Sie gehen sogar noch einen Schritt weiter. Ich glaube, das macht deutlich, warum es um Frieden in den Unternehmen und Betrieben geht:
„Das ist überall dort möglich, wo die Arroganz der Gewerkschaften im DGB zum Wohle der Beschäftigten zurückgestellt wird.“
Das ist die Position, die diese Sparten- und Teilgewerkschaften haben. Das hat zur Folge, dass es in der Regel überhaupt keine Chance gibt, dass die Beschäftigten, die dort anfangen, zu einem vernünftigen Tariflohn oder nach Flächentarifen bezahlt werden, wenn es Tarifverhandlungen und Tarifverträge mit diesen Spartengewerkschaften gibt. Deswegen hoffe ich - ich glaube, wir sind in diesem Punkt nicht weit auseinander -, dass wir zu einer inhaltlichen Diskussion kommen, die deutlich macht, dass es ohne dringend notwendige gesetzliche Regelungen zu einer Zersplitterung und Spaltung der Belegschaften kommen wird und dass gerade die Tarifautonomie und in Verbindung damit die Tarifeinheit dafür gesorgt haben, dass es Betriebsfrieden in den Unternehmen gibt. Deswegen sagen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie Arbeitgeber klar, sie wollen an dem Modell der Tarifeinheit festhalten. Darum ist es sinnvoll, dass wir dazu eine entsprechende Entschließung fassen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, den Beschäftigten in allen Betrieben muss doch klar sein, nach welchen Tarifen sie bezahlt werden. Die Interessen der Gesamtbelegschaft dürfen doch nicht beiseite geschoben werden, weil Einzelgewerkschaften sich um die Interessen weniger kümmern. Deswegen ist es dringend notwendig, dass wir die Überschneidung von Geltungsbereichen von im Unternehmen vorhandenen Tarifverträgen regeln.
Ich bin dem Vorschlag gern gefolgt, den Rheinland-Pfalz in den Bundesrat eingebracht hat, nämlich zu sagen, dass wir es nicht an der Spezialität eines Vertrages festmachen sollten - das würde es schwierig machen -, sondern dass wir es an der Zahl der organisierten Gewerkschaftsmitglieder, die auch die Mehrheit der Beschäftigten in dem Unternehmen vertreten, festmachen müssen. Das
Aber ich will auch sagen, dass es nicht zu einer Einschränkung des Streikrechts oder einer Bevormundung von Gewerkschaften kommen darf. Das ist mit unserem Antrag nicht beabsichtigt. Insofern werden wir auch in den Beratungen im Ausschuss zu einem Abwägungsprozess kommen müssen, wie wir einerseits Beschäftigte schützen, sodass es nicht zu einer Spartenlösung kommt, die viele benachteiligt, wie wir andererseits aber auch organisierte Mitarbeiter und Gewerkschaften schützen, damit sie in der Lage sind, ihr Streikrecht wahrzunehmen. Diese Diskussion werden wir sicherlich führen.
In dem Abwägungsprozess, den wir im Sinne der Beschäftigten führen müssen, muss es doch darum gehen, dass wir vielen - in der Regel den meisten - Beschäftigten im Betrieb gerecht werden. Deshalb brauchen wir eine solche Einigung und eine Verständigung auf eine Unterstützung der Bundesratsinitiative auch aus Niedersachsen. Wir brauchen eine Lösung, damit Tarifzersplitterung und das Festhalten an Spartengewerkschaften und Einzellösungen nicht die Zukunft im Arbeitnehmerbereich werden. Die Zukunft im Arbeitnehmerbereich müssen Flächentarifverträge und das gleiche Recht, der gleiche Lohn und die gleichen Möglichkeiten für alle Beschäftigten in unseren Betrieben sein.
Als nächster Redner hat sich Herr Dr. Matthiesen von der CDU-Fraktion zu Wort gemeldet. Bitte sehr, Herr Matthiesen!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Lies, über Leiharbeit und auch über die Frage des Postmindestlohns müssen wir uns gesondert unterhalten. Das sind eigentlich andere Themen, die nicht den Schwerpunkt dessen darstellen, was wir hier zu behandeln haben, nämlich Tarifeinheit.
