Protokoll der Sitzung vom 12.11.2010

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor.

Damit rufe ich Tagesordnungspunkt 37 auf:

Erste Beratung: Die flächendeckende medizinische Versorgung sichern - Gestaltungsmöglichkeiten der Länder stärken - Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 16/2985

Zur Einbringung erteile ich dem Kollegen Schwarz von der SPD-Fraktion das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben im Oktober-Plenum gemeinsam einen Antrag zur hausärztlichen Versorgung verabschiedet. Ich bin mir eigentlich sicher, dass es zwischen diesem und dem von uns heute vorgelegten Antrag keine Differenzen geben kann. Er hat nämlich 1 : 1 den Beschluss der Gesundheitsministerinnen- und -ministerkonferenz vom 1. Juli dieses Jahres unter Vorsitz der niedersächsischen Gesundheitsministerin Frau Özkan zur Grundlage. Der Beschluss wurde einstimmig, also mit 16 : 0 gefasst. Frau Özkan hat in den vergangenen Tagen bereits mehrfach auf diesen Beschluss der Gesundheitsministerinnen- und -ministerkonferenz verwiesen.

Wir halten es deshalb für konsequent und wichtig, dass auch das Parlament die Landesgesundheitsministerinnen und -minister ausdrücklich in ihrer Position unterstützt. Immerhin geht es um nicht mehr und nicht weniger als um die Absicherung der medizinischen Daseinsvorsorge für unsere Bürgerinnen und Bürger und, damit verbunden, um die berechtigten Interessen und die Möglichkeit der Länder, die Sicherung und Verbesserung von Vorsorgestrukturen auch durchsetzen zu können.

Offenkundig, meine Damen und Herren, hat es der Bundesgesundheitsminister nicht so eilig. Trotz der einhelligen Meinung und Positionierung der Länder wurde erst einmal eine Kommission eingesetzt, die frühestens Mitte nächsten Jahres Ergebnisse vorlegen soll. Wir fragen uns: Was soll angesichts des vorliegenden Sachverhaltes diese Verzögerung durch den Bund?

(Zustimmung bei der SPD)

Wir wissen um die schwierige Problematik der hausärztlichen Versorgung, gerade und vor allem hier in Niedersachsen. Frau Özkan hat Recht, wenn sie in ihrer Pressemitteilung feststellt, dass es „zügig zu strukturellen Entscheidungen kommen“ muss.

Meine Damen und Herren, aufwendige Arbeitskreise sind nach unserer Ansicht nur eine durchsichtige Verzögerungsstrategie des Bundes. Was die Landesgesundheitsminister beschlossen haben, kann 1 : 1 in ein Gesetzgebungsverfahren gegeben werden. Wenn der Bundesrat das noch mit Druck unterstützen muss, weil die Bundesregierung nicht von sich aus tätig wird, dann halten wir es für zwingend, dass der Landtag heute noch einmal eindeutig sagt: Wir unterstützen diese Position. Sehr geehrte Bundesregierung, kommen Sie bitte in dieser Frage schnell in die Strümpfe!

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN)

Ich finde, es kann nicht sein - es ist auch nicht schlüssig -, dass wir hier ständig gemeinsam zu Recht den Hausärztemangel beklagen - im Übrigen als das bekanntlich am stärksten betroffene Bundesland - und dann die Bundesregierung auf die Bremse tritt, allen voran Herr Rösler. Es ist höchste Zeit, dass die Länder endlich an den Beratungen des Gemeinsamen Bundesausschusses zu Fragen der Bedarfsplanung in der ambulanten Versorgung einschließlich der sektorenübergreifenden Versorgung zwingend beteiligt werden.

Wir brauchen dringend eine regionalisierte, deutlich kleingliedrigere Bedarfsplanung, als wir das gegenwärtig haben.

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN)

Meine Damen und Herren, um das einmal an einem Beispiel klar zu machen: Was nützen uns eigentlich Versorgungsbereiche analog unseren Landkreisgrenzen, wenn der Großteil der niedergelassenen Ärzte in der Kreisstadt sitzt und im Umland Kassenarztsitze nicht besetzt werden können? Dann gilt dieser Bereich als versorgt! Aber das Problem ist in keinster Weise gelöst, insbesondere nicht für die Patientinnen und Patienten, die immobil sind, alt sind und gesundheitlich so angeschlagen sind, dass sie überhaupt keine Möglichkeit haben, die entsprechenden Ärzte zu erreichen.

