Protokoll der Sitzung vom 19.08.2010

te, die ihn auf diese Einrichtung aufmerksam gemacht haben? - Denn ich kann mir nicht vorstellen, dass sich ein langfristig Inhaftierter, der noch gar nicht damit rechnen muss, kurzfristig entlassen zu werden, Prospekte anguckt und sich danach eine Stadt aussucht.

Herr Ministerpräsident!

Herr Präsident! Herr Kollege Haase, den genauen internen Grund kennen wir nicht. Als er seine Anträge gestellt und sich persönlich mit der Situation und mit dem Gedanken „Ich kann einmal freikommen“ auseinandergesetzt hat, ist ihm möglicherweise bei irgendeiner Veranstaltung die Adresse des Heimes in Bad Pyrmont bekannt geworden, das auf die Betreuung von Leuten spezialisiert ist, die lange Strafhaften hinter sich haben und erst einmal auf das Leben in Freiheit vorbereitet werden wollen. Dieser Mann saß, glaube ich, seit 1981 ein. 30 Jahre Strafhaft plus Sicherheitsverwahrung sind ja ein halbes Menschenleben. Sie kennen möglicherweise kein Handy, kein Internet usw. Mit dem Thema Freiheit muss man umzugehen lernen. Deswegen sind solche Einrichtungen wichtig.

In der zurückliegenden Zeit hat es da also Kontakte gegeben. Das habe ich in meiner Antwort eben auch bestätigt. Das ist auch eine private Angelegenheit, in die wir uns schlecht einmischen können. Jedenfalls steht wahrscheinlich mehr dahinter als nur die Annahme, in Bad Pyrmont ist es schön.

Das Heim hat sich nun aber davon distanziert. Ich meine, sie drängen dort auch nicht danach, in Zukunft ehemals Sicherheitsverwahrte, die aber noch als gefährlich eingestuft werden, in die Betreuung zu nehmen. Auch das ist ein ernst zu nehmender Aspekt des gesamten Themas.

Vielen Dank! - Die nächste Frage wird von Frau Ross-Luttmann von der CDU-Fraktion gestellt.

Sehr geehrter Herr Minister, vor dem Hintergrund Ihrer klaren Positionierung zur elektronischen Fußfessel und vor dem Hintergrund Ihrer deutlichen Aussage zum Schutz der Allgemeinheit vor gefährlichen Straftätern frage ich Sie: Wie soll mit sogenannten Altfällen umgegangen werden, und welche Maßnahmen sind konkret geplant?

Herr Minister!

Herr Präsident! Frau Kollegin, in Berlin haben sie genug schwierige Themen, aber dieses Thema ist vielleicht mit das schwierigste, das die Bundespolitik klären muss. Zunächst am beruhigendsten und vielleicht auch am einfachsten wäre es, wenn das Bundesverfassungsgericht die nachträgliche Sicherungsverwahrung auch für den Personenkreis der vor 1998 Verurteilten bestätigen würde.

(Zustimmung bei der CDU)

Dann bliebe alles so, und es stellte sich allenfalls die Frage der regelmäßigen Begutachtung, ob jemand in die Freiheit entlassen werden kann, und, Herr Briese, die weitere Frage, wie wir unterbringungstechnisch mit diesen Leuten umgehen.

Wenn das sozusagen ersatzlos hinfällig wird, muss der Bundesgesetzgeber - ich bin jetzt einmal frei in meinen rechtlichen Betrachtungen - das tun, was er möglicherweise schon im Dezember hätte beginnen sollen, nämlich darüber nachzudenken, ob er ein neues Gesetz und einen neuen Tatbestand schafft, um diesen Personenkreis gleichwohl zum Schutz der Allgemeinheit präventiv in geschlossenen Einrichtungen zu halten. Das tun wir ja auch mit anderen Menschen, die nicht straffällig geworden sind, die aber psychisch schwer erkrankt sind und psychiatrische Betreuung usw. brauchen. Da schaffen wir ja auch Einschränkungen der Freiheit.

Möglicherweise kann man diesen Personenkreis unter dem Tatbestand der aus psychosozialen Gründen absoluten Nichtgesellschaftsfähigkeit und Gefährlichkeit - was Gutachter bestätigen müssen - so eingrenzen, dass man dann sagen kann: Auch nach neueren gesetzlichen Vorgaben kann eine Sicherungsverwahrung oder eine wie auch immer gestaltete Unterbringung erfolgen.

