Protokoll der Sitzung vom 22.08.2018

Ich möchte zum Schluss sehr deutlich machen: Mir ist bewusst, dass sich manche Menschen, vor allem in deutschen Großstädten, von der Clankriminalität bedroht fühlen. Genau deshalb nehmen wir dieses Thema auch so ernst - es ist auch ein ernstes Thema. Das ist allerdings kein Grund für Panikmache und das Entwerfen düsterer Szenarien über unseren Staat. Das ist kein Grund für Populismus und Hetze gegen ganze Bevölkerungsgruppen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Minister. - Weitere Wortmeldungen sehe ich nicht, sodass ich die Besprechung zur Aktuellen Stunde der AfD schließen kann.

Ich eröffne die Besprechung zu

b) Windenergieausbau zwischen EEG und Klimaschutz - Solidarität mit den Beschäftigten aller ENERCON-Betriebe - Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 18/1444

Ich erteile der Fraktionsvorsitzenden der SPD, Frau Modder, das Wort. Bitte!

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Meine Fraktion hat das Thema „Windenergieausbau zwischen EEG und Klimaschutz - Solidarität mit den Beschäftigten aller ENERCONBetriebe“ zur Aktuellen Stunde angemeldet, weil es brandaktuell ist, uns das Thema „gute Arbeit“ wichtig ist und wir die Energiewende zum Erfolg führen wollen.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Um es gleich am Anfang deutlich zu formulieren: Meine Fraktion steht geschlossen hinter den Beschäftigten der ENERCON-Betriebe. Unsere uneingeschränkte Solidarität gehört den betroffenen Kolleginnen und Kollegen an den verschiedenen Standorten und deren Familien - Familien, die völlig alleingelassen werden und nichts von der

Fürsorgepflicht ihres Unternehmens spüren. Ganz im Gegenteil: Hier versucht ein Großunternehmen, sich auf eine sehr dreiste Art und Weise aus der Verantwortung zu stehlen. Genau das, meine Damen und Herren, dürfen wir nicht zulassen.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Offiziell ist die Rede von einem drohenden Abbau von 835 Stellen. Betroffen sind die Standorte WEC Turmbau in Emden und Magdeburg. Dort verlieren 320 Menschen ihren Arbeitsplatz, davon 190 in Emden; bei WEC Site Services GmbH in Westerstede sind 150 und beim Rotorblattzulieferer Aero Ems in Haren 235 Beschäftigte betroffen, und am ENERCON-Stammsitz in Aurich werden wohl 130 Stellen wegfallen.

Aber wir alle wissen, meine Damen und Herren: Im Kern reden wir über weitaus mehr Arbeitsplätze, weil auch andere Zulieferer betroffen sein werden, wenn nicht zügig - auch in Berlin - die entsprechenden Entscheidungen getroffen werden. Die IG Metall spricht sogar von einem Verlust von bis zu 2 000 Jobs.

Meine Damen und Herren, wir im Nordwesten sind, was den Umgang mit den Beschäftigten und den Gewerkschaften bei ENERCON angeht - insbesondere, wenn es um die Mitbestimmung und die Gründung von Betriebsräten geht -, einiges gewöhnt. In einer solch schwierigen Phase aber zu behaupten, das Unternehmen ENERCON sehe sich nicht in der Verantwortung, da es um Zulieferer und nicht um Tochtergesellschaften gehe, ist ein Schlag ins Gesicht aller Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Deshalb zu Recht das Motto: „Wir sind ENERCON!“

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Die Kolleginnen und Kollegen setzen trotz alledem, trotz allen Drucks weiter auf den Dialog. Sie wollen über Alternativen, über Neuausrichtung der Standorte, über Kurzarbeit, über Weiterqualifizierung oder auch die Versetzung der betroffenen Mitarbeiter an andere Standorte reden. Dafür brauchen sie Zeit. Ich finde, das ist verständlich und steht ihnen auch zu.