Diese Versorgungsstrategie und diese Einteilung von abzudeckenden Bereichen sind falsch. Sie muss kleingliedrig verändert werden. Das geht nur mit massiver Unterstützung durch die Landesplanung, die hier bisher null Chance hat, sich auch nur ansatzweise einbringen zu können, geschweige denn, irgendetwas beschließen zu können, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN)

Ich will ergänzend sagen: Vor allen Dingen die Forderung nach sektorenübergreifender Versorgung, im Übrigen einschließlich der dazu gehörigen Budgets, ist eine jahrelange gesundheitspolitische Forderung der SPD und der Grünen. Jahrelang hat die CDU auch in diesem Haus diese Forderung abgelehnt. In ihrer Pressemitteilung vom 25. Oktober dieses Jahres stellt die Ministerin fest:

„Um eventuelle Doppelstrukturen, Reibungsverluste und Kosten zu vermeiden, wollen die Länder stärker auf sektorübergreifende Planung setzen. … Ambulante und stationäre Versorgung sollen in Zukunft besser verzahnt werden.“

Meine Damen und Herren, diesen Sinneswandel der Union begrüße ich außerordentlich.

(Beifall bei der SPD)

Das sind 1 : 1 bisher leider nur unsere Argumente gewesen. Frau Özkan, ich sage Ihnen zu, wenn Sie in der Koalition diesbezüglich noch Überzeu

gungsarbeit leisten müssen, sind wir an dieser Stelle gerne zur Unterstützung bereit.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, bisher waren im Gesundheitswesen immer nur die Akteure zur Zusammenarbeit bereit, denen es wirtschaftlich nicht so gut ging und die sich daraus eine verbesserte Einnahmesituation versprochen haben. Die anderen haben in der Regel den Untergang des Abendlandes vorhergesagt und im Zweifel den Mitakteuren im Gesundheitswesen sogar die fachliche Qualifikation abgesprochen - vor allem dann, wenn es um die Neuverteilung des finanziellen Kuchens ging.

Meine Damen und Herren, die Verteilungskämpfe im Gesundheitswesen sind in Wirklichkeit seit Jahrzehnten der größte Kostentreiber, und im Übrigen nicht die demografische Entwicklung. Darauf sollte hin und wieder hingewiesen werden.

(Beifall bei der SPD)

Das wird übrigens auch das zentrale Problem sein, wenn es um die jetzt schon mehrfach von der Ministerin angekündigte Bildung von Gesundheitsregionen in Niedersachsen geht. Wir brauchen dringend die sektorenübergreifende Verzahnung von ambulanten, stationären und pflegerischen Angeboten, und zwar nicht nur aus Kostengründen, sondern vor allem zur Sicherung der medizinischen Versorgung, allemal in der Fläche. Bisher war es in etlichen Regionen unseres Landes noch nicht einmal möglich, den ärztlichen Bereitschaftsdienst am Wochenende zwischen niedergelassenen Ärzten und den örtlichen Krankenhäusern zu verzahnen. Warum? - Dabei ging es simpel um Geld. Da wurden Wochenenddienste lieber verkauft und die Einsatzbereiche im Bereitschaftsdienst deutlich vergrößert. Die Folgen sind kostspielige, völlig unnötige Einsätze des Rettungsdienstes. Das, meine Damen und Herren, ist eine unnötige Aufblähung der Gesundheitskosten.

(Beifall bei der SPD)

Oder ein anderes, uns vielfach bekanntes Phänomen: Am Wochenende steigt die Zahl der Krankenhauseinweisungen aus Pflegeheimen stark an. Dies ist häufig der Tatsache geschuldet, dass an Wochenenden in Pflegeheimen Pflegepersonal nicht im ausreichenden Umfang vorgehalten wird. Dann erfolgt die Einweisung ins Krankenhaus, meistens mit dem Hinweis „Flüssigkeitsmangel“. Am Montag kehren dann die Bewohnerinnen und Bewohner wieder zurück. Auch an dieser Stelle

wäre eine vernünftige sektorenübergreifende Verzahnung für alle ausgesprochen hilfreich und nützlich, meine Damen und Herren.

Allein deshalb - das sage ich im vollen Ernst -, unterstützen wir die Idee des Sozialministeriums zu Gesundheitsregionen. Allerdings möchte ich dazu zwei Anmerkungen anbringen:

Erstens. Ich hoffe, dass die Regionen nicht unter parteipolitischen Gesichtspunkten und auch nicht nach Interessenlagen einzelner Leistungserbringer ausgewählt werden. Ich sage das, weil ich in der HAZ vom 26. Oktober schon lesen konnte, welche Regionen nach Auffassung der Kassenärztlichen Vereinigung infrage kommen. Ich meine, hier sollten andere Kriterien als die Interessen der Leistungserbringer im Vordergrund stehen, um das einmal deutlich zu sagen.

