Protokoll der Sitzung vom 09.12.2010

Dazu erteile ich der Kollegin Dr. Lesemann das Wort.

(Dr. Gabriele Andretta [SPD]: Darf ich das machen? Meine Kollegin ist nicht da!)

- Die SPD-Fraktion ist flexibel. Frau Dr. Andretta übernimmt den Part von Frau Dr. Lesemann. Bitte!

(Jens Nacke [CDU]: Bei der SPD kann jeder lesen!)

Dank auch Ihnen, Herr Präsident, für die von Ihnen gezeigte Flexibilität.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Trotz des bereits auch in Niedersachen in vielen Unternehmen spürbaren Fachkräftemangels und der seit Langem geführten Integrationsdebatte hat die Bundesregierung den bereits für Sommer angekündigten Gesetzentwurf, der den Rechtsanspruch auf ein Anerkennungsverfahren für alle im Ausland erworbenen Abschlüsse garantieren soll, immer noch nicht in den Bundestag eingebracht. Aufgrund der Untätigkeit der Bundesregierung hat der Niedersächsische Landtag einen Beschluss gefasst, der die Landesregierung auffordert, selbst aktiv zu werden.

Der Landtag hat in seiner 73. Sitzung am 9. Juni 2010 die Entschließung in der Drs. 16/2586 angenommen: „Potenziale nutzen: Die Anerkennung von im Ausland erworbenen Bildungs- und Berufsabschlüssen erleichtern“. Hier wird die Landesregierung zu einer Reihe von Maßnahmen aufgefordert. Dabei handelt es sich u. a. darum,

- den Landtag über die Prüfung der Einführung des „Dänischen Modells“ zu informieren,

- Maßnahmen zur Anpassungs- und Nachqualifizierung quantitativ auszubauen und dabei auch die Angebote berufsbezogener Sprachförderung zu intensivieren,

- auf den in Rede stehenden Personenkreis zugeschnittene Maßnahmen zur Sprachförderung zu verstärken sowie sich dafür einzusetzen, die berufsbezogene Sprachförderung u. a. als Element der aktiven Arbeitsmarktpolitik im Zweiten und Dritten Sozialgesetzbuch (SGB II und III) als Regelinstrument auszubauen,

- einen gemeinsamen Informationspool der Bundesländer zur Vergleichbarkeit von internationalen Schul-, Hochschul- und Berufsabschlüssen einzurichten,

- im Grenzdurchgangslager Friedland - Niedersächsisches Zentrum für Integration - Migranten im Rahmen einer Erstberatung über Möglichkeiten zur Anerkennung solcher Qualifikationen zu unterrichten,

- „Erstanlaufstellen“ in Kooperation mit der Agentur für Arbeit, die die Migranten sowie Unternehmen über Anerkennungsstellen und -verfahren informieren, einzurichten.

Auf Fragen nach dem bisherigen Stand der Umsetzung dieser Forderungen in der Plenarsitzung am 11. November 2010 konnte die Integrationsministerin lediglich auf die Einrichtung einer Arbeitsgruppe verweisen.

Wir fragen die Landesregierung:

1. Wie ist der Stand der Umsetzung der Forderungen aus der Drs. 16/2586?

2. Wie stellt die Landesregierung sicher, dass Menschen mit ausländischen Qualifikationen möglichst schnell in den deutschen Arbeitsmarkt integriert werden, ohne dass es zum Verlust der Kompetenzen oder zu Phasen langer Arbeitslosigkeit kommt?

3. Wie bewertet die Landesregierung die Absicht der Bundesregierung, dass für Qualifikationen von

über 55-Jährigen und für Bildungsabschlüsse, die vor mehr als zehn Jahren erworben wurden, kein Rechtsanspruch auf ein Anerkennungsverfahren gelten soll?

(Beifall bei der SPD)

Für die Landesregierung antwortet Frau Ministerin Özkan.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Integration gelingt über Sprache und Bildung und den Zugang zum Arbeitsmarkt. Jeder Mensch, der einen Ausbildungs- und Arbeitsplatz hat, hat eine Chance auf Teilhabe. Jeder Mensch, der in seinem erlernten Beruf tätig ist und seiner Qualifikation entsprechend eingesetzt wird, ist ein zufriedener Mensch und auch ein Vorbild für andere. Qualifizierte Fachkräfte haben auch für die Wettbewerbsfähigkeit der niedersächsischen Unternehmen eine zentrale Bedeutung.

Die Landesregierung hat deshalb im Mai 2009 gemeinsam mit der Regionaldirektion Niedersachsen/Bremen der Bundesagentur für Arbeit, mit Unternehmerverbänden und Kammern die Qualifizierungsoffensive Niedersachsen gestartet. Dabei wurden auch Maßnahmen verabredet, um das Fachkräftepotenzial der Zugewanderten sowie der Menschen mit Migrationshintergrund gezielter zu erschließen und für den Arbeitsmarkt verwertbar zu machen.