Ein solches Gesetz hätten wir vielleicht schon erdenken sollen, oder wir müssten es vielleicht in den nächsten Wochen und Monaten noch miteinander kreieren. Ich weiß, dass das auch an der verfassungsrechtlichen Kante ist. Gelingt uns das nicht, dann sehen wir uns einer Entlassungswelle gegenüber, die in einigen Monaten dazu führen wird, dass sich ein Kreis von 70 bis 80 Personen, die in der Regel gutachterlich als gefährlich eingestuft sind, in die Bevölkerung hineinbewegt. Um jeden einzelnen muss dann ein Sicherheitsapparat aufgebaut werden. Im Fall des Hans-Peter W. in

Hamburg gab es, glaube ich, 24 Polizeibeamte im Dreischichtdienst 24 Stunden am Tag und 7 Tage in der Woche plus weitere Maßnahmen. Das ist mit Sicherheit keine Werbung für den Rechtsstaat.

(Zustimmung bei der CDU)

Vielen Dank! - Die nächste Frage wird vom Kollegen Limburg von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gestellt.

Herr Präsident! Ich frage die Landesregierung vor dem Hintergrund einer Studie des Bochumer Professors und Kriminologen Feltes, der zu dem Schluss gekommen ist, dass der größere Teil der gutachterlichen Prognosen, die zu einer Sicherungsverwahrung führen, falsch sind und fälschlicherweise von einer Gefährlichkeit ausgehen, was die Landesregierung konkret plant, um die Qualität dieser Gutachten zu verbessern, damit Menschen nicht in größerer Zahl möglicherweise zu Unrecht die Freiheit entzogen wird.

Herr Minister!

Herr Präsident! Herr Kollege Limburg, an sich ist die Meinungslage nicht so, dass die vielen Gutachten zu den ja nicht ganz wenigen Sicherungsverwahrten in Deutschland alle falsch sind.

(Helge Limburg [GRÜNE]: Nicht alle!)

- Sie sagen ja, ein paar davon können falsch sein. Vielleicht sind ein paar auch nach dem Motto verfasst: „Bei letzten Zweifeln gleichwohl drin lassen“. Vor solchen Betrachtungen kann ich nur ein bisschen warnen. Ich höre den genannten Professor, ich höre auch Professor Kinzig, die die Aufregung nicht so ganz verstehen; denn von 100 Sicherheitsverwahrten würden, wenn sie denn frei kämen, vielleicht nur 10 % bis 15 % rückfällig werden. - Wenn die Wissenschaft so weit wäre, diese 10 % bis 15 % namentlich benennen zu können, dann könnte man sich darauf einstellen. Aber solange diese Unsicherheiten mit allen Folgen in einer offenen Gesellschaft bestehen, hänge ich diesen Betrachtungen nicht nach und plädiere für Sicherungsverwahrung auf gutachterlicher Basis.

Die Gutachten gelten. Es mag sein, dass man die Gutachtentechnik noch verbessern kann. Wir ha

ben ein Prognosezentrum geschaffen. Wir bauen unsere Sozialtherapie im Lande weiter aus. Ich denke, dass wir da auch schon etwas weiter sind als andere Bundesländer. Vielleicht kann man mit Blick auf die Sicherungsverwahrung noch besser werden und sich auch bundesweit besser abstimmen. Aber ich würde davor warnen, eine Art Lockerheit eintreten zu lassen und zu sagen: „Da kommen Irrtümer vor, also im Zweifel raus“. Das ist nicht meine Richtung.

(Zustimmung bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Minister! - Die nächste Frage wird von Frau Flauger von der Fraktion DIE LINKE gestellt.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich frage die Landesregierung, ob sie es mit dem Recht auf Menschenwürde für vereinbar hält, wenn ein Straftäter, der seine Strafe abgesessen und anschließend noch zehn Jahre in Sicherheitsverwahrung verbracht hat, nach Wiedererlangung der Freiheit von Medienvertretern bis in das Privatleben verfolgt und von Polizisten rund um die Uhr überbewacht wird, als ob davon auszugehen wäre, dass er sofort jede Möglichkeit nutzt, wieder eine schwere Straftat zu begehen.

(Editha Lorberg [CDU]: Können Sie das ausschließen?)

Herr Minister!

Herr Präsident! Frau Flauger, damit wir nicht aneinander vorbeireden: Der Mann, der jetzt in Hamburg ist, ist gutachterlich als noch gefährlich eingestuft, ein Sexualstraftäter, ein Vergewaltiger - doppelte Vergewaltigung; ich meine, man soll es nicht gewichten - übelster Art. Es gab auch einen Moment - ich hoffe nicht, dass ich da eine Zeitung falsch gelesen habe -, noch in Bad Pyrmont, wo er selber gesagt hat: Ich kann für mich nicht garantieren.

(Ursula Körtner [CDU]: Ja, hat er!)