Zunächst müssen wir festhalten, dass das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 7. Juli dieses Jahres seine 53-jährige Rechtsprechung zum Grund
satz der Tarifeinheit bei Tarifpluralität aufgegeben hat. Künftig können deshalb in einem Betrieb für verschiedene Arbeitsverhältnisse derselben Art - z. B. Ärzte in einem Krankenhaus - verschiedene Tarifverträge mit demselben Regelungsgegenstand - z. B. Entgelt - gelten. Nach der Rechtsprechung wird die Tarifpluralität nicht mehr nach dem Rechtsprechungsgrundsatz der Tarifeinheit aufgelöst. Es gilt nicht mehr das Prinzip „Ein Betrieb - ein Tarifvertrag“.
Kleine Spartengewerkschaften wie der Marburger Bund oder die Vereinigung Cockpit, aber auch der Beamtenbund mit der Gewerkschaft der Lokführer GDL begrüßen die Kehrtwende in der Rechtsprechung des BAG. Das BAG hat sich zunehmender Kritik von Arbeitsrechtlern angeschlossen.
Die zentrale Begründung des BAG findet sich im SPD-Antrag nicht. Der frühere Rechtsprechungsgrundsatz der Tarifeinheit führt dazu, dass ein Tarifvertrag verdrängt wird, der nach dem Tarifvertragsgesetz an sich unmittelbar und zwingend gelten muss. Dafür gebe es keine Grundlage im Tarifvertragsgesetz. Damit sei eine Verletzung der kollektiven und individuellen Koalitionsfreiheit gegeben; denn der abgeschlossene Tarifvertrag der betroffenen Gewerkschaft entfalte aufgrund des Tarifvertrages einer anderen, konkurrierenden Gewerkschaft keine Wirksamkeit. Das ist die Problematik.
Dann sagt das BAG, dass die in Fällen der Tarifpluralität drohenden Gefahren ständiger Streiks - das ist jetzt das ganz Entscheidende - mit verheerenden Auswirkungen und der Funktionsunfähigkeit des Tarifvertragssystems keine Argumente für den Grundsatz der Tarifeinheit seien. Das seien nämlich Rechtsfragen des Arbeitskampfsrechts und nicht des Tarifrechts.
Jetzt ist die Frage, was hier getan werden muss. Sie haben recht: Arbeitgeber und Gewerkschaften - BDA und DGB - haben nun ein gemeinsames Regelungspapier vorgelegt, das auch der Antrag von Rheinland-Pfalz aufgreift. Sie sagen, dass die Tarifeinheit eine unverzichtbare Säule der Tarifautonomie sei - es ist jetzt die Frage, ob das so ist - und dass, um die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie zu sichern, der Grundsatz der Tarifeinheit gesetzlich geregelt werden müsse. Künftig solle dann nicht mehr - wie bisher - der speziellere Tarifvertrag gelten; vielmehr solle der repräsentativere Tarifvertrag vorgehen, an den die meisten Gewerkschaftsmitglieder im Betrieb gebunden seien. Eine wichtige Folge, die Sie nicht erwähnt haben,
wäre, dass dann auch für die kleinere Gewerkschaft Friedenspflicht ausgelöst wäre; sie dürfte dann nicht streiken.
Dieser gemeinsame Vorstoß von Arbeitgebern und Gewerkschaften ist - auch das müssen wir sagen - auf harte Kritik gestoßen: Es werde eine erneute Monopolstellung der im DGB organisierten Branchengewerkschaften angestrebt, ein Zurück zur Einheitsgewerkschaft. Der DGB wolle sich auf einen Streich aller Konkurrenzorganisationen entledigen, die auch den Arbeitgebern besonders lästig seien. Es wird die Frage gestellt, ob die Tarifeinheit wirklich ein erforderliches Mittel zur Sicherheit der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie sei. Dann heißt es, die Tarifpluralität werde längst gelebt, so bei der Bahn durch GDL und Transnet. Nur die wenigsten Arbeitgeber hätten Tarifverträge mit mehreren Gewerkschaften. Deshalb ändere sich durch die Aufgabe des Rechtsprechungsgrundsatzes der Tarifeinheit für die meisten Betriebe nichts.
