Protokoll der Sitzung vom 26.10.2016

Lastenverteilung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern ist dabei ein Kernelement unserer sozialen Sicherung und unserer sozialstaatlichen Daseinsvorsorge.

Wenn sich die CDU mehr an ihrem Bundesvorsitzenden des Arbeitnehmerflügels statt am Wirtschaftsflügel orientieren würde, dann könnten wir heute den Beschluss mit großer Mehrheit fassen. Mit Herrn Staatssekretär Laumann sind wir uns bei diesem Thema jedenfalls deutlich einiger als mit großen Teilen der hiesigen CDU-Landtagsfraktion.

Wir fordern mit dem Antrag nicht mehr und nicht weniger als die vollständige Wiederherstellung einer paritätischen Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung durch den Bund und endlich die Weiterentwicklung hin zu einer Bürgerversicherung. Wir wissen, dass mehr als 80 % der Bevölkerung dahinterstehen, meine Damen und Herren.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Schwarz. - Jetzt hat sich Herr Dr. Max Matthiesen von der CDU-Fraktion zu Wort gemeldet.

Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Lieber Uwe Schwarz, über die Bürgerversicherung wollten wir heute eigentlich nicht diskutieren. Das kommt noch.

(Uwe Schwarz [SPD]: Schade!)

Mit dem Antrag zur paritätischen Finanzierung von Krankenversicherungsbeiträgen wollen sich die SPD und in ihrem Schlepptau die Grünen als Partei der kleinen Leute profilieren. Mit dem Schlagwort „vollständige Parität der Beiträge“ sind das SPD-Präsidium und der SPD-Bundesvorsitzende Gabriel im Sommer verzweifelt gegen das Absacken der SPD in der Wählergunst auf unter 20 % angerudert. Aus dieser Zeit stammt auch der vorliegende Antrag. - Wenn das alles aber so einfach wäre!

Der Entschließungsantrag der SPD und der Grünen räumt selbst ein, dass Gerhard Schröder und Joschka Fischer am 1. Juli 2005 einen Sonderbeitrag allein für Arbeitnehmer eingeführt haben. Daraus ist dann der heutige Zusatzbeitrag geworden.

Dies hat Uwe Schwarz in seiner geschichtlichen Darstellung prima aufgezeigt.

(Gerd Ludwig Will [SPD]: Und wo bleibt jetzt der Mut? - Gegenruf von Ulrich Watermann [SPD]: Der geht flö- ten!)

Der Beitrag in der Gesetzlichen Krankenversicherung setzt sich nach mehreren Veränderungen und zehn Jahre nach dem 1. Januar 2015 wie folgt zusammen: Der allgemeine paritätische Beitragssatz beträgt 14,6 %. Der Arbeitgeberbeitrags ist bei 7,3 % festgeschrieben. Dazu kommt der kassenindividuelle einkommensabhängige Zusatzbeitrag, der von den Arbeitnehmern allein zu tragen ist.

Das Problem ist nun, wie Herr Schwarz richtig dargestellt hat, dass der Arbeitnehmerzusatzbeitrag bereits im vergangenen Jahr bei durchschnittlich 0,9 % gelegen hat und dann auf 1,1 % angestiegen ist. Das bedeutet, dass der Arbeitnehmer jetzt 8,4 % zu bezahlen hat.

Warum ist das so? - Kostentreiber sind insbesondere der medizinische Fortschritt und die Überalterung der Bevölkerung.

Dem Zusatzbeitrag liegt aber keine Willkür zugrunde, sondern dahinter steht ein weitgehender Konsens. Grund für den Zusatzbeitrag ist das politische Ziel, die Gesundheitskosten von den hohen Lohnzusatzkosten zu entkoppeln. Zurzeit geht es unserer Wirtschaft zwar gut. Es ist aber noch nicht lange her, dass dies anders gewesen ist.

