen: Es ist Freitagmittag, den anderen Kram, die Führungsaufsicht usw., machen nächste Woche die Kollegen in Freiburg oder andere in Niedersachsen. - Das geht nicht!
Man hat uns hier vor große Probleme gestellt. Wir haben auch das Drumherum in Hameln-Pyrmont vor Ort vernommen, wo die Polizeieskorte angekommen ist, sodass zugleich eine wunderbare Öffentlichkeit mit allen den nachteiligen Folgen für den Betroffenen hergestellt ist. Unsere Gremien haben ein Funktionieren nachgewiesen. Aber es
sind zwei Dinge grundsätzlich so gelaufen, wie sie nicht laufen dürfen. Diesen Hinweis werden wir auch an der passenden Stelle platzieren. So geht das nicht. Ich meine, wir können durchweg sagen, dass wir unabhängige, aber auch verantwortliche Richter haben. Sie müssen doch auch die Konstellation erkennen, in die sie diesen dann ehemals Sicherungsverwahrten hineinwerfen. In Bad Pyrmont hat es nicht mehr gepasst. Die Einrichtung hat auch kalte Füße gekriegt. Dann gab es die Weiterreise nach Hamburg mit allen Problemen, die dort jetzt auszuhalten sind. Auch ich kann mir nicht vorstellen, dass dieser ehemals Sicherungsverwahrte seine neue Freiheit wirklich genießen kann. Das ist also eine Sache, zu der man rundherum sagen muss: So darf es eigentlich nicht laufen! - Aber, wie gesagt, wir waren erst am späten 13. Juli in Kenntnis, mussten uns alle am 14. gemeinsam darauf einstellen, ob die Freilassung erfolgt oder nicht erfolgt und ob der Freigelassene nach Niedersachsen kommt und was wir tun müssen. Wir haben ja ein intaktes System: KURS. Ich habe das alles beschrieben. Die Vernetzung der Bundesländer sollte eigentlich funktionieren, hat in diesem Einzelfall aber nicht funktioniert. Das hat mich schon sehr nachdenklich gemacht.
Vielen Dank, Herr Minister. - Die nächste Frage wird von Herrn Kollegen Watermann von der SPDFraktion gestellt.
Ich frage jetzt nicht das Justizministerium, sondern speziell die Landesregierung ganz konkret: Ist nicht auch das niedersächsische Sozialministerium über diesen Fall vorher unterrichtet gewesen, und zwar durch einen Kontakt zur Einrichtung?
Herr Präsident! Herr Kollege Watermann, ich kann nicht für das Sozialministerium sprechen. Ich würde aber schlussfolgern: Weil das Sozialministerium zumindest originär nicht zuständig ist, kann es eigentlich nicht sein, dass eine Information von der Justizbehörde, der Innenbehörde und des Landeskriminalamtes aus Baden-Württemberg an das hiesige Sozialministerium gegangen ist. In unserer Arbeitsgruppe hier im Lande ist das Sozialministe
rium vertreten. Insofern war es also auch informiert, als wir wussten, dass ein Fall auf uns zukommt. Das betrifft auch die Zeitstrecke zwischen dem 14. oder 15. Juli bis zum 19. Juli, als sozusagen die Weiterwanderung nach Hamburg erfolgte.
Herr Minister, ich schlage vor, dass diese Frage vom Sozialministerium noch beantwortet wird. Dann ist Klarheit geschaffen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich frage die Landesregierung: Wie steht die Landesregierung zu Vorschlägen der Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger, für Straftäter, die ihre Strafe abgesessen haben und aus rechtsstaatlichen Gründen nicht länger als zehn Jahre in der Sicherungsverwahrung verbleiben können, andere Formen der Freiheitseinschränkung zu finden, die nicht mit einer Freiheitsstrafe vergleichbar sind, aber gleichwohl eine gewisse Kontrolle der als gefährlich eingestuften Personen erlauben, z. B. durch eine elektronische Fußfessel bei gleichzeitiger persönlicher Freiheit?
