Protokoll der Sitzung vom 09.11.2010

(Beifall bei der LINKEN)

Der Berliner Senat hat vor dieser Festschreibung Juristen damit beauftragt, zahlreiche verfassungs- und europarechtliche Fragen zu klären. Im Ergebnis von drei Gutachten renommierter Wissenschaftler verschiedener Institute und Universitäten wurde eine Novelle auch mit einer geforderten Mindestentlohnung erarbeitet. Dies, meine Damen und Herren, ist ein Meilenstein in der Vergabepraxis eines Landes nach der Rüffert-Entscheidung. Berlin ging damit politisch wie juristisch in eine Vorreiterposition.

(Beifall bei der LINKEN)

Begleitet wurde dieser Meilenstein durch intensive Kontakte zu Gewerkschaften und Verbänden.

Obwohl ein juristisches Restrisiko nie ausgeschlossen werden kann, hat der rot-rote Senat in Berlin eine verantwortbare Entscheidung getroffen, die sich sehen lassen kann. An diesem Gesetz haben wir uns orientiert.

Auch der um Stellungnahme gebetene Gesetzgebungs- und Beratungsdienst führte aus, die von uns vorgeschlagene Mindestlohnregelung könne mit der im Land Berlin vorgeschlagenen verglichen werden.

(Zuruf von der SPD: Verglichen wer- den!)

Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit unserem Gesetzentwurf war von CDU und FDP von Anfang an nicht vorgesehen.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Es ist schon ein eigenartiges Demokratieverständnis, wenn der Sprecher der CDU bei der Einbringung unseres Gesetzentwurfs seine Rede mit dem Satz beginnt: Der Gesetzentwurf der Linken wird in der vorliegenden Fassung nicht die Zustimmung dieses Hauses finden. - Ohne jegliche Diskussion!

(Beifall bei der LINKEN - Zuruf von der CDU: Damit hat er recht!)

Für die FDP seien die Begriffe „Lohndumping“, „Ausbeutung“ und „Umweltfrevel“ mit der Denunzierung der Wirtschaft gleichzusetzen. - Meine Damen und Herren, das ist unerhört!

(Beifall bei der LINKEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD und von den Grünen, Sie haben in Ihren Wortbeiträgen im Ausschuss und bei der Einbringung zwar deutlich gemacht, dass es richtig sei, dass die Linke dieses Thema neu aufgreife. Auch unsere Forderungen nach einem niedrigen Schwellenwert und nach der Aufnahme des ÖPNV und von Dienstleistungen haben Sie unterstützt. Schade ist nur, dass Sie nicht wie die SPD in Berlin den Mut gefunden haben, für die Forderung nach einem Mindestlohn im Vergabegesetz auch ein juristisches Restrisiko einzugehen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir bleiben dabei: Der vorliegende Entwurf für die Neufassung des Landesvergabegesetzes ist eine wichtige Grundlage für eine nachhaltige Vergabe- und Beschaffungspolitik. Mit einer konsequent sozialen und ökologischen Beschaffungspraxis können in Niedersachsen wichtige politische und wirtschaftliche Impulse gegeben werden. Stimmen Sie daher unserem Gesetzentwurf zu!

(Lebhafter Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, für die SPD-Fraktion spricht nun Herr Kollege Schminke.

(Dr. Manfred Sohn [LINKE]: Jetzt aber eine schnelle Wendung! Beweglich zeigen!)

Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Zielsetzungen dieser Gesetzesvorlage sind in weiten Teilen unterstützenswert. Wir finden darin auch viele Forderungen wieder, die wir selbst schon 2008 mit unserem Antrag erhoben haben.

(Dr. Manfred Sohn [LINKE]: Na, prima!)

Jedoch bestehen Sie darauf, die Forderungen nach einem Mindestlohn im Vergabegesetz zu verankern. Genau an dieser Stelle müssen wir Ihnen aus rein rechtlichen Gründen die Gefolgschaft verweigern, meine Damen und Herren von der Linken.

(Dr. Manfred Sohn [LINKE]: „Rein rechtlich“ gibt es nicht!)

Sie missachten die Warnungen aller Rechtsexperten.

(Zuruf von der CDU: Sie sind auch einer?)

Auch der GBD verbindet mit einem im Vergabegesetz verankerten Mindestlohn europarechtliche Risiken.

(Dr. Manfred Sohn [LINKE]: Macht das Wowereit auch?)

Sie missachten drei Berliner Gutachten und die Warnungen der Thüringer Rechtsexperten dazu. Auch wir Sozialdemokraten wollen eine gesetzlich lupenreine Regelung; das dürfen Sie mir glauben. Eine gute rechtssichere Regelung ist aber nur im Entsendegesetz möglich. Das wissen Sie auch. Alle anderen Wege sind nach dem Rüffert-Urteil des EuGH diskriminierend, weil zwischen öffentlichen und privaten Aufträgen kein Unterschied bei der Vergabe gestattet ist.

Meine Damen und Herren von der CDU und von der FDP, Sie irren gewaltig, wenn Sie glauben, dass wir Ihre Verweigerungshaltung hier heute unerwähnt lassen. Sie wollen im Gegensatz zu den Linken wie immer gar keine Regelung.

(Björn Thümler [CDU]: Das stimmt nicht! Das ist falsch!)

