Protokoll der Sitzung vom 18.06.2013

Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 7, und zwar zur Ausschussüberweisung.

Federführend soll der Ältestenrat sein, mitberatend der Ausschuss für Rechts- und Verfassungsfragen. Wer so beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Damit ist das so beschlossen.

Ich rufe auf den

Tagesordnungspunkt 8: Abschließende Beratung: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Niedersächsischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung und des Niedersächsischen Verfassungsschutzgesetzes - Gesetzentwurf der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 17/169 - Beschlussempfehlung des Ausschusses für Inneres und Sport - Drs. 17/284 - Schriftlicher Bericht - Drs. 17/308

Der Ausschuss empfiehlt Ihnen, den Gesetzentwurf mit Änderungen anzunehmen.

Eine mündliche Berichterstattung ist nicht vorgesehen.

Ich eröffne die Beratung. Zu Wort hat sich der Kollege Becker von der SPD-Fraktion gemeldet. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Anlass für dieses Artikelgesetz ist eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, das vor anderthalb Jahren die bisherige Regelung in § 113 des Telekommunikationsgesetzes als unzureichend für die Übermittlung von Bestandsdaten an die Si

cherheitsbehörden bewertet und eine spezialgesetzliche Regelung gefordert hat.

In Niedersachsen sind damit für die Aufgabenbereiche der Polizei das Niedersächsische Gefahrenabwehrgesetz und für den Bereich des Verfassungsschutzes das Niedersächsische Verfassungsschutzgesetz betroffen.

Grundlage dieser Verfassungsgerichtsentscheidung waren nicht Bedenken hinsichtlich der Verfassungskonformität von Bestandsdatenabfragen im Allgemeinen. Das Gericht hatte vielmehr eine Regelung innerhalb der jeweiligen Fachgesetze von Bund und Ländern anstatt im Telekommunikationsgesetz gefordert. In der Praxis geht es dabei um durchaus nicht ganz seltene Fälle der Gefahrenabwehr, wie z. B. anonyme telefonische Suizidankündigungen, Amokdrohungen, bei denen die Telefonnummer bekannt ist, aber der Anrufer festgestellt werden muss, Auffinden vermisster Personen oder Aufklärung von extremistischen Strukturen durch die Verfassungsschutzbehörden.

Sehr geehrte Damen und Herren, es ist weitgehend unstreitig, dass unsere Sicherheitsbehörden in diesen Fällen die Möglichkeit haben müssen, auf die persönlichen Daten der Kunden von Telekommunikationsanbietern - wie z. B. die Telefonnummer, den Namen oder die Anschrift und in besonderen Fällen auch auf die IP-Adresse oder auf Kennwörter - zugreifen zu können, um Personen identifizieren zu können. Die Einholung von Bestandsdatenauskünften ist insofern als Mittel einer wirksamen Gefahrenabwehr dringend erforderlich.

(Vizepräsident Karl-Heinz Klare über- nimmt den Vorsitz)

Nicht weniger wichtig, meine Damen und Herren, ist in diesem Zusammenhang aber auch der Schutz der Grundrechte unserer Bürgerinnen und Bürger. Die Neuregelungen beschränken sich insoweit zunächst einmal auf die Umsetzung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts. Um das hier ganz deutlich zu sagen: Neue Befugnisse für die Sicherheitsbehörden werden hiermit nicht eingeführt.

Die Eingriffstiefe der Ermächtigungen für Polizei und Verfassungsschutz ist darüber hinaus sehr eng an dem Prinzip der Erforderlichkeit orientiert. Der vom Verfassungsgericht gezogene Rahmen wird hier nicht ausgeschöpft; das Gesetz ist insofern ausgesprochen liberal gestaltet. Vielmehr orientieren sich die Voraussetzungen und Hürden

für Grundrechtseingriffe an angemessen hohen Eingriffsschwellen insbesondere bei der Gefahrenbeurteilung und an Vorbehalten bei den Anordnungsbefugnissen.

Gegenüber der bisherigen Rechtslage wird der Schutz der Rechte der betroffenen Personen damit deutlich verbessert. Das gilt insbesondere für die Einführung eines Richtervorbehalts für Auskünfte über die Inhaber dynamischer IP-Adressen. Sofern Belange des Verfassungsschutzes betroffen sind, gilt ein Entscheidungsvorbehalt der G-10-Kommission. Passwortabfragen sind nur bei dem Vorliegen einer gegenwärtigen Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person zulässig.