Wir müssen alles tun, damit Arbeitsplätze in unserem Land bleiben und auch neue geschaffen werden. In dieser Hinsicht gibt es eine Reihe von Warnsignalen, die eine Standortstudie des Instituts der deutschen Wirtschaft im Auftrag von NiedersachsenMetall gerade herausgearbeitet hat. Die bittere Wahrheit ist, dass der Unternehmensstandort Niedersachsen nicht nur von der Höhe der Energiekosten abhängig ist, sondern auch von den Lohnzusatzkosten. Negative Beispiele für den drastischen Abbau von Arbeitsplätzen in jüngerer Zeit sind Conti in Gifhorn und in Salzgitter sowie die Verlagerung der Entwicklungsabteilung - der Entwicklungsabteilung! - von Wabco Hannover nach Polen.

Der Zusatzbeitrag macht nicht die Welt aus. Er ist nur eines von verschiedenen Steuerungsmitteln in der Gesetzlichen Krankenversicherung. Weitere entscheidende Stellschrauben, die auch in Betracht kommen, sind die Ausgestaltung des Leistungskataloges, Zuzahlungen, der Risikostruktur

ausgleich zwischen den Krankenkassen, der allgemein paritätisch finanzierte Beitragssatz von zurzeit 14,6 % und schließlich, auch noch wichtig, die Steuerfinanzierung versicherungsfremder Leistungen in Höhe von 14 Milliarden Euro. Auch dort besteht ein Spielraum, etwas zu machen.

Darüber hinaus geht es um einen wichtigen Punkt, den Karl-Heinz Bley immer wieder vorträgt, nämlich worauf sich die Parität überhaupt zu beziehen hat. Das wird sehr unterschiedlich gesehen. Die Arbeitgeber sagen: Es geht allein um die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall - Willy Brandt! - in Höhe von 43,5 Milliarden Euro zuzüglich 7,5 Milliarden Euro Sozialversicherungsbeiträge. Das sind 4,3 Beitragssatzprozentpunkte. Das bedeutet, dass die Beiträge der Arbeitgeber zur Sozialversicherung, wenn man so will, insgesamt 7 % höher sind als die der Arbeitnehmerseite. Zum Vergleich: Der Zusatzbeitrag beträgt 1,1 %.

Natürlich gibt es auch die andere Sicht der Dinge. Der Beschluss des SPD-Präsidiums besagt, dass Arbeitnehmer als Beitragszahler, Steuerzahler, Zuzahler, Aufzahler und Selbstzahler benachteiligt sind.

Das alles sind Dinge, über die wir sprechen können. Aber letzten Endes kommt es darauf an, dass die einzelnen Bereiche der Sozialversicherung gerecht sind. Wir müssen schauen, wie es bei der Gesetzlichen Krankenversicherung aussieht. Uwe Schwarz hat gerade angedeutet, dass wir es dort mit atemberaubenden neuen Entwicklungen zu tun haben, die hohe zusätzliche Kosten verursachen, beispielsweise extrem teure neue Medikamente - Sylvia Bruns hat dies vorhin auch angesprochen -, Teleapparatemedizin, digitale Datenautobahnen und nicht zuletzt die vielen neuen Gesundheitsgesetze, die noch nicht einmal die Gesetzlichen Krankenkassen genau aufzählen können, wenn man mit ihnen spricht.

Diese zusätzlichen Kosten des starken medizinischen Fortschritts werden auf Dauer nicht allein der Arbeitnehmerseite aufzubürden sein. Auch die Arbeitgeberseite hat ein Interesse daran, dass die Arbeitnehmerschaft durch Gesundheit leistungsfähig ist. Deshalb wird es dabei bleiben, dass die Arbeitgeber an den Kosten des kommenden medizinischen Fortschritts beteiligt werden. Nur, es wäre verfrüht, schon jetzt von dem festgeschriebenen Arbeitgeberbeitrag und dem Zusatzbeitrag abzurücken.

