Protokoll der Sitzung vom 08.09.2010

Demagogen, wie Sie es uns bei der Einbringung vorgeworfen haben. Dazu sage ich ganz klar und deutlich das Sprichwort: Was ich selber denk und tu, trau ich anderen Menschen zu. - Das sollten Sie sich einmal zu Gemüte führen.

(Beifall bei der LINKEN)

Außerdem: Was ist falsch an einem Plan, wenn er auf realistischen Zahlen beruht und die örtlichen Gegebenheiten einbezieht? - Ich erwarte von einer Landesregierung, dass sie nicht planlos arbeitet und ihr Handeln schon auf einem Konzept beruht. Alles andere wäre plan- und ziellos. Arbeiten Sie so, meine Damen und Herren?

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit, besonders für die Aufmerksamkeit der wenigen Anwesenden auf den Ministerbänken links und rechts und in den Reihen der Koalition von CDU und FDP.

Ich bitte, diesem Antrag zuzustimmen.

(Beifall bei der LINKEN und Zustim- mung bei der SPD)

Herr Hausmann spricht für die SPD-Fraktion. Bitte sehr!

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! „Die Zukunft des ländlichen Raumes in Niedersachsen“ ist ein Thema, das uns schon oft beschäftigt hat. Ich erinnere an die Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE mit dem Thema „Politik der Landesregierung für den ländlichen Raum“, an den Antrag der Regierungsfraktionen zum Thema „Landwirtschaft und ländlichen Raum in Niedersachsen stärken“ oder auch an Bekenntnisse aller Parteien zur Stärkung des ländlichen Raums und zur Schaffung gleichwertiger Lebensbedingungen in allen Regionen unseres Landes. Die Menschen im ländlichen Raum haben einen Anspruch auf gleichwertige Lebensbedingungen und auch auf Chancengleichheit.

Der Antrag zur Landeskonferenz „Zukunft des ländlichen Raumes in Niedersachsen“ mag zwar gut gemeint sein. Wir von der SPD sagen jedoch: Zurzeit besteht keine Notwendigkeit. Wir sind längst weiter. Über all die Förderungen des ländlichen Raums zu reden, ist nicht mehr so wichtig. Viel wichtiger ist geworden, jetzt endlich zu handeln.

(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich erinnere dabei an die Enquetekommission „Demografischer Wandel“ - Frau König hat sie eben schon erwähnt -, die sich in den Jahren von 2005 bis 2007 sehr aktiv mit diesem Thema beschäftigt hat und ihr Ergebnis in einem 606 Seiten umfassenden Bericht niedergeschrieben hat. Wenn sich eine Kommission drei Jahre lang Gedanken gemacht hat, dann ist ihr Bericht, glaube ich, viel wichtiger als das Ergebnis, das eine Landeskonferenz an einem oder zwei Tagen oder an einem Wochenende erarbeiten kann.

Ich glaube, wir sollten erst einmal darangehen, das Ergebnis aufzuarbeiten und das umzusetzen, was in diesem Bericht steht.

(Beifall bei der SPD)

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, auch drei Jahre nach Vorlage dieses Berichts ist noch sehr wenig getan worden, um das in die Praxis umzusetzen. Lippenbekenntnisse helfen den Menschen in den strukturschwachen Regionen unseres Landes nicht weiter. Den großen Versprechungen müssen endlich Taten folgen. Gute Lebensqualität ist auch im ländlichen Raum zu realisieren. Aber viele Entscheidungen und Vorgaben dieser Landesregierung bewirken genau das Gegenteil.

Das Problem besteht ressortübergreifend, und ich möchte einige Beispiele nennen, die deutlich machen, dass der ländliche Raum ressortübergreifend benachteiligt wird und dass es sich bei vielen Aussagen, sich für den ländlichen Raum einzusetzen, nur um Lippenbekenntnisse handelt.

Ich nenne einmal die Ausstattung der Städte und Gemeinden im ländlichen Raum mit finanziellen Mitteln - der Minister ist im Moment nicht hier; aber er muss ja auch nicht unbedingt anwesend sein -, die notwendig sind, um die Pflichtaufgaben zu finanzieren und noch einen kleinen Handlungsspielraum für gestalterische Maßnahmen zu haben.