Meine Damen und Herren, die Unternehmensführung hat bislang sehr ungeschickt auf entsprechende Gesprächsangebote reagiert. Sie hat die Einladung sowohl von Herrn Wirtschaftsminister Dr. Althusmann als auch die des Bundeswirt

schaftsministers, Herrn Altmaier ausgeschlagen. Dann aber zur Übergabe eines Förderbescheides des Bundes zu kommen, finde ich beschämend. Das lässt tief blicken.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Meine Damen und Herren, ich danke der Landesregierung - insbesondere Herrn Dr. Althusmann und Olaf Lies - für die klaren Worte der vergangenen Woche. Interessant wäre allerdings, jetzt erst einmal - wenn all die Betriebe nicht mehr ENERCON sind - zu wissen: Was ist dann ENERCON eigentlich noch? Und wie ist zu erklären, dass der ENERCON-Chef, Herr Kettwig, bis vor Kurzem noch Geschäftsführer der betroffenen Firmen war?

Ich würde mir wünschen, dass heute hier aus diesem Haus ein Appell an die Unternehmensführung von ENERCON geht, die ausgestreckte Hand anzunehmen und endlich in einen ernsthaften Dialog mit der Gewerkschaft und den Arbeitnehmervertretern einzutreten.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Meine Damen und Herren, die Krise bei dem Windkraftanlagenhersteller ENERCON macht aber auch sehr deutlich: Bei der Energiewende haben wir ein ernsthaftes Problem. Wir brauchen nicht nur ein klares Bekenntnis in Bezug auf ein erhöhtes Ausbauziel für erneuerbare Energien, sondern wir brauchen jetzt die richtigen Schritte - und wir brauchen sie schnell -, wie z. B. die angekündigten Sonderausschreibungen. Hier ist der Bundeswirtschaftsminister Altmaier nach seiner Reise, bei der es um den Netzausbau ging, auch im Wort.

Ich stimme unserem Umweltminister Olaf Lies zu: Wir können unsere Klimaschutzziele nur erreichen, wenn wir auch die Energiewende vorantreiben. Wir brauchen jetzt klare und verlässliche Rahmenbedingungen, einen zügigen Netzausbau und Maßnahmen zur Netzentlastung, aber auch endlich die Sektorenkopplung, die Erzeugung von Wasserstoff aus Wind- und Solarstrom sowie auch die Speicherung in Kavernen. Niedersachsen hat alle Chancen, hier eine entscheidende Rolle für das Gelingen der Energiewende zu spielen. Wir müssen sie aber auch nutzen. Die Zeit drängt.

Zum Schluss will ich einen besonderen Dank an die hier heute anwesenden Betriebsräte und Gewerkschaftsvertreter richten, die im Moment viel auf sich nehmen und viel Druck aushalten müssen.

Das tun sie, um sich für ihre Kolleginnen und Kollegen einzusetzen. Dafür herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Lassen Sie uns heute hier ein deutliches Signal setzen. Die Tür ist noch nicht zu. Vielleicht lenkt die Unternehmensführung endlich ein und arbeitet an sozialverträglichen Lösungen mit.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Es folgt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Kollegin Janssen-Kucz. Bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will mich an dieser Stelle erst einmal dem Gruß an die Betriebsräte, die in Teilen hier zu Gast sind, an die IG-Metall-Vertreter, aber auch an alle Unterstützer vor Ort anschließen und mich bei ihnen bedanken. Schön, dass Sie hier sind. Ich hoffe, dass wir gemeinsam stark sind.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Unsere Solidarität ist Ihnen an dieser Stelle gewiss.

Ich finde es wirklich bitter, dass der 1. August negativ in die ostfriesische, die niedersächsische und auch die bundesdeutsche Geschichte eingehen wird. An diesem Tag hat der Energieanlagenhersteller ENERCON verkündet, sich zukünftig internationaler aufstellen zu wollen, da die Auftragslage in Deutschland stark rückläufig sei. Das bedeutet nichts anderes, als dass weltweit die Energiewende vorankommt, während Deutschland auf die Bremse tritt. Damit ist der massive Arbeitsplatzabbau bei ENERCON verbunden. Das betrifft alle Betriebe, die wirklich ENERCON sind, sowie zusätzlich die Zulieferbetriebe und die Speditionen vor Ort. Denn auch alle Verträge mit ihnen sind schon gekündigt.