Herr Präsident! Herr Kollege Adler, über das Thema Fußfessel wird schon seit einigen Jahren diskutiert. Jetzt wird im Zusammenhang mit der Sicherungsverwahrung ganz stark darüber diskutiert. Ich möchte für mich persönlich und, wenn Sie so wollen, auch für die Landesregierung klarmachen: Wo wir die Sicherungsverwahrung als solche für geboten, rechtlich machbar und richtig halten, gibt es keine Alternative zu ihr als ganzheitlicher Freiheitseingrenzung. Die Fußfessel ist kein Ersatz für Sicherungsverwahrung. Darüber sind wir uns, denke ich, zumindest auch im Kreise der Justizminister der Länder einig.
allerdings bei dem Personenkreis hilfreich sein - diesen Personenkreis kann man auch erweitern -, für den die Sicherungsverwahrung beendet werden kann, allerdings unter strengen Auflagen im Rahmen einer Führungsaufsicht. Ich denke hier an Auflagen bezüglich des Wohnsitzes, an Freizügigkeitsbeschränkungen - der Betroffene darf dann beispielsweise das Stadtgebiet nicht verlassen -, Therapiemaßnahmen und anderes mehr. Als ein weiterer Baustein, den die Strafvollstreckungskammern dann mit festlegen müssen, käme die Fußfessel in Betracht und halte ich sie für eine Bereicherung. Aber ich würde ungern die Auffassung übernehmen: Die Sicherungsverwahrung interessiert uns nicht mehr, die Betroffenen bekommen alle eine Fußfessel, damit ist das Problem gelöst. - Ich glaube, das sieht jedermann ein. Ich höre sogar, dass eine Formulierung, die aus meinem Hause oder vielleicht sogar von mir stammt, mittlerweile bundesweit die Runde macht: Eine Fußfessel kann uns, wenn sie funktioniert, zwar sagen, wo der Betreffende ist, sagt uns aber nichts darüber, was er tut. - Ich glaube, das sieht jedermann ein. Deswegen sind die Möglichkeiten in diesem Bereich begrenzt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich mir vorab eine Feststellung erlauben darf - - - Das darf ich nicht? - Gut. Vor dem Hintergrund, dass ich der Meinung bin, dass die Landesregierung, was die Unterbringung des aus BadenWürttemberg zugezogenen ehemaligen Sicherungsverwahrten anbetrifft, alles richtig gemacht hat, frage ich den Justizminister oder die Landesregierung dennoch, da Sie das Urteil des Oberlandesgerichtes in Celle erwähnt haben: In diesem Urteil wird angesprochen, dass möglicherweise in diesem vor dem Oberlandesgericht Celle verhandelten Fall eines Sicherungsverwahrten der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte auch anders entschieden hätte. Jedenfalls wird dieser Gedanke in dem Urteil erwogen. Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung, ob sie mit mir einer Meinung ist, dass letzten Endes bei der Abwägung zwischen dem Freiheitsinteresse eines Sicherungsverwahrten und der Sicherheit der Be
völkerung in jedem Falle der Einzelfall geprüft werden muss und dass es da keine schematischen Lösungen geben kann.
Herr Präsident! Herr Professor Zielke, genau das ist der richtige Einstieg in das gesamte Thema. Jeder Einzelfall wird geprüft. Es darf keinen Automatismus geben, weil wir Straßburg-gläubig sind. Es darf aber auch keinen Automatismus geben, weil wir die Richter in Straßburg nicht mögen oder nicht ernst nehmen. Jeder Einzelfall wird geprüft. Die Entscheidungen, die wir zum Thema Sicherungsverwahrung in ganz Deutschland mittlerweile erlebt haben, waren in der Tat Einzelfallentscheidungen. Zweimal haben mir Entscheidungen aus Karlsruhe in der letzten Konsequenz nicht gefallen. Das ist aber meine persönliche Meinung. Es handelte sich aber, wie gesagt, immer um Einzelfallentscheidungen.
Gerade diejenigen, die langfristig und nachträglich sicherungsverwahrt sind, werden in gewissen Abständen alle darauf hin begutachtet, ob durch Therapieerfolge, durch das Lebensalter oder Veränderungen der gesundheitlichen Konstitution die Grundlage noch ausreicht, um weiterhin Sicherungsverwahrung zu verhängen, oder ob man irgendwann auch sagen kann: Der Mensch ist reif für die Freiheit. - Wir haben einen Fall hier im Lande, in dem es wahrscheinlich so laufen wird. Jeder Fall wird also individuell geprüft.
Vielen Dank. - Die nächste Frage wird von Herrn Kollegen Briese von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gestellt.
Danke, Herr Präsident. - Vor dem Hintergrund, dass es bei diesem Thema ein Kernproblem ist, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine mangelnde Trennung von Sicherungsverwahrung und Strafvollzug in den einzelnen Ländern bemängelt hat, und dass man deswegen die Sicherungsverwahrung nicht als Strafe anerkennt, sondern als etwas anderes betrachtet, frage ich die Landesregierung, ob man zukünftig diese stärkere Trennung, die gerichtlich angemahnt worden ist, in Niedersachsen praktizieren will. Ich frage ganz konkret: Sollen Sicherungsverwahrte in
Niedersachsen zukünftig nicht mehr in den allgemeinen Strafvollzugsanstalten untergebracht werden, und will man in Niedersachsen auch ein eigenes Gesetz zur Sicherungsverwahrung auf den Weg bringen? - Heute ist es ja so, dass die Sicherungsverwahrung im Rahmen des allgemeinen Strafvollzugsgesetzes normiert worden ist.