Insofern ist dieses - wegen der Fristsetzung des Bundesverfassungsgerichts zum 1. Juli 2013 in besonderem Maße eilige - Gesetzgebungsverfahren auch eine Zäsur in der Sicherheitsgesetzgebung in Niedersachsen. SPD und Bündnis 90/Die Grünen sind angetreten, um den Bürgerrechten in Niedersachsen wieder eine gleichberechtigte Stellung zu verschaffen. Dass diese in der Vergangenheit nicht immer gegeben war, haben auch die Beratungen zu diesem Gesetzentwurf gezeigt. So besteht für den niedersächsischen Verfassungsschutz bereits seit Dezember 2011 keine Rechtsgrundlage mehr zur Abfrage von Postbestands- und Verkehrsdaten, weil der zuständige Bundesgesetzgeber die entsprechende Rechtsgrundlage im Bundesverfassungsschutzgesetz gestrichen hatte.

Postdienstleister waren und sind zur Übermittlung der vom niedersächsischen Verfassungsschutz abgefragten Daten seither weder verpflichtet noch befugt. Auch zu diesem Aspekt passen wir das Niedersächsische Verfassungsschutzgesetz mit über einjähriger Verzögerung an.

Nachdem ich zu den Versäumnissen der alten Landesregierung bei der Aktualisierung der Sicherheitsgesetze bereits bei der Einbringung dieses Gesetzes etwas gesagt hatte, will ich das hier ausdrücklich nicht in den Mittelpunkt stellen. Ich möchte stattdessen hervorheben, dass diese Gesetzesänderung in den Beratungen der Ausschüsse auch die Zustimmung von FDP und CDU und damit eine breite Mehrheit gefunden hat. Ich begrüße das ausdrücklich, zumal am Beispiel dieser Gesetzesänderung auch die dringende Überarbeitungsbedürftigkeit des Niedersächsischen Verfassungsschutzgesetzes deutlich geworden und diese Bewertung ausdrücklich von allen Fraktionen geteilt worden ist. Meine Damen und Herren, diese Über

arbeitung des Verfassungsschutzgesetzes werden wir unverzüglich angehen.

Danken möchte ich in diesem Zusammenhang auch dem Gesetzgebungs- und Beratungsdienst, durch dessen Hinweise und überaus zügige Bearbeitung des Entwurfs doch noch innerhalb weniger Tage eine Anpassung gelungen ist, sodass wir dieses Gesetz heute beschließen können.

Damit, meine Damen und Herren, sind Polizei und Verfassungsschutz ab dem 1. Juli in der Lage, ihren gesetzlichen Aufgaben weiterhin nachzugehen, und das auch mit verhältnismäßigen Mitteln.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Becker. - Zu Wort gemeldet hat sich der Kollege Thomas Adasch, CDUFraktion.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe in der ersten Beratung schon ausführlich zu diesem Gesetzentwurf Stellung genommen. Daher will ich mich jetzt auf einige wesentliche Punkte beschränken. Herr Kollege Becker hat mir dabei auch schon einiges vorweggenommen.

Den Anpassungsbedarf hat insbesondere das Bundesverfassungsgericht geschaffen. Unstrittig ist auch, dass wir einen gewissen Handlungsbedarf hatten. Allerdings weise ich zurück, dass wir diese Notwendigkeit in der Vergangenheit nicht gesehen hätten. Sie wissen: Die Legislaturperiode ging zu Ende, und dann ist es leider nicht immer möglich, alle erforderlichen Gesetze noch auf den Weg zu bringen.

Es gab in der Tat Konsens im Ausschuss. Wir haben uns an andere Bundesländer angepasst, in denen mittlerweile ähnliche Regelungen getroffen werden.

Auch ich möchte dem Gesetzgebungs- und Beratungsdienst herzlich danken. Wir haben bei den Beratungen festgestellt, dass das Ganze rechtlich nicht ganz unproblematisch war. Ein Problem betraf die Postdienstleister. Aber auch die verschiedenschwelligen Eingriffsmöglichkeiten beim Gefahrenabwehrgesetz und beim Verfassungsschutzgesetz sind zu nennen.

Bei der Erhebung von Zugangssicherungscodes gelten strengere Eingriffsvoraussetzungen als bisher. Das ist eben schon gesagt worden. Hierzu gehören die gegenwärtige Gefahr für Leib oder Leben bzw. die Freiheit einer Person. Hierzu gehört aber auch der vom Bundesverfassungsgericht nicht vorgegebene Richtervorbehalt bei Abfragen. Dieser hätte aus Sicht der CDU nicht im Gesetz verankert werden müssen; wir hätten durchaus auf diesen Richtervorbehalt verzichten können.

Insgesamt geben wir unserer Polizei und unserem Verfassungsschutz mit diesen Gesetzesänderungen einen verlässlichen und verfassungsrechtlich hoffentlich guten und nicht angreifbaren Rahmen - bei allen problematischen Beratungen, die wir hatten. Gleichwohl werden wir das Verfassungsschutzgesetz überarbeiten müssen; darin stimmen wir überein.