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN - Petra Tiemann [SPD]: Genau so ist es!)

Meines Erachtens - da hätten Sie uns an Ihrer Seite - müsste eine Region mit einem deutlich unterversorgten Bereich ausgewählt werden, ein strukturschwacher Bereich, ein Bereich mit deutlichem Bevölkerungsrückgang und ein Bereich in einem Ballungsgebiet. Dann hätte man objektive Vergleichskriterien, wenn es an die Auswertung geht und an die Frage, wie man das auf Niedersachsen umlegt.

Drittens - auch das sage ich Ihnen, Frau Ministerin - fand ich es nicht glücklich, dass Sie gestern den zufällig auf dem Parlamentarischen Abend der AOK anwesenden Abgeordneten durch Ihren Redebeitrag mal so eben den Sachstand in der geplanten Frage Gesundheitsregionen mitgeteilt haben. Wenn Sie wirklich die Unterstützung aller Abgeordneten des Hauses haben wollen, dann hätte ich es besser und zielführender gefunden, wenn Sie wenigstens den zuständigen Fachausschuss in Gänze über den derzeitigen Sachstand informiert hätten.

(Beifall bei der SPD - Dr. Gabriele Andretta [SPD]: Genau!)

Viertens. Regionale Gesundheitspolitik kann ein Land nur mit landesunmittelbaren Krankenkassen planen und durchsetzen. Deshalb im Nachgang zu unserer Debatte vom Mittwoch zur Bürgerversicherung: Niedersachsen kann kein Interesse daran haben, dass landesunmittelbare Krankenkassen wie die AOK durch Zusatzbeiträge und Kopfpauschalen Wettbewerbsnachteile und Existenzprob

leme bekommen. Wenn das passieren würde und wenn sie durch Fusionen auch noch bundesunmittelbare Versicherungsträger würden, dann ist es mit der Gestaltung von Landesgesundheitspolitik zu Ende, meine Damen und Herren. Auch unter diesen Gesichtspunkten sollten Sie sich die Reform von Herrn Rösler einmal sehr genau angucken.

Ich komme zum Schluss: Ich biete Ihnen hinsichtlich der Gesundheitsregionen wirklich die Zusammenarbeit an, dann aber bitte anders, als das gestern geschehen ist.

Was den vorliegenden Antrag betrifft, beantrage ich sofortige Abstimmung. Auch die Mehrheitsfraktionen werden heute etwas mittragen können, was das Land Niedersachsen bereits in der Gesundheitskonferenz unter dem Vorsitz unserer Ministerin wortgleich mitbeschlossen hat.

Vielen Dank.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und Zustimmung von Patrick-Marc Hum- ke-Focks [LINKE])

Ich erteile dem Kollegen Krumfuß von der CDUFraktion das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die demografischen, ja, die gesellschaftlichen Veränderungen und die weitere Morbiditätsentwicklung werden zu erhöhten Anforderungen an die medizinische Versorgung insgesamt, vor allem aber - da gebe ich dem Kollegen Schwarz recht - der Primärversorgung führen. Eine ausreichende medizinische Versorgung der Bevölkerung ist eine Bedingung für eine gute, wirtschaftliche und vor allem soziale Entwicklung im ländlichen Raum.

Aus unserer Sicht kann der Weg weder sein, alle Leistungserbringer in die Bedarfsplanung einzubeziehen, noch einzelne Bereiche davon auszuschließen. Wir müssen weg von den reinen Verhältniszahlen hin zu einer Morbiditätsorientierung. Ich meine, das macht Sinn.

Der Entschließungsantrag der SPD-Fraktion sieht vor, dass die Niedersächsische Landesregierung aufgefordert werden soll, eine Bundesratsinitiative zur Stärkung der Gestaltungsmöglichkeiten der Länder in der medizinischen Versorgung zu starten.

Ich komme auf Folgendes zurück, Kollege Schwarz: Am 1. Juli 2010 ist in der GMK in großer Einmütigkeit, nämlich 16 : 0, ein Beschluss gefasst worden.

(Petra Tiemann [SPD]: So ist es! - Dr. Gabriele Andretta [SPD]: Deshalb können Sie unserem Antrag nur zu- stimmen!)