Protokoll der Sitzung vom 22.08.2018

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der CDU und bei der FDP)

Es ist vollkommen klar: Ein Mörder ist ein Mörder. Da ist es völlig egal, welchen Background er hat. Justitia ist an dieser Stelle blind, meine sehr geehrten Damen und Herren.

Herr Ahrends, Ihre Gerichts- und Richterinnen- und Richterschelte möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich zurückweisen.

(Helge Limburg [GRÜNE]: Richtig!)

Die Richterinnen und Richter sind eine der tragenden Säulen unseres Rechtsstaates. Sie sind diejenigen, die Recht sprechen und davor auch keine Angst haben und haben müssen.

(Lebhafter Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der FDP sowie Zustimmung bei der CDU)

Der Kollege Adasch hat gerade richtigerweise die gesetzlichen Änderungen, die beispielsweise die Vermögensbeschlagnahmung, aber auch die Beschlagnahmung von Fahrzeugen usw. ermöglichen, erwähnt. Alles das gibt es schon. Die Polizei ist mit dieser Thematik als ein Schwerpunkt ihrer Arbeit sehr intensiv beschäftigt. Das ist auch richtig so, meine sehr geehrten Damen und Herren.

Herr Kollege Onay, ich darf Sie unterbrechen. Herr Emden bittet darum, eine Frage stellen zu dürfen. - Ja. - Bitte, Herr Kollege!

(Zuruf von der SPD: Ach nee!)

- Das bedarf nicht Ihrer Kommentierung, liebe Kollegen!

Bitte, Herr Emden!

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Onay, ich glaube, wir haben unterschiedliche Reden gehört. Ich habe mich gerade gefragt, wo denn bitte der Kollege Ahrends in seiner Rede eine Richterschelte gehabt haben soll. Ich habe sie nicht gehört, und hätte ich sie gehört, hätte ich als Berufsrichter da sicherlich aufgeschrien. Insofern ist meine Frage: Was in der Rede von Herrn Ahrends haben Sie als Richterschelte interpretiert?

(Helge Limburg [GRÜNE]: Er hat ge- sagt, sie würden zu weich urteilen, weil sie sich nicht trauen! - Wiard Sie- bels [SPD]: Die Frage wurde von Herrn Limburg beantwortet!)

Vielen Dank. Die Frage ist angekommen und wird jetzt beantwortet. - Bitte, Herr Kollege!

Sie können das ja im Stenografischen Bericht nachlesen. Ich werde Ihnen das jetzt nicht referieren. Der Kollege Ahrends sitzt ja neben Ihnen und hat wahrscheinlich noch das Redemanuskript dort liegen. Sie können ja einmal hineinschauen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Aber zurück zur Thematik: Herr Ahrends, Sie haben auch von der Unterwanderung der Polizei gesprochen. Anlass für diese Diskussion war ja eine Situation in Berlin. Ich habe mir die Zitate des Ausbilders, der den Stein damals ins Rollen gebracht hat, extra einmal herausgesucht. Ich lese das Zitat des Ausbilders aus einer „Panorama“Meldung vom 7. November 2017 vor:

„Ich habe noch nie so was erlebt, der Klassenraum sah aus wie Sau, die Hälfte Araber und Türken, frech wie Sau. Dumm. Konnten sich nicht artikulieren.“

Und weiter heißt es:

„Das sind keine Kollegen, das ist der Feind. Das ist der Feind in unseren Reihen.“

Richtig ist, dass die Polizei Berlin und der Polizeipräsident das ausdrücklich zurückgewiesen und eine solche Unterwanderung ausgeschlossen haben, weil es dafür keine Anhaltspunkte gibt. Ich glaube, aus diesem Zitat lässt sich das auch nicht ableiten, ganz im Gegenteil. Es hat mich schon sehr gewundert, dass sich sowohl die politische als auch die mediale Diskussion aufgrund solcher Zitate eher um Unterwanderung und nicht um die falsche Annahme eines solchen Ausbilders, der offensichtlich für seinen Beruf nicht geeignet ist, gedreht hat und dass dies die Diskussion bestimmt hat.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Aber einmal weg von den polizeilichen Maßnahmen, die alle richtig sind und schon benannt worden sind: Ich glaube, für uns, für die Länder, muss es um unsere Kompetenzen gehen, und zwar um die Gefahrenabwehr und vor allem um die Präventionsarbeit. Da lohnt, glaube ich, ein genauer Blick in diese Clan- und Familienstrukturen: Warum ist ein bestimmter Teil innerhalb dieser Clanstrukturen

so anfällig für Kriminalität? Woher kommt das eigentlich?

