Protokoll der Sitzung vom 18.05.2018

Eines darf aber nicht unausgesprochen bleiben: Die von Ihnen vorgeschlagenen Projekte, die Behandlungsbarrieren zu überwinden, wurden und werden durch die Gesetzgebung auf der Landes- und Bundesebene im Gesundheitssektor regelmäßig konterkariert. Ob und wie Sie es schaffen wollen, den Wust an Vorgaben in der Gesundheits- und Sozialgesetzgebung zu entbürokratisieren, was wünschenswert wäre, und, wie es im Antrag heißt, niederschwellige Angebote zu schaffen, darf mit Spannung erwartet werden. Ich bin hier aber sehr skeptisch.

Meine Damen und Herren, eine aktive soziale Wohnungsbaupolitik, die bezahlbaren Wohnraum für alle zu sichern hilft, ist unabdingbar. Im vorliegenden Antrag fordern Sie auch die Förderung von Modellprojekten mit Leistungsvereinbarungen der Jobcenter mit der Freien Wohlfahrtspflege. Das ist gut, reicht aber eben nicht aus. Grundsätzlich sollten Bund und Land mehr Verantwortung auf die Ebene der Städte und Gemeinden und der dort ansässigen kommunalen Jobcenter übertragen, um wohnungslosen Menschen vor Ort unbürokratisch und pragmatisch helfen zu können.

Verehrte Kollegen, hier wird eines ganz deutlich: Eine Hauptursache von Obdachlosigkeit ist die verfehlte Wohnungspolitik der vergangenen Jahre und Jahrzehnte, für die Sie hier mit verantwortlich sind.

(Zustimmung bei der AfD)

In diesem Sinne äußert der Geschäftsführer der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe, Thomas Specht, völlig zu Recht: Ohne eine massive Anstrengung von Bund, Ländern und Kommunen werde sich die Wohnungslosigkeit in den nächsten Jahren nicht reduzieren lassen. Die Arbeitsgemeinschaft rechnet sogar damit, dass sich die Zahl der wohnungslosen Menschen von 2017 bis 2018 um 350 000 erhöht hat. Insgesamt gibt es damit in Deutschland 1,2 Millionen Wohnungslose.

Aus diesem Grund ist es höchste Eisenbahn, endlich zu handeln. Der vorliegende Antrag greift ein drängendes Problem auf, bringt dieses zu Recht in die politische Debatte hier im Landtag, greift aber viel zu kurz.

Deshalb freuen wir uns, in den Ausschussberatungen den vorliegenden Antrag mit Substanz zu füllen.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und dafür, dass ich hier einmal ruhig sprechen durfte. Danke.

(Beifall bei der AfD - Zuruf von Wiard Siebels [SPD])

Vielen Dank, Herr Kollege. - Für die Fraktion der FDP hat die Kollegin Bruns nun das Wort. Bitte sehr!

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Lottke, wir teilen die Punkte, die in Ihrem Antrag aufgeführt wurden,

voll. Auch zu den inhaltlichen Ausführungen kann ich mich nur positiv äußern.

Ich möchte aber gern noch ein Projekt vorstellen, das mir in dem Antrag ein bisschen fehlt, weshalb wir einen Änderungsantrag machen werden, das Projekt „Housing First. Erst eine Wohnung, dann sehen wir weiter“. Das Konzept kommt aus den USA. Städte wie Salt Lake City haben damit dort die Obdachlosigkeit um 78 % reduziert.

Statt den Menschen auf der Straße mit medizinischer Versorgung und psychologischer Betreuung notdürftig auf Platte zu helfen, bekommen die Wohnungslosen zuerst eine Wohnung mit eigenem Schlüssel. Wichtig dabei: ohne Vorbedingungen.

In Deutschland ist eine Wohnung immer an Vorbedingungen geknüpft. Abstinenz von Drogen, Alkohol, Cannabis und Heroin gehört genau mit dazu.