Sie haben unser Ursprungsgesetz sogar verschlechtert, indem Sie den Schwellenwert für Auftragsvergaben von 10 000 Euro auf 30 000 Euro angehoben haben. Allein dadurch ist ein Großteil der öffentlichen Auftragsvergaben automatisch nicht mehr vom Vergabegesetz betroffen. Damit haben Sie dramatische Verwerfungen, Wettbe

werbsverzerrungen, Dumpinglöhne, Sozialversicherungsbetrug erst richtig hoffähig gemacht.

(Björn Thümler [CDU]: Es gibt auch noch anständige Leute!)

- Darüber können Sie denken, wie Sie wollen. Das ist so. So sieht die Wirklichkeit auf dem Bau und auch anderswo aus.

Sie haben auch mit der Herausnahme des SPNV das Vergabegesetz ausgehöhlt. Damit haben Sie sich an Tausenden von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern versündigt.

(Beifall bei der SPD)

Sie setzen weiter konsequent auf Niedriglöhne und unsichere Beschäftigung. Sie wollen auch gar nicht über ordnungspolitische Regeln nachdenken, obwohl Sie längst sehen, was Sie mit Ihrer ungerechten Politik anrichten. Fragen Sie doch einfach mal bei den Hauptzollämtern bei der Finanzkontrolle Schwarzarbeit, was die Ihnen dazu zu sagen haben! Von 100 überprüften öffentlichen Bauten sind nach deren Angaben mehr als 40 % nicht sauber. Sozialversicherungsbetrug und Steuerhinterziehung sind in bestimmten Branchen die Regel. Das ist Fakt! Aber Sie schauen einfach weg, obwohl die Medien jeden Tag darüber berichten.

Es fehlt auch an scharfen Sanktionsmaßnahmen, weil Sie Parksünder härter bestrafen als diese modernen Sklavenhändler, meine Damen und Herren von der CDU.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Privatisierung geht Ihnen über alles. „Privare“ im Italienischen heißt übrigens übersetzt „berauben“ oder „trennen“. Das Ergebnis für Millionen Menschen ist, dass sie sich beraubt und von normalen Verhältnissen getrennt und abgetrennt fühlen, meine Damen und Herren.

(Ernst-August Hoppenbrock [CDU]: Das ist aber nur südlich von Palermo!)

- Das ist nicht Palermo, sondern Niedersachsen, Herr Hoppenbrock!

Ihr Oberschul-Minister Althusmann hatte eine ähnlich katastrophale Lage. Wenigstens hat er die Courage bewiesen, eine schulpolitische Notbremsung vorzunehmen und eine Kehrtwende anzukündigen, obwohl wir davon noch wenig gemerkt haben. Das sollten Sie jetzt auch tun! Denn wir brauchen ein schlagkräftiges Landesvergabegesetz.

Nehmen Sie die Dinge endlich so tragisch, Herr Hoppenbrock, wie sie längst sind! Ihre totale Verweigerung gegenüber unseren Vorschlägen, aber auch gegenüber den Vorschlägen, den SPNV und den großen Bereich der Dienstleistungen wieder hineinzunehmen, ist angesichts der ab 1. Mai 2011 eintretenden Freizügigkeit, die wir hoffentlich nicht zu erleiden haben, eine nicht zu überbietende Provokation.

Meine Damen und Herren von der FDP - verehrte Frau König, auch Sie sind dran -,

(Gabriela König [FDP]: Ich habe schon darauf gewartet!)

früher waren die Handwerksmeister wenigstens ab und zu noch Ihre Gesprächspartner. Heute trauen Sie sich bei den Zünften überhaupt nicht mehr über die Türschwelle, weil sie Ihnen nämlich erklären, wie fair die Wettbewerbe um die öffentlichen Aufträge tatsächlich ablaufen. Das bestätigt Ihnen im Übrigen auch das Hauptzollamt. Aber die dürfen aus datenschutzrechtlichen Gründen festgestellte Verstöße gegen das Tarifrecht nicht einmal mehr an die kommunalen Auftraggeber weitermelden. Auch dafür, Frau König, gibt es gute Gründe. Fragen Sie einmal Ihren FDP-Wirtschaftsminister Brüderle in Berlin! Der möchte das nämlich nicht.

Meine Damen und Herren, die Produkte, an denen das Blut von Kindern klebt, sind für uns ein zu hoher Preis. Solche Produkte aus Kinderarbeit lehnen wir Sozialdemokraten konsequent ab.

(Lebhafter Beifall bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN - Björn Thümler [CDU]: Wir auch!)

Darum gehören die Mindeststandards der Kernarbeitsnormen der ILO zwingend in ein Vergabegesetz hinein. Das ist unsere Grundhaltung, die wir auch aus innerster Überzeugung beibehalten.

Wir sollten allein deshalb versuchen, ein Vergabegesetz auf den Weg zu bringen, welches diesen Namen auch tatsächlich verdient. Die heutige Regelung im Vergabegesetz bezieht sich ausschließlich auf Tarifverträge mit AVE-Erklärung, also mit Allgemeinverbindlichkeitserklärung. Ein allgemein verbindlicher Tarif gilt aber auch ohne ein Vergabegesetz. Deshalb: Kommen Sie endlich zur Vernunft! Es geht um diejenigen, die keinen Schutz haben, für die kein Tarifvertrag gilt. Das wissen Sie auch sehr gut.