Ich möchte ausdrücklich auf die vom Berliner Senat in Auftrag gegebene Studie aus dem Jahr 2015 mit dem Titel „Paralleljustiz“ von Professor Dr. Rohe und Dr. Jaraba hinweisen. Darin ist zum einen die Problematik mit Fokus auf Berlin sehr gut aufgeschlüsselt, zum anderen aber auch, warum es überhaupt so attraktiv für diese Gruppe geworden ist, sich im kriminellen Bereich zu bewegen. Dabei spielen externe Faktoren wie die Beschränkung des Zugangs zum Arbeitsmarkt über zehn Jahre oder länger, die zwangsweise Unterkunft in Heimen und die damit zusammenhängende Selbstisolation, die Kürzung der Sozialhilfe bis zu 20 oder 25 %, das Ausgeben von Wertgutscheinen usw. eine Rolle. Damit hängt natürlich der Rückzug, die Selbstisolation zusammen.

Eine Rolle bei diesem Problem spielt aber auch der gleichzeitige Rückzug der Staatsmacht aus diesen Bereichen. Auch mit Blick auf Möglichkeiten der Kontaktaufnahme mit diesen Bereichen hat man leider in den letzten Jahren, vor allem in Berlin, etwas verpennt. In der Studie wird aber auch darauf eingegangen, dass das nicht einheitlich der Fall ist. Es gibt auch sehr gute Beispiele dafür, wie beispielsweise mit Clanoberhäuptern oder Personen, die in diesen Bereichen tonangebend sind, Kontakt aufgenommen werden und mäßigend eingewirkt werden kann. All diese Beispiele sind, glaube ich, nicht von der Hand zu weisen.

Ganz entscheidend ist, dass in dieser für diesen Personenkreis schwierigen Situation der Clan, die eigene familiäre Struktur der letzte sichere Hafen ist,

(Zuruf von den AfD: Oh!)

wo emotionale Bindung entsteht. Und wenn es dann zu Kriminalität kommt und diese archaischen, tribalen Strukturen plötzlich Aufwind bekommen, entstehen dort

(Christopher Emden [AfD]: Parallel- welt!)

eine Parallelwelt - Sie sagen es - und der Boden für kriminelle Strukturen, meine sehr geehrten Damen und Herren.

Darüber hinaus gibt es weitere Probleme dieser Gruppe. Ich glaube, insgesamt muss es auch für uns darum gehen, wie wir das Thema Prävention angehen können, wie wir die Perspektiven gerade

für Geflüchtete oder Menschen, die neu hierherkommen, attraktiver machen können.

In diesem Zusammenhang weise ich auch noch einmal auf die Befunde des Kriminologischen Forschungsinstituts hin. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich glaube, wir wären gut beraten, sie uns noch einmal im Detail anzuschauen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Onay. - Nun hat das Wort für die Landesregierung Herr Innenminister Pistorius. Bitte!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte diese Aktuelle Stunde gerne dazu nutzen, die Debatte über das Thema Kriminalität durch Familienclans etwas zu versachlichen.

Die Bekämpfung von Clankriminalität bildet bereits seit Jahren einen Schwerpunkt in der Kriminalitätsbekämpfung durch die Landesregierung. Das Phänomen wurde zunächst hauptsächlich im Zusammenhang mit den sogenannten MhallamiyeKurden erkannt und in den Gremien der Innenministerkonferenzen regelmäßig diskutiert. Dort erfolgt eine Abstimmung.

