Vielen Dank, Herr Minister. - Liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen für Zusatzfragen liegen nicht vor.
Die Antworten der Landesregierung zu den Anfragen, die jetzt nicht mehr aufgerufen werden konnten, werden nach § 47 Abs. 6 unserer Geschäftsordnung zu Protokoll gegeben.1
Tagesordnungspunkt 31: Erste Beratung: Hilfe für wohnungslose Menschen - Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion der CDU - Drs. 18/845
1Die Antworten zu den Anfragen 2 bis 47, die nicht in der 16. Sitzung des Landtages am 18. Mai 2018 behandelt und daher zu Protokoll gegeben wurden, sind in der Drucksache 18/920 abgedruckt.
Bevor Herr Lottke beginnt, darf ich alle um etwas mehr Ruhe hier im Plenarsaal bitten. Es ist die erste Rede des Kollegen Lottke. - Bitte!
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich morgens mit dem Zug aus meinem Wahlkreis am Bahnhof in Hannover ankomme und durch die Fußgängerzone zum Landtag laufe, begegnen mir zahlreiche Menschen, die offensichtlich obdachlos sind. Nun ist die Begegnung mit obdachlosen Menschen für mich nichts Ungewöhnliches, da ich vor meiner Zugehörigkeit zum Niedersächsischen Landtag als Leiter einer Einrichtung in der Wohnungslosenhilfe täglich mit diesen Menschen Kontakt hatte.
Dieses Bild von Obdachlosigkeit, auch in niedersächsischen Städten, ist ein Zeichen dafür, dass in unserer Gesellschaft immer noch zu viele Menschen durchs Raster fallen.
Der Zusammenhang zwischen Langzeitarbeitslosigkeit und Wohnungslosigkeit ist unabweisbar. Daher begrüßen wir ausdrücklich das Programm zum Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit aus der letzten Legislaturperiode.
Besonders für obdachlose Menschen ist es fast unmöglich, einen Weg in den Arbeitsmarkt zu finden. Entweder gibt es für sie keinen Zugang zu den Maßnahmen der Arbeitsförderung, oder die Betroffenen finden sich in den angebotenen Fördermaßnahmen nicht zurecht. Sie benötigen also ein auf sie speziell abgestimmtes Programm, um an den Arbeitsmarkt in kleinen, für sie leistbaren Schritten herangeführt zu werden.
SPD und CDU machen mit dem vorliegenden Antrag deutlich, dass die Koalition auch die Schwächsten unserer Gesellschaft im Blick hat und eine Politik zum Wohle aller Menschen in Niedersachsen setzt.
Menschen, die schon lange obdachlos sind, sind oftmals einsam, ängstlich und ohne soziale Bindungen. Der Zugang zu den Regelinstrumenten des SGB II scheitert häufig schon daran, dass sich die Betroffenen nicht trauen, alleine den Weg zum Jobcenter anzutreten. Sie sind misstrauisch und haben das Gefühl, den Anforderungen nicht gewachsen zu sein. Wenn schon bei diesen ersten Schritten keine professionelle sozialpädagogische
Unterstützung vorhanden ist, ist der Weg zur Arbeit für viele an dieser Stelle schon wieder beendet. Hinzu kommt, dass auch die Anforderungen der Maßnahmen häufig deutlich zu hoch sind.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, was für uns relativ einfach und normal klingt - morgens pünktlich ausgeschlafen, geduscht und mit einem Frühstück im Magen am Arbeitsplatz bereitzustehen -, ist von der Lebenswirklichkeit vieler der betroffenen langzeitarbeitslosen Menschen weit entfernt. Deswegen ist der Ansatz in diesem Antrag genau richtig, nämlich diesen Menschen ein niederschwelliges Angebot in der Zuständigkeit des Landes zu unterbreiten. Es ist sehr sinnvoll, über ein Modellprojekt zu ermitteln, wie dieser Personenkreis nachhaltig an die Fördermaßnahmen nach dem SGB II herangeführt werden kann.