Als SPD und Grüne den Antrag eingebracht haben, war noch nicht bekannt, dass sich die Pro

gnosen zur Kostensteigerung, zur Beitragssatzsteigerung und zur Steigerung des Zusatzbeitrages nicht bewahrheitet haben. Noch vor Kurzem hieß es: 0,2 bis 0,3 Prozentpunkte mehr. Das hätte dann 1,4 % Zusatzbeitrag vom Arbeitnehmerbrutto bedeutet. - Aber das tritt jetzt nicht ein, wie der Schätzerkreis des Gesundheitswesens gerade gesagt hat. Der Zusatzbeitrag bleibt auch im kommenden Jahr, also 2017, noch stabil. Dies wird der Bundesgesundheitsminister mit 1,5 Milliarden Euro aus dem Gesundheitsfonds für die Flüchtlingsversorgung und die Gesundheitskarte unterstützen.

Insofern besteht nicht die Notwendigkeit, das zu tun, was der Antrag der SPD und der Grünen besagt. Deswegen schlagen wir vor, Sie ziehen Ihren Antrag zurück.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Dr. Matthiesen. - Jetzt hat sich Thomas Schremmer, Bündnis 90/Die Grünen, gemeldet. Bitte schön, Herr Schremmer!

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Lieber Max, du hast davon gesprochen, diese Beiträge von den Lohnzusatzkosten zu entkoppeln. Ich schlage vor, diese Frage einmal im Zusammenhang mit den Unternehmensgewinnen, insbesondere im Kapitalbereich, zu diskutieren. Da könnten wir den Betrag, um den wir hier entlasten, gleich wieder hereinholen. Das könnte man sehr gut über eine Bürgerversicherung machen. Deswegen ist das auch aus meiner Sicht ein ziemlich gutes Thema.

(Vizepräsident Klaus-Peter Bachmann übernimmt den Vorsitz)

Wir führen im Augenblick Debatten über die Höhe der Beiträge und haben es mit Anspruchs- und Leistungskürzungen zu tun. Dieser Umstand nagt an der gesellschaftlichen Akzeptanz unserer Systeme. Deswegen haben wir diesen Antrag eingebracht. Wir, Rot und Grün, finden gemeinsam mit der CDA, dass das der richtige Weg ist.

Du hast es eben angesprochen: Auch der Bundesgesundheitsminister, ebenfalls CDU-Mitglied, hat dies erkannt. Er will im Wahljahr 2017 verhindern, dass die Zusatzbeiträge steigen, und schenkt dieses Geld über den Weg des Gesundheitsfonds denjenigen, die höhere Kosten haben - damit sie

die Zusatzbeiträge nicht bei den Arbeitnehmern einholen, weil jene ihnen sonst bei der Wahl mit Sicherheit die Quittung geben würden. Das ist aus meiner Sicht ein durchsichtiges Manöver.

Ich könnte Ihnen viele Beispiele dafür nennen, was für die Kostensteigerungen im Gesundheitssystem verantwortlich ist. Der viel beschriebene Wettbewerb beim Risikostrukturausgleich ist nach den Worten des TK-Vorsitzenden ruinös. Das Feilschen um die Beiträge, die da drinstecken, führt dazu, dass den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern weitere Kostensteigerungen ohne zusätzlichen Nutzen aufgebürdet werden.

Ich halte diese Art der Verteilung der Belastungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern für ungerecht. Ich halte dies für sozial ungerecht. Deswegen finde ich es richtig, dass wir diesen Antrag eingebracht haben.

(Glocke des Präsidenten)

Noch einen letzten Satz zu der Entgeltfortzahlung. Auch die gibt es schon sehr lange Zeit. Aber diejenigen, die dies am meisten betreffen könnte, nämlich die Kleinbetriebe mit bis zu 30 Mitarbeitern, zahlen gar nicht so viel Entgeltfortzahlung - das weißt auch du, Max -, weil ihnen diese Kosten über das Umlageverfahren nach dem Aufwendungsausgleichsgesetz wieder erstattet werden. Auch das gehört zur Wahrheit. Die Frage ist doch, wie gerecht die Verteilung in der paritätischen Finanzierung eigentlich ist. Der Kollege Schwarz hat dazu gesagt, das das, was wir in Deutschland immer gemacht haben, nicht gerecht ist.