Viele Gemeinden haben alle Konsolidierungsmöglichkeiten ausgeschöpft, können aber immer noch keinen ausgeglichenen Haushalt darstellen. Herr Schünemann hat einmal vorgeschlagen, die Finanzlage durch Strukturmaßnahmen zu verbessern. Nur frage ich Herrn Schünemann: Wie sollen Gemeinden, die kein Geld haben, die Gegenfinanzierung sicherstellen? Strukturmaßnahmen kosten Geld, und jede Gemeinde muss gegenfinanzieren. An der Aufbringung dieses Anteils scheitert es,

Strukturmaßnahmen in den Gemeinden durchzuführen.

(Beifall bei der SPD)

Der zweite Punkt - da bin ich beim Wirtschaftsministerium; ich arbeite jetzt alle ab - betrifft die Neuansiedlung und den Erhalt von Betrieben und damit verbunden die Schaffung und den Erhalt von Arbeitsplätzen. Das ist gerade für den ländlichen Raum eine wichtige Sache. Eine neue Hürde wird durch die Streichung der einzelbetrieblichen Förderung durch das Wirtschaftsministerium aufgebaut. Damit ist eine größere Wettbewerbsverzerrung und ein noch größerer Wettbewerbsnachteil der Kommunen besonders im Grenzgebiet verbunden. Ich weiß, dass in Thüringen bzw. in Sachsen-Anhalt bis zu 50 % gefördert wird. Die Förderung bei uns erfolgte bisher bis maximal 15 %. Da auch diese jetzt noch wegfällt, ist ein Fördergefälle von sage und schreibe 50 % vorhanden. Ich möchte einmal sehen, welche Gemeinden oder Landkreise es dann noch fertig bringen, Betriebe bei sich anzusiedeln; denn viele Betriebe packen ein und gehen in die neuen Bundesländer, weil sie dort eine gute Förderung erhalten.

Auch in den strukturschwachen ländlichen Räumen unseres Landes leben glücklicherweise noch Kinder und Jugendliche. Das ist schon einmal festzustellen; das ist etwas Positives. Diese Kinder und Jugendlichen haben ein Recht auf die gleichen Bildungschancen wie die Kinder und Jugendlichen in den Ballungszentren unseres Landes. Leider verhindern Ihre Zulassungsbedingungen für die Gründung z. B. von Gesamtschulen die Schaffung eines gleichwertigen Bildungsangebots. Ich nenne einmal das Beispiel Osterode. Das ist für mich eine Herzensangelegenheit gewesen. Dort ist eine Elternbefragung durchgeführt worden, und man wollte eine Gesamtschule einrichten. Das ist aber leider an den extrem hohen Hürden, die Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsfraktionen, aufgebaut haben, gescheitert. Hürde Nummer eins: die Fünfzügigkeit bei der Gründung einer IGS. Alle Bildungswissenschaftler sagen, es ist durchaus möglich, eine vierzügige IGS zu gründen, in Ausnahmefällen auch eine dreizügige.

(Beifall bei der SPD)

Sie aber beharren nach wie vor auf Fünfzügigkeit. Wir hatten ja leichte Hoffnungen, als unser Minister etwas einlenkte und es auf einmal hieß, dass vielleicht eine Vierzügigkeit kommt. Dann hätten wir

sogar eine Möglichkeit gehabt. Aber er ist ja leider wieder zurückgepfiffen worden.

Zweite Hürde: Berücksichtigung der demografischen Entwicklung. Das heißt, die Fünfzügigkeit muss für 14 Jahre nachgewiesen werden.

(Glocke des Präsidenten)

Das bedeutet für Osterode Folgendes: Wir müssen für eine Fünfzügigkeit nicht 130 Schüler nachweisen, die wir jetzt hätten, sondern wir müssen 170 Schüler nachweisen. 170 Schüler in solchen strukturschwachen ländlichen Räumen nachzuweisen, ist natürlich fast unmöglich. Wir haben es nicht erreicht. Darum können wir auch keine entsprechende Schule einrichten.

Eine weitere Hürde besteht in der Auswertung der Befragungsergebnisse. Bei der Befragung werden nur diejenigen gezählt, die eine Antwort abgegeben haben. Wenn nur 65 % eine Antwort abgegeben haben, dann zählen nur diese. Dass die Schülerzahl trotzdem bei 100 % liegt, wird dabei nicht berücksichtigt. Ich habe das für uns einmal hochgerechnet. Wenn das berücksichtigt worden wäre, wären wir auf über 200 Schüler pro Jahrgang gekommen. Die Einrichtung einer solchen Schule wäre überhaupt kein Problem gewesen. Aber, wie gesagt, die von Ihnen errichteten Hürden haben dies verhindert.

Ich komme ein bisschen schneller zum Schluss; sonst dreht mir der Präsident das Mikrofon ab.