Für wohnungslose Frauen ist mit Blick auf die besonderen Bedarfe ein speziell auf sie abgestimmtes Programm zu schaffen. Während Männer als Folge der Obdachlosigkeit und der damit einhergehenden besonderen Verhaltensweisen eher aggressiv und impulsiv auftreten, agieren obdachlose Frauen ausgeprägt konflikt- und kontaktscheu. Oft gehen diese Frauen Pseudobeziehungen zu ihrem eigenen Schutz ein als Reflex aus einem grundsätzlichen Misstrauen gegenüber anderen Menschen.
Mir ist in diesem Antrag besonders wichtig, auf die Jobcenter hinzuwirken. Sie sollen von der Ermächtigung Gebrauch machen, für die Wohnungslosen nach § 17 SGB II Leistungsvereinbarungen der Freien Wohlfahrtspflege zu schließen. Warum? - Nun, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen: Das Gros dieses Personenkreises wird durch die bestehenden Regelinstrumente, wie gesagt, nicht erreicht. Wenn für sie nachhaltig Beschäftigungsfähigkeit erreicht werden soll, müssen sie intensiv sozialpädagogisch begleitet werden.
Hier müssen sich ambulante und stationäre Hilfe eng abstimmen mit dem Ziel, die Hilfe zur Arbeit mit dem individuellen Hilfeplan zu verzahnen. In diesem Zusammenhang ist auch die Einrichtung von Hygienecentern und speziellen Krankenwohnungen ein wichtiges Instrument zur gesellschaftlichen Integration;
denn schon jetzt kommt es immer häufiger dazu, dass obdachlose Menschen aus dem Krankenhaus entlassen werden und pflegerischer Unterstützung bedürfen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wären wir selbst die Betroffenen, hätten wir Partner, Angehörige oder Freunde, die uns bei unserer Gesundung unterstützten. Aber genau dieses qualifizierte Netz sozialer Bindungen haben obdachlose Menschen in aller Regel nicht.
„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Das steht im Grundgesetz und gilt auch für Obdachlose. Sich nicht waschen zu können, die eigene Kleidung nicht reinigen zu können, empfinden viele obdachlose Menschen zu Recht als entwürdigend. Das allein ist ein valider Grund für die Unterstützung des Landes bei der Errichtung von Hygienecentern.
Jede Obdachlosenbiografie hat einen Punkt, an dem es möglich gewesen wäre, durch geeignete präventive Hilfen den Fall zu vermeiden. Viele kleine und tolle Projekte in Niedersachsen leisten Großartiges, um Obdachlosigkeit zu vermeiden. Sie sind getragen von kreativen und engagierten Menschen, und ich bin all diesen von Herzen dankbar. Unser Antrag zielt darauf, diese Menschen und die Weiterentwicklung der präventiven Angebote zu fördern und die guten Beispiele als Best Practice zur Nachahmung zu empfehlen, um die gute Arbeit zu vermehren und denen, die helfen wollen, den Schritt dazu leichter zu machen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie so oft im Leben muss auch hier das Rad nicht neu erfunden werden. Viele Ideen sind gut geeignet, andernorts übernommen zu werden, und den dortigen Strukturen anpassbar. Dazu müssen wir die Möglichkeit zu einem fachlichen Austausch in Niedersachsen schaffen, und zwar nicht nach Feierabend oder über eine der vielen Internetsuchmaschinen, sondern auch in bezahlter Arbeitszeit als Fortbildung zur stetigen Qualitätsverbesserung der Arbeit für diese Menschen.