- Ja. Da ist doch wohl eine Einschränkung seiner Rechte zum Schutz der Allgemeinheit in der Art und Weise geboten, dass er zumindest - er ist jetzt

in Hamburg - polizeilich überwacht wird - das ist doch das Mindeste -

(Beifall bei der CDU)

und dass er über Führungsaufsicht - Therapie, Arbeit, Wohnsitz, alle diese Dinge - begleitet wird. Das ist das Mindeste.

Wo Sie einen wunden Punkt antippen, geht es um die Frage, wie weit Journalisten, Fotografen dem Ganzen sozusagen paparazziähnlich hinterhersteigen. Das ist, von allen Seiten aus betrachtet, bedenklich, sage ich mal. Da kommt dann sogar die Menschenwürde des Betroffenen mit ins Spiel, da kommt auch das Sicherheitsinteresse ins Spiel, da kommt auch das Vertrauen der Öffentlichkeit in die staatlichen Institutionen, auch wenn das gerade strapaziert ist, ins Spiel. Also, mir ist bei manchem, was ich da sehe und höre, nicht ganz wohl. Das sage ich Ihnen ganz offen.

(Zustimmung bei der CDU)

Vielen Dank. - Die nächste Frage wird von Frau Heister-Neumann von der CDU-Fraktion gestellt.

Ich glaube, es ist deutlich geworden, dass die Bevölkerung vor dem Hintergrund, dass weitere hochgefährliche Straftäter aller Voraussicht nach entlassen werden, durchaus erheblichen Risiken ausgesetzt ist. Deshalb frage ich noch mal speziell für Niedersachsen: Wie sieht das eigentlich aus, wie viel Sicherheitsverwahrte stehen hier möglicherweise vor der Entlassung, und wie viel Polizeibeamte wären zu binden, um eine ähnliche Überwachung sicherzustellen, wie das in Hamburg derzeit der Fall ist?

Herr Minister!

Herr Präsident! Frau Heister-Neumann, in Niedersachsen würde ich den Personenkreis der potenziell über Straßburg - Recht usw. - zu Entlassenden mit derzeit zehn Personen angeben, die auch sozialtherapeutisch betreut sind, die begutachtet werden, wobei wir auch von der Seite immer das Passende tun, bei denen man sich darauf einstellen muss.

Gleichwohl - Sie haben das ja an meinen Ausführungen vorhin gemerkt - setzen wir keinen staatli

chen Entlassungsautomatismus in Gang. Bislang haben unsere Strafvollstreckungskammern und das OLG Celle - ich meine, jetzt in zwei Fällen - eine gewisse Richtung eingehalten, die eben nicht - zurzeit jedenfalls nicht; einstweiliges Anordnungsrecht - zu Entlassungen führt.

(Zustimmung von Elisabeth Heister- Neumann [CDU])

Wir warten da insofern auf Karlsruhe.

Wir haben auch keine Fälle in Niedersachsen, in denen entlassene Sicherheitsverwahrte, die noch als gefährlich eingestuft sind, aus anderen Bundesländern bei uns Wohnsitz genommen haben. Der Fall Bad Pyrmont war ein Vorgang von vier Tagen, aber es kann schon morgen früh - morgen ist wieder Freitag - eine Anmeldung kommen, dass jemand unterwegs ist. Darauf müssen wir eingestellt sein, egal, wo verurteilt, wo eingesessen, egal, von woher nach hier gekommen.

Die Zahl habe ich eben genannt. Wenn ich mal das Thema Führungsaufsicht, unterstützende Maßnahmen, Therapie, auch Kosten beiseite lasse, würde die Überwachung, so denn im Einzelfall erforderlich - so ist das in etwa festgelegt -, im Schichtbetrieb 24 Polizeibeamte bedeuten. Sie können das nun landesweit hochrechnen, Sie können das bundesweit hochrechnen. - Ein früherer Generalbundesanwalt hat dieser Tage gesagt: Das ist dem Staat, den staatlichen Organen, den Steuerzahlern in dieser Dimension nicht zumutbar.

(Zustimmung bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Minister. - Die nächste Frage wird vom Kollegen Brunotte von der SPD-Fraktion gestellt.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Busemann, Sie haben ja vorhin schon das Konzept KURS vorgestellt, das sicherlich eine wichtige Bedeutung hat, um Entlassungsvorbereitung sicherzustellen und mit den Entlassenen arbeiten zu können. Das funktioniert ja in der Praxis mit den Entlassungsvorbereitungen nicht immer ganz so. An der Stelle scheint es aber ganz gut zu sein.

Wenn Sie sagen, dass es in Niedersachsen zehn Personen gibt, die potenziell entlassen werden könnten, dann schließt sich daran die Frage an: Wie ist gewährleistet, dass KURS mit diesen zehn