Auf der Anerkennung von im Ausland erworbenen Bildungs- und Berufsabschlüssen liegt ein besonderer Fokus unserer Aktivitäten. Das ist auch deshalb erforderlich, weil nach einer nicht repräsentativen Studie aus dem Jahre 2007 nur 16 % der befragten Migrantinnen und Migranten mit ausländischen Abschlüssen in ihrem erlernten Beruf arbeiten.

Nach den Daten des Mikrozensus 2007 sind mehr als 300 000 Migrantinnen und Migranten in Deutschland, die eine Anerkennung in einem Anerkennungsverfahren anstreben würden. Die Landesregierung nimmt diese Daten auch als Ausgangslage für das Land. Ziel der Landesregierung ist es, die Bildungschancen in Niedersachsen zu verbessern und den dringend benötigten Fachkräftenachwuchs zu sichern. Insbesondere soll dabei die Qualifizierung von Migrantinnen und Migranten

sowie arbeitslosen Menschen noch zielgerichteter organisiert werden.

Deshalb haben wir im Rahmen des FIFA-Programms in 2009 eine Sonderausschreibung „Potenzial Migrantinnen“ durchgeführt. Unter den zehn für 2010 ausgewählten Maßnahmen befinden sich auch drei Projekte in Stade, Osnabrück und Göttingen, die sich ausdrücklich mit der Thematik der Anerkennung und Bewertung von ausländischen Abschlüssen befassen. Es handelt sich um wissenschaftlich begleitete Projekte, in denen Frauen mit Migrationshintergrund individuell beraten und unterstützt werden, sich ihren Qualifikationen entsprechend beruflich neu zu orientieren. Bis 2011 werden dafür ESF-Mittel und Landesmittel eingesetzt.

Daneben hat das Wirtschaftsministerium im Rahmen der Qualifizierungsoffensive Niedersachsen eine Arbeitsmarktinitiative für Migrantinnen und Migranten gestartet. Schwerpunkt sind Maßnahmen zur beruflichen Qualifizierung beschäftigter und arbeitsloser Personen mit Migrationshintergrund. Weiterbildungsträger wurden ausdrücklich aufgerufen, gezielte Qualifizierungsangebote zu entwickeln.

Als aktueller Baustein der Initiative wurde zum 1. Dezember 2010 ein Förderaufruf im Rahmen des Landesprogramms „Arbeit durch Qualifizierung“ gestartet. Gefördert werden sollen insbesondere auch Projekte, die eine Beratung umfassen zu Möglichkeiten der Anerkennung von Berufsabschlüssen, die im Ausland erworben wurden. Für diese Maßnahmen stellt das Wirtschaftsministerium bis zu 4 Millionen Euro bereit.

Um wirklich alle Potenziale nutzen zu können, brauchen wir darüber hinaus einen bundesweit einheitlichen Regelungsstand und ein möglichst einheitliches Verfahren. Wir brauchen ein abgestimmtes Vorgehen des Bundes und der Länder.

Das sieht auch der Bund so. So hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung den Bundesressorts mit Datum vom 15. Oktober 2010 den Arbeitsentwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Feststellung und Anerkennung im Ausland erworbener Berufsqualifikationen zugeleitet. Er wird zurzeit innerhalb der Bundesministerien weiter ausgearbeitet.

Dieser erste Arbeitsentwurf, der noch kein kabinettsreifer Gesetzentwurf ist, beschreibt das Verfahren und die Details der notwendigen Prüfungen auf dem Weg zur Feststellung der Gleichwertigkeit

für die reglementierten und nicht reglementierten Berufe in der Bundeszuständigkeit. Es ist danach ein gesetzlicher Anspruch auf ein Bewertungsverfahren von im Ausland erworbenen Berufsqualifikationen vorgesehen. Da das Bundesgesetz sich nur auf Berufe in Bundeszuständigkeit beziehen kann, ist für die landesrechtlich ausgestalteten Berufe gegebenenfalls eine ergänzende Rechtsetzung der Länder erforderlich.

Zur Koordinierung des Themas wurde bereits mit Kabinettsbeschluss vom 22. Juni 2010 ein Interministerieller Arbeitskreis zur Anerkennung von im Ausland erworbenen Abschlüssen unter der Federführung des Sozialministeriums eingerichtet. Der IMAK hat u. a. bislang zwei vorbereitende Expertengespräche mit Vertreterinnen und Vertretern der Kammern, der Regionaldirektion Niedersachsen/Bremen der Bundesagentur für Arbeit und den kommunalen Spitzenverbänden durchgeführt.

Hierzu sind Expertinnen und Experten eingeladen worden, die sich zur aktuellen niedersächsischen Anerkennungspraxis von im Ausland erworbenen Bildungs- und Berufsqualifikationen geäußert haben. Die Verfahrensdauer, die Grundprinzipien der Bewertung und ihre Kundenfreundlichkeit standen im Vordergrund der Anhörung. Die Expertinnen und Experten haben Hinweise für eine praxisgerechte und kundenfreundliche Ausgestaltung der zukünftigen Verfahren gegeben.