Weil die Sache nicht einfach ist, ist - ich sage das ausdrücklich - die Frage, ob der Gesetzgeber tätig werden soll, um die Tarifeinheit künftig abzusichern, nicht einfach zu beantworten. Ich sage für meine Fraktion, dass es gute Argumente dafür gibt. Drei will ich nennen.
Erstens: die Erfahrungen mit den englischen Verhältnissen in den 70er-Jahren. Dort hatten ständige Arbeitskämpfe die Tarifautonomie weitgehend zerstört. Heute besteht immer mehr die Gefahr, dass Funktionseliten durch Streiks Betriebe lahmlegen, mit einschneidenden Auswirkungen auf die Betriebe, die Belegschaften, die Arbeitsplätze und letztlich die Gesamtwirtschaft. Es muss deshalb ein Weg gefunden werden, betriebsgefährdende Streiks kleiner Gruppen zu verhindern. Die Vervielfachung kollektiver Konflikte muss verhindert werden.
Zweitens. Für die Tarifeinheit im Gesetz ist die erfolgreiche Ordnungs- und Schutzfunktion zu nennen. Zum Beispiel war in der Chemiebranche, für die die in Hannover ansässige IGBCE zuständig ist, die Tarifeinheit bisher Garant dafür, dass es seit 1971 keine Streiks mehr gegeben hat.
Drittens. Ohne Tarifeinheit bieten sogar geltende Tarifverträge keinen Schutz mehr vor Arbeitskämpfen.
Jetzt ist die Frage: Was kann getan werden? - Die Rechtsprechung des BAG steht einer Verankerung des Grundsatzes der Tarifeinheit im TVG nicht
entgegen. Insbesondere hat das BAG die Frage der Verfassungsmäßigkeit einer solchen gesetzlichen Regelung, gemessen an der Koalitionsfreiheit, ausdrücklich offengelassen.
Über das Erfordernis einer Grundgesetzänderung - das ist ganz wesentlich - gehen die Auffassungen allerdings sehr auseinander. Wichtige Stimmen im Arbeitsrecht sehen eine gesetzlich verankerte Tarifeinheit im Einklang mit der Koalitionsfreiheit, das BAG scheinbar nicht so ganz.
Wie geht es jetzt weiter? - Das Bundesarbeitsministerium prüft nun, welche gesetzlichen Regelungsmodelle als Reaktion auf die Änderung der Rechtsprechung des BAG in Betracht kommen. Dazu, wie man das machen könnte, hat es vorgestern in Berlin ein sehr großes wissenschaftliches Kolloquium mit Vertretern des BAG, der Organisationen der Arbeitgeber und der Gewerkschaften - einschließlich der Spartengewerkschaften - sowie mit Arbeitsrechtlern gegeben.
Es ist jetzt die Frage, was aus dem Ganzen werden soll. Das müssen wir im Ausschuss auswerten, im Gespräch mit dem Wirtschaftsministerium. Von unserem Wirtschaftsminister weiß ich, dass er gleich Niedersachsen nach Berlin entsandt hat, die da aufpassen sollten. Ich hoffe, dass wir uns über das Thema noch gründlich unterhalten können.
Es ist wirklich außerordentlich schwierig. Deswegen wird es keine einfachen Lösungen geben. Aber im Grundsatz sind wir der Meinung, dass sehr viel dafür spricht, die Tarifeinheit doch ins TVG zu schreiben, wenn das verfassungsmäßig zu machen ist. Es tut mir leid. Das Thema eignet sich nicht für große Polemik. Es handelt sich um eine ganz schwierige und auch ganz bedeutsame Frage. Ich freue mich auf die Diskussion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Bundesarbeitsgericht hat mit seinem Beschluss vom 23. Juni einen seit Jahrzehnten verankerten Grundsatz, den Grundsatz der Tarifeinheit, aufgegeben. Er bedeutete - wir haben es schon gehört -: In einem Betrieb soll nur ein Tarifvertrag gültig sein, auch wenn zwei Gewerkschaften zwei unterschiedliche Vereinbarungen ausge
handelt haben. Nach bisheriger Rechtsprechung hatte immer der Tarifvertrag mit der spezielleren Regelung Vorrang, der den Bedingungen des Betriebes am besten entsprach.