Ihre Redezeit wäre genau jetzt abgelaufen, Herr Hausmann. Wollen Sie noch einen Satz hinzufügen?

Ja, ein Satz noch. Ich möchte auf den hohen Migrationsanteil im ländlichen Raum und darauf hinweisen, dass es in den ländlichen Räumen, gerade auch in Osterode, sehr viele bildungsferne Schichten gibt. Der Anteil der Abiturienten bei uns beträgt 28 %.

Jetzt müssen Sie aber wirklich zum Schluss kommen.

In Göttingen liegt der Anteil bei 50 %. Ich hoffe, dass Sie sich noch einmal Gedanken machen, wenn Sie den ländlichen Raum wirklich unterstüt

zen wollen, und endlich handeln, um den ländlichen Raum nach vorne zu bringen.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD)

Herr Meyer von Bündnis 90/Die Grünen, ich erteile Ihnen das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion hätte sich eine ernsthafte Debatte über diesen Antrag gewünscht. Die Probleme des ländlichen Raumes sind vielfältig; einfache Floskeln, wie wir sie bei der ersten Beratung gehört haben, werden dem nicht gerecht.

(Beifall bei der LINKEN)

Es gibt - das hat der Kollege Hausmann eben geschildert - Regionen mit stark abnehmender Bevölkerungszahl. Dazu gehören z. B. der Harz oder das Weserbergland, woher ich komme. Bei uns wird in den nächsten zehn Jahren ein Bevölkerungsrückgang um mehr als 16 % erwartet. Daran können und wollen auch zwei Landesminister aus dem Kreis nichts ändern.

Die im Antrag beschriebene Abwanderung von jungen und qualifizierten Menschen und die demografischen Veränderungen wurden in vielen Kommissionen und Papieren ebenso lang und breit beschrieben wie die Verarmung, die hohe Arbeitslosigkeit sowie die Vereinzelung in Teilen des Landes.

Andererseits gibt es natürlich auch Boomregionen mit Bevölkerungszunahme und Wachstum. Der Auftrag des Grundgesetzes, in allen Landesteilen für gleichwertige Lebensverhältnisse zu sorgen, rückt bei dieser Landesregierung jedoch leider in immer weitere Ferne. Wer die Potenziale ländlicher Räume vernachlässigt, wird früher oder später bestraft.

Die von den Linken geforderte und vom ehemaligen Ministerpräsidenten Wulff im Landtagswahlkampf hochmütig versprochene Landeskonferenz, um die es hier geht, wäre ein kleiner Schritt, um die Dinge gemeinsam über Parteigrenzen hinweg anzupacken, aber allein sicher nicht ausreichend.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir brauchen eine aktive Landespolitik. Da ist es fatal, dass die Landesregierung etwa im Natur

schutzgesetz auf eine Landschaftsplanung verzichtet hat. Ebenso brauchen wir endlich ein Gesamtkonzept für flächendeckende Breitbandverkabelung, welche die Betreiber über eine Umlage in die Pflicht nimmt, für eine Vollversorgung zu sorgen, anstatt immer neue Subventionen auszuschütten. Dazu empfehle ich Ihnen auch die Lektüre der Pressemitteilung der Akademie für den ländlichen Raum, in der gegeißelt wird, dass die Probleme des ländlichen Raumes, z. B. bei der Breitbandverkabelung, nicht dadurch gelöst werden, dass man allein auf den Markt setzt, wie es diese Landesregierung tut.

(Jan-Christoph Oetjen [FDP]: Aktiv angehen!)

Wir brauchen starke Stadtwerke, Daseinsvorsorge in Bürgerhand, eine pragmatische Schulpolitik - das ist eben angesprochen worden -, die auch im ländlichen Raum Gesamtschulen zulässt. Wir brauchen Bürgerbusse, Kultur in der Fläche und neue soziale Konzepte im ländlichen Raum. Das wären einige Ideen, die es umzusetzen und zu diskutieren gilt.

Herr Meyer, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Thiele?

Gerne, ich immer.

Herzlichen Dank, Herr Präsident. Herr Meyer, da Sie gerade das Thema Breitbandverkabelung angesprochen haben, frage ich Sie: Ist Ihnen eigentlich bewusst, dass die wesentliche Hürde bei der Breitbandtechnologie, die sowohl die Landesregierung als auch die Bundesregierung zu beachten hatten, die Konformität mit dem Beihilferecht der Europäischen Union war und deshalb der Mechanismus, den Sie gerade vorgeschlagen haben, von vornherein nicht zulässig war und deswegen auch nicht gewählt werden durfte?