Wir wollen erreichen, dass für Arbeitgeber, Betriebe und Arbeitsuchende nachvollziehbare und bundesweit einheitliche Regelungen und Bewertungskriterien zu den mitgebrachten Qualifikationen zur Verfügung stehen. Wir wollen, dass die Rechtsfolgen, die an deutsche Abschlüsse, Zertifikate und Diplome anknüpfen, bei anerkannten Auslandsabschlüssen abgebildet werden. Bisher gibt es nur für einzelne Bereiche und für bestimmte Staatsangehörigkeitsgruppen Regelungen, die sich in Ziel, Reichweite und Ausgestaltung voneinander unterscheiden.

Derzeit wird die Einrichtung von Erstanlaufstellen in der Wirtschaftsministerkonferenz, der Konferenz der Kultusminister, der Arbeits- und Sozialministerkonferenz und der Konferenz der für Integration zuständigen Ministerinnen und Minister erörtert. Bei der Einrichtung von Erstanlaufstellen sollte auf bestehende Beratungsstrukturen zurückgegriffen werden. Die Landesregierung prüft derzeit außerdem, welche landesrechtlichen Regelungen im Rahmen der Anerkennung noch angepasst werden müssen. Alle Erkenntnisse fließen in die Arbeit des

IMAK ein. Die nächste Sitzung findet noch im Dezember, nämlich nächste Woche, statt.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Fragen namens der Landesregierung wie folgt:

Zu 1: Der Landtag wird durch die Landesregierung zu allen Punkten der Entschließung unterrichtet. Der Bericht befindet sich derzeit in der Ressortabstimmung und wird dann unverzüglich dem Präsidenten des Landtages zugeleitet.

Zu 2: Zu allen Fragen rund um die Anerkennung ausländischer Schul-, Berufs- und Hochschulabschlüsse in Niedersachsen hat die Landesregierung im Januar 2009 einen Orientierungsleitfaden herausgegeben. Für den Fall, dass er nicht bekannt ist - ich habe ihn hier. Anfang 2011 wird die überarbeitete dritte Auflage erscheinen. Jeder Neuzugewanderte und alle Menschen mit Zuwanderungshintergrund können darin Antworten auf Fragen zur Anerkennung heute schon finden. Der Leitfaden weist auch auf Datenbanken hin, mit denen Anerkennungssuchende und Arbeitgeber ihre Fragen hinsichtlich der Vergleichbarkeit von internationalen Schul- und Berufsabschlüssen beantwortet bekommen.

Die Bundesagentur für Arbeit und die Optionskommunen nutzen den Orientierungsleitfaden für ihre Beratungen. Die Kammern und ihre Mitglieder, damit auch niedersächsische Arbeitgeber, nutzen nach ihren Aussagen den Leitfaden ebenso. Damit hat die Landesregierung einen wichtigen Beitrag zur schnelleren Wegweisung an die richtige Stelle und zur besseren Vernetzung der Beratungslandschaft geleistet. Die Bundesagentur für Arbeit leistet zweifelsohne einen ganz wesentlichen Beitrag zur Integration in den Arbeitsmarkt. Sie nutzt ihre Eingliederungsgespräche und Eingliederungsvereinbarungen, um ihre Kunden entsprechend zu beraten.

Zu 3: Der Landesregierung ist nicht bekannt, dass die Bundesregierung beabsichtigt, dass für Qualifikationen von über 55-Jährigen für Bildungsabschlüsse, die vor mehr als zehn Jahren erworben wurden, kein Rechtsanspruch auf ein Anerkennungsverfahren gelten soll. Der schon erwähnte Arbeitsentwurf der Bundesregierung zu einem Anerkennungsgesetz sieht vor, dass jeder Inhaber eines im Ausland erworbenen Ausbildungsnachweises antragsberechtigt sein soll.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Frau Kollegin Flauger stellt die erste Zusatzfrage.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich frage die Landesregierung, ob sie die Position teilt, dass die Anerkennungsverfahren grundsätzlich ohne Gebührenerhebung erfolgen sollen, mit dem Ziel, keine finanziellen Hürden für Migrantinnen und Migranten aufzubauen, und, wenn nein, warum nicht.

(Astrid Vockert [CDU]: Es muss alles geschenkt werden vom Staat! - Jens Nacke [CDU]: Weil es Geld kostet!)

Frau Ministerin Özkan, bitte!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es fallen heute schon Kosten an, wenn sie ein Anerkennungsverfahren anstreben. Das ist nicht der Hinderungsgrund, den wir von den Betroffenen erfahren. Das wird sich auch in Zukunft in dem Verfahren nicht ändern; denn es fallen eben Verwaltungsgebühren an. Diese Kosten können wir nicht umlegen, sondern es sind Steuermittel, die dort sonst fällig werden. Diese Verfahrenskosten werden sicherlich in einem überschaubaren Rahmen anfallen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Frau Kollegin Polat stellt die nächste Zusatzfrage.