Eines noch zum Abschluss: Bündnis 90/Die Grünen wurde im Rahmen der Beratungen ein Stück weit auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Wir brauchen einen Verfassungsschutz, und wir müssen ihn gesetzlich so ausstatten, dass er handlungsfähig ist. Es ist noch nicht lange her - ich kann mich noch an diese Zeiten erinnern -, dass Bündnis 90/Die Grünen durchs Land gezogen ist und die Abschaffung des Verfassungsschutzes gefordert hat. Jetzt sehen sie, dass Anspruch und Wirklichkeit ein ganzes Stück auseinander liegen und dass man dem Verfassungsschutz den entsprechenden Rahmen vorgeben muss, damit er seinen Aufgaben nachkommen kann.

Herr Kollege Becker, wir werden diesem Gesetz zustimmen und uns konstruktiv an den bevorstehenden Beratungen zur Änderung des Verfassungsschutzgesetzes beteiligen und uns einbringen.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Danke, Herr Kollege Adasch. - Das Wort hat jetzt Jan-Christoph Oetjen, CDU-Fraktion.

(Jan-Christoph Oetjen [FDP]: FDP- Fraktion! Sonst rede ich jetzt nicht, Herr Präsident!)

- Das soll auch so bleiben: FDP-Fraktion!

Den Vereinnahmungsversuch weise ich mit aller Entschiedenheit zurück, Herr Präsident.

(Ulrich Watermann [SPD]: Zählge- meinschaft!)

- Wir haben keine Zählgemeinschaft und haben auch nicht vor, eine einzugehen, Herr Kollege Watermann.

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte auf den Kollegen Becker eingehen, der vorhin gesagt hat, die Neuregelung des Gesetzes sei liberal. Als Liberaler kann ich dem durchaus zustimmen; denn Sie machen mehr als das, was das Bundesverfassungsgericht gefordert hat. Das will ich durchaus anerkennen, und das habe ich auch bei der ersten Beratung im Plenum gemacht. Auch ich halte den Richtervorbehalt für richtig und notwendig - anders als Kollege Adasch. Die Union sagt, sie hätte darauf verzichten können. Ich finde es richtig, dass wir es so machen, wie es heute vorgeschlagen wird.

Wir können dem Gesetz auch deshalb zustimmen, weil alle vom Gesetzgebungs- und Beratungsdienst - bei dem auch ich mich sehr herzlich bedanke - vorgelegten Änderungsvorschläge im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens eingebaut wurden.

Auch wir vonseiten der FDP wollen die Befugnisse für Polizei und Verfassungsschutz erhalten, die im Rahmen des Bundesverfassungsgerichtsurteils infrage gestellt wurden. Dabei ging es um die Abfrage von sogenannten PINs und PUKs auf der einen Seite und von dynamischen IP-Adressen auf der anderen Seite.

Der Gesetzgebungs- und Beratungsdienst hat uns in unseren Beratungen allerdings auch gesagt, dass es aufgrund der derzeit - wie soll ich sagen? - sehr regelmäßigen und immer höhere Hürden anlegenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unsicher ist, ob die Regelung, die wir jetzt für den Verfassungsschutz beschließen, in Zukunft weiterhin Bestand vor dem Verfassungsgericht haben wird. Das wissen wir nicht. Aber ich glaube, wir bringen heute die bestmögliche Lösung auf den Weg. Sicher könnten wir nur sein, wenn wir dem Verfassungsschutz die entsprechenden Möglichkeiten nähmen. Das aber will niemand von uns. Deswegen wählen wir hier die bestmögliche Lösung, die uns eingefallen ist.

Insofern können auch wir von der FDP-Fraktion diesem Gesetz zustimmen und bedanken uns für die sehr sachliche und konstruktive Beratung im Ausschuss.

(Beifall bei der FDP und bei den GRÜNEN sowie Zustimmung bei der SPD)

Das Wort hat jetzt der Kollege Onay von Bündnis 90/Die Grünen.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte mich Herrn Oetjen ausdrücklich anschließen: Der vorliegende Gesetzentwurf ist die beste Lösung, die unter den gegebenen Umständen möglich war. Wie Sie alle wissen, sind die Änderungen, die wir jetzt am Gesetz vornehmen, unter massivem Zeitdruck entstanden. Ich möchte mich ausdrücklich beim Gesetzgebungs- und Beratungsdienst bedanken, der seine Formulierungsvorschläge in einer sehr kurzen Zeit erstellt hat. Damit konnte das verfassungsrechtliche Restrisiko bezüglich unserer Änderungsvorstellungen minimiert werden.