Eine eigene Wohnung ohne Bedingungen, keine Notunterkunft, keine Stockbetten, keine Gemeinschaftsunterkünfte. Andersherum wird ein Schuh draus, also nicht vorher die Abstinenz fordern. Die Studien zeigen vielmehr, dass die Menschen, wenn sie eine eigene Wohnung haben, nachher zum größten Teil abstinent werden.

Das Prinzip funktioniert, und das zeigen mehrere Beispiele. Finnland, Dänemark und viele Städte in Holland und in Österreich haben sich dem Prinzip verschrieben. 80 bis 90 % der Langzeitobdachlosen sind auch nach zwei bis fünf Jahren in ihren Wohnungen geblieben; soziale Integration hat funktioniert.

Das könnte auch für fast eine halbe Million Menschen, die bei uns in Deutschland keine Bleibe haben, eine Option sein.

Direkt vor der Haustür des Landtages wird es ein Pilotprojekt geben. SPD, Grüne und FDP im Rat der Stadt Hannover haben gemeinsam einen Antrag auf den Weg gebracht und werden das Projekt in diesem Jahr starten. Zudem ist es ein zutiefst liberaler Ansatz, die Menschen einfach anzunehmen, wie sie sind.

Wir werden den Änderungsantrag vorlegen. Ich freue mich auf die Veranstaltung und auf die Beratung im Ausschuss.

Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie Zustim- mung bei der SPD und bei den GRÜ- NEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die Kollegin Piel das Wort. Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Noch vor ein paar Monaten haben wir regelmäßig von frierenden Menschen in der Zeitung lesen müssen, die die Nacht auch im Winter im Freien verbringen.

Ich war noch im Februar in meinem Wahlkreis bei einem Obdachlosentreff zum Frühstück eingeladen und hatte die Gelegenheit, mit denjenigen zu sprechen, die im Winter dankbar für einen Platz zum Aufwärmen sind oder für eine Gelegenheit, ihre Wäsche zu waschen.

Normalerweise sinkt der Handlungsdruck der Politik im Frühjahr genauso schnell, wie die Temperaturen steigen. Insofern bin ich Ihnen und besonders auch Ihnen, Herr Lottke, sehr, sehr dankbar dafür, dass Sie dieses wichtige Thema quasi antizyklisch, im Mai, hier in den Landtag geholt haben.

(Zustimmung von Helge Limburg [GRÜNE])

Wohnungslosigkeit ist eine der härtesten und bittersten Folgen von Armut. Auch wenn wir keine offiziellen Daten haben, wissen wir - auch durch die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe -, dass es einen Einstieg auch in Niedersachsen geben wird.

Die Antwort der Landesregierung auf unsere Kleine Anfrage hat gezeigt, dass wir auch in Niedersachsen steigende Zahlen zu verzeichnen haben. Leider wissen wir nicht genau, mit welchen Menschen wir es zu tun haben. Die Gründe für Wohnungslosigkeit sind sehr unterschiedlich.

Sie schlagen in Ihrem Antrag eine Reihe von Einzelmaßnahmen vor, z. B. diese speziellen Angebote zur Arbeitsförderung, die eben beschrieben worden sind, Angebote für Frauen, Hygienecenter und präventive Angebote. Das ist sicherlich eine erste, wichtige Hilfe und ein wichtiger Schritt. Ob es genau das ist, was die wohnungslosen Menschen jetzt zuerst brauchen, werden wir herausfinden müssen.

Was wir mit Sicherheit sagen können, ist, dass es keine einheitliche Lösung für alle geben kann, sondern dass man die Lösungen für diese Menschen genauso verschieden anbieten muss, wie die Menschen verschieden sind. Deswegen brau

chen wir eine belastbare Bedarfsanalyse, um dann zu schauen, was wir verbessern, stärker verzahnen und nach vorn bringen können.

(Zustimmung bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der FDP)

Herr Lottke hat dankenswerterweise auch schon darauf hingewiesen, dass dieses Maß an unterschiedlichen Rechtskreisen, Hilfesystemen und Maßnahmen, die der Einzelne beantragen kann und die ihm zustehen, so schwierig und so ein Dschungel ist und aufgrund der mangelnden Hilfe durch Angehörige auch so schwer zu überblicken ist, sodass es dringend notwendig ist, dass mehr Linie hineinkommt und dass mehr Unterstützung und mehr Hilfe geleistet werden können.