Ein letzter Punkt - er betrifft inzwischen viele Kommunen und Einrichtungen; das weiß ich aus meinen Begegnungen mit Bürgermeistern und aus meinen Besuchen -: Er betrifft die Unsicherheiten
im Umgang mit den in Deutschland lebenden obachlosen EU-Ausländern. Diese spezielle Herausforderung kann nur in den Heimatländern gelöst werden. Deshalb fordern wir die Landesregierung auf, sich beim Europäischen Parlament und bei der Europäischen Kommission dafür einzusetzen, Verfahren und Absicherungen zu schaffen, damit EU-Ausländer, die bei uns in Obdachlosigkeit leben, wieder in ihr Heimatland zurückkehren können und dort eine angemessene Grundsicherung zum Leben bekommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns diesen Antrag zur Verbesserung der Lebensbedingungen und zur Verbesserung der Integration gemeinsam voranbringen. Als Mensch mit Praxiserfahrung kann ich Ihnen versichern: Der Antrag enthält viele gute Bestandteile, um solide Brücken zu bauen, Menschen in Obdachlosigkeit den Weg zurück in unsere Mitte zu führen; denn dort ist ihr Platz.
Herr Kollege Lottke, ich darf Ihnen im Namen des Präsidiums sehr herzlich zu Ihrer ersten Rede gratulieren.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, als Nächster hat sich der Kollege Bothe von der Fraktion der AfD zu Wort gemeldet. Bitte, Herr Bothe!
Vielen Dank. - Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Antrag „Hilfe für wohnungslose Menschen“ mag zwar gut gemeint sein, kommt aber über den Status eines zusammengeschusterten Arbeitspapiers nicht hinaus.
der Wohnungslosen ist zweifellos riesig. Es ist auch richtig, dass ungewollte Obdachlosigkeit eine Schande für ein Land wie Deutschland ist.
Wohnungslosigkeit geht meist mit erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen einher. Mindestens 75 % der Wohnungslosen leiden an behandlungsbedürftigen psychischen Störungen, 74 % an Suchterkrankungen. Darüber hinaus gibt es noch weitere somatische Diagnosen. Obdachlose haben im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung ein drei- bis viermal höheres Risiko, vorzeitig zu versterben.
Ja, die katastrophale Gesundheitsversorgung - angefangen bei der vielfach fehlenden Krankenversicherung bis hin zu fehlenden Mitteln zum Kauf von Medikamenten - ist eines der gravierendsten Probleme, mit dem Obdachlose zu kämpfen haben. Hausärzte sind oft nicht auf die komplexen medizinischen Bedürfnisse von Wohnungslosen eingestellt. Ihnen fehlt außerdem der Zugang zu Fachärzten, insbesondere Psychiatern, aber auch Psychotherapeuten. Die Versorgung chronischer Erkrankungen ist dadurch kaum möglich.
Eine Hilfe für wohnungslose Menschen, die diesen Namen also auch verdient, muss genau hier ansetzen: bei der Verbesserung des ärztlichen Leistungsspektrums, der Gewährleistung eines niedrigschwelligen Zugangs zu spezialisierten Ärzten und vor allen Dingen einer Ausweitung des Kampfes gegen Alkohol-, Drogen- und Medikamentensucht.
Nur so kann eine langanhaltende Stabilisierung der Gesundheit der Betroffenen erreicht werden. Dies ist wiederum die Voraussetzung, um das Ziel Ihres Antrags auch wirklich zu erreichen, wohnungslose Menschen von der Straße zurückzuholen und sie in eine geregelte Arbeits- und Sozialstruktur zu bringen.
Eines darf aber nicht unausgesprochen bleiben: Die von Ihnen vorgeschlagenen Projekte, die Behandlungsbarrieren zu überwinden, wurden und werden durch die Gesetzgebung auf der Landes- und Bundesebene im Gesundheitssektor regelmäßig konterkariert. Ob und wie Sie es schaffen wollen, den Wust an Vorgaben in der Gesundheits- und Sozialgesetzgebung zu entbürokratisieren, was wünschenswert wäre, und, wie es im Antrag heißt, niederschwellige Angebote zu schaffen, darf mit Spannung erwartet werden. Ich bin hier aber sehr skeptisch.