Aus den Handlungsempfehlungen der IMK haben die niedersächsischen Polizeibehörden spezifische Konzepte erarbeitet, um ortsansässige kriminelle Familienclans oder Clanmitglieder effektiv und wirksam zu bekämpfen. Unser Ziel ist es, diesen Strukturen konsequent, mit allen zur Verfügung stehenden rechtsstaatlichen Mitteln zu begegnen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn wir von kriminellen Familienclans sprechen, dann haben wir es dabei mit unterschiedlichen Delikten und Verfahren zu tun, zu denen es aus ganz unterschiedlichen Anlässen kommt. Clankriminalität ist nicht automatisch organisierte Kriminalität. Die Täter agieren bisweilen unterhalb dieser Schwelle. Es kann zu extremen Eskalationen kommen, wenn z. B. gegen die sogenannte Familienehre verstoßen wird, aber auch Provokationen und vermeintlich nichtige Anlässe können zu Gewaltexzessen führen - das tun sie immer wieder.

Für viele der Clanmitglieder zählen unsere rechtsstaatlichen Prinzipien nicht. Für sie gilt eine Paral

leljustiz und eine Art familieninternes Gewohnheitsrecht, das sie über die Verfassung unseres Landes stellen. Es kann kein Zweifel daran bestehen: Dort, wo es stattfindet, untergräbt das in Teilen unseren Rechtsstaat. - Ein solches kriminelle Verhalten dulden wir nicht. Wir zeigen null Toleranz überall da, wo wir ihm begegnen.

(Beifall bei der SPD)

Wir akzeptieren es nicht, wenn Mitglieder von Clans sich nicht integrieren, Parallelgesellschaften schaffen oder gar Selbstjustiz üben. Deshalb ist die Clankriminalität seit 2013 auch ein strategischer Schwerpunkt im Rahmen der Bekämpfung der Kriminalität hier bei uns in Niedersachsen. In manchen Regionen, die besonders betroffen sind, haben die Polizeibehörden ganz gezielte, regionale Konzepte gegen die Clankriminalität entwickelt, um den jeweiligen Besonderheiten vor Ort gerecht werden zu können. Diese regionalen Konzepte bildeten die Basis für die im März 2018 in Kraft gesetzte landesweite Rahmenkonzeption zur Bekämpfung von Clankriminalität, mit der einheitliche Standards - das war wichtig - gesetzt wurden.

Wir, meine Damen und Herren, gehen also intensiv und aktiv gegen diese Strukturen vor. Mit unserer landesweiten Rahmenkonzeption stellen wir sicher, dass erstens bereits den Beamten des Einsatz- und Streifendienstes ein standardisiertes Maßnahmenpaket zur Verfügung steht, zweitens ein konsequentes Einschreiten bei niedriger Einschreitschwelle möglich ist - das ist entscheidend für das Verfolgen der Null-Toleranz-Strategie - und drittens frühzeitig die Justiz und andere Behörden einbezogen werden und Informationen übergreifend ausgetauscht werden können.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, der jüngste Einsatz in Nienburg und Celle zeigt im Übrigen beispielhaft, dass die Polizei konsequent und erforderlichenfalls mit größtem Kräfteaufgebot gegen kriminelle Familienclans vorgeht. Die Wirkung ist bisweilen bemerkenswert.

Auslöser war eine gewaltsame Auseinandersetzung zwei rivalisierender Großfamilien am 22. Juli, bei der auch Schusswaffen und Schlagstöcke eingesetzt und mehrere Personen erheblich verletzt worden waren. Unter Einbindung von Spezialeinheiten aus 13 Bundesländern und Kräften der GSG 9 ist die Polizei vergangene Woche in der Region gegen Mitglieder dieser beiden Familien vorgegangen. Dabei wurden insgesamt 21 Wohnobjekte durchsucht und Waffen beschlagnahmt.

Das zeigt: Wer unsere Gesetze und Normen ignoriert und das Recht in die eigenen Hände nimmt, erhält die klare Antwort des Rechtsstaates, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Ich möchte zum Schluss sehr deutlich machen: Mir ist bewusst, dass sich manche Menschen, vor allem in deutschen Großstädten, von der Clankriminalität bedroht fühlen. Genau deshalb nehmen wir dieses Thema auch so ernst - es ist auch ein ernstes Thema. Das ist allerdings kein Grund für Panikmache und das Entwerfen düsterer Szenarien über unseren Staat. Das ist kein Grund für Populismus und Hetze gegen ganze Bevölkerungsgruppen.