Herr Präsident! Herr Kollege Briese, die Entscheidung aus Straßburg beinhaltet zwei Botschaften. Die erste Botschaft ist das Nein zur nachträglichen Sicherungsverwahrung gerade bei Altfällen in Deutschland. Diesbezüglich bin ich etwas anderer Auffassung.
Die zweite Botschaft bezieht sich auf das Abstandsgebot. Das kann man nachvollziehen. Ich hätte möglicherweise noch nicht einmal den Wink aus Straßburg gebraucht, um das auch selber nachzuvollziehen.
Die Konstellation ist folgende: Jemand hat in den 80er-Jahren wegen einer Mehrfachvergewaltigung eine Haftstrafe von acht, neun oder zehn Jahren auferlegt bekommen. Diese Zeit hat er abgesessen. Dann sagt man: Die Strafzeit ist vorbei, aber aus anderen Gründen - weil er noch nicht therapiert ist, weil er nicht therapiefähig ist, weil er gefährlich ist -, aus Gründen des Schutzes der Allgemeinheit, halten wir den Betreffenden fest. Er sagt dann möglicherweise nicht zu Unrecht: Na gut, aber nicht in der Zelle, nicht hinter Gittern, sondern in einer anderen Umgebung. - Es gibt ja auch einen anderen Personenkreis in unserer Gesellschaft - Leute, die noch nicht einmal etwas verbrochen haben -, bei dem wir die Freiheit ebenfalls einschränken müssen. Diese Menschen leben auch nicht im Gefängnis, sondern in einer anderen Umgebung.
Wir sind hier beim Stichwort „Abstandsgebot“. Gleichgültig, wie das Rechtliche sich beordnet - es mag sich in den nächsten Monaten hoffentlich schnell so oder so beordnen -, wird es so bleiben, dass ein Teil der Gewaltverbrecher unter Sicherungsverwahrung gestellt bleiben wird, auch künftige Straftäter. Wenn man aber das Abstandsgebot akzeptiert, werden wir - egal ob ein Bundesgesetz kommt oder landesgesetzliche Veränderungen vorgenommen werden - die Rahmenbedingungen in den Ländern verändern und die betreffenden
Ich mache das vielleicht ein wenig schelmisch, aber das Thema ist sehr ernst. Es wird ein Mittelweg zwischen Haftbedingung und Kurklinik sein müssen.
Wie gestalten wir das? 8,5 m² oder eine bessere Studentenbude? Wie viel Freizügigkeit innerhalb des abgeschlossenen Areals? Arbeiten als Verpflichtung oder freiwillig? Wenn freiwillig, dann zu den Konditionen, zu denen man jetzt im Gefängnis arbeitet, für ein gewisses Entgelt, oder zu den Bedingungen des freien Arbeitsmarktes, Herr Dürr? Und wer bekommt das dann? Wie gestalten wir die Freizeit und den Zugang zu Kommunikationstechniken?
Wie gestalten wir partnerschaftliche Belange? - Das löst eine gewaltige Diskussion aus, weil das wahrscheinlich auch mit Geld zu tun haben wird. Die Frage geht exakt in diese Richtung. Das werden wir umorganisieren müssen. Wenn der Bundesgesetzgeber nicht ein Unterbringungsgesetz mit dem Ausgangstatbestand und den Konditionierungen neu macht, dann würde es wahrscheinlich so laufen müssen, dass wir unser Niedersächsisches Justizvollzugsgesetz um diese Personengruppe mit neuen Ansprüchen - Abstandsgebot - erweitern und dann entsprechend vollziehen.
Vielen Dank, Herr Minister! - Die nächste Frage wird von dem Kollegen Haase von der SPDFraktion gestellt.
Ich will noch einmal auf diesen Einzelfall zurückkommen. Ist der Landesregierung bekannt, wie der entlassene Sicherungsverwahrte auf die Idee gekommen ist, nach Niedersachsen überzusiedeln? Das impliziert die Frage: Gab es irgendwo Kontak
te, die ihn auf diese Einrichtung aufmerksam gemacht haben? - Denn ich kann mir nicht vorstellen, dass sich ein langfristig Inhaftierter, der noch gar nicht damit rechnen muss, kurzfristig entlassen zu werden, Prospekte anguckt und sich danach eine Stadt aussucht.