Weil wir auch wissen, dass der Ausstieg aus diesen krisenhaften Situationen umso schwieriger ist, je länger sie dauern, ist die Prävention eine ganz wichtige Geschichte. Deswegen bin ich froh, dass wir auch hier angesprochen haben, den Fokus stärker auf die Prävention zu richten.

(Zustimmung bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der FDP)

Dass das Beispiel, welches auch die Kollegin Bruns erwähnt hat, nämlich Leute ohne Ansehen der Person und ohne die Voraussetzung von bestimmten Punkten in Wohnungen zu lassen, eine ausgesprochen positive Entwicklung zur Folge haben kann, sehen wir, weil es eine gemeinsame Initiative in der Stadt Hannover ist, ganz genauso.

Wir sagen aber auch: Die Mittel, die in diesem Nachtragshaushalt für das Projekt eingestellt werden, sind deutlich zu niedrig. Wir wünschen uns, dass Sie bei der Haushaltsberatung im Herbst viel mehr Geld dafür nachlegen.

(Beifall bei den GRÜNEN sowie Zu- stimmung bei der SPD und von Sylvia Bruns [FDP])

Noch ein Hinweis: Sicherlich ist es eine gute Idee, den europäischen Aspekt aufzugreifen und die ihn tragende soziale Säule weiter auszubauen. Gleichwohl kann man das eine tun, ohne das andere zu lassen. Solange das nicht gewährleistet ist, ist es sinnvoll, auch den bei uns lebenden EU-Ausländern, die obdachlos sind, weiterhin Leistungen zur Verfügung zu stellen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Ein letzter Satz. - Wir haben heute die erste Beratung Ihres Antrags. Ich wünsche mir sehr, dass das Thema Wohnungslosigkeit in allen Facetten im Ausschuss diskutiert wird, aber auch, dass wir diejenigen zu Wort kommen lassen, die mit diesen Menschen arbeiten. Ich würde gern, wenn ich einen speziellen Wunsch äußern darf, auch die Menschen mit am Tisch haben, die als Betroffene entweder in Wohnungslosigkeit leben oder einen Ausstieg schon geschafft haben und mit ihrem wertvollen Rat sicherlich Gutes beisteuern können.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Piel. - Nun hat der Kollege Volker Meyer, CDU-Fraktion, das Wort. Bitte schön!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte heute mit der Beschreibung eines Leitbildes beginnen: wie sich die CDU eine faire Sozialpolitik in Niedersachsen vorstellt.

„Christdemokratische Politik übt Solidarität gegenüber den Schwächeren, bevormundet die Menschen aber nicht. Sozialpolitik hat die Aufgabe des gerechten Ausgleichs, der Chancengleichheit sowie der Sicherung der Teilhabe an Freiheit und Demokratie.

Die CDU steht für ein soziales Niedersachsen, in dem alle Menschen unabhängig von Alter, Geschlecht, Religion, Ethnie, sexueller Orientierung, Herkunft oder Beeinträchtigung selbstbestimmt am gesellschaftlichen Leben teilhaben können.“

So haben wir es in unserem Wahlprogramm zur Landtagswahl beschrieben, und genau dies, liebe Kolleginnen und Kollegen, gilt gerade auch für Menschen, die durch Schicksalsschläge aus der Bahn geworfen werden, die unverschuldet abrutschen und im Extremfall auf der Straße landen.

Obdachlosigkeit, Übernachten im Freien, Notunterkünfte - den Menschen, die hiervon betroffen sind, wollen wir mit diesem Antrag, wie wir es in der Koalitionsvereinbarung beschrieben haben, helfen.

Obdachlosigkeit ist u. a. eine Folge schwieriger Familienstrukturen, von Brüchen in der Erwerbsbiografie, angespannter Wohnungsmärkte, von Schulden, Krankheit oder gesundheitlicher Beeinträchtigung. Sie zeigt sich vielfach besonders in den großen Städten unseres Landes.