Ich finde es richtig, die Gesundheitskosten auf Dauer auf alle Schultern zu verteilen. Das funktioniert mit dem, was der Antrag, den wir gleich beschließen werden, aufzeigt und mit einer solidarischen Bürgerversicherung, in die alle Einkunftsarten mit einbezogen werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Schremmer. - Ich möchte in aller Freundschaft darauf hinweisen - das ist auch die Auffassung der Mitglieder des Sitzungsvorstandes zu meiner Linken und zu meiner Rechten -, dass wir im Parlament die Gepflogenheit haben, uns zu siezen. Herr Kollege, wenn Sie das außerhalb des Parlaments anders machen, dann

freut mich das. Aber hier sollten wir uns an die Spielregeln halten.

Das Wort hat für die FDP-Fraktion jetzt die Kollegin Sylvia Bruns. Bitte schön!

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem GKV-Wettbewerbsverstärkungsgesetz ist die Politik im Jahr 2009 einen Schritt in die richtige Richtung gegangen. Pauschale Zusatzbeiträge in absoluten Eurobeträgen machten die Preisunterschiede fortan transparent und erhöhten die Wechselwahrscheinlichkeit innerhalb der GKV deutlich. Ein gestiegener Kassenwettbewerb war die Folge. Im Wahljahr 2013 unter der neuen Großen Koalition bekam dann die Politik Angst vor der eigenen Courage. Die Kassen erhielten große Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds, der Wettbewerb kam vollständig zum Erliegen.

Mit der im Januar 2015 beschlossenen Reform der GKV-Finanzierung legt die Bundesregierung nun vollständig den Rückwärtsgang ein. Die pauschalen Zusatzbeiträge werden abgeschafft, an ihre Stelle treten nun lohnabhängige Zusatzbeiträge, welche direkt vom Arbeitgeber eingezogen werden.

Jetzt liegt uns der Antrag von Rot-Grün zur Einführung der paritätischen Finanzierung vor. Abgeschafft worden ist die paritätische Finanzierung durch einen Bundeskanzler der SPD - und ich finde die Entscheidung noch heute richtig und gut.

(Beifall bei der FDP)

Sehen wir einmal nach Berlin! Auch wenn wir mit dem Antrag suggerieren, wir hätten darauf irgendeinen Einfluss - abgesehen vielleicht von denen, die in Berlin regieren -: Die GKV-Finanzierung ist Sache des Bundesgesundheitsministers. Der jetzige Bundesgesundheitsminister Gröhe tritt in der Wahrnehmung oft hinter die anderen Minister zurück, doch gelang ihm mit dem Krankenhausstrukturgesetz ein beachtlicher Schritt. Im Fokus steht die qualitative Versorgung in Krankenhäusern. Auch Niedersachsen profitiert von diesem Programm. Das haben wir auch im Krankenhausplanungsausschuss gesehen.

Ein Problem dieses Programms, das auch tatsächlich enorm hohe Kosten auslöst, ist nicht gelöst. Gröhe plant, die zusätzlichen Kosten durch die Gesetzliche Krankenversicherung zu decken, d. h. über GKV-Beiträge. Das bedeutet für alle Versi

cherten, dass sie mit deutlich höheren Beiträgen zu rechnen haben. Spannend an dieser Stelle ist die Investitionsverpflichtung der Länder bezüglich der Krankenhausinvestitionen. Dieser kommen die meisten Länder nicht nach. Wenn wir als Niedersachsen jetzt Mittel aus dem Krankenhausstrukturgesetz nehmen, zahlen zum Schluss die GKVBeitragszahler dafür, obwohl eigentlich die Länder zahlen müssten.