Wir reden also nicht nur über 800 Arbeitsplätze, die voraussichtlich in der betroffenen Region verlorengehen, wenn nichts passiert, sondern es geht um weit über 1 000 Arbeitsplätze. Ich hoffe nicht, dass die Zahlen der Gewerkschaften noch weiter bestätigt werden. Wir haben seit Anfang 2017 in der Windenergiebranche schon rund 2 500 Arbeitsplätze verloren. Das ist bitter für die Energie

wende. Vor allem aber ist es für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und ihre Familien sowie für die betroffenen Regionen bitter, wo es um weitere Arbeitsplätze geht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Deshalb muss klar sein: ENERCON muss sich seiner Verantwortung den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie der Region gegenüber stellen. Hanne Modder hat das Thema „Förderbescheide“ angesprochen. Es ist doch wirklich unsäglich: Wie kann Herr Ferlemann da eigentlich noch hingehen? Das hat nichts mit Türaufhalten zu tun. Da muss man einfach sagen: Leute, so läuft es hier nicht. - Unsere gesamte Subventionspolitik gehört an dieser Stelle auf den Prüfstand. Entweder wir haben eine Sozialpartnerschaft, oder wir haben keine. Wenn sich jemand davon ausschließt, kann er auch keine Fördergelder kassieren; denn das sind unsere Steuergelder.

(Beifall bei den GRÜNEN)

In den letzten Wochen hat mich - ich habe die Pressemeldungen dazu verfolgt - etwas wirklich geärgert: Unser Bundeswirtschaftsminister Altmaier tauchte nach über einem Jahr jetzt endlich in der Region auf und sprach über Trassenführung usw. Es ist aber überhaupt nichts passiert. Er bewertet den Rückgang in der Windenergiebranche sogar als Erfolg. Das hätte vermeintlich den Anstieg der Strompreise ausgebremst. Ich finde, das ist eine Aussage, die extrem absurd ist. Man muss sich einfach einmal vor Augen führen, mit welchen Summen Kohle und Atomkraft seit Jahrzehnten massiv subventioniert werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, dieses Ausbremsen der erneuerbaren Energien hat fatale Folgen in den Bereichen Arbeitsplätze sowie - allem voran - Klimaschutz. Ich kann hier - bei allen Solidaritätsbekundungen - in Richtung Berlin, aber auch in Richtung Niedersachsen nur ganz deutlich sagen: Schaffen Sie diese Bremsklötze ab, werden Sie aktiv. Niedersachsen bzw. Ostfriesland ist das Windenergieland Nummer eins. Wegen des grünen EEGs sind wir eine Vorzeigeregion. Machen Sie das bitte nicht kaputt!

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir sollten uns auch nichts vormachen. Es wurde jetzt angekündigt, Sonderausschreibungen auf den Weg zu bringen. Die dauern aber. Parlamentarische Mühlen mahlen langsam. Deshalb ist es so

wichtig, diesen Dialog vor Ort - mit den Betriebsräten und mit den Gewerkschaften - jetzt massiv einzufordern, an neuen Arbeitsmodellen sowie an Möglichkeiten zu arbeiten, neue Arbeitsplätze zu schaffen. Denn wir haben eine Zeit von ein bis zwei Jahren zu überbrücken. Es kann doch wohl nicht angehen, dass wir über 1 000 Menschen nach Hause schicken; denn dann ist deren Knowhow weg. Wir brauchen aber das Know-how dieser Menschen.

Ein Wort noch in Richtung der Landes- und Bundespolitik: Bitte keine Krokodilstränen! Bitte, handeln Sie!. Wir brauchen in Sachen Arbeitsplätze sowie in Sachen Klimaschutz Taten.

(Beifall bei den GRÜNEN)