Fakt ist aber auch: Bislang gab es immer wieder Fälle, in denen diese Regelung zu massivem Lohndumping genutzt wurde - Kollege Lies hat bereits mit eindrucksvollen Beispielen darauf hingewiesen -; denn besonders gern haben Unternehmen, die durch einen Flächentarifvertrag gebunden waren, dem sogenannten Christlichen Gewerkschaftsbund einen Haustarifvertrag mit deutlich schlechteren Bedingungen, als im Flächentarifvertrag ausgehandelt, geschenkt. Da dieser Haustarifvertrag spezieller war, erhielt der Dumpingvertrag Vorrang vor dem Flächentarifvertrag.
Diesem Lohndumping ist mit dem Beschluss vom 23. Juni erst einmal der Boden entzogen worden. Dennoch beurteilt die Linke den Beschluss in weiten Teilen sehr differenziert. So ist es für gewerkschaftliches Handeln wichtig, dass sich die Stärkeren mit ihrer Durchsetzungsmacht zugleich für die Schwächeren einsetzen. Dass Fluglotsen, Ärzte, Piloten und Lokführer in den letzten Jahren für ihre Interessen eingetreten sind und gestreikt haben, ist ihr gutes Recht. Aber problematisch ist zugleich, dass sie ihre Kampfkraft nur für sich und nicht gleichzeitig für die Krankenschwester, die Stewardess und den Zugbegleiter eingesetzt haben.
Vor diesem Hintergrund haben der DGB und die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände bereits Anfang Juni dieses Jahres, vor dem Beschluss des Bundesarbeitsgerichtes, dem Gesetzgeber empfohlen, das Tarifvertragsgesetz zu ändern und die Tarifeinheit festzuschreiben. In einem Betrieb solle nur ein Tarifvertrag gültig sein, und zwar der, der von der Gewerkschaft mit den meisten Mitgliedern ausgehandelt wurde.
Meine Damen und Herren, ich möchte jetzt vorausschicken, dass ich seit 40 Jahren, seit Beginn meines Berufslebens, engagierte Gewerkschafterin und auch Verfechterin der Einzelgewerkschaften des DGB bin.
Trotzdem habe ich Kritik an dem gemeinsamen Papier des DGB und der Arbeitgebervereinigung auszusetzen. Denn während der Laufzeit eines Tarifvertrages gilt in Deutschland die Friedenspflicht. Das heißt, es darf nicht gestreikt werden.
Diese Friedenspflicht soll - so der gemeinsame Vorschlag des DGB und der BDA - auch für die Mitglieder der Minderheitsgewerkschaften gelten.
Dieser Vorschlag ist gerade wegen der Einschränkung des Streikrechtes bei der Linken, innerhalb der Gewerkschaften, aber auch bei den Ihnen nahestehenden Arbeitsrechtlern auf sehr heftige Kritik gestoßen.
So lehnt die ver.di-Fachgruppe „Verlage, Druck und Papier“ diesen Vorstoß rundweg ab. Aber auch in anderen DGB-Einzelgewerkschaften macht sich derzeit großer Unmut breit.
Richtig ist: Der Aufsplitterung von Interessen der Belegschaften in einzelnen Betrieben oder Branchen muss entgegengewirkt werden. Daher begrüßt die Linke eine Debatte darüber, wie dieses Ziel erreicht werden kann. Wir haben gerade in den vorangegangenen Reden gehört, dass es ein sehr komplexes Thema ist. Es gibt keine einfachen Lösungen. Aber wir müssen diese Debatte zum Anlass nehmen, nach Lösungen zu suchen. Ob eine Änderung des Tarifvertragsgesetzes der richtige Weg ist, muss sehr sorgfältig geprüft werden. Die Linke will die aktuelle Situation nutzen, in einem breiten Diskurs über die wachsenden Probleme gewerkschaftlicher Durchsetzungsmacht zu diskutieren. Auch das muss ein Diskussionspunkt werden.
Dabei sollte dann in einem breiten demokratischen Prozess auch darüber diskutiert werden, ob und, wenn ja, welche gesetzlichen Initiativen sinnvoll sind. Eines aber ist jetzt schon klar: Mit der Linken wird es keine Einschränkungen des Streikrechts geben, für wen und für